27.09.2022 · IWW-Abrufnummer 231460
Oberlandesgericht Düsseldorf: Beschluss vom 20.08.2022 – III-2 Ws 152/22
1. Es handelt sich nicht um einen sicheren Übermittlungsweg im Sinne des § 32a Abs. 4 Nr. 3 StPO, wenn die Beschwerdeschrift einer Justizvollzugsanstalt von dem persönlichen E-Mail-Account einer Bediensteten an das Gericht übermittelt wird.
2. Eine „Heilung“ des Formmangels durch Ausdrucken der Beschwerdeschrift scheidet jedenfalls dann aus, wenn das elektronische Dokument lediglich aus einer systemschriftlichen Word-Textdatei und nicht aus einem eingescannten Schriftsatz besteht, der ein Abbild des unterzeichneten Originals bzw. der mit Unterschrift und ggf. Dienstsiegel beglaubigten Abschrift darstellt.
Oberlandesgericht Düsseldorf
Tenor:
Die Beschwerde wird als unzulässig verworfen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Angeschuldigten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
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G r ü n d e :
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I.
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Der Angeschuldigte befindet sich seit dem 25. Februar 2022 in Untersuchungshaft. Er wurde vom 25. Februar 2022 bis zum 26. Februar 2022 und nochmals vom 4. März 2022 bis zum 9. März 2022 in dem H.-Klinikum, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie in R., stationär behandelt. Dort wurden folgende Diagnosen gestellt: Panikstörung (F41.0) und rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode ohne psychotische Symptome (F33.2).
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Vom 10. März 2022 bis zum 12. April 2022 befand sich der Angeschuldigte im Justizvollzugskrankenhaus F., Abteilung für Psychiatrie. Dort wurden folgende Diagnosen gestellt: posttraumatische Belastungsstörung (F43.1) und Anpassungsstörung (F43.2).
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Mit Schreiben des Verteidigers vom 21. April 2022 hat der Angeschuldigte gegenüber der Justizvollzugsanstalt seine (erneute) Verlegung in das Justizvollzugskrankenhaus F., hilfsweise in ein „öffentliches Krankenhaus“ beantragt. Mit Schreiben vom 22. April 2022 hat die Justizvollzugsanstalt diesen Antrag mit dem Bemerken (konkludent) abgelehnt, dass die zuständige Ärztin der psychiatrischen Abteilung des Justizvollzugskrankenhauses F. keine Veranlassung gesehen habe, den Angeschuldigten weiter dort zu behalten oder in ein externes Krankenhaus auszuführen.
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Auf den hiergegen gerichteten Antrag auf gerichtliche Entscheidung des Angeschuldigten hat das nach Anklageerhebung zuständige Landgericht die Justizvollzugsanstalt unter Aufhebung ihrer Entscheidung vom 22. April 2022 mit Beschluss vom 17. Juni 2022 verpflichtet, den Verlegungsantrag des Angeschuldigten unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu bescheiden.
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Gegen den Beschluss des Landgerichts richtet sich die Beschwerde der Justizvollzugsanstalt, die mit E-Mail vom 5. Juli 2022 an das Landgericht übermittelt worden ist.
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II.
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Die nach § 119a Abs. 3 StPO statthafte Beschwerde der Justizvollzugsanstalt ist unzulässig, da bei der Einlegung mittels E-Mail kein sicherer Übermittlungsweg nach Maßgabe des § 32a Abs. 4 Nr. 3 StPO gewählt wurde und dieser Mangel durch das Ausdrucken der beigefügten Word-Textdatei bei dem Landgericht nicht geheilt wurde.
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Die E-Mail ist von dem persönlichen E-Mail-Account einer Bediensteten der Justizvollzugsanstalt an die elektronische Poststelle des Landgerichts versandt worden. Dies genügt nicht den Anforderungen des § 32a Abs. 4 Nr. 3 StPO, wonach im elektronischen Rechtsverkehr bei der Absendung ein nach Durchführung eines Identifizierungsverfahrens eingerichtetes Behördenpostfach (sog. besonderes elektronisches Behördenpostfach, § 6 ERVV) zu verwenden ist. Der vorliegend gewählte Übermittlungsweg stellt keinen sicheren Übermittlungsweg dar.
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Abgesehen davon ist das beigefügte elektronische Dokument nicht in dem vorgeschriebenen Dateiformat PDF (§ 2 Abs. 1 Satz 1 ERVV), sondern als Word-Textdatei (docx) an das Landgericht übermittelt worden. Hierauf und das Unterbleiben eines Hinweises nach § 32a Abs. 6 Satz 1 StPO kommt es nach Maßgabe des § 32a StPO indes nicht weiter an, da es bereits an einem sicheren Übermittlungsweg fehlt.
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2.
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Dieser Mangel ist durch das Ausdrucken der Word-Textdatei bei dem Landgericht nicht geheilt worden.
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Der 2. Strafsenat hat in diesem Zusammenhang bereits in anderer Sache ausgeführt (Beschluss vom 10. März 2020, III-2 RVs 15/20, NJW 2020, 1452, 1453):
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„Der Senat ist der Auffassung, dass die besonderen gesetzlichen Regelungen, die im Interesse des Integritäts- und Authentizitätsschutzes für den elektronischen Rechtsverkehr gelten, abschließend sind und es bei Nichteinhaltung der dortigen Anforderungen nicht gerechtfertigt ist, nach dem Ausdrucken der elektronischen Dokumente Formerleichterungen zuzulassen (vgl. BFH NJW 2012, 334; OVG Bautzen NVwZ-RR 2016, 404; BSG NJW 2017, 1197; FG Köln MMR 2018, 630; SG Freiburg BeckRS 2018, 25212; VG Gera LKV 2019, 141; Müller NZS 2015, 896, 898 u. AnwBl 2016, 27, 29).
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Hat der Absender den Weg der elektronischen Übermittlung gewählt, muss er sich an den hierfür geltenden gesetzlichen Anforderungen festhalten lassen. Es ist grundsätzlich nicht angezeigt, bei deren Fehlen gleichsam freibeweislich in eine Prüfung einzutreten, ob sich aus dem ausgedruckten elektronischen Dokument oder begleitenden Umständen die Urheberschaft und der unbedingte Wille, das Schreiben (hier: Einlegung der Revision) an das Gericht zu übermitteln, hinreichend sicher ergeben. Auch kann es für die Wahrung der Schriftform nicht darauf ankommen, wie sich das Gericht bei Eingang eines elektronischen Dokumentes, das den Anforderungen des § 32a StPO nicht genügt, verhält, ob es also durch Ausdrucken ein verkörpertes Schriftstück erstellt oder aber die Datei nur digital in seinem Postfach belässt (oder gar löscht).“
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Eine „Heilung“ des Formmangels durch Ausdrucken scheidet jedenfalls aus, wenn das elektronische Dokument - wie hier die systemschriftliche Word-Textdatei - keinen eingescannten Schriftsatz enthält, der ein Abbild des unterzeichneten Originals bzw. der mit Unterschrift und ggf. Dienstsiegel beglaubigten Abschrift darstellt.
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3.
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Der Bundesgerichtshof (XII. Zivilsenat) hat entschieden, dass eine Beschwerdeschrift nach dem Ausdrucken in schriftlicher Form eingereicht ist, wenn diese im Original unterzeichnet, eingescannt und im Anhang einer elektronischen Nachricht als PDF-Datei übermittelt wurde (vgl. BGH NJW 2015, 1527; NJW 2019, 2096).
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Eine Vorlegungspflicht nach § 121 Abs. 2 Nr. 1 GVG besteht für den Strafsenat eines Oberlandesgerichts auch dann, wenn dieser von der Entscheidung eines Zivilsenats des Bundesgerichtshofs abweichen will (vgl. BGHSt 13, 373; Feilcke in: Karlsruher Kommentar, StPO, 8. Aufl., § 121 GVG Rdn. 18).
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Eine entscheidungserhebliche Abweichung liegt wegen des anders gelagerten Sachverhaltes hier indes nicht vor. Denn die vorliegende Entscheidung des Senats bezieht sich auf das Ausdrucken einer Word-Textdatei ohne Unterschrift bzw. ohne unterzeichneten Beglaubigungsvermerk, nicht auf das Ausdrucken einer PDF-Datei, die das Abbild eines unterzeichneten Originals bzw. einer mit Unterschrift und ggf. Dienstsiegel beglaubigten Abschrift darstellt.
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III.
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Anzumerken ist, dass die Beschwerde im Falle zulässiger Einlegung in der Sache keinen Erfolg gehabt hätte. Die Generalstaatsanwaltschaft hat hierzu wie folgt Stellung genommen:
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„Das Landgericht hat in dem angefochtenen Beschluss vom 17. Juni 2022 im Ergebnis zutreffend festgestellt, dass der Beschwerdeführer das ihm im Rahmen von § 46 Abs. 1 Satz 1 StVollzG NRW; § 24 Abs. 1 UVollzG NRW zustehende Ermessen fehlerhaft ausgeübt hat.
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§ 46 Abs. 1 StVollzG NRW - welcher nach § 24 Abs. 1 UVollzG NRW auch für Untersuchungshäftlinge gilt - sieht vor, dass erkrankte Gefangene durch die Justizvollzugsanstalt in ein Justizvollzugskrankenhaus überstellt oder in eine für die medizinische Behandlung und Betreuung besser geeignete Anstalt verlegt werden können. Die Norm billigt der Justizvollzugseinrichtung, in der der erkrankte Gefangene inhaftiert ist, damit einen Ermessensspielraum zu.
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Die gerichtliche Nachprüfung im Rahmen von § 119a Abs. 1 Satz 1 StPO ist - nach allgemeinen Grundsätzen - regelmäßig auf die Einhaltung von Ermessensgrenzen beschränkt (Schultheis, in: KarlsruherKomm-StPO, 8. Aufl. 2019, § 119a Rn. 9; Decker, in: BeckOK-VwGO, 61. Ed. Stand 1. April 2022, § 114 Rn. 26). Das Gericht ist indes nicht befugt, eine Ermessensentscheidung der Behörde durch eine eigene Entscheidung, die es für sachdienlicher hält, zu ersetzen (vgl. Wolf, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 114 Rn. 59). Die behördliche Entscheidung ist demgemäß lediglich auf einen etwaigen Ermessensausfall, eine Ermessensüber- oder -unterschreitung und einen Ermessensfehlgebrauch hin zu überprüfen (vgl. Decker a.a.O., § 114 Rn. 14; Wolf a.a.O., § 114 Rn. 84). Ein Ermessensfehlgebrauch kann insbesondere anzunehmen sein, wenn die Behörde ihre Entscheidung auf einer unzureichenden Tatsachengrundlage getroffen hat (vgl. Decker a.a.O.; Wolf a.a.O., § 114 Rn. 162a, 189 f.).
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Nach dieser Maßgabe hat die Kammer den Bescheid des Beschwerdeführers vom 22. April 2022 im Ergebnis zu Recht aufgehoben und dem Beschwerdeführer aufgegeben, den Angeschuldigten unter Beachtung der Rechtsauffassung der Kammer erneut zu verbescheiden. Der aufgehobene Bescheid leidet an einem Ermessensdefizit, da er wesentliche Sachverhaltsumstände im Rahmen der dort getroffenen Entscheidung unberücksichtigt lässt.
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Für die diesbezügliche Beurteilung kommt es - nach wohl überwiegender Auffassung - regelmäßig auf den Zeitpunkt der behördlichen (Ermessens-)Entscheidung an (vgl. Decker a.a.O., § 113 Rn. 21 f.). Insoweit ist dem Beschwerdeführer zuzugeben, dass er - anders als die Kammer meint - das Gutachten des Sachverständigen Dr. B. vom 14. Juni 2022 denknotwendig überhaupt nicht in seine Entscheidung einbeziehen konnte. Ebenso verhält es sich hinsichtlich der ärztlichen Stellungnahme des Dr. A. vom 10. Mai 2022 (vgl. Bd. II Bl. 295 f. d. ZA.).
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Gleichwohl greift der angefochtene Bescheid insofern zu kurz, als er seine Einschätzung einzig auf die in entscheidungserheblichem Zusammenhang wenig aussagekräftige und von der Grundannahme her verfehlt erscheinende Stellungnahme des JVK F. über den dortigen stationären Aufenthalt des Angeschuldigten (vgl. Bd. II Bl. 277a ff. d. ZA.) gründet. Dieselbe erschöpft sich im Wesentlichen in der Feststellung, dass im Rahmen des dortigen, geschützten Settings die seitens des Angeschuldigten bekundeten psychopathologischen Auffälligkeiten im Wesentlichen nicht hätten festgestellt werden können. Insofern sei von einer schlichten „Anpassungsstörung“ auszugehen und der Angeschuldigte in die JVA W. zurückzuverlegen (vgl. Bd. II Bl. 285 f. d. ZA.). Einen validen Rückschluss auf das Verhalten respektive den psychischen Zustand des Angeschuldigten in einer Haftanstalt ermöglichen diese Feststellungen indes nicht. Auch setzt sich das Justizvollzugskrankenhaus nicht mit den seitens des H.-Klinikums getroffenen (aktenkundigen) Diagnosen in deren Entlassungsberichten vom 26. Februar 2022 bzw. 9. März 2022 auseinander (vgl. Bd. II Bl. 201 ff., 212 ff. d. ZA.). Gleiches gilt in Bezug auf den angefochtenen Bescheid, welcher überdies etwaige Erkenntnisse der dortigen Anstaltspsychologin B. (vgl. hierzu Bd. II Bl. 330 d. ZA.) außer Acht lässt.
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Aufgrund dieser Defizite ist der Bescheid des Beschwerdeführers rechtswidrig (vgl. Wolf a.a.O, § 114 Rn. 162a, 190) und war demzufolge aufzuheben.“
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Dem schließt sich der Senat an.
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IV.
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Die Kosten- und Auslagenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO und aus § 473 Abs. 2 Satz 1 StPO in entsprechender Anwendung.