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  • 28.04.2017 · IWW-Abrufnummer 193584

    Oberlandesgericht Dresden: Beschluss vom 05.04.2017 – OLG 22 Ss 901/16 (Z)

    Sind keine tatsächlichen Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass in der Hauptverhandlung von der persönlichen Anwesenheit des Betroffenen ein maßgeblicher Beitrag zur Aufklärung des Sachverhaltes, insbesondere zur Fahreridentifizierung, zu erwarten ist, ist der Betroffene auf seinen Antrag von Pflicht zum Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden.


    OLG Dresden

    Beschl. v. 05.04.2017

    OLG 22 Ss 901/16 (Z)
    Amtsgericht Leipzig 217 OWi 503 Js 60297/15
    GenStA Dresden 22 SsRs 901/16

    BESCHLUSS

    In der Bußgeldsache
    gegen pp.
    Verteidiger: Rechtsanwalt Leif Hermann Kroll, Bundesallee 192, 10717 Berlin

    wegen Verkehrsordnungswidrigkeit

    hat der Bußgeldsenat - die Einzelrichterin - des Oberlandesgerichts Dresden am 05.04.2017
    beschlossen:
    1. Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Leipzig vom 17. Mai 2016 wird wegen Versagung rechtlichen Gehörs zugelassen.
    2. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil das Amtsgerichts Leipzig vom 17. Mai 2016 aufgehoben.
    3. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Amtsgericht Leipzig zu­rückverwiesen.
    Gründe:

    Mit Bußgeldbescheid der Stadt Leipzig vom 06. Oktober 2015 wurde gegen den Betroffenen eine Geldbuße von 35,00 € wegen Parkens auf einem Sonderparkplatz für Schwerbehinderte mit außergewöhnlicher Gehbehinderung, beidseitiger Amelie oder Phokomelie sowie für blinde  Menschen, ohne dass ein besonderer Parkausweis gut lesbar auslag, festgesetzt.

    Den hiergegen fristgerecht eingelegten Einspruch hat das Amtsgericht Leipzig mit Urteil vom 17. Mai 2016 verworfen, da der Betroffene unentschuldigt nicht zur Hauptverhandlung erschie­nen sei.

    Hiergegen hat der Betroffene durch seinen Verteidiger form- und fristgerecht Antrag auf Zulas­sung der Rechtsbeschwerde gestellt und diese mit der Versagung rechtlichen Gehörs begrün­det.

    Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hat beantragt, den Antrag auf Zulassung der Rechts­beschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Leipzig vom 17. Mai 2016 als unbegründet zu verwerfen.

    Auf den zulässigen Antrag war die Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Leipzig vom 17. Mai 2016 wegen Versagung rechtlichen Gehörs zuzulassen und das ange­fochtene Urteil in der Folge aufzuheben.

    Die Rüge der Versagung rechtlichen Gehörs ist zulässig; sie entspricht den Anforderungen der §§ 344 Abs. 2 StPO, 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG. Insbesondere hat der Betroffene hinreichend dargelegt, aus welchen Gründen der Tatrichter von seiner Anwesenheit in der Hauptverhand­lung einen Beitrag zur Aufklärung des Sachverhaltes unter keinen Umständen erwarten konn­te, wobei er neben dem im Bußgeldbescheid erhobenen Tatvorwurf, den

    Inhalt des Entbindungsantrages sowie der diesen ablehnenden Entscheidung auch die kon­krete Beweislage wiedergegeben hat (vgl. dazu nur OLG Rostock, DAR 2008, 400).

    2.

    Die Verfahrensrüge ist zudem begründet.

    Eine nach § 74 Abs. 2 OWiG unzulässige Einspruchsverwerfung verletzt nicht nur einfaches Verfahrensrecht, sondern verstößt zugleich gegen Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz, wenn die gerügte Verfahrensweise dazu führt, dass sachliche Einwendungen des Betroffenen unberück­sichtigt bleiben. Diese Voraussetzungen sind auch in dem Fall erfüllt, in dem das Gericht einen Betroffenen rechtsfehlerhaft nicht von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung entbunden hat. Denn das Fernbleiben des Betroffenen wäre mit der Entbindung von der Erscheinenspflicht als genügend entschuldigt anzusehen, mit der Folge, dass eine Einspruchsverwerfung nicht erfolgen darf (vgl. OLG Bamberg, VRS 113, 284).

    Der Betroffene war vorliegend nach § 73 Abs. 2 OWiG von seiner Anwesenheitspflicht zu ent­binden. Nach dieser Bestimmung entbindet das Gericht den Betroffenen von seiner Verpflich­tung zum persönlichen Erscheinen, wenn er sich zur Sache geäußert hat oder erklärt hat, dass er sich in der Hauptverhandlung nicht äußern werde und seine Anwesenheit zur Aufklä­rung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhaltes nicht erforderlich ist. Dabei ist zu beach­ten, dass die Entscheidung über den Entbindungsantrag nicht in das Ermessen des Gerichts gestellt ist, dieses vielmehr verpflichtet ist, dem Antrag zu entsprechen, sofern die Vorausset­zungen des § 73 Abs. 2 OWiG vorliegen (vgl. OLG Hamm, DAR 2016, 595; OLG Karlsruhe, NZV 2011, 95). Im vorliegenden Fall gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass aus dem Ge­sichtspunkt der Aufklärungspflicht die Anwesenheit des Betroffenen in der Hauptverhandlung geboten gewesen wäre. Dem Betroffenen wurde ein Parkverstoß zur Last gelegt. Der Betrof­fene hatte jedoch seine Fahrereigenschaft bestritten und im Übrigen erklärt, dass er weitere Angaben zur Sache nicht machen werde. Damit waren jedoch die Voraussetzungen für die Entbindung von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen gegeben und das Amtsgericht hätte dem Antrag stattgeben müssen. Denn es waren keine tatsächlichen Anhaltspunkte dafür er­kennbar, dass in der Hauptverhandlung von der persönlichen Anwesenheit des Betroffenen ein maßgeblicher Beitrag zur Aufklärung des Sachverhaltes, insbesondere zur Fahreridentifizie­rung, zu erwarten war. Solche wurden im Übrigen von der Tatrichterin in der den Antrag ableh­nenden Entscheidung auch nicht benannt. Im Übrigen hätte aber auch allein die theoretische Möglichkeit, der zur Hauptverhandlung geladene Zeuge könnte den Betroffenen als Fahrer des Fahrzeuges wiedererkennen, zur Ablehnung des Entbindungsantrages nicht genügt, wenn sich zuvor aus der Akte kein konkreter Hinweis dafür bot, dass der Zeuge entsprechende Be­obachtungen bezüglich des Führers des geparkten Fahrzeuges gemacht hatte (vgl. OLG Karlsruhe, a.a.O; BayObLG, VRS 64, 137 - zur sogn. Kennzeichenanzeige). Soweit das Amtsgericht die Ablehnung des Entbindungsantrages mit der Klärung der Frage begründet hat, ob ggf. ein Kostenbescheid nach § 25 a StVG gegen den Betroffenen erlassen wird, ist weder in der ablehnenden Entscheidung begründet noch anderweitig ersichtlich, inwieweit die­se Entscheidung vor dem Hintergrund der Erklärung des Betroffenen seine Anwesenheit in der Hauptverhandlung erforderlich gemacht hat.

    Nach alledem war das angefochtene Urteil daher aufzuheben und die Sache zu neuer Ver­handlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen.