16.06.2020 · IWW-Abrufnummer 216250
Oberlandesgericht Oldenburg: Beschluss vom 19.03.2020 – 1 Ws 60/20
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Oldenburg (Oldenburg)
1 Ws 60/20
500 Zs 1046/19 Generalstaatsanwaltschaft Oldenburg
820 Js 3345/19 Staatsanwaltschaft Oldenburg
Beschluss
In dem Ermittlungsverfahren
gegen AA,
geboren am TT. MM 1970 in Ort1,
wohnhaft Ort2,
wegen fahrlässiger Tötung,
Verteidiger: (...),
Antragstellerinnen: 1. BB, Ort3
2. CC, Ort3
jeweils vertreten durch Rechtsanwalt (...),
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg am 19. März 2020 durch die unterzeichnenden Richter beschlossen:
II. Die Erhebung der öffentlichen Klage gegen den Beschuldigten wird angeordnet.
Der Beschuldigte ist hinreichend verdächtig,
am TT. MM. 2018 in Ort4
durch Fahrlässigkeit den Tod zweier Menschen verursacht zu haben.
Dem Beschuldigten wird Folgendes zur Last gelegt:
Vergehen, strafbar nach §§ 222, 52 StGB.
Beweismittel:
1. Einlassung des Beschuldigten:
a) Schreiben seines Verteidigers vom 2. Juli 2019 (...).
b) Schreiben seines Verteidigers vom 3. September 2019 (...).
2. Zeugen:
a) Polizeikommissar FF (Verkehrsunfallanzeige und Unfallbefundbericht, ...)
b) Polizeikommissarin GG (Bericht zur Leichenschau, SH „Leichenschau“)
3. Urkunden:
a) Todesbescheinigungen (...)
b) Untersuchungsbefunde zum Blutalkohol (...)
4. Objekte der Inaugenscheineinnahme:
a) Lichtbilder vom Unfallort (...)
b) Übersichtskizzen des Unfallorts (... sowie SH „Unfallrekonstruktionsgutachten)
c) Lichtbilder vom Unfallort und den Unfallfahrzeugen (Fotoanlage des SH „Unfallrekonstruktionsgutachten“)
d) Lichtbilder der Geschädigten (Bildbericht im SH „Leichenschau“)
5. Sachverständiger Dipl. Ing. HH (JJ GmbH):
a) Gutachten vom TT. MM. 2018 (SH „Unfallrekonstruktionsgutachten“)
b) Ergänzende Stellungnahme vom 30. Juli 2019 (...)
III. Die Durchführung dieses Beschlusses obliegt der Staatsanwaltschaft Oldenburg.
Gründe
Es war sonnig, die Außentemperatur lag bei etwa 15 °C. Die Sonne stand tief am westlichen Horizont über der Fahrbahn Richtung Ort4. Der Verkehr aus Richtung Ort5 ‒ der Fahrtrichtung des Beschuldigten ‒ wurde durch Sonneneinstrahlung erheblich geblendet.
Weitere Einzelheiten zum Erscheinungsbild der Unfallörtlichkeit und der Lage der unfallbeteiligten Fahrzeuge und Personen zueinander ergeben sich insoweit aus den im Rahmen der Spurensicherung angefertigten Lichtbildern sowie Unfallskizzen.
Ausweislich der Todesbescheinigungen verstarben die Geschädigten jeweils infolge eines Polytraumas und eines Schädelbasisbruchs. Laut des Alkoholbefundberichts waren beide Geschädigte nicht alkoholisiert. Weitere Einzelheiten zu dem Bekleidungszustand der Geschädigten und deren tödlichen Verletzungen erschließen sich aus dem Bericht der Polizeikommissarin GG und den Lichtbildern zur Leichenschau.
Anhand der Lichtbilder, der Ergebnisse aus der PHIDIAS-Vermessung sowie aufgrund der Inaugenscheinnahme der beschlagnahmten Unfallfahrzeuge kommt der Sachverständige Dipl. Ing. HH in seinem Unfallrekonstruktionsgutachten zu folgenden Ergebnissen:
Vor dem Hintergrund des Hauptgutachtens regte der Beschuldigte zunächst die Einstellung des Ermittlungsverfahrens gemäß § 153a StPO gegen Zahlung eines angemessenen Betrages an, zumal die beiden Geschädigten die zulässige Höchstgeschwindigkeit nicht eingehalten hätten. Er ließ sich dahingehend ein, dass er den Verkehrsunfall zutiefst bedauere und diesen bislang noch nicht psychisch verarbeitet habe. In Ansehung der ergänzenden Ausführungen des Sachverständigen regte der Beschuldigte sodann die Einstellung des Ermittlungsverfahrens (ohne Auflage) an. Dem Gutachten lasse sich entnehmen, dass eine Blendung durch die tiefstehende Sonne nicht ausgeschlossen sei. Tatsächlich sei er durch die tiefstehende Sonne geblendet worden.
II.
III.
Der Antrag ist auch begründet.
IV.
Im Einzelnen:
1.
An der Fahrzeugführereigenschaft und der Unfallbeteiligung des Beschuldigten bestehen nicht zuletzt in Ansehung seines bisherigen Einlassungsverhaltens keine Zweifel. Sicher nachweisbar ist auch der Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs.
2.
Dem Beschuldigten ist in jedem Fall ‒ mit (dazu lit. a)) oder ohne (dazu lit. b)) Berücksichtigung einer etwaigen Sonnenblendung ‒ ein Sorgfaltspflichtverstoß zur Last zu legen.
3.
Der Sorgfaltspflichtverstoß des Beschuldigten ist kausal für das Unfallgeschehen und der Tod der beiden Geschädigten ihm auch objektiv zurechenbar. Bei fahrlässigen Erfolgsdelikten entfällt der ursächliche Zusammenhang zwischen verkehrswidrigem Verhalten und tatbestandlichem Erfolg nur dann, wenn derselbe Erfolg auch bei verkehrsgerechtem Verhalten eingetreten wäre (vgl. Fischer, StGB67, Vor § 13 Rz. 32). Dies ist hier aber nicht der Fall. Hätte sich nämlich der Beschuldigte in der konkreten Tatsituation verkehrsgerecht verhalten und den ‒ unmittelbar als Unfallursache in Betracht kommenden (vgl. Fischer a.a.O. Rz. 33) ‒ Abbiegevorgang solange zurückgestellt, bis er nicht mehr von der Sonne geblendet wird, um entgegenkommende Verkehrsteilnehmer erkennen zu können, wäre es zu der Kollision mit den beiden Geschädigten nicht gekommen. Der Umstand, dass der Unfall vermeidbar gewesen wäre, wenn die beiden Geschädigten ihrerseits die zulässige Höchstgeschwindigkeit eingehalten hätten, vermag an der von dem Beschuldigten in Gang gesetzten Kausalkette nichts zu ändern. Denn durch das Überschreiten der Geschwindigkeit seitens der Geschädigten tritt keine Unterbrechung des Kausalzusammenhangs ein, wenn ‒ wie hier ‒ die ursprünglich gesetzte Ursache fortwirkt und diese somit zumindest mitursächlich war (vgl. BGH, Urteil v. 13.03.1962 ‒ VI ZR 177/61, VersR 1962, 543 <544>). Dass man bei einer „blinden“ Weiterfahrt andere Verkehrsteilnehmer gefährdet, liegt überdies nicht außerhalb jeglicher Lebenserfahrung.
V.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst (arg. § 177 StPO).
1 Ws 60/20
500 Zs 1046/19 Generalstaatsanwaltschaft Oldenburg
820 Js 3345/19 Staatsanwaltschaft Oldenburg
Beschluss
In dem Ermittlungsverfahren
gegen AA,
geboren am TT. MM 1970 in Ort1,
wohnhaft Ort2,
wegen fahrlässiger Tötung,
Verteidiger: (...),
Antragstellerinnen: 1. BB, Ort3
2. CC, Ort3
jeweils vertreten durch Rechtsanwalt (...),
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg am 19. März 2020 durch die unterzeichnenden Richter beschlossen:
I. Der Beschwerdebescheid der Generalstaatsanwaltschaft Oldenburg vom 27. Dezember 2019 und der Einstellungsbescheid der Staatsanwaltschaft Oldenburg vom 24. September 2019 werden aufgehoben.
II. Die Erhebung der öffentlichen Klage gegen den Beschuldigten wird angeordnet.
Der Beschuldigte ist hinreichend verdächtig,
am TT. MM. 2018 in Ort4
durch Fahrlässigkeit den Tod zweier Menschen verursacht zu haben.
Der Beschuldigte fuhr mit dem Pkw1, (...) Kennzeichen (...), am TT. MM. 2018 gegen 15.55 Uhr die Straße1 in Richtung Ort4. Die später Geschädigten DD und EE befuhren zu diesem Zeitpunkt mit ihren Krafträdern vom Typ Kraftradtyp1 hintereinander die Straße1 in entgegengesetzter Richtung. Beim Linksabbiegen in die Straße2 übersah der Beschuldigte die vorfahrtsberechtigten, ihm entgegenkommenden Geschädigten. Es kam im Einmündungsbereich zu einer Kollision der beiden geschädigten Kraftradfahrer mit dem im Abbiegevorgang befindlichen Pkw des Beschuldigten, in dessen Folge die beiden Geschädigten noch am Unfallort aufgrund von Polytraumata und Schädelbasisbrüchen verstarben. Bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hätte der Beschuldigte den Abbiegevorgang nicht eingeleitet und so den Tod der beiden Geschädigten vermieden.
Vergehen, strafbar nach §§ 222, 52 StGB.
Beweismittel:
1. Einlassung des Beschuldigten:
a) Schreiben seines Verteidigers vom 2. Juli 2019 (...).
b) Schreiben seines Verteidigers vom 3. September 2019 (...).
2. Zeugen:
a) Polizeikommissar FF (Verkehrsunfallanzeige und Unfallbefundbericht, ...)
b) Polizeikommissarin GG (Bericht zur Leichenschau, SH „Leichenschau“)
3. Urkunden:
a) Todesbescheinigungen (...)
b) Untersuchungsbefunde zum Blutalkohol (...)
4. Objekte der Inaugenscheineinnahme:
a) Lichtbilder vom Unfallort (...)
b) Übersichtskizzen des Unfallorts (... sowie SH „Unfallrekonstruktionsgutachten)
c) Lichtbilder vom Unfallort und den Unfallfahrzeugen (Fotoanlage des SH „Unfallrekonstruktionsgutachten“)
d) Lichtbilder der Geschädigten (Bildbericht im SH „Leichenschau“)
5. Sachverständiger Dipl. Ing. HH (JJ GmbH):
a) Gutachten vom TT. MM. 2018 (SH „Unfallrekonstruktionsgutachten“)
b) Ergänzende Stellungnahme vom 30. Juli 2019 (...)
III. Die Durchführung dieses Beschlusses obliegt der Staatsanwaltschaft Oldenburg.
Gründe
I.
Ausweislich der Verkehrsunfallanzeige sowie des Unfallbefundberichtes des Polizeikommissars FF meldete ein Verkehrsteilnehmer am TT. MM. 2018 um 15:55 Uhr über Notruf einen Verkehrsunfall auf der Straße1 in Ort4. Dort ist die Höchstgeschwindigkeit auf 70 km/h begrenzt. Nach ihrem Eintreffen stellten die vor Ort eingesetzten Polizeibeamten fest, dass an der Unfallstelle in Höhe der Straße2 an einer Verkehrsinsel ein stark zerstörtes Krad lag. Im Einmündungsbereich zu Straße2 stand zudem ein erheblich beschädigtes Pkw vom Typ Pkw1. Ein weiteres zerstörtes Krad lag hinter dem Pkw in einem Graben. Der Führer des PKW, der Beschuldigte, stand an der Außenschutzplanke sichtbar unter Schock. Eine leblose Person, der Geschädigte DD, lag im Straßengraben, eine zweite Person, der Geschädigte EE, in Höhe der rechten Hinterachse des Pkw. Beim Eintreffen der Polizeibeamten waren bei beiden Geschädigten Vitalzeichen nicht mehr spürbar. Durch den leitenden Notarzt wurde deren Tod festgestellt.
Auf der Straße1 befand sich in Richtung Unfallstelle vor dieser eine ca. 8,85 m lange Brems- bzw. Blockierspur. Daran schloss sich ein Trümmerfeld mit dem Pkw1 in der Mitte an. Dieses zog sich weiter vom Pkw zum linken Fahrbahnrand zum zerstörten Motorrad im Graben und nach rechts zur Verkehrsinsel zum zweiten Motorrad. Der Pkw war im Frontbereich links erheblich zerstört. Die A-Säule war stark beschädigt, die Motorhaube deformiert, die Frontschürze abgerissen. Die Frontscheibe zeigte zwei Einschläge. Zudem wies der Pkw auf der Beifahrerseite im Bereich kurz nach der Vorderachse eine starke Beschädigung auf. Diese zog sich über die Beifahrertür bis zur Heckachse. Die beiden Kräder wurden weitestgehend zerstört. Das Krad des Geschädigten DD war in zwei Teile gerissen; Hauptanstoßpunkt war die Frontgabel. Die Frontgabel des Kraftrades des Geschädigten EE war ganz abgerissen.
Weitere Einzelheiten zum Erscheinungsbild der Unfallörtlichkeit und der Lage der unfallbeteiligten Fahrzeuge und Personen zueinander ergeben sich insoweit aus den im Rahmen der Spurensicherung angefertigten Lichtbildern sowie Unfallskizzen.
Ausweislich der Todesbescheinigungen verstarben die Geschädigten jeweils infolge eines Polytraumas und eines Schädelbasisbruchs. Laut des Alkoholbefundberichts waren beide Geschädigte nicht alkoholisiert. Weitere Einzelheiten zu dem Bekleidungszustand der Geschädigten und deren tödlichen Verletzungen erschließen sich aus dem Bericht der Polizeikommissarin GG und den Lichtbildern zur Leichenschau.
Anhand der Lichtbilder, der Ergebnisse aus der PHIDIAS-Vermessung sowie aufgrund der Inaugenscheinnahme der beschlagnahmten Unfallfahrzeuge kommt der Sachverständige Dipl. Ing. HH in seinem Unfallrekonstruktionsgutachten zu folgenden Ergebnissen:
Die Untersuchungen der sichergestellten Glühlampen an den Fahrzeugen hat ergeben, dass am Pkw der linke Fahrtrichtungsanzeiger zum Kollisionszeitpunkt in Funktion war. Hinsichtlich des Einschaltzustandes des Fahrlichts an den beiden Krafträdern kann ausgesagt werden, dass das Fahrlicht eingeschaltet war. Es kann aber nicht nachgewiesen werden, ob das Abblendlicht zum Kollisionszeitpunkt an diesen beiden Fahrzeugen auch in Funktion war, da genau diese Glühlampen beim Unfall derart zerstört wurden, sodass eine sichere Auswertung hinsichtlich ihrer Betriebsfähigkeit zum Unfallzeitpunkt nicht möglich ist.
Für den Pkw lässt sich eine Kollisionsgeschwindigkeit im Bereich von 17 km/h nachweisen.
Für das Krad des Geschädigten DD ergibt sich eine Kollisionsgeschwindigkeit im Bereich von 91-103 km/h sowie eine Bremsausgangsgeschwindigkeit im Bereich von 97-111 km/h. Insofern ist dem Geschädigten DD eine Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit im Vorfallstellenbereich von ca. 27-41 km/h nachzuweisen.
Für das Krad des Geschädigten EE ist eine Geschwindigkeit zum Kollisionszeitpunkt von mindestens 81-94 km/h rekonstruierbar. Da es von diesem Fahrzeug keine vorkollisionären Spuren gab, ist dem Geschädigten EE eine Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit im Bereich von 11-24 km/h vorzuwerfen.
Es ist möglich, dass der Pkw-Fahrer, der Beschuldigte, die entgegenkommenden Kradfahrer wegen einer etwaigen Sonnenblendung nicht erkannt hat. Eine Vermeidbarkeit des Unfallgeschehens ergibt sich, wenn der Beschuldigte trotz der Sonnenblendung die Kradfahrer erkannt und somit seinen Anfahrvorgang zurückgestellt hätte. Er wäre dann an der Mittellinie stehen geblieben, sodass die beiden Kradfahrer auf ihrer Fahrbahnhälfte an dem stehenden Pkw hätten vorbeifahren können.
Dem Geschädigten DD ist eine verspätete Reaktion nicht nachzuweisen. Er hat im Gegenteil frühzeitig auf den anfahrenden Pkw reagiert.Bei Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h des Kraftrades des Geschädigten DD zum Anfahrzeitpunkt des Pkw und gleichem Reaktionszeitpunkt wäre mit einer gut beherrschbaren Teilbremsung die Kollision räumlich vermeidbar gewesen. Der Geschädigte DD wäre dann vor dem Fahrweg des Pkw beim Abbiegen zum Stillstand gekommen.
Auch eine zeitliche Vermeidbarkeit ergibt sich für das Krad des Geschädigten DD, wenn er ganz normal mit 70 km/h reaktionslos in den Kollisionsbereich eingefahren wäre. Da er dann aus einer wesentlich niedrigeren Geschwindigkeit kam, ergibt sich ein großer Weg-Zeit-Vorteil für den beschuldigten Pkw-Fahrer, in welchem es ihm möglich gewesen wäre, den Gefahrenbereich mit der gesamten Fahrzeuglänge rechtzeitig vollständig zu verlassen. Da es in diesem Fall nicht zur Berührung des Pkw mit dem Krad des Geschädigten DD gekommen wäre und demzufolge der Pkw beim Eintreffen des Krades des Geschädigten EE schon vollständig im Einmündungstrichter gewesen wäre, ergibt sich auch für die Kollision des Krades des Geschädigten EE eine zeitliche Vermeidbarkeit, wenn dieser vorschriftsmäßig mit 70 km/h gefahren wäre.
Im Rahmen seines ergänzenden Gutachtens kommt der Sachverständige zu dem Ergebnis, dass der beschuldigte Pkw-Fahrer vor seinem Abbiegebeginn weit in die Kurve hat schauen müssen, um die entgegenkommenden Kradfahrer zu erkennen. Wegen des weiten Kurvenverlaufs war der Blick etwa parallel auf die Fahrbahnoberfläche und zur tiefstehenden Sonne gerichtet. In dieser Position ist eine Blendung durch die tiefstehende Sonne möglich. Der Pkw-Fahrer kann unter diesen Bedingungen die entgegenkommenden Kradfahrer nicht erkannt haben.
Hätte er wegen der möglichen Sonnenblendung direkt auf die Straße geschaut (etwa einen Bereich bis 30 m), dann wäre zwar eine nennenswerte Sonnenblendung nicht gegeben, aber dann hätte er die entgegenkommenden Kradfahrer zum Zeitpunkt des Anfahrens und der Entscheidungsfindung nicht erkennen können, da sie gar nicht in seinem Blickfeld gewesen wären.
Vor dem Hintergrund des Hauptgutachtens regte der Beschuldigte zunächst die Einstellung des Ermittlungsverfahrens gemäß § 153a StPO gegen Zahlung eines angemessenen Betrages an, zumal die beiden Geschädigten die zulässige Höchstgeschwindigkeit nicht eingehalten hätten. Er ließ sich dahingehend ein, dass er den Verkehrsunfall zutiefst bedauere und diesen bislang noch nicht psychisch verarbeitet habe. In Ansehung der ergänzenden Ausführungen des Sachverständigen regte der Beschuldigte sodann die Einstellung des Ermittlungsverfahrens (ohne Auflage) an. Dem Gutachten lasse sich entnehmen, dass eine Blendung durch die tiefstehende Sonne nicht ausgeschlossen sei. Tatsächlich sei er durch die tiefstehende Sonne geblendet worden.
II.
Mit Bescheid vom 24. September 2019 hat die Staatsanwaltschaft Oldenburg das Verfahren gegen den Beschuldigten eingestellt und zur Begründung u.a. ausgeführt, dass der Unfall für den Beschuldigten nicht vermeidbar gewesen sei. Zwar sei der Kurvenverlauf an der Unfallstelle gut einsehbar, sodass der Beschuldigte grundsätzlich in der Lage gewesen wäre, die herannahenden Krafträder zu erkennen und den Abbiegevorgang abzubrechen. Allerdings habe der Beschuldigte zum Zeitpunkt des Unfalls gegen die tiefstehende Sonne blicken müssen, sodass nicht auszuschließen sei, dass er die Geschädigten wegen der Sonnenblendung nicht habe erkennen können. Zwar hätte der Beschuldigte wiederum eine Blendung durch die Sonne vermeiden können, indem er direkt auf die Straße vor sich geschaut hätte. Dann hätte er aber nicht weit genug in die Kurve hineinblicken können, um die Krafträder rechtzeitig zu erkennen.
Gegen die Verfahrenseinstellung haben die beiden Antragstellerinnen Beschwerde eingelegt, die der Generalstaatsanwalt in Oldenburg mit Bescheid vom 27. Dezember 2019 als unbegründet zurückgewiesen hat. Zum einen sei schon kein Sorgfaltspflichtverstoß auf Seiten des Beschuldigten zu erkennen. Ein solcher ergebe sich hier auch nicht daraus, dass der Beschuldigte sein Fahrverhalten nicht auf eine etwaige Blendung durch die tiefstehende Sonne eingestellt habe. Der Beschuldigte sei nach dem Halten langsam angefahren, um abzubiegen. Mehr, etwa ein Zuwarten bis die Sonne untergegangen und eine Blendung nicht mehr gegeben sei, könne von dem Beschuldigte nicht verlangt werden. Zum anderen fehle es an der objektiven Zurechenbarkeit des Todes der beiden Geschädigten. Denn in der Kollision habe sich nicht die durch den Beschuldigten durch das Abbiegen geschaffene Gefahr realisiert, sondern vielmehr diejenige Gefahr, die durch die festgestellte deutlich überhöhte Geschwindigkeit der beiden Kradfahrer gesetzt worden sei.
Hiergegen richtet sich der gemäß § 172 Abs. 2 StPO gestellte Antrag der beiden Antragstellerinnen auf gerichtliche Entscheidung vom 1. Februar 2020, mit dem beantragt wird, die Erhebung der öffentlichen Klage gegen den Beschuldigten AA wegen fahrlässiger Tötung anzuordnen.
In seiner weiteren Zuschrift vom 27. Februar 2020 hat der Generalstaatsanwalt ergänzend ausgeführt, dass zwar eine Blendung durch die Sonne besondere Sorgfaltsanforderungen an einen Kraftfahrer auszulösen vermag. Der Vorwurf eines dahingehenden Verstoßes setze jedoch den Nachweis voraus, dass der Beschuldigte überhaupt von der Sonne geblendet worden sei. Dieser Umstand lasse sich jedoch auch nach den Feststellungen des Sachverständigen nicht mit der für eine Anklageerhebung erforderlichen Wahrscheinlichkeit feststellen.
Der Senat hat dem Beschuldigten Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Hiervon hat er mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 16. März 2020 Gebrauch gemacht, indem er sich insoweit der Auffassung des Generalstaatsanwalts angeschlossen hat.
III.
Der Antrag ist zulässig.
Insbesondere erfüllt er die formalen Antragsvoraussetzungen des § 172 Abs. 3 StPO. Die Antragstellerinnen haben sowohl die wesentlichen Ergebnisse der Ermittlungen als auch den maßgeblichen Inhalt der angegriffenen Entscheidungen mitgeteilt. Da es im vorliegenden Verfahren im Kern lediglich um die Frage geht, welche rechtlichen Schlussfolgerungen insbesondere mit Blick auf den Fahrlässigkeitsvorwurf aus dem Ergebnis des Sachverständigengutachtens zu ziehen sind, durften sich die Antragstellerinnen in ihrem Antrag im Übrigen darauf beschränken, sich mit den Ergebnissen eben dieses Gutachtens auseinanderzusetzen. Denn die in § 172 Abs. 3 StPO aufgestellten Formerfordernisse dürfen nicht weiter gehen, als es durch ihren Zweck geboten ist (vgl. BVerfG, Beschluss v. 19.09.2006 ‒ 2 BvR 1103/04, NStZ 2007, 272 <273 Rz. 10>).
Der Beschuldigte ist der ihm zur Last gelegten Straftat in dem für eine Anklageerhebung erforderlichen Maß verdächtig. Ob er der ihm vorgeworfenen Tat schuldig ist, hat der Senat nicht zu prüfen, sondern allein zu klären, ob bei vorläufiger Tatbewertung eine spätere Verurteilung des Beschuldigten bereits in einem Maße wahrscheinlich ist, dass der Tatverdacht in einer Hauptverhandlung gerichtlich zu klären ist. Dies ist der Fall. Denn aufgrund des unter Ziffer I. wiedergegebenen wesentlichen Ergebnisses der Ermittlungen ist in tatsächlicher Hinsicht von dem Sachverhalt auszugehen, wie er bereits im Tenor als Anklagevorwurf formuliert wurde.
IV.
Das insoweit als wahrscheinlich zugrunde zu legende Verhalten des Beschuldigten erfüllt den Straftatbestand der fahrlässigen Tötung in zwei tateinheitlich zusammentreffenden Fällen, §§ 222, 52 StGB.
Im Einzelnen:
1.
An der Fahrzeugführereigenschaft und der Unfallbeteiligung des Beschuldigten bestehen nicht zuletzt in Ansehung seines bisherigen Einlassungsverhaltens keine Zweifel. Sicher nachweisbar ist auch der Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs.
2.
Dem Beschuldigten ist in jedem Fall ‒ mit (dazu lit. a)) oder ohne (dazu lit. b)) Berücksichtigung einer etwaigen Sonnenblendung ‒ ein Sorgfaltspflichtverstoß zur Last zu legen.
a) Der Beschuldigte hat über seinen Verteidiger im Schriftsatz vom 3. September 2019 eingeräumt, dass er tatsächlich durch die Sonne geblendet worden sei. Damit steht ‒ entgegen der Annahme des Generalstaatsanwalts in seiner ergänzenden Zuschrift vom 27. Februar 2020 ‒ hinreichend sicher fest, dass der Beschuldigte den Abbiegevorgang trotz Sonnenblendung eingeleitet hat. Es entspricht aber ständiger straf- wie zivilgerichtlicher Rechtsprechung, dass bei einer Sonnenblendung besonderer Sorgfaltsanforderungen im Verkehr gelten. Unter keinen Umständen darf man in einem solchen Fall seine Fahrt gleichsam „blind“ fortsetzen und/oder abbiegen, ohne sich zuvor Klarheit darüber verschafft zu haben, die Gefährdung anderer ‒ insbesondere vorfahrtsberechtigter ‒ Verkehrsteilnehmer auszuschließen (vgl. BGH, Urteil v. 09.09.1954 ‒ 3 StR 122/54, juris Rz. 11 f.; BGH, Urteil v. 13.03.1962 ‒ VI ZR 177/61, VersR 1962, 543 <544>; OLG Koblenz, Urteil v. 02.07.1973 ‒ 12 U 696/72, VersR 1974, 442; OLG Frankfurt, Urteil v. 06.11.1987 ‒ 25 U 25/86, NZV 1989, 149; OLG Köln, Urteil v. 09.05.1996 ‒ 7 U 10/96, NZV 1997, 477; OLG Saarbrücken, Urteil v. 08.01.1998 ‒ 3 U 1043/96, OLGR Saarbrücken, 402 a.E.; LG Darmstadt, Urteil v. 21.04.2010 ‒ 19 O 178/09, juris Rz. 19; LG Limburg, Urteil v. 23.08.2019 ‒ 1 O 239/17, juris Rz. 46). Fährt man gleichwohl weiter, so stellt dies ein schwerwiegender Verstoß gegen das Gebot des Fahrens auf Sicht nach § 3 Abs. 1 S. 2 StVO und damit sogar ein grob fahrlässiges Verhalten dar (BGH, Urteil v. 09.09.1954 ‒ 3 StR 122/54, juris Rz. 13; BGH, Urteil v. 13.03.1962 ‒ VI ZR 177/61, VersR 1962, 543 <544>; OLG Koblenz a.a.O.; OLG Frankfurt a.a.O.; OLG Köln a.a.O.; LG Limburg a.a.O.).
Soweit der Generalstaatsanwalt der Auffassung ist, dass ein weiteres Zuwarten mit dem Abbiegen bis zum Sonnenuntergang von dem Beschuldigte nicht verlangt werden könne, vermag er mit diesem Einwand nicht durchzudringen. Denn ungeachtet des Umstandes, dass zur Vermeidung zweier Verkehrstoter allemal ein Zurückstellen des Abbiegevorgangs selbst bis zum Abend verlangt werden kann, gab es auch Sicht des Beschuldigten viel näherliegende Möglichkeiten, die Kollision zu vermeiden: So hätte er solange am Rand der Kreuzung anhalten müssen, bis sich seine Augen an die Blendung gewöhnt haben ‒ ein Vorgang der nur bis zu 4 Sekunden dauert (vgl. S. 3 des Ergänzungsgutachtens vom 30. Juli 2019) ‒, um ungehinderte Einsicht in die bevorrechtigte Straße zu haben (so ausdrücklich BGH, Urteil v. 09.09.1954 ‒ 3 StR 122/54, juris Rz. 12 a.E.; LG Limburg a.a.O.). Notfalls hätte er auch die Straße1 weiterfahren, an geeigneter Stelle wenden und sich ‒ nunmehr mit der Sonne im Rücken ‒ der Straße2 nähern können. Mit anderen Worten, dem Beschuldigten wäre ein normgemäßes Verhalten durchaus zumutbar gewesen. Dementsprechend kann auch von einem unabwendbaren Ereignis keine Rede sein.b) Sollte der Beschuldigte im weiteren Verfahren in Abrede nehmen wollen, durch die Sonne geblendet worden zu sein bzw. das Ergebnis der Beweisaufnahme ergeben, dass dieser nicht geblendet worden ist, so ergibt sich erst recht ein Sorgfaltspflichtverstoß. Insofern lässt die Annahme der Sonnenblendung ‒ entgegen der offenbaren Einschätzung des Generalstaatsanwalts in seiner ergänzenden Zuschrift vom 27. Februar 2020 ‒ die Tat eher in einem milderen Licht erscheinen und erweist sich damit als ein entlastender Faktor. Denn sollte der Beschuldigte nicht geblendet worden sein, so hat er entweder ‒ entsprechend den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen ‒ nur in den unmittelbar vor ihm liegenden Straßenbereich und damit nicht hinreichend weit genug in den Kurvenbereich geschaut, oder aber ‒ was noch viel schwerer wiegt ‒ er hat die Kradfahrer bemerkt, welche im Zeitpunkt des Anfahrens 97 Meter von dem Beschuldigten entfernt waren (vgl. S. 34 o. des Gutachtens vom 18. Dezember 2018) und gleichwohl „sehenden Auges“ den Abbiegevorgang vorgenommen. Weitere, insbesondere zugunsten des Beschuldigten sprechende Alternativen ‒ etwa anderweitige Anhaltspunkte, die den Unfall als unabwendbares Ereignis erscheinen lassen ‒ sind in diesem Kontext nicht ersichtlich. Denn es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zugunsten des Beschuldigten Tatvarianten oder sonstige Annahmen zu unterstellen, für deren Vorliegen ‒ wie hier ‒ keine zureichenden Anhaltspunkte erbracht sind (st.Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil v. 21.10.2008 ‒ 1 StR 292/08, NStZ-RR 2009, 90; Urteil v. 26.04.2012 ‒ 4 StR 599/11, juris Rz. 9 jew. m.w.N.). Nach alledem steht hinreichend sicher fest, dass der Beschuldigte zumindest (auch) gegen seine Pflicht aus § 9 Abs. 3 S. 1 StVO grob fahrlässig verstoßen hat, indem er als Linksabbieger die ihm entgegenkommenden Kraftradfahrer nicht hat durchfahren lassen (vgl. LG Nürnberg-Fürth, Urteil v. 15.01.2015 ‒ 8 O 5750/14, juris Rz. 31 f.).
3.
Der Sorgfaltspflichtverstoß des Beschuldigten ist kausal für das Unfallgeschehen und der Tod der beiden Geschädigten ihm auch objektiv zurechenbar. Bei fahrlässigen Erfolgsdelikten entfällt der ursächliche Zusammenhang zwischen verkehrswidrigem Verhalten und tatbestandlichem Erfolg nur dann, wenn derselbe Erfolg auch bei verkehrsgerechtem Verhalten eingetreten wäre (vgl. Fischer, StGB67, Vor § 13 Rz. 32). Dies ist hier aber nicht der Fall. Hätte sich nämlich der Beschuldigte in der konkreten Tatsituation verkehrsgerecht verhalten und den ‒ unmittelbar als Unfallursache in Betracht kommenden (vgl. Fischer a.a.O. Rz. 33) ‒ Abbiegevorgang solange zurückgestellt, bis er nicht mehr von der Sonne geblendet wird, um entgegenkommende Verkehrsteilnehmer erkennen zu können, wäre es zu der Kollision mit den beiden Geschädigten nicht gekommen. Der Umstand, dass der Unfall vermeidbar gewesen wäre, wenn die beiden Geschädigten ihrerseits die zulässige Höchstgeschwindigkeit eingehalten hätten, vermag an der von dem Beschuldigten in Gang gesetzten Kausalkette nichts zu ändern. Denn durch das Überschreiten der Geschwindigkeit seitens der Geschädigten tritt keine Unterbrechung des Kausalzusammenhangs ein, wenn ‒ wie hier ‒ die ursprünglich gesetzte Ursache fortwirkt und diese somit zumindest mitursächlich war (vgl. BGH, Urteil v. 13.03.1962 ‒ VI ZR 177/61, VersR 1962, 543 <544>). Dass man bei einer „blinden“ Weiterfahrt andere Verkehrsteilnehmer gefährdet, liegt überdies nicht außerhalb jeglicher Lebenserfahrung.
V.
Der Senat vermag aus den oben dargestellten Gründen die Begründung des Einstellungsbescheides der Staatsanwaltschaft Oldenburg und des die Beschwerde der beiden Antragstellerinnen zurückweisenden Bescheides der Generalstaatsanwaltschaft nicht zu teilen. Er hat die Bescheide deshalb aufgehoben und die Erhebung der öffentlichen Klage angeordnet.
Die Durchführung dieses Beschlusses obliegt nach § 175 Satz 2 StPO der Staatsanwaltschaft.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst (arg. § 177 StPO).