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  • 25.06.2019 · IWW-Abrufnummer 209575

    Landgericht Dresden: Beschluss vom 07.05.2019 – 3 Qs 29/19

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    LG Dresden

    Beschluss vom 07.05.2019


    I.

    Auf die Beschwerde der Angeklagten vom 10.04.2019 wird der Beschluss des Amtsgerichts Dippoldiswalde vom 21.03.2019, mit dem der Beschwerdeführerin gemäß § 111a StPO vorläufig die Fahrerlaubnis entzogen wurde, aufgehoben.

    II.

    Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die der Beschwerdeführerin im Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.

    Gründe

    I.

    Durch Strafbefehl des Amtsgerichts Dippoldiswalde vom 28.01.2019 wurde gegen die Beschwerdeführerin wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort eine Geldstrafe in Höhe von 30 Tagessätzen zu je 50 EUR festgesetzt und ein dreimonatiges Fahrverbot verhängt. Wegen der Einzelheiten des Tatvorwurfs wird auf den Strafbefehl Bezug genommen.

    Mit anwaltlichem Schreiben vom 07.03.2019 legte die Beschwerdeführerin hiergegen form- und fristgerecht Einspruch ein, woraufhin Termin zur mündlichen Hauptverhandlung auf den 21.03.2019 bestimmt wurde. Im Rahmen der mündlichen Hauptverhandlung erteilte der Strafrichter gleich zu Beginn den rechtlichen Hinweis, dass auch eine Anwendung der §§ 69, 69a StGB auf Grund der Schadenshöhe (1.645,03 EUR brutto) in Betracht käme. Die Beschwerdeführerin ließ sich in der mündlichen Hauptverhandlung nicht zur Sache ein. Es wurde die geschädigte Unfallzeugin … gehört, die den Tathergang schilderte und u.a. angab, dass sie das Fahrzeug nicht habe reparieren lassen, sondern lediglich den Schaden bei der Versicherung abgerechnet habe. Zudem habe sie den Pkw mittlerweile verkauft. Letztlich wurde das Verfahren ausgesetzt, da ein verkehrsanalytisches Sachverständigengutachten zur Frage der Schadenskorrespondenz eingeholt werden soll.

    Noch am selben Tag, aber außerhalb der Hauptverhandlung, entzog das Amtsgericht Dippoldiswalde der Beschwerdeführerin durch den angefochtenen Beschluss gemäß § 111a StPO vorläufig die Fahrerlaubnis. Zur Begründung führte es aus, dass nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen, insbesondere der Aussage der Zeugin … in der Hauptverhandlung am 21.03.2019, dringende Gründe für den Entzug der Fahrerlaubnis durch Urteil bestünden. So sei die Angeklagte mit ihrem Fahrzeug gegen den hinteren Stoßfänger des vor ihr verkehrsbedingt anhaltenden Fahrzeugs der Geschädigten … gestoßen. Hierdurch sei am Fahrzeug der Geschädigten ein Sachschaden in Höhe von 1.645,03 EUR entstanden. Obwohl die Angeklagte den Unfall bemerkt und erkannt beziehungsweise damit gerechnet habe, dass ein nicht völlig unbedeutender Fremdsachschaden entstanden sei, habe sie die Unfallstelle verlassen, ohne die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen. Wegen der Einzelheiten wird auf den Beschluss Bezug genommen.

    Hiergegen wandte sich die Beschwerdeführerin mit ihrer Beschwerde vom 10.04.2019, nachdem sie, dem Beschluss folgend, ihren Führerschein am 25.03.2019 zur Akte gereicht hatte.

    Das Amtsgericht Dippoldiswalde hat durch Verfügung vom 16.04.2019 der Beschwerde nicht abgeholfen. Die Staatsanwaltschaft Dresden – Zweigstelle Pirna – hat beantragt, die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.

    II.

    Die zulässige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.

    Nach Aktenlage sind gegenwärtig keine dringenden Gründe für die Annahme vorhanden, dass der Angeklagten die Fahrerlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen durch Urteil gemäß § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB entzogen werden wird. Denn nach § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB ist ein Kraftfahrer nur dann in der Regel als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen, wenn er sich eines Vergehens des unerlaubten Entfernens vom Unfallort schuldig gemacht hat (1.), obwohl er weiß oder wissen kann, dass bei dem Unfall an fremden Sachen bedeutender Schaden entstanden ist (2.).

    Auch wenn die Beschwerdeführerin nach Aktenlage dringend verdächtig ist, sich des unerlaubten Entfernens vom Unfallort schuldig gemacht zu haben, liegt kein Regelfall des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB vor, da es nach gegenwärtigem Ermittlungsstand an einem bedeutenden Schaden an fremden Sachen im Sinne der Norm fehlt.

    1.

    Nach der gebotenen vorläufigen Betrachtung ergibt sich der dringende Tatverdacht hinsichtlich eines unerlaubten Entfernens vom Unfallort aus den bisherigen polizeilichen Ermittlungen, insbesondere aus der Aussage der Zeugin ….

    Insoweit berichtete die Zeugin …, dass, nachdem sie mit ihrem Fahrzeug die Fahrbahn verlassen und leicht schräg an der Straße gestanden habe, sie bemerkt habe, dass es hinten „gekracht“ habe. Kurz danach habe jemand „Scheiße“ gerufen. Dann sei das Auto, das auf ihres gefahren sei, ein paar Meter weiter gefahren und habe dann angehalten. Sie habe sodann ihr Fahrzeug abgestellt, sei aus dem Auto ausgestiegen und habe ihr Fahrzeug nach etwaigen Beschädigungen untersucht. Dabei habe sie eine Beschädigung an der Stoßstange erkennen können. Als sie aufgeschaut habe, habe sie gesehen, dass das Auto, das auf ihres gefahren sei, weiter gefahren sei. Sie habe noch gewunken, der Pkw habe jedoch seine Fahrt fortgesetzt.

    Die Zeugin, die in der Hauptverhandlung die Beschwerdeführerin als die Fahrerin erkannte, schilderte das Kerngeschehen im Laufe des Verfahrens konsistent. Zwar beschrieb sie bei der polizeilichen Vernehmung die Angeklagte lediglich nach äußeren Merkmalen – weiblich, etwa 30 bis 35 Jahre alt, dunkelbraune bis schwarze Haare, die bis über die Schulter gehen – und gab anders als in der Hauptverhandlung nicht zusätzlich an, dass die Tochter der Angeklagten gemeinsam mit ihrer Tochter in den Kindergarten geht. Indes konnte sich die Zeugin an das Kennzeichen des Pkws erinnern, sodass sie zurecht darauf vertrauen durfte, dass die Polizeibeamten anhand dessen die Fahrerin hinreichend identifizieren können, was auch tatsächlich der Fall war. Diese Aussage widerspricht auch nicht der Aussage bei der Polizei. Sie ergänzt sie lediglich.

    2.

    Indes liegen keine dringenden Gründe für einen Regelfall im Sinne des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB vor, da nach Aktenlage kein bedeutender Schaden an fremden beweglichen Sachen im Sinne der Norm gegeben ist. Zwar entschied das Oberlandesgericht Dresden am 12.05.2005 (Az.: 2 Ss 278/05), dass die Grenze für einen bedeutenden Sachschaden von 1.200,00 DM (so zuvor das Oberlandesgericht in seinem Urteil vom 10.04.1995 – 1 Ss 91/95) auf 1.300,00 EUR angesichts der allgemeinen Preis- und Einkommensentwicklung heraufzusetzen ist. Nunmehr, vierzehn Jahre später, ist es jedoch geboten, diese Grenze auf mindestens 1.500,00 EUR anzuheben (vgl. LG Braunschweig, Beschluss vom 03.06.2016 – 8 Qs 113/16 [min. 1.500,00 EUR]; OLG Stuttgart, Beschluss vom 27.04.2018 – 2 Rv 33 Ss 959/17 [1.600,00 EUR]; LG Wuppertal, Beschluss vom 26.10.2017 – 25 Qs 34/17 [1.500,00 EUR]), da bei der Interpretation ausfüllungsbedürftiger Tatbestandsmerkmale wie bei dem „bedeutenden Schaden“ im Sinne von § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB die allgemeine Geldentwicklung nicht außer Betracht bleiben darf.

    Als Vergleichsmaßstab bietet sich der jährlich vom statistischen Bundesamt berechnete und veröffentlichte Verbraucherpreisindex an. Der aktuell geltende Verbraucherpreisindex hat das Jahr 2015 als Basisjahr. Im Jahr 2005 erreichte der Verbraucherpreisindex noch einen durchschnittlichen Jahreswert von 86,2 % und im Jahr 2018 einen Wert von 103,8 %. Die Veränderungsrate beträgt somit 20,42 % (103,8/86,2 x 100 – 100). Der Wert von 1.300,00 EUR aus dem Jahr 2005 stieg somit unter Berücksichtigung dieser Preissteigerungsrate von 20,42 % im relevanten Vergleichszeitraum auf 1.565,46 EUR. Leicht gerundet erscheint es daher sachgerecht, die Wertgrenze für die Annahme eines bedeutenden Schadens im Sinne des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB nunmehr auf jedenfalls mindestens 1.500,00 EUR festzusetzen.

    Diese Grenze ist vorliegend jedoch nicht erreicht, da es allenfalls auf den im Kostenvoranschlag des Autoservices … bezifferten netto-Reparaturkostenbetrag in Höhe von 1.382,38 EUR ankommt und nicht auf den brutto-Reparaturkostenbetrag in Höhe von 1.645,03 EUR. Denn nach § 249 Abs. 2 BGB kann Umsatzsteuer nur dann geltend gemacht werden, wenn sie tatsächlich auch angefallen ist (BGH, Urteil vom 03.03.2009 – VI ZR 100/08). Da der Schutzzweck von § 142 StGB ist, die Vereitelung der zivilrechtlichen Schadensersatzansprüche der Unfallbeteiligten zu verhindern (Fischer, 66. Auflage, § 142 Rn. 2), können nur solche Schadenspositionen herangezogen werden, die erstattungsfähig sind (OLG Stuttgart, Urteil vom 27.04.2018 – 2 Rv 33 Ss 959/17; LG Aachen, Beschluss vom 13.11.2017 – 66 Qs 10/16; LG Wuppertal, Beschluss vom 26.10.2017 – 25 Qs 34/17). Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist der hier relevante Fremdsachschaden lediglich der netto-Reparaturkostenbetrag in Höhe von 1.382,38 EUR. Denn die Zeugin … gab in der Hauptverhandlung am 21.03.2019 an, ihr Fahrzeug tatsächlich nicht reparieren lassen zu haben, sodass keine Umsatzsteuer angefallen ist. Auch eine spätere Reparatur kommt nicht in Betracht, da die Zeugin … angab, den Schaden bei der Versicherung bereits abgerechnet und das Fahrzeug verkauft zu haben. Unklar bleibt zwar, ob das Fahrzeug durch den Unfall einen merkantilen Minderwert erlitten hat, der als direkte Folge des schädigenden Ereignisses bei der Berechnung des „bedeutenden Schadens“ zusätzlich zu den netto-Reparaturkosten Berücksichtigung zu finden hätte. Nach dem gegenwärtigen Stand der Ermittlungen besteht aber kein dringender Verdacht, dass hierdurch die Grenze von jedenfalls mindestens 1.500,00 EUR überschritten wird. Umstände, die auch jenseits des Regelfalls von § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB vorliegend eine Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 69 Abs. 1 StGB erwarten lassen, sind nicht ersichtlich.

    III.

    Die Entscheidung über die Kosten und Auslagen ergibt sich aus der entsprechenden Anwendung von § 467 Abs. 1 StPO.