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  • 08.07.2020 · IWW-Abrufnummer 216692

    Oberlandesgericht Frankfurt a. M.: Urteil vom 04.06.2020 – 22 U 244/19

    1. Bei der Bemessung von Schmerzensgeld sind - neben allen anderen, insbesondere auch individuellen Gesichtspunkten - die Grundsätze der taggenauen Schmerzensgeldberechnung im Rahmen einer Plausibilitätskontrolle zu berücksichtigen, gerade um die Belastung durch dauerhafte Beeinträchtigungen abzubilden (Fortführung von OLG Frankfurt am Main 18.10.2018 - 22 U 97/16). Der Senat wendet die Grundsätze allerdings mit modifizierten Prozentsätzen an. In einem weiteren Schritt ist wertend zu prüfen, ob das Schmerzensgeld insgesamt - auch im Hinblick auf bestehende Risiken und zukünftige Entwicklungen - angemessen erscheint.

    2. Der Grad der Schädigungsfolgen entsprechend der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizinverordnung ist für die Beurteilung von Beeinträchtigungen differenzierter und sachgerechter als der bloße Grad der Arbeitsunfähigkeit.

    3. Zur Bemessung des Schmerzensgeldes bei einer Unterschenkenfraktur eines 54-Jährigen, die zahlreiche Operationen mit Komplikationen und - nicht durchgängig - mehr als 500 Tage Krankenhausaufenthalt nach sich zieht und schließlich doch zur Amputation des rechten Unterschenkels führt.


    OLG Frankfurt 22. Zivilsenat

    04.06.2020


    Tenor

    Auf die Berufung des Klägers wird das am 17.09.2019 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Darmstadt (Az.: 2 O 227/14) teilweise hinsichtlich des Tenors zu 2. wie folgt abgeändert:

    Die Beklagten werden als Gesamtschuldner weiterhin verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 200.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.12.2014 zu zahlen, abzüglich gezahlter 37.500,00 €, am 21.01.2019 gezahlter 25.000,00 € und gezahlter 37.500,00 €.

    Der Tenor zu Ziffer 5. auf Seite 5 oben des am 17.09.2019 verkündeten Urteils der 2. Zivilkammer des Landgerichts Darmstadt (Az.: 2 O 227/14) wird dahingehend berichtigt, dass es richtigerweise lauten muss:

    „sowie aus 1.127,30 € seit dem 12.07.2019“.

    Die Berufung der Beklagten gegen das am 17.09.2019 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Darmstadt (Az.: 2 O 227/14) wird zurückgewiesen.

    Die Beklagten haben die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

    Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

    Die Revision wird zugelassen.

    Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 175.274,64 € festgesetzt.

    Gründe

    I.

    Der am XX.XX.1957 geborene Kläger begehrt Schadensersatz und Schmerzensgeld nach einem Verkehrsunfall am 05.12.2011, bei dem er erheblich verletzt wurde. Der Kläger war Beifahrer in einem Fahrzeug, das wegen eines Vorunfalls auf der rechten Standspur angehalten hatte. Der Kläger ging zur Unfallstelle, entnahm das Warndreieck aus einem der verunfallten Fahrzeuge und stelle es in einem Abstand von circa 100 Metern auf. Auf dem Rückweg wurde er wenige Meter vor der Unfallstelle von dem Fahrzeug der Beklagten erfasst, als dieses beim Bremsen wegen des Vorunfalls ins Schleudern geriet.

    Der Kläger erlitt eine erstgradig offene Unterschenkelfraktur rechts, einen knöchernen Kollateralbandausriss am Wadenbein links, eine minimale intracerebrale Gehirnblutung fronto-parietal rechts sowie eine Ruptur der Fibulatorbänder des oberen Sprunggelenks.

    Der Kläger musste sich im Anschluss zahlreichen stationären Behandlungen und Operationen unterziehen. In der Zeit vom 05.12.2011 bis zum 27.02.2015 befand sich der Kläger für mehr als 500 Tage stationär in dreizehn Krankenhausaufenthalten. In den Zwischenzeiten war der Kläger zuhause, allerdings nicht mobil und ans Bett gefesselt. Wegen der Anzahl und der Zeiträume im Einzelnen wird auf die Ausführungen in der Klageschrift vom 03.12.2014, Seite 12, und in der Berufungsbegründung vom 19.12.2019, Seite 5, verwiesen.

    Der Kläger wurde mehrfach operiert. Der Heilungsverlauf gestaltete sich sehr komplex. Es wurden mehrere Revisionen und Materialentfernungen (Marknagel, Bolzenschrauben) durchgeführt. Am 14.04.2014 erfolgten u. a. ein knöchernes Débridement, eine Tibia-Rekonstruktion mit kontralateraler freier osteoseptokutaner Fibula sowie eine winkelstabile Plattenosteosynthese.

    Im Folgenden werden die einzelnen Behandlungsschritte skizziert:

    Bei einer ambulanten Vorstellung in der Klinik1 Stadt1 am 05.01.2012 wurde eine Flüssigkeitseinlagerung zwischen Haut und Faszie bei Decollement im Bereich des Oberschenkels festgestellt. Es wurde eine Verzögerung der knöchernen Heilung am rechten Unterschenkel diagnostiziert.

    Am 09.01.2012 erfolgte in der Klinik1 Stadt1 eine Revision des Oberschenkels rechts mit Nekrosektomie, Serom-Entlastung und VAC. Ein mikrobiologischer Abstrich zeigte nach Anreicherung Staphylokokkus aureus.

    Am 16.01.2012 erfolgte eine VCA-Wechsel mit Anlage einer VGA-Pumpe. Der mikrobiologische Abstrich zeigte Staphylokokkus aureus und enterokokkus faecalis.

    Am 23.01.2012 erfolgte die VAC-Entfernung, Spülung mit H202, offene Wundbehandlung mit Lavasept. Die Mikrobiologie zeigte im Abstrich Staphylokokkus aureus.

    Am 30.02.2012 erfolgte eine freie Hauttransplantation zur Deckung eines Hautdefektes.

    Am 08.03.2012 erfolgte ein Debridement und die Entfernung der Drahtcerclage.

    Am 22.03.2012 erfolgte eine erneute freie Hauttransplantation zur Deckung eines erneut aufgetretenen Defektes.

    Am 29.06.2012 wurde eine Revision der Pseudarthrose (Falschgelenk) vorgenommen. Es wurden abgestorbene Anteile des Gewebes entfernt (Sequestrotomie).

    Am 10.07.2012 erfolgte die autologe Spongiosaplastik nach Knochenentnahme vom rechten Beckenkamm.

    Am 23.10.2012 wurde eine fehlende Heilung der Knochentransplantation festgestellt und eine äußere gepulste Ultraschallbehandlung zur Anregung der Knochenheilung angeordnet.

    Eine erneute operative Behandlung fand am 03.01.2013 statt. Es wurde ein erneutes Debridement durchgeführt sowie eine Teilentfernung des Metalls (Schraubenentfernung).

    Am 07.02.2013 erfolgte die Entfernung des Verriegelungsnagels sowie ein erneutes Weichteildebridement. Die erneute operative Stabilisierung des Unterschenkels erfolgte am 27.07.2013 mittels intramedullärem Nagel (ITN).

    Am 24.05.2013 wurde ein Abszess im Bereich des Unterschenkels festgestellt.

    Es wurde eine Metallentfernung durchgeführt. Der ITN-Nagel wurde entfernt. Ohne Traumaereignis kam es zu einem erneuten Bruch der ehemaligen Unterschenkelpseudarthrose.

    Am 02.06.2013 erfolgte die operative Revision, Entfernung der eingelegten PMAA-Ketten, Aufbohrung des Markraumes und Einbringung einer Jet-Lavage sowie Anbringung eines Fixateur externe (Hoffmann II).

    Am 21.06.2013 wurde der Fixateur externe entfernt. Es wurde eine Pseudarthrosenresektion durchgeführt und ein Palacos-Stab eingebaut.

    Am 05.07.2013 wurde der Palacos-Stab entfernt, ein äußerer Fixateur (Ringfixateur) angelegt. Es wurde eine Fibulaosteotomie ergänzt.

    Am 11.10.2013 wurde eine Resektion der Pseudarthrose durchgeführt und eine Antibiotika-Maxikette implantiert.

    Am 29.10.2013 erfolgte die operative Entfernung der Maxikette, Aufbohrung des Markraumes und Implantation eines Palacos-Stabes.

    Die erneute Osteosynthese erfolgte am 05.11.2013 mittels ITN-Marknagel.

    Am 11.11.2013 musste eine erneute operative Revision infolge eines ausgedehnten Hämatoms durchgeführt werden. Es wurde eine Hämatomausräumung durchgeführt.

    Am 14.11.2013 erfolgte eine Etappenrevision mit Sequestrotomie und Septopal-Ketten-Implantation.

    Am 02.01.2014 musste eine erneute Marknagelrevision sowie eine Sequestrotomie durchgeführt werden.

    Am 09.01.2014 erfolgte eine erneute Sequestrotomie. Hier wurde nun eine Metallentfernung durchgeführt (ITN-Nagel) und ein Fixateur externe (Hoffmann II) angelegt.

    Am 04.02.2014 erfolgte eine Teil-ME.

    Am 14.04.2014 wurde eine Transplantation eines Knochen-Muskel-Haut-Gewebeteiles der Gegenseite (osteomyocutaner Lappen) mit mikrovasculärer Anastomosierung durchgeführt, um den Defekt des Unterschenkels zu überbrücken. Es wurde eine stabile Plattenosteosynthese sowie eine Spalthauttransplantation ergänzt.

    Am 13.05.2014 erfolgte die Debridement-Nekrosektomie sowie eine großflächige Spalthauttransplantation.

    Aufgrund einer persistierenden lnfektsituation wurde schließlich am 21.11.2014 eine Unterschenkelamputation durchgeführt. Der Patient wurde mit einer Endoprothese versorgt.

    Es kam in der Folgezeit zu stationären erneuten Aufenthalten infolge einer Belastungsinsuffizienz.

    Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes im Übrigen sowie wegen der erstinstanzlich gestellten Anträge nimmt der Senat auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug.

    Der Kläger führt vor dem Sozialgericht Darmstadt gegen die Unfallkasse Hessen einen Rechtsstreit. Gegenstand dieses Verfahrens ist die Herabsetzung des Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit des Klägers von 70 % auf 60 %.

    Das Landgericht hat durch das angefochtene Urteil die Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von insgesamt 100.000,00 € abzüglich bereits gezahlter zweimal 37.500,00 € und 25.000,00 € verurteilt. Ferner hat es die Beklagten bezüglich des erlittenen Verdienstausfallschadens zur Zahlung von 1.507,49 €, 5.301,51 € und 7.874,22 € sowie zur Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten von 2.379,29 € verurteilt. Im Übrigen hat das Landgericht festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger alle materiellen Schäden zu ersetzen, die diesem nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung aufgrund des Unfallereignisses am 05.12.2011 noch entstehen werden, sofern der Anspruch nicht auf einen Sozialversicherungsträger oder einen Dritten übergegangen ist.

    Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, es halte ein Schmerzensgeld in Höhe von 100.000,00 € für angemessen. Hierbei habe es insbesondere die Fragen einer Dauer und einer Intensität von Beeinträchtigungen unter Hinzuziehung der Beeinflussbarkeit der Beeinträchtigungen berücksichtigt. Es sei sich bewusst, dass die Vielzahl der Kriterien und deren Zusammenwirken eine Objektivierbarkeit der Ermesseneinschätzung kaum zulasse. Soweit dem Entscheidungen durch den Ansatz der Findung eines taggenauen Schmerzensgeldes entgegenwirken wollten, würde auch dieser Ansatz der erforderlichen Abwägung aller einzelnen Gesamtumstände nicht alleine gerecht, da insoweit dem einen Element der Beeinträchtigungsdauer ein zu großes Einzelgewicht beigemessen würde, wo hingegen die Dauer lediglich ein gleichberechtigtes Element unter den anderen Kriterien darstelle.

    Hinsichtlich des Verdienstausfallschadens sei die vom Kläger gewählte Bemessungsgrundlage bezüglich der Verdienste aus den Vorjahren zutreffend. Dies stehe nach Überzeugung des Landgerichts nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme durch Vernehmung der Zeugin C fest.

    Der Feststellungsantrag sei begründet, soweit der Kläger zukünftigen immateriellen Schadensersatz begehre. Soweit der Kläger auch die Feststellung immaterieller Schäden begehre, sei die Klage unbegründet, denn diese seien mit dem zuerkannten Gesamtschmerzensgeld abgegolten.

    Der Kläger begehrt mit seiner Berufung ein höheres Schmerzensgeld. Die Beklagte wehrt sich mit ihrer Berufung gegen die Verurteilung zur Zahlung des Verdienstausfallschadens, soweit ein Zeitraum betroffen ist, der über den 31.05.2016 hinausgeht.

    Der Kläger meint, der zugesprochene Betrag sei im Hinblick auf die von ihm erlittenen Verletzungen, die Dauer der unfallbedingt erforderlichen Krankenhausaufenthalte, seine nach wie vor nicht abgeschlossene Heilbehandlung sowie die schweren Verletzungsfolgen nicht angemessen. Unter Berücksichtigung der im Urteil des Senats vom 18.10.2018 dargestellten Berechnungsmethode sei die Höhe eines angemessenen Schmerzensgeldes mit 264.680,20 € anzusetzen.

    Bezüglich der Berufung der Beklagten meint der Kläger, die Herabsetzung des Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit von 70 % auf 60 % durch die Unfallkasse sei nicht gerechtfertigt.

    Der Kläger beantragt,

    1. das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 17.09.2019, Az.: 2 O 227/14, teilweise abzuändern,

    2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger ein in das Ermessen des Berufungsgerichts zu stellendes Schmerzensgeld, dessen Höhe jedoch den bereits zugesprochenen Betrag in Höhe von 100.000,00 € angemessen überschreiten soll, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.12.2014 zu zahlen,

    3. die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

    Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 25.09.2019 beantragt, den Tenor des angefochtenen Urteils (Seite 5, 1. Absatz) dahingehend zu berichtigen, dass der Tag der Zustellung des Schriftsatzes vom 21.06.2019 erfasst wird. Das Landgericht hat über diesen Antrag nicht entschieden.

    Die Beklagten beantragen,

    1. die Berufung des Klägers zurückzuweisen,

    2. unter Abänderung des am 17.09.2019 verkündeten Urteils des Landgerichts Darmstadt, Az.: 2 O 277/14 die Klage bezogen auf Ziffer 5, soweit ein Zeitraum betroffen ist, der über den 31.05.2016 hinausgeht, abzuweisen.

    Die Beklagten meinen, das Landgericht hätte berücksichtigen müssen, dass die zunächst mit 70 % bemessene Rente seit dem 01.06.2016 nur noch mit einem Minderungsgrad von 60 % zur Auszahlung gekommen sei. Das Verfahren hätte im Hinblick auf den Rechtsstreit vor dem Sozialgericht Darmstadt gemäß § 108 Abs. 2 SGB VII ausgesetzt werden müssen.

    Die Beklagten bestreiten hinsichtlich der Laufzeit des Erwerbsschadens die Kausalität. Es stelle sich die Frage, ob aufgrund der massiven Vorschäden fiktiv - ohne die Unfallfolgen - noch vollumfänglich Arbeitsfähigkeit bestehen würde.

    Ferner treten die Beklagten der Berufung des Klägers entgegen. Sie meinen, der Berechnungsmethode gemäß Urteil des Senats vom 18.10.2018 könne nicht zugestimmt werden. Im Übrigen stehe dem Tatrichter eine Ermessensentscheidung zu, die nur eingeschränkt in der Berufungsinstanz überprüfbar sei.

    Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien im Berufungsverfahren wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

    Der Senat hat mit Zustimmung der Parteien gemäß Beschluss vom 16.04.2020 das schriftliche Verfahren gemäß § 128 Abs. 2 ZPO mit einer Schriftsatzfrist bis zum 30.04.2020 angeordnet.

    II.

    1. Berufung des Klägers:

    Die Berufung des Klägers ist zulässig, sie wurde insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet. Sie hat auch in der Sache Erfolg und führt zu einer Verurteilung der Beklagten zur Zahlung eines höheren Schmerzensgeldes.

    Der Kläger hat gegen die Beklagten einen Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von insgesamt 200.000,00 €, wovon nach Berücksichtigung der bereits erfolgten Zahlungen in Höhe von insgesamt 100.000,00 € ein Betrag in Höhe von 100.000,00 € verbleibt.

    Die in der angefochtenen Entscheidung getroffenen Feststellungen des Landgerichts zu den Verletzungen, die der Kläger durch den streitgegenständlichen Unfall vom 05.12.2011 erlitten hat, sowie zu den Verletzungsfolgen sind nicht zu beanstanden.

    Der Bundesgerichtshof hat in seiner grundlegenden Entscheidung zur Bemessung des angemessenen Schmerzensgeldes festgestellt, dass Größe, Heftigkeit und Dauer der Schmerzen, Leiden und Entstellungen die wesentlichen Kriterien bei der Bemessung des Schmerzensgeldes sind, womit im Sinne einer Objektivierung der Leiden insbesondere die Art der Verletzungen, die Zahl der Operationen, die Dauer der stationären und ambulanten Behandlung, die Dauer der Arbeitsunfähigkeit und das Ausmaß des Dauerschadens zu berücksichtigen sind (vgl. OLG Frankfurt am Main, Urteil vom 17.10.2001 - 23 U 212/00, zitiert nach juris, Rz. 2 mit Verweis auf BGH, Großer Senat für Zivilsachen, Beschluss vom 06.07.1955 - GSZ 1/55, zitiert nach juris, Rz. 15).

    Das Schmerzensgeld dient dem Ausgleich für Schäden nicht vermögensrechtlicher Art und trägt dem Umstand Rechnung, dass der Schädiger dem Geschädigten Genugtuung schuldet für das, was er ihm angetan hat. Die Entschädigung ist nach § 287 ZPO zu schätzen, wobei der Rechtsbegriff der billigen Entschädigung ausreichend eine angemessene Differenzierung zulässt. Der Tatrichter muss seine Ermessensentscheidung nach § 253 Abs. 2 BGB, § 287 ZPO begründen. Bei der Bemessung sind sämtliche objektiv, nach den Kenntnissen und Erfahrungen eines Sachkundigen, erkennbaren und nicht fernliegenden künftigen Auswirkungen der Verletzung zu berücksichtigen. Der Tatrichter muss sich mit den für die Schmerzensgeldbemessung maßgeblichen Umständen auseinandersetzen. Schmerzensgeldentscheidungen anderer Gerichte sind weder Maßstab noch Begrenzung (Senat, Urteil vom 18.10.2018 - 22 U 97/16, NJW 2019, 442, 447, Rz. 53, 54).

    Vorliegend ist zu berücksichtigen, dass der Kläger durch den Unfall eine erstgradige offene Unterschenkelfraktur rechts, einen knöchernden Kollateralbandausriss bezüglich der Fibula links, eine minimale intracerebrale Blutung fronto-parietal rechts und eine Ruptur der Fibulotalarbänder OSG rechts erlitten hat. Der Behandlungs- und Heilungsverlauf, insbesondere in Bezug auf den rechten Unterschenkel, gestaltete sich besonders langwierig und komplex. Aus den vorgelegten Attesten und ärztlichen Berichten ergibt sich, dass der Kläger eine Vielzahl von Operationen und zahlreiche stationäre und ambulante Behandlungen über sich ergehen lassen musste. Dennoch musste der rechte Unterschenkel im Rahmen eines Eingriffs am 21.11.2014 amputiert werden.

    Der Kläger wird bis zu seinem Lebensende unter entsprechenden Einschränkungen in seiner Bewegungsfähigkeit und seiner Lebensführung zu leiden haben.

    Für den Verlust eines Unterschenkels haben z. B. die Oberlandesgerichte München und Hamm in ihren Entscheidungen vom 19.11.2001 (OLG Hamm, 13 U 136/98) und 14.09.2005 (OLG München, 27 U 65/05), diese Entscheidungen hat auch das Landgericht erwähnt, ein Schmerzensgeld in Höhe von 80.000,00 DM bzw. 45.000,00 € zugesprochen. Berücksichtigt man, dass in diesen Fällen jüngere Frauen betroffen waren und sich diese Beträge auf eine geschätzte Lebenserwartung von noch ca. 40 Jahren verteilen, verbliebe ein Teilbetrag in Höhe von jeweils ca. 3,00 €/Tag. Dies zeigt, dass die Dauer der Beeinträchtigung oft vernachlässigt wird und nach Auffassung des Senats mehr Berücksichtigung finden muss. Dies gerade auch vor dem Hintergrund, dass ein Geschädigter, der wie hier den Verlust eines Unterschenkels erleiden musste, die entsprechenden Folgen bis zu seinem Lebensende tragen muss.

    Vergleichbar erscheinen deshalb eher die Entscheidungen des KG vom 12.01.2006 - 12 U 261/04 - (120.000,00 € bei Mitverschulden), des OLG München vom 24.09.2010 - 10 U 2671/10 (150.000,00 €). Wirklich vergleichbare Entscheidungen, die insbesondere die Dauer des Krankenhausaufenthaltes und die Vielzahl der Operationen ausreichend beschreiben und berücksichtigen, sind dem Senat nicht bekannt geworden, insbesondere auch, was das dauerhafte Tragen eines externen Fixateurs über einen längeren Zeitraum betrifft.

    Wie der Senat bereits in seinem Urteil vom 18.10.2018 (22 U 97/18, NJW 2019, 442) ausgeführt hat, dürfte es kaum einen Betrag geben, der für die fraglichen Beeinträchtigungen nicht nur physischer, sondern auch psychischer Art einen ausreichenden Ausgleich darstellen dürfte. Der Senat hat weiter darauf hingewiesen, dass die Schmerzensgeldbemessung durch die Gerichte zahlreichen subjektiven und regionalen Faktoren unterliegt und für die Betroffenen kaum prognostiziert werden kann. Auf die weiteren - insbesondere rechtspolitischen - dortigen Ausführungen wird verwiesen. Insbesondere ist es unter dem Gesichtspunkt der in weit über 90% aller Schadensfällen außergerichtlich erfolgenden Regulierung erforderlich, den Geschädigten ein System an die Hand zu geben, dass eine transparente und gleichmäßige Berechnung von Schmerzensgeldern ermöglicht.

    Dass die Schmerzensgeldbemessung bisher von viel zu vielen unwägbaren Entscheidungsfaktoren abhängig ist, und die Orientierung an Entscheidungstabellen kaum wirklich funktioniert, weil oftmals zu wenige Angaben hinsichtlich der konkreten Beeinträchtigungen und deren Dauer in den Gerichtsentscheidungen enthalten sind und Schmerzensgeldbeträge in älteren Entscheidungen nicht einfach indexiert werden können, ist in Fachkreisen Allgemeingut (vgl. nur die plastischen Formulierungen des LG Frankfurt am Main 17.07.2019 - 24 O 246/16 - juris Rz. 46). Luckey weist lesenswert darauf hin (NJW 2019, 3361), dass bereits die Klageschrift plastischer die konkreten Folgen der Beeinträchtigung schildern und die Gerichte sich nur an jüngeren Entscheidungen orientieren sollten, weil die älteren - neben einer gänzlich anderen Betrachtungsweise - auch von einem ganz anderen Zinsniveau für das Anlegen des Schmerzensgeldkapitals ausgegangen seien (vgl. dazu ausführlich Jaeger VersR 2019, 577).

    Der Senat bleibt deshalb für die Schmerzensgeldbemessung bei seinem Ansatzpunkt einer sog. taggenauen Schmerzensgeldberechnung, die maßgebend im „Handbuch Schmerzensgeld“ (Schwintowski u.a., 2013) entwickelt wurde (OLG Frankfurt a. M., a.a.O.; dem folgend LG Frankfurt am Main Urteil vom 17.07.2019 - 24 O 246/16 -; LG Magdeburg, Grundurteil vom 07.02.2019, - 10 O 503/18 -; in diese Richtung auch mit Blick auf das Abstellen auf die statistische Lebenserwartung LG Aurich, Schlussurteil vom 23.11.2018 - 2 O 165/12 -).

    Im Ausgangspunkt ist dabei festzuhalten, dass die Bestimmung eines angemessenen Schmerzensgeldes einen der zentralen Bereiche tatrichterlichen Schätzungsermessen darstellt und damit die hierauf gerichteten Bemühungen des Tatrichters nur eingeschränkt revisibel sind (vgl. BGH, Urteil vom 12.05.1998, VI ZR 182/97; Urteil vom 10.02.2015, VI ZR 8/14; anders in der Berufungsinstanz: BGH, Urteil vom 28.03.2006, VI ZR 46/05). Es geht bei dieser Bestimmung darum, Schäden nicht vermögensrechtlicher Art auszugleichen und dem Umstand Rechnung zu tragen, dass der Schädiger dem Geschädigten Genugtuung schuldet für das, was er ihm angetan hat. Letztlich wurzeln diese Zweckbestimmungen, die der allgemeinen Vorschrift des § 253 Abs. 2 BGB ebenso wie ihrer speziellen Ausprägung in § 11 S. 2 StVG zu Grunde liegen, in verfassungsrechtlichen Verbürgungen, weil die Zuerkennung eines angemessenen Schmerzensgelds Ausfluss nicht zuletzt aus der Menschenwürde als oberstem Konstitutionsprinzip der deutschen Rechtsordnung und weiteren, im jeweiligen Einzelfall im Besonderen betroffenen Verfassungsrechtsgütern - hier der körperlichen Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG - ist. Diese „Ausstrahlwirkung“ grundrechtlicher Gewährleistungen ist bei Anwendung des einfachen Zivilrechts zu beachten (vgl. grundlegend in Bezug auf das Allgemeine Persönlichkeitsrecht BVerfG, Beschluss vom 14.02.1973, 1 BvR 112/65; BGH, Urteil vom 15.11.1994, VI ZR 56/94). Auch vor diesem Hintergrund ist es einzuordnen, dass der Anspruch auf Schmerzensgeld kein gewöhnlicher Schadensersatzanspruch ist (so wörtlich auch LG Frankfurt am Main a.a.O.; BGH, Beschluss vom 06.07.1955, GSZ 1/55).

    Gerade deshalb ist es notwendig, die Schmerzensgeldfestsetzung auch für den betroffenen Bürger transparent und Gerichtsentscheidungen besser prognostizierbar zu machen.

    Der Ansatz des Senats hat in der rechtswissenschaftlichen Literatur und Rechtsprechung allerdings ein unterschiedliches Echo erfahren.

    Zarges (ZfS 2019, 83) betont den vereinfachenden Charakter des Modells, das durch seine Transparenz viele Gerichtsverfahren vermeide sowie die anwaltliche Beratung erleichtere. Es ermögliche zudem die Umsetzung des gemeinsamen Willens aller an der Regulierung Beteiligten, die Schmerzensgelder bei schwersten Verletzungen bei gleichzeitiger Reduktion bei leichteren Verletzungen zu erhöhen. Engelbrecht (DAR 2019, 44) begrüßt die durch die Anknüpfung an das durchschnittliche Bruttoeinkommen gewährleistete gleiche Behandlung aller im Schmerz gleichen Verletzten. Bensalah/Hassel (NJW 2019, 403; so auch Schulte-Rüdiger GesR 2020, 14) halten die bisherige Rechtsprechung für willkürlich, da ihre Basis für die Bemessung des Schmerzensgeldes unklar sei, und schlagen weitere Differenzierungen vor. Sympathie für das Modell zeigt auch Korch (EWiR 2019, 143, NJW 2019, 2705) der in dem Urteil des Senats einen „gut vorbereiteten Angriff auf die traditionelle Schmerzensgeldbemessung“ sieht, der wegen der starken Erhöhung des Schmerzensgeldes eine gewisse Sprengkraft beinhalte. Gesamtgesellschaftlich zu niedrige Beträge seien kritisch zu sehen, da sie die Präventionswirkung des Haftungsrechts schwächten.

    Die Gegenstimmen sprechen dagegen von einer nur „vermeintlich objektivierenden Berechnung“ bzw. einer erreichbaren „Pseudogenauigkeit“ (Ernst/Lang VersR 2019, 1122; Wellner DAR 2020, 26; Wenker juris PR-VerkR 15/2019 Anm. 2; Thora MedR 2019, 861; Lang juris PR-VerkR 5/2019 und 15/2019). Heß/Burmann (NJW-Spezial 2019, 42) kritisieren, dass bei der konkreten Berechnung von dem Brutto-Durchschnittseinkommen als Grundlage der Berechnung ausgegangen wird, das keinen Bezug zu dem hier im Raum stehenden immateriellen Schadensersatz habe. Die schematisch-mathematische Betrachtung führe die auch von den Autoren des Modells aufgestellte Forderung einer individuellen Betrachtung jedes einzelnen Schadens ad absurdum. Zu bezweifeln sei auch, ob auf diesem zu einer unvertretbaren Erhöhung der Schmerzensgelder führenden Weg eine Vereinfachung für die Praxis erreicht werden könne. Aus Sicht von Slizyk (NZV 2019, 357) ist die Bildung von Einzelbeträgen pro Tag und der dabei vorgenommene Vergleich mit dem Nutzungsausfall beim Fahrzeugschaden aus ethischen Gründen abzulehnen. Damit würde die in seiner Gesamtheit bestehende Individualität des Menschen in unzulässiger Weise in Einzelteile zerlegt und wirtschaftlich bewertet.

    In der obergerichtlichen Rechtsprechung hat der Ansatz des Senats überwiegend Ablehnung erfahren. Das OLG Düsseldorf (28. 03.2019 - 1 U 66/18 -) sieht zwar das nachvollziehbare Interesse der Geschädigten, die Höhe des Schmerzensgeldes anhand numerischer Kriterien möglichst exakt nachzuvollziehen, hält die Methodik für anfechtbar und letztlich nicht zu den erstrebten eindeutigen Ergebnissen führend. Es sei nicht nachvollziehbar, bei der Bemessung vom durchschnittlichen Bruttonationaleinkommen als Grundlage auszugehen. Die davon angesetzten, je Behandlungsstadium divergierenden Prozentsätze seien willkürlich gewählt. Die dann im zweiten Schritt erfolgenden individuellen Zu- und Abschläge belegten, dass es im Endeffekt doch auf die jeweils unterschiedlichen Umstände des Einzelfalls ankomme. Wegen der auch danach gegebenen divergierenden Ergebnisse könne die von den Autoren angestrebte hohe Transparenz rein systematisch nicht erreicht werden. Ebenfalls kritisch wird das Modell vom OLG Brandenburg (16. 04.2019 - 3 U 8/18 -) beurteilt, das darin keine tragfähige, mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung in Einklang stehende Methode der Berechnung sieht. Negativ hat sich auch das OLG Celle (26. 06.2019 - 14 U 154/18 -) geäußert, wonach ein geänderter Ansatz der Berechnung, mit dem ein deutlich höherer Betrag ermöglicht wird, unbeachtlich sein muss, wenn dafür keine überzeugende inhaltliche Begründung gegeben wird. Entscheidend sei, unabhängig vom Berechnungsweg, die Erfassung aller eingetreten, objektiv erkennbaren und vorhersehbaren Schadensfolgen, die bei der Entscheidung berücksichtigt werden konnten. Das sei jedoch keine Frage der Berechnungsmethodik, sondern der Gesamtschau des Tatrichters nach § 287 ZPO.

    Schließlich hat sich auch das OLG München (25.10.2019 - 10 U 3171/18 -) dieser Auffassung angeschlossen.

    In Ansehung der geäußerten Kritik, aber auch der verbreiteten Zustimmung bleibt der Senat bei dem Prinzip der taggenauen Berechnung, modifiziert sie allerdings hinsichtlich der einzelnen Beträge.

    Wie der Senat bereits in der Entscheidung vom 18.10.2019 ausgeführt hat, ist es nahezu unmöglich, in den von den Gerichten entschiedenen Fällen wirklich vergleichbare Fallgestaltungen zu finden. Das hängt zum einen davon ab, wie dürftig die derzeitigen Begründungen vieler Entscheidungen zum Schmerzensgeld ausfallen, soweit es um die Höhe des Schmerzensgeldes geht (Luckey NJW 2019, 3361). Auch Slizyk (NZV 2019, 351) erkennt in seiner Entscheidungsbesprechung an, dass die Schmerzensgeldbeträge, die in Deutschland für schwere und schwerste Verletzungen mit erheblichen und meist lebenslangen Dauerfolgen als angemessen und ausreichend anerkannt werden, sehr häufig unerträglich gering sind, und führt verschiedene weitere Beispiele an (a.a.O.). Auch er plädiert für ein Heraufsetzen von Schmerzensgeldern, wobei das zum Teil unfassbare Leid der Opfer und Angehörigen deutlicher herausgearbeitet werden müssen.

    Hinzu kommt, dass die Entscheidungssammlungen tatsächlich nur einen ganz geringen Teil der in Deutschland tatsächlich gezahlten Schmerzensgelder abbilden, weil die außergerichtliche Regulierung davon überhaupt nicht erfasst wird, die den allergrößten Teil ausmacht.

    Das von den Gegnern der taggenauen Berechnung und damit Erhöhung der Schmerzensgelder bei Dauerbeeinträchtigungen in die Diskussion eingeführte Argument, dass höhere Schmerzensgelder zu einer unzumutbaren Belastung der Versicherer führen könnten, ist nicht haltbar, da der Großteil der Aufwendungen der Versicherungen bei Personenschäden nicht auf das Schmerzensgeld, sondern auf Behandlungskosten, Verdienstausfall und vermehrte Bedürfnisse (z.B. Haushaltsführungsschaden gemäß § 843 BGB, der vorliegend überhaupt nicht geltend gemacht worden ist) entfällt.

    Gleiches gilt für das Argument, dass die Dauer der Beeinträchtigung aufgrund zwischenzeitlicher Ereignisse sehr viel kürzer sein könnte, z.B. wenn der Verletzte aus anderen Gründen verstirbt. Dieses Risiko besteht bei allen prognostischen Entscheidungen und wird im Hinblick auf die Einheitlichkeit des Schmerzensgeldes geradezu vom BGH gefordert, der alle auch nur vorhersehbaren Veränderungen (z.B. spätere Arthrose) darin einbezieht. Wollte man dieses vermeiden, käme regelmäßig nur eine Schmerzensgeldrente in Betracht, deren Voraussetzungen aber nach der Rechtsprechung des BGH sehr hoch sind.

    Der Senat betont, dass es ihm nicht um eine Scheingenauigkeit, sondern um eine Plausibilitätskontrolle zur Berücksichtigung der die Betroffenen besonders belastenden Dauerschäden geht, die bei der Bewertung des Schmerzensgelds in besonderem Maße Berücksichtigung finden müssen, soweit keine Schmerzensgeldrente verlangt wird. Der Auffassung des Landgerichts, dass es sich dabei nur um einen von vielen gleichberechtigten Faktoren handelt, folgt der Senat nicht.

    Dies ist auch dann besonders wichtig, wenn, wie auch vorliegend, für den konkreten Fall der Schädigung keine vergleichbaren Fallgestaltungen in der veröffentlichten Rechtsprechung gefunden werden.

    Unter Berücksichtigung aller in Literatur und Rechtsprechung geäußerter Bedenken führt der Senat bei der Findung und Bemessung angemessener Schmerzensgelder regelmäßig eine Plausibilitäts- und Transparenzkontrolle anhand taggenauer Berechnungen durch.

    Wie der Senat bereits im Urteil vom 18.10.2018 (a.a.O.) ausgeführt hat, sind die Anknüpfungspunkte an das durchschnittliche Nettoeinkommen und die Wahl der verschiedenen Prozentsätze diskutabel und wirken zugegeben willkürlich.

    Gerade in dem Bereich jahrelanger Beeinträchtigung führt die buchstabengetreue Anwendung des Systems zu Schmerzensgeldern, die zumindest derzeit jenseits der vertretbaren Erhöhung für schwere Fälle innerhalb des Systems liegen.

    Für solche Fälle geht der Senat deshalb in Weiterentwicklung seiner Rechtsprechung zur Vereinfachung von einem Betrag von 150,00 € /Tag für den Aufenthalt auf der Intensivstation, 100,00 €/Tag auf der Normalstation, 60,00 €/Tag in der Rehabilitationsklinik und 40,00 € pro Tag bei 100% GdB aus. Dies entspricht bei einem durchschnittlichen monatlichen Bruttoeinkommen im Jahr 2011 (jährlich 32.042,00 €; Quelle: www.statis.de) von 2.670,17 € etwa 5%, 3%, 2% und 1%.

    Der Senat orientiert sich dabei grob an den Systemen, wie sie in anderen europäischen Ländern, z.B. Italien, Spanien, Belgien, Frankreich, Dänemark und Österreich, teilweise gesetzlich, teilweise in Form von Empfehlungen, festgelegt sind (vgl. nur die Anmerkungen zum jeweiligen nationalen Recht in Münchner Kommentar zum StVR, Band 3 Internationales Recht, Nationale Rechtsordnungen; zu Schweiz und Österreich vgl. auch Schulte/Rüdiger GesR 2020, 14). Auch wenn die Systeme sehr unterschiedlich sind (vgl. dazu auch Frese NZV 2020, 1ff.) zeigen sie doch sämtlich den Versuch einer stärkeren Differenzierung aus der Annahme heraus, dass die nachteiligen Folgen einer bestimmten Körper- oder Gesundheitsverletzung genauso wie der Verlust eines nahen Angehörigen grundsätzlich für jedermann gleich seien, und schränken dadurch das freie Ermessen erheblich ein. Aus Gründen der Gerechtigkeit, der Gleichbehandlung, der Vorhersehbarkeit und der Justizentlastung sollen grundsätzlich gleiche Ersatzbeträge zur Anwendung kommen (vgl. nur Münchner Kommentar a.a.O. Italien).

    In Italien ist beispielsweise gängige Gerichtspraxis die Anwendung der Mailänder Tabelle („Tabella Unica di Milano“). Diese wurde durch das Mailänder Osservatorio sulla Giustizia civile di Milano, einem losen Zusammenschluss insbesondere von Richtern, Rechtsanwälten, Gerichtsmedizinern und Universitätsprofessoren der juristischen und medizinischen Fakultäten, erstellt.

    Für den Direktanspruch enthalten Art. 138 und 139 Codice delle Assicurazioni private auf dem Punktesystem der Mailänder Tabellen basierende Sonderregelungen. Die Schadensersatzbeträge sind - getrennt für leichte Gesundheits- und Körperverletzungen bis 9 Punkten und schwere mit 10-100 Punkten - jährlich durch Rechtsverordnung verbindlich festzulegen. Der durchschnittliche Schadensersatzbetrag für einen Körperschaden beträgt 46,88 € pro Tag der völligen Arbeitsunfähigkeit. Bei teilweiser Arbeitsunfähigkeit reduziert sich der Schadensersatz proportional (vgl. zu den einzelnen Sätzen, der Differenzierung zwischen vorübergehendem und dauernden Körperschäden und der Normkollisionen Münchner Kommentar a.a.O. Italien Rz. 209).

    Der Senat bleibt auch bei dem Anknüpfungspunkt, die Beeinträchtigungen des Geschädigten nicht nach dem groben Maßstab der Arbeitsunfähigkeit, sondern nach der konkreten Behinderung zu bemessen, wobei der Grad der Schädigungsfolgen (GdS) entsprechend der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizinverordnung vom 10.12.2008 ein sehr viel differenzierterer und mithin für die allgemeine Beurteilung einer Behinderung brauchbarerer Maßstab für die Bemessung des Schmerzensgeldes ist. Während die Arbeitsunfähigkeit darauf abstellt, inwieweit der Geschädigte in der Lage ist, am Arbeitsleben teilzunehmen, kommt es für den Grad der Behinderung oder Schädigungsfolgen darauf an, wie stark sich eine körperliche Beeinträchtigung im Allgemeinen und nicht nur auf die berufliche Seite bezogen auswirkt. Deshalb kann z.B. im Rahmen einer Umschulung die Arbeitsfähigkeit wieder stark steigen, während der Grad der Schädigung deutlich höher ist, und umgekehrt.

    Dass insoweit eine weit differenziertere Beurteilung erforderlich ist, zeigen die zitierten Handhabungen in anderen europäischen Staaten, die oftmals ein in jeder Hinsicht ausdifferenziertes Einstufungssystem aufweisen (vgl. beispielsweise die Dintilhac-Nomenklatur in Frankreich, zitiert nach Münchner Kommentar a.a.O. Frankreich Rz. 312ff.).

    Für die Einschätzung des Grads der Schädigungsfolgen ist auch nicht zwingend ein ärztliches Gutachten erforderlich, da angesichts der differenzierenden Abstufungen durchaus auch durch einen medizinischen Laien ein brauchbarer Grad der Beeinträchtigung festgestellt werden kann. Dabei ist allerdings zu betonen, dass es im Rahmen des § 287 ZPO auf eine Schätzung, nicht auf eine mathematische Genauigkeit ankommt. Ebenso wie das Schmerzensgeld nicht schematisch durch Addition von Zeiträumen abschließend errechnet werden kann, sondern noch die zweite Stufe der Bewertung der verschiedenen Parameter hinzukommt, gilt dies auch für die Frage des Grades der Schädigungsfolgen.

    Der GdS wird auf der Grundlage der Anlage zu § 2 der Versorungsmedizinverordnung vom 10.12.2008 bemessen (Senat, Urteil vom 18.10.2018 - 22 U 97/16, NJW 2019, 442, Rz. 61). Hierbei wird für den Verlust eines Beines im Unterschenkel bei genügender Funktionstüchtigkeit des Stumpfes und der Gelenke ein GdS von 50 % angenommen. Der Sachverständige A hat in seinem Gutachten vom 19.01.2016 ausgeführt, dass das rechte Hüftgelenk und auch das rechte Kniegelenk eine altersentsprechend gute Beweglichkeit aufweise, weshalb der Senat diesbezüglich von einem GdS von 50 % ausgeht. Der Sachverständige A hat ferner ausgeführt, am linken Bein falle eine hängende Großzehe auf. Diese könne aktiv nicht in die Dorsalextension gebracht werden. Passiv zeige sich jedoch eine freie Beweglichkeit. Es liege eine Großzehenheberlähmung mit Sensibilitätsstörung an der linken Großzehe bei Läsion des Nervus peroneus profundus vor. Diesbezüglich bewertet der Senat den GdS mit 10 %.

    Soweit mit Ausführungs-Benachrichtigung des Versorgungsamts vom 12.03.2014 ab 05/13 ein Grad der Behinderung (GdB) vom 100 festgestellt wird, ist zu beachten, dass die dort berücksichtigten Funktionsbeeinträchtigungen nicht sämtlich auf das hier streitgegenständliche Unfallgeschehen zurückzuführen sind (z. B. Diabetes mellitus, Schlaf-Apnoe-Syndrom, Bluthochdruck, Organbeteiligung).

    Bei Berücksichtigung dieser Grundsätze kommt der Senat zu folgender Bewertung:

    Der Kläger befand sich ausweislich der in der Berufungsbegründung aufgelisteten Daten auf 512 Tage im Krankenhaus. Dies ergibt einen Betrag von 51.200 € (à 100,-€).

    Für die Dauer seiner Behandlung außerhalb der Krankenhausaufenthalte hat der Kläger 658 Tage bei seiner Berechnung zugrunde gelegt. Wenn man allerdings die Dauer der tatsächlichen Beeinträchtigungen berücksichtigen will, ist gerade vorliegend zu beachten, dass der Kläger die Folgen der Verletzungen bis zu seinem Lebensende tragen muss.

    Vorliegend wird der Kläger lebenslang in dieser Weise beeinträchtigt sein, weshalb nach Auffassung des Senats die geschätzte verbleibende Lebenserwartung zu berücksichtigen ist. Legt man die Sterbetafel zugrunde, ergibt sich eine Lebenserwartung nach dem Unfall von ca. 9.490 Tagen. Bringt man den schon oben berücksichtigten Zeitraum für die stationäre Behandlung in Abzug, verbleiben 8978 Tage. Ausgehend von 40,- € pro Tag bei 100% GdS ergibt dies bei 60% GdS (pro Tag 24,- €) 215.472 €. In Addition zu dem für die Krankenhausbehandlung anzusetzenden Betrag von 51.200,- € ergibt dies insgesamt einen Plausibilisierungsbetrag von 266.672,- €.

    Dies erscheint dem Senat auch bei einer Gesamtbetrachtung aller vom BGH geforderten Gesamtumstände, insbesondere der komplett veränderten Lebenssituation des Klägers, der zahllosen Operationen mit den damit verbundenen Ungewissheiten und auch den zu erwartenden und teilweise schon eingetretenen Folgeerscheinungen bei Amputationen physischer, aber auch psychischer Art, die auf der Hand liegen und nicht näher ausgeführt werden müssen, durchaus angemessen.

    Allerdings ist vorliegend auf der zweiten Stufe der Bewertung zu berücksichtigen, dass der Kläger zahlreiche schwerwiegende Vorerkrankungen hatte, wie dargelegt. Es besteht deshalb ein nicht unerhebliches Risiko, dass diese Vorerkrankungen in der Zukunft unfallunabhängig einen schwereren Verlauf nehmen. Deshalb muss die vorliegend nicht fernliegende Möglichkeit einbezogen werden, dass der Kläger früher verstirbt oder aus anderen Gründen erhebliche Behinderungen auftreten, die nicht unfallabhängig sind.

    Vor diesem Hintergrund hält der Senat eine Reduzierung des Schmerzensgeldbetrags auf insgesamt 200.000,00 € für angemessen.

    2. Berufung der Beklagten:

    Die Berufung der Beklagten ist zulässig, sie wurde insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet. In der Sache erweist sie sich jedoch als unbegründet.

    Das Landgericht war nicht verpflichtet, den Rechtsstreit im Hinblick auf das Verfahren vor dem Sozialgericht Darmstadt auszusetzen.

    Nach Auffassung des Senats findet vorliegend die Vorschrift des §108 Abs. 2 SGB VII keine Anwendung.

    Hiernach hat das Gericht sein Verfahren auszusetzen, bis eine Entscheidung nach § 108 Abs. 1 SGB VII ergangen ist. Gemäß § 108 Abs. 1 SGB VII ist ein Gericht, wenn es über Ersatzansprüche der in den §§ 104 bis 107 genannten Art zu entscheiden hat, an eine unanfechtbare Entscheidung nach dem SGB VII oder nach dem Sozialgerichtsgesetz in der jeweils geltenden Fassung gebunden, ob ein Versicherungsfall vorliegt, in welchem Umfang Leistungen zu erbringen sind und ob der Unfallversicherungsträger zuständig ist.

    Gegenstand des Verfahrens vor dem Sozialgericht Darmstadt ist die Herabsetzung des Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit des Klägers von 70 % auf 60 % durch die Unfallkasse Hessen mit Bescheid vom 24.05.2016.

    Durch die Regelung in § 108 Abs. 2 SGB VII soll insbesondere verhindert werden, dass es für den Geschädigten ungünstigerweise zur Ablehnung eines Versicherungsfalls durch den Unfallversicherungsträger kommt, derweil ein Arbeits- oder Zivilgericht dennoch ein Haftungsprivileg des Schädigers annimmt (vgl. Angelika Lehmacher/Laurenz Mülheims, Boecken/Düwell/Diller/Hanau, Gesamtes Arbeitsrecht, 1. Auflage 2016, § 108 SGB VII, Rz. 1). Dieser Fall ist jedoch mit dem vorliegenden nicht vergleichbar, denn das Landgericht und der Senat haben nicht über Ersatzansprüche in der nach §§ 104 bis 107 SGB VII genannten Art zu entscheiden, da im hiesigen Fall eine entsprechende Haftungsprivilegierung nicht Gegenstand des Verfahrens ist.

    Es trifft zwar zu, dass sich der Anspruch auf Ersatz des Erwerbsschadens reduzieren würde, falls der Kläger in dem Verfahren vor dem Sozialgericht obsiegt, denn er hat im hiesigen Verfahren seinen Erwerbsschaden dadurch berechnet, dass er die tatsächlich gezahlte Unfallrente zugrunde gelegt hat. Die hieraus ergebenden Folgen müssen dann jedoch nach Ansicht des Senats gegebenenfalls in einem gesonderten Verfahren behandelt werden.

    Soweit die Beklagten nunmehr mit Schriftsatz vom 02.04.2020 im Hinblick auf die Vorerkrankungen des Klägers die Kausalität hinsichtlich des Erwerbsschadens bestreiten, verhilft dies ihrer Berufung nicht zum Erfolg.

    Der Kläger litt schon vor dem Unfall an den Vorerkrankungen. Bereits im ärztlichen Bericht vom 11.04.2012 werden der Diabetes mellitus, der Hypertonus und die koronare Herzerkrankung genannt. Der Sachverständige D hat in seinem Gutachten vom 25.08.2016 ausgeführt, dass ein Diabetes mellitus Typ II seit 2010 bestehe. Der Sachverständige B hat in seinem Gutachten vom 04.12.2017 dargestellt, dass der Hypertonus schon lange bekannt sei.

    Offensichtlich war der Kläger trotz der Vorerkrankungen jedenfalls vor dem Unfallereignis arbeitsfähig.

    3. Der Tenor war gemäß Berichtigungsantrag des Klägers vom 25.09.2019 wie geschehen gemäß § 319 ZPO zu berichtigen. Solange der Rechtsstreit in der Rechtsmittelinstanz schwebt, ist auch das mit der Sache befasste Rechtsmittelgericht für die Berichtigung zuständig (vgl. Feskorn in Zöller, Zivilprozessordnung, 33. Auflage 2020, § 319, Rz. 34).

    4. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 2, 97 Abs. 1 ZPO.

    Die Entscheidung bezüglich der vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

    Die Revision war gemäß § 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO im Hinblick auf abweichende Entscheidungen anderer Oberlandesgerichte (z. B. OLG München, Urteil vom 25.10.2019 - 10 U 3171/18; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 16.04.2019 - 3 U 8/18; OLG Düsseldorf, Urteil vom 28.03.2019 - I-1 U 66/18) zur Berechnung der Schmerzensgeldhöhe zuzulassen

    Die Streitwertfestsetzung resultiert aus § 3 ZPO, §§ 45 Abs. 2, 47 GKG (Berufung des Klägers: 164.680,20 €; Berufung der Beklagten: 10.594,44 €).

    RechtsgebieteStVG, BGBVorschriften§ 7 StVG, § 9 StVG, § 253 BGB