18.04.2023 · IWW-Abrufnummer 234801
Kammergericht Berlin: Beschluss vom 15.03.2023 – 3 ORbs 20/23
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Kammergericht, 3. Senat für Bußgeldsachen
298 OWi 753/22
In der Bußgeldsache gegen
xxx
wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit
hat der 3. Senat für Bußgeldsachen des Kammergerichts am 15. März 2023 beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde der Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 30. September 2022 wird nach §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Die Betroffene hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen.
I.
Gründe:
Auf den rechtzeitigen Einspruch gegen den Bußgeldbescheid der Polizei Berlin vom 26. April 2022 hat das Amtsgericht Tiergarten die in der Hauptverhandlung erlaubt abwesende Betroffene wegen vorsätzlicher Überschreitung der innörtlichen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 420,00 Euro verurteilt. Nach den Feststellungen hat die Betroffene am x. Januar 2022 um 12.24 Uhr am Steuer des Fahrzeuges mit dem amtlichen Kennzeichen B - SW 2024 die L. Straße Richtung O.-B.-Straße die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h um 29 km/h nach Toleranzabzug überschritten.
Die Betroffene hat durch ihren Verteidiger Rechtsbeschwerde einlegt, die sich auf die Verletzungen formellen und materiellen Rechts stützt. Die Verteidigung erhebt mehrere Verfahrensrügen. Es bestehe ein Verwertungsverbot wegen der verfahrensfehlerhaften Verlesung des Messprotokolls, die der Ersetzung der Vernehmung des Messbeamten gedient habe.
Sie, die Verteidigung, habe trotz Zustimmungserfordernis nach §§ 77a Abs. 1 und Abs. 4 OWiG der Verlesung nicht zugestimmt. § 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO sei für die Verlesung keine ausreichende Rechtgrundlage, weil die Geschwindigkeitsüberwachung und mithin das dafür vor Beginn der Messung erstellte Messprotokoll eine präventive Maßnahme und nicht ‒ wie die Norm erfordere - eine repressive Ermittlungsmaßnahme sei. Auch sei der Messbeamte kein Ermittlungsbeamter i.S. dieser Vorschrift. Im Übrigen sei dem Hauptverhandlungsprotokoll nicht zu entnehmen, wer die Verlesung angeordnet habe. Ferner sei die Ablehnung des Beweisantrages fehlerhaft, weil er keine Einsicht in die im Beschluss genannte Verfahrensakte gehabt habe oder ihm der Inhalt auf andere Weise bekannt gegeben worden sei. Der Messbeamte hätte zur Erstellung des Protokolls vernommen werden müssen. Daher erhebt die Verteidigung zusätzlich eine Aufklärungs-, Inbegriffs- und Erörterungsrüge mit der Begründung: Durch die rechtsfehlerhafte Ablehnung des „Beweisantrages der Verteidigung, den Messbeamten C. als Zeugen zu vernehmen“, habe das Gericht „zu Unrecht von der Beweiserhebung abgesehen und durch die unberechtigte Ablehnung des Beweisantrags und mithin Nichterhebung des Beweises wie auch durch die Verlesung des Messprotokolls anstelle der Zeugenvernehmung seine aus § 244 Abs. 2 StPO i.V.m. § 46 OWiG folgende Aufklärungspflicht verletzt“.
II.
Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.
A. Die Verfahrensrügen sind teilweise unzulässig, jedenfalls aber unbegründet.
1. Das Tatgericht hat rechtsfehlerfrei, den Schuldspruch u.a. auf den Inhalt des verlesenen Messprotokolls gestützt. Insoweit besteht insbesondere kein Verwertungsverbot. Das Messprotokoll ist eine Urkunde i.S.v. § 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO.
a. Die Verteidigung dringt mit der Verfahrensrüge nicht durch, die Verlesung des Messprotokolls verstieße gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz nach § 250 StPO, weil die Verlesung nach §§ 77a Abs. 1 OWiG als die Vernehmung des Messbeamten ersetzende Beweiserhebung zustimmungspflichtig gewesen sei und er, als anwesender Verteidiger, habe dem nicht zugestimmt. Denn es handelt sich um eine zustimmungsunabhängige Beweiserhebung nach §§ 46 Abs. 1 OWiG, 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO. Danach können in einer Urkunde enthaltene Erklärungen der Strafverfolgungsbehörden über Ermittlungsmaßnahmen, soweit es keine Vernehmung zum Gegenstand haben, verlesen werden. Das Messprotokoll ist eine Erklärung über eine amtlich festgestellte Tatsache einer Ermittlungsmaßnahme und sie hat keine Vernehmung zum Gegenstand, mithin ist es - wie die Generalstaatsanwaltschaft Berlin in ihrer Stellungnahme vom 24. Januar 2023 bereits ausgeführt hat - eine Urkunde i.S.v. § 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO. (vgl. OLG Koblenz NZV 2021, 201; OLG Frankfurt/M NStZ-RR 2020, 44; OLG Celle NZV 2021,491; OLG Hamm, Beschluss vom 26. Juni 2014 ‒ III-1 RBs 105/14 -, juris). Es gibt Auskunft über die Verkehrssituation an dem konkreten Messstandort, den ordnungsgemäßen Aufbau des Messgerätes und den ordnungsgemäßen Betrieb des Messgerätes, dessen Verwendung entsprechend seiner PTB-Zulassung während der Messung (vgl. OLG Frankfurt/M. a.a.O.) und den eingestellten Grenzwert.
b. Der Einwand der Verteidigung, dass Messprotokoll sei als eine präventive und nicht - wie es aber § 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO - erfordere als eine repressive Ermittlungsmaßnahme ausweisende Urkunde zu qualifizieren, weil es nur Auskunft über „eine ordnungsgemäße Messvorbereitung“ durch das ordnungsgemäße Aufstellen, das Durchführung des notwendigen Gerätetests und der Einhaltung der Bedienungsanleitung gäbe, geht fehl.
Nach der Zuständigkeitsregelung in § 26 Abs. 1 StVG wird die Polizei als selbständige Verwaltungsbehörde i.S.v. § 35 OWiG bei der Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten nach § 24 Abs. 1 StVG, die im Straßenverkehr begangen werden, tätig. Ihre Beamten haben im Bußgeldverfahren, soweit das Ordnungswidrigkeitengesetz nichts anderes bestimmt, dieselben Rechte und Pflichten wie die Staatsanwaltschaft bei der Verfolgung von Straftaten (vgl. § 46 Abs. 2 OWiG) und sind damit Ermittlungsorgane. Im Rahmen der hoheitlichen Verkehrsüberwachung zählt zu ihren Aufgaben u.a. die Durchführung von Messungen zur Verkehrskontrolle. Dabei hat sich die Geschwindigkeitsüberwachung als eine effektive und notwendige Maßnahme erwiesen, um Fehlverhalten im Verkehr aufzudecken. Zwar dient sie präventiv auch der Verhinderung von Verkehrsunfällen, aber sie hat zugleich die Aufgabe, „Temposünder“ beweissicher festzustellen sowie den Verstoß gegen die Bußgeldbestimmung zu verfolgen und zu ahnden. Dazu ist das Messgerät im Vorfeld so eingestellt worden, dass derjenige, der mit höherer Geschwindigkeit als den programmierten Grenzwert fährt, von dem Messgerät erfasst wird. Mit dieser Programmierung hat die Polizei eine konkret-individuelle Ermittlungsentscheidung getroffen (vgl. Lampe in KK-OWiG 5. Aufl., § 46 Rn. 18e) mit der Folge, dass gegen jeden, der den programmierten Messwert des eingesetzten Geschwindigkeitsmessgerätes überschreitet, ein „Anfangsverdacht“ i.S.v. § 152 StPO wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit besteht. Und mit der Annahme ausreichender Anhaltspunkte für das Vorliegen einer bestimmten Ordnungswidrigkeit findet als Verfahrensrecht die Strafprozessordnung im Ordnungswidrigkeitenverfahren Anwendung (vgl. Lampe, a.a.O., Rn. 17).
Gemessen an diesem Maßstab handelte der am 22. Januar 2022 mit der verfahrensgegenständlichen Geschwindigkeitsmessung befasste Messbeamte bei der Verfolgung der durch die Betroffene begangene Ordnungswidrigkeit der Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit repressiv. Das Messprotokoll hat u.a. den Zweck, eine ordnungsgemäße Messvorbereitung durch das ordnungsgemäße Aufstellen, das Durchführung des notwendigen Gerätetests und der Einhaltung der Bedienungsanleitung, aber auch den Beginn und das Ende der Messung, den auf 39 km/h eingestellten Grenzwert und etwaige witterungsbedingte Besonderheiten in diesem Einzelfall beweissicher zu dokumentieren. Demnach dient es - wie auch im vorliegenden Fall - der gerichtlichen Überprüfung der Ordnungsgemäßheit des repressiven Handelns der Polizei. Denn die Betroffene darf nur aufgrund ordnungsgemäß gewonnenen Messdaten verurteilt werden. Bei dieser Sachlage überzeugt die Behauptung, das Messprotokoll dokumentiere lediglich präventives polizeiliches Handeln, nicht.
c. Auch soweit der Verteidiger meint, es handele sich um einen Fall des § 77a Abs. 1 OWiG, weil es um die „Ersetzung der Messbeamtenvernehmung zur Durchführung des Gerätetests“ gegangen sei, überzeugt dieser Einwand nicht. § 77a Abs. 1 OWiG löst eine Zustimmungspflicht nach Absatz 4 aus, wenn die Vernehmung eines Zeugen durch die Verlesung seiner früheren Vernehmung oder einer Urkunde mit entsprechendem Inhalt in der Hauptverhandlung ersetzt werden soll. Im vorliegenden Fall gab es keine frühere Vernehmung und die verlesene Urkunde enthielt keine vom Messbeamten stammende entsprechende schriftliche Äußerung. Insoweit ist auch die Behauptung der Verteidigung, es handele sich bei der Verlesung des Messprotokolls um eine die Vernehmung des Zeugen ersetzende Beweiserhebung, unzutreffend und wird durch ihre stete Wiederholung auch nicht richtiger.
d. Auch soweit die Verteidigung im Verlauf des Rügevorbringens die Argumentation zur Unverwertbarkeit des Messprotokolls zusätzlich damit begründet, dass dessen Verlesung auf § 77a Abs. 2 i.V.m. Abs. 4 OWiG hätte gestützt werden müssen und sei daher zustimmungspflichtig gewesen, führt dieser Einwand nicht zum Erfolg. Denn das Zustimmungserfordernis gilt hier nur, wenn es um Erklärungen geht, die nicht schon unter § 256 StPO fallen (vgl. Göhler-Seitz in Göhler OWiG 18. Aufl., § 77a Rn. 3). Das Messprotokoll ist aber ‒ wie oben dargestellt - von § 256 StPO bereits erfasst.
Das Gericht hat die Verlesung des Messprotokolls rechtsfehlerfrei auf §§ 46 Abs. 1 OWiG, 256 Abs. 1 Nr. 5 StPO gestützt. Die Anordnung der Verlesung steht nach § 256 Abs. 1 StPO im pflichtgemäßen Ermessen des Vorsitzenden. Ein Ermessensfehler ist nicht feststellbar.
2. Die Unverwertbarkeit der verlesenen Urkunde ergibt sich auch nicht aus der fehlenden Dokumentation der gerichtlichen Anordnung der Verlesung im Hauptverhandlungsprotokoll. Die entsprechende Verfahrensrüge eines Verstoßes gegen § 261 StPO hat keinen Erfolg.
Im gerichtlichen Verfahren entscheiden im Amtsgericht Abteilungen für Bußgeldsachen (vgl. § 46 Abs. 7 OWiG), die in der Hauptverhandlung mit einem Einzelrichter besetzt sind (vgl. § 22 Abs. 1, Abs. 4 GVG). Die Verlesung einer Urkunde ordnet der Vorsitzende im Rahmen seiner Sachleitungsfunktion nach §§ 46 Abs. 1 OWiG, 256 Abs. 1 StPO an. Aufgrund der Anordnungskompetenz nach §§ 46 Abs. 1 OWiG, 238 Abs. 2 StPO ist erkennbar, dass in Bußgeldverfahren die protokollierte Verlesung nur der Vorsitzende angeordnet haben kann. Auch wenn nach § 46 Abs. 1 OWiG die Vorschriften §§ 271-274 StPO sinngemäß anwendbar sind, begründet die im Ergebnis unschädliche fehlende Protokollierung der Anordnung die Inbegriffsrüge nicht. Die Verteidigung bemängelt auch nicht eine fehlende richterliche Anordnung, sondern lediglich deren fehlende Dokumentation. Die Verfahrenslage wäre nur dann anders zu beurteilen, wenn die genaue Bezeichnung der verlesenen Urkunde oder deren Umfang nicht eindeutig aus dem Protokoll hervorgeht und das Gericht sein Urteil auf ihren Inhalt gestützt hat. In einem solchen ‒ hier nicht vorliegenden - Fall kann die Rüge gestützt auf § 261 StPO Erfolg haben, weil das Hauptverhandlungsprotokoll seine Beweiskraft wegen der fehlenden Aufnahme einer wesentlichen Förmlichkeit nach § 273 StPO verliert (Senge in KK- OWiG 5. Aufl., § 71 Rn 127) und das Schriftstück als nicht verlesen gilt (vgl. § 274 StPO).
3. Die Verfahrensrüge der Verteidigung, mit der Ablehnung des Antrages auf Vernehmung des Messbeamten zum Beweis der Tatsache, dass „Das Messprotokoll nach der Messung von einem namentlich bislang nicht bekannt Vorgesetzten im Zuge des so genannten Qualitätsmanagements überprüft worden ist und hiernach wurden Änderungen angeordnet. Diese Vorgesetzte Person hat das Messprotokoll links unten mit Datumstempel und einer Paraphe abgezeichnet“, habe das Gericht gegen Verfahrensnormen verstoßen, ist jedenfalls unbegründet.
Im Rahmen des Rügevortrages befasst sich der Verteidiger intensiv damit, dass das Gericht durch die Ablehnung dieses Antrages, dem Verteidiger die Möglichkeit genommen habe, den Messbeamten zur Durchführung der Messung zu befragen.
Dieses Vorbringen ist unbeachtlich, weil der Verteidiger eine solche Beweistatsache laut Beweisantrag nicht in das Wissen des Messbeamten gestellt hat. Nach seinem in der Hauptverhandlung gestellten Antrag war ausschließlich die - nicht durch Tatsachen belegte - Behauptung, das Messprotokoll sei nachträglich - gemeint ist wohl inhaltlich und damit zum Nachteil der Betroffenen - verändert worden, in das Wissen des Zeugen gestellt worden und nur mit dieser Beweistatsache hatte sich das Tatgericht zu befassen. Es hat den Antrag in der Hauptverhandlung unter Hinweis auf § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG zurückgewiesen und zur Begründung zu der allgemeinen Behauptung der nachträglichen Veränderungen sinngemäß ausgeführt, dass dem Gericht aus einem konkret mit Aktenzeichen benannten Verfahren bekannt sei, dass dieser Stempel ein Eingangsstempel einer anderen Abteilung innerhalb der Verwaltung sei, aber er kein Hinweis dafür sei, dass inhaltliche Änderungen an dem Messprotokoll vorgenommen worden seien. Das Gericht hat mit dem begründeten Beschluss offengelegt, welchem Verfahren es dieses außerhalb der Hauptverhandlung erlangte dienstliche Wissen entnommen hat und hat dem Verteidiger damit zugleich deutlich gemacht - wenn auch nicht ausdrücklich -, dass diese Erkenntnisse dem Verfahren zugrunde gelegt werden könnten. Mit dieser grundsätzlich zulässigen Vorgehensweise ist das Wissen des Vorsitzenden Gegenstand der Hauptverhandlung geworden. Der Verteidiger war in der Lage, seine Verteidigung auf die neue Verfahrenslage einzustellen. Entgegen seinem Vorbringen oblag dem Gericht keine rechtliche Verpflichtung, die Akten, auf die es seine Erkenntnisse stützt, beizuziehen oder deren Inhalt ihm im Detail bekannt zu geben. Hätte der Verteidiger dies in der Hauptverhandlung für notwendig befunden, wäre er gehalten gewesen, etwa einen entsprechenden Beweisermittlungsantrag zu stellen.
4. Dem teils unübersichtlichen Rügevorbringen des Verteidigers entnimmt der Senat eine Aufklärungsrüge (RB S. 21) gestützt auf die rechtsfehlerhafte Ablehnung des „Beweisantrages der Verteidigung, den Messbeamten C. als Zeugen zu vernehmen“, dadurch habe das Gericht„ zu Unrecht von der Beweiserhebung abgesehen und durch die unberechtigte Ablehnung des Beweisantrags und mithin Nichterhebung des Beweises wie auch durch die Verlesung des Messprotokolls anstelle der Zeugenvernehmung seine aus § 244 Abs. 2 StPO i.V.m. § 46 OWiG folgende Aufklärungspflicht verletzt“. Zugleich erhebt die Verteidigung eine Inbegriffs- als auch eine „Erörterungsrüge“ (RB S. 21). Dabei erschließt sich dem Senat nicht, was der Verteidiger unter einer „Erörterungsrüge“ versteht. Die Rechtsbeschwerdebegründung ordnet dieser Rüge auch kein Verfahrensgeschehen zu, was sie bereits unzulässig macht. Soweit der Verteidiger meint, mit einer „Erörterungsrüge“ Erörterungsfehler aufdecken zu können, ergeben sich solche Fehler aber nicht im Zusammenhang mit Verstößen gegen das Verfahren, sondern sie sind im Rahmen der Sachrüge zu prüfen.
Der anwaltliche Vortrag im Zusammenhang mit den beiden weiteren Verfahrensrügen erweckt den Eindruck, dass die Verteidigung einen Antrag auf Vernehmung des o.g. Zeugen zum Beweis der Tatsache, dass er der Messbeamte und Verfasser des Messprotokolls vom 28. Januar 2022 war, gestellt hat. Dies ist eindeutig nicht der Fall (vgl. oben unter II. A. 3.).
Aber selbst wenn die Verteidigung einen solchen Antrag gestellt hätte, hätte er nicht zum Erfolg geführt. Denn es obliegt dem Gericht, mit welchem Beweismittel es seiner Aufklärungspflicht nach § 77 Abs. 1 OWiG nachkommt und auf welche Beweismittel es seine Überzeugung von der Annahme der Ordnungswidrigkeit und der Festsetzung der Rechtsfolgen stützt (vgl. Senge in KK-OWiG, a.a.O., § 77 Rn. 3). Vorliegend hat das Gericht fehlerfrei dies in der Verlesung des Messprotokolls gesehen. Das Messprotokoll wies auch keine Anhaltpunkte für eine für die Betroffene nachteilige inhaltliche Veränderung auf. Bereits die Generalstaatsanwaltschaft hat zu den Licht- und Witterungsverhältnissen zum Zeitpunkt der verfahrensgegenständlichen Messung ausgeführt, dass diese jedenfalls bezogen auf diesen Zeitpunkt zutreffend sind.5. Soweit die Verteidigung die Aufklärungsrüge, der fehlerhaften unterlassenen Ladung und Vernehmung des Messbeamten auch mit Stoßrichtung der Verletzung des fairen Verfahrens nach Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 6 Abs. 1 EMRK verfolgt wissen will, was sich möglicherweise aus der mehrere Seiten umfassenden Darstellung u.a. der Entscheidung des Bundesverfassungsgericht vom 12. November 2020 und damit im Zusammenhang nach Auffassung der Verteidigung stehender Entscheidungen anderer Gerichte ergeben soll, führt auch dieser Vortrag nicht zum Erfolg.
Zutreffend weist die Verteidigung daraufhin, dass der Betroffene nur aufgrund ordnungsgemäß gewonnener Messdaten verurteilt werden darf und zur Wahrung dieses Anspruches ist dem Betroffenen die Möglichkeit zu eröffnen, das Tatgericht im Rahmen seiner Einlassung auf Zweifel an der Messung aufmerksam zu machen und einen entsprechenden Beweisantrag zu stellen. Dies ‒ so der Verteidiger (RB S. 19) gilt auch für das „Begehren der Betroffenen…den menschlichen Bediener des Gerichts als unmittelbarer Anwender und demnach als Zeugen befragen zu können“.
Diese Rüge ist bereits unzulässig, weil es jedenfalls an einen entsprechenden Antrag der Verteidigung fehlt, den Messbeamten zur Durchführung der Messung als Zeugen laden und vernehmen zu wollen (s.o. II. A. 3.). Sie ist aber auch unbegründet, weil sich das Gericht aufgrund der Aufklärungspflicht nicht zu einer entsprechenden Zeugenvernehmung hätte gedrängt sehen müssen (s.o. II. A. 4).
B. Die auf die Sachrüge veranlasste Überprüfung der Urteilsgründe hat keinen Fehler zum Nachteil der Betroffenen ergeben, der die Aufhebung und Zurückverweisung der Sache gebietet.
Die Zuschrift der Generalstaatsanwaltschaft Berlin vom 24. Januar 2023 lediglich ergänzend merkt der Senat an, dass das Tatgericht davon ausgehen durfte, dass die Betroffene die die Geschwindigkeit begrenzenden Verkehrsschilder wahrgenommen hat. Denn grundsätzlich ist davon auszugehen, dass ordnungsgemäß aufgestellte Verkehrszeichen von einem aufmerksamen Verkehrsteilnehmer auch bemerkt werden (vgl. BGHSt 43, 241; Senat, Beschlüsse vom 16. Oktober 2020 ‒ 3 Ws (B) 221/20 ‒, juris, vom 19. November 2018 - 3 Ws (B) 258/18 -; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 11. Juli 2022 ‒ 1 OWi 2 SsRs 39/22 ‒, juris). Die Möglichkeit, dass Verkehrsteilnehmer das die Beschränkung anordnende Vorschriftszeichen übersehen hat, braucht das Gericht nur dann in Rechnung zu stellen, wenn sich hierfür Anhaltspunkte ergeben oder die Betroffene dies im Verfahren einwendet (BGH a.a.O.; Senat, Beschluss vom 16. Oktober 2020, a.a.O. und Beschluss vom 13. Dezember 2017 - 3 Ws (B) 325/17 -). Dazu teilen die Urteilsgründe aber nichts mit. Der Rechtsbeschwerdevortrag enthält insoweit urteilsfremdes Vorbringen.
Auch der Schluss des Tatgerichts, dass die Betroffene vorsätzlich die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h um 29 km/h überschritten hat, begegnet keinen durchgreifenden Bedenken. Das hier vorliegende Ausmaß der Geschwindigkeitsüberschreitung um 97 Prozent legt die Annahme vorsätzlichen Handelns außerordentlich nahe (vgl. Senat, Beschlüsse vom 9. Februar 2007 - 3 Ws (B) 69/07 -, juris m.w.N). In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass vorsätzliches Handeln die genaue Kenntnis der überhöhten Geschwindigkeit nicht voraussetzt. Vielmehr genügt das Wissen, schneller als erlaubt zu fahren (vgl. Senat, Beschlüsse vom 9. Februar 2007, a.a.O., vom 10. Dezember 2003 ‒ 3 Ws (B) 500/03 ‒ und vom 25. Mai 1998 ‒ 3 Ws (B) 225/98 -).
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.