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  • 31.05.2002 · IWW-Abrufnummer 020631

    Amtsgericht Reutlingen: Urteil vom 06.12.2001 – 9 OWi 33 Js 17746/200

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    Amtsgericht Reutlingen

    9 OWi 33 Js 17746/200

    Im Namen des Volkes

    URTEIL

    In der Bußgeldsache gegen ... wegen Verkehrsordnungswidrigkeit.

    Das Amtsgericht Reutlingen - Richter für Bußgeldsachen ? hat in der Sitzung vom 6. Dezember 2001, woran teilgenommen haben Richter am Amtsgericht Hausch als Strafrichter, Rechtsanwalt Hallatschek als Verteidiger ... für Recht erkannt:

    Der Betroffene wird freigesprochen.

    Verfahrenskosten und notwendige Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.

    (Auf die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft ergänzt gemäß § 77b Abs. 2 OWiG um schriftliche)

    Entscheidungsgründe:

    I.

    Gegen den Betroffenen erging am 2. Juli 2001 ein Bußgeldbescheid der Stadt Reutlingen, mit welchem eine Geldbuße von DM 75 gegen ihn festgesetzt wurde. Dem Betroffenen wurde darin zur Last gelegt, am 9. April 2001 um 20.33 Uhr in Reutlingen-Rommelsbach auf der Oferdinger Straße (also der L378) als Führer des Pkw der Marke Volkswagen mit dem amtlichen Kennzeichen RT-MD 27 ordnungswidrig im Sinne des § 24 StVG in Verbindung mit den §§ 3 Absatz 3 und 49 StVO gehandelt zuhaben. Demnach überschritt er die innerorts zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h, da seine gemessene Geschwindigkeit abzüglich der Toleranz 78 km/h betragen habe. Ergänzend wurde darin ausgeführt, dass das an sich laut Bußgeldkatalog verwirkte Bußgeld von DM 120 bewußt im Hinblick auf die Einlassung des Betroffenen hin reduziert worden sei.

    Der Betroffene hat form- und fristgerecht schriftlich gegen den ihm am 9. Juli 2001 zugestellten Bußgeldbescheid mit Eingang am 11. Juli 2001 bei der Bußgeldbehörde Einspruch erhoben. Er erstrebt mittlerweile nicht bloß eine Einstellung des Verfahrens, sondern seinen Freispruch. Damit hat er nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung auch Erfolg.

    II.

    Zwar steht nach der Beweisaufnahme fest, dass der Betroffenein der Tat zur o.g. Zeit als Führer des Pkw die Geschwindigkeit im genannten Ausmaß überschritten hat, wobei er indes eigens, damals auf dem Fahrzeugdach vorübergehend einen Reiter aus Kunststoff mit der Aufschrift "Feuerwehr im Einsatz" angebracht hatte. Dem lag zugrunde, dass der Betroffene aktives Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr der Stadt Pfullingen ist, also des nur wenige Kilometer entfernt liegenden, städtebaulich unmittelbar angrenzenden Nachbarortes der Stadt Reutlingen, in welcher er beanstandet wurde. Er war um 20.28 Uhr, also fünf Minuten vor der Geschwindigkeitsmessung über Funk im Rahmen eines Vollalarmes, wegen einer Brandmeldung im Gebäude der Firma Marktkauf GmbH in der Römerstraße 145 in Pfullingen (einem Verbrauchergroßmarkt), alarmiert worden und wollte nun auf schnellstem Wege - wie ihm dabei geheißen - das Feuerwehrhaus der Freiwilligen Feuerwehr Pfullingen erreichen, um von dort aus eingesetzt zu werden. Erst zeitlich nach der Geschwindigkeitsmessung, nämlich um 20.39 Uhr, ergab sich (zunächst für die Einsatzleitstelle der Feuerwehr), dass es sich um einen Fehlalarm aufgrund von Dampfstrahlerarbeiten handelte.

    Der Betroffene hatte bei seinem Vorgehen im übrigen ein gutes Gewissen. Ihm war nämlich auf Schulungen der Feuerwehr wiederholt - u.a. auch anhand von schriftlichen Unterlagen des Verkehrsdienstes der Polizeidirektion Balingen - erklärt worden, er könne im Alarmfalle ggf. für sich Sonderrechte in Anspruchnehmen, wenn er niemanden hierdurch gefährde. Andere Verkehrsteilnehmer wurden aber unwiderlegbar durch die Fahrweise des Betroffenen auf der ausgebauten Ausfall- bzw. Durchgangsstraße hier in keiner Weise tangiert. Bei dieser handelt es sich um die der überörtlichen Verbindung zwischen den Ortsteilen Reutlingen-Oferdingen und Reutlingen-Rommelsbach dienende Landesstraße 378, welche zudem die Bundesstraßen 297 und 312 miteinander verknüpft.

    III.

    Diese zu II. getroffenen Feststellungen ergeben sich zum einen aus den eigenen Einlassungen des Betroffenen in der Hauptverhandlung, der die Geschwindigkeitsüberschreitung als solche unumwunden einräumt. Ferner beruhen sie auf der dort erfolgter Inaugenscheinnahme des bei der Messung gefertigten Lichtbildes(Bl. 7 d.A.), auf welchem insbesondere auch der angebrachte Dachreiter gut zu erkennen ist. Schließlich beruhen die Feststellungen aber auch auf den widerspruchsfreien und glaubhaften Bekundungen des Zeugen Auch in der Hauptverhandlung. Bei diesem handelt es sich um den Stadtbrandmeister und Kommandanten der Freiwilligen Feuerwehr der Stadt Pfullingen, dessen Angaben stimmig auch mit den bei den Akten befindlichen Schriftstücken wie z.B. dem Einsatzprotokoll (Bl. 9 d.A.), den schriftlichen, teils verlesenen Ausführungen der Polizeidirektion Balingen und der eigenen Ortskenntnis des Gerichts einhergehen

    IV.

    Mithin beruft sich der Betroffene vorliegend zutreffend auf Sonderrechte gemäß § 35 Abs. l StVO, von denen er auch in angemessener Weise Gebrauch gemacht hat. Angesichts dieser spezialgesetzlichen Regelung bedarf es auch eines Rückgriffes auf bloß allgemeine Rechtfertigungsnormen, wie z.B. § 16 OWiG, ebenso wenig wie einer von der Bußgeldbehörde vorgenommenen bloßen Reduzierung des Betrages bei der Zumessung der Geldbuße im Sinne des § 17 Abs. 3 OWiG. Auch Irrtumsproblematiken im Sinne des § 11 OWiG in subjektiver Hinsicht aufgrund der dem Betroffenen erteilten Schulungsinhalte stellen sich demnach nicht.

    Nach § 35 Absatz l StVO ist von den Vorschriften dieser Verordnung u.a. ausdrücklich die Feuerwehr "befreit, soweit das zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben dringend geboten ist". Gemäß Absatz 8 der genannten Vorschrift dürfen die Sonderrechte allerdings "nur unter gebührender Berücksichtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgeübt werden."

    Zwar wird in Rechtsprechung und Schrifttum teils unterschiedlich beurteilt, ob ein Angehöriger der Freiwilligen Feuerwehr, der wegen eines Alarmes auf dem Wege zum Feuerwehrhaus ist, hierbei bereits Sonderrechte in Anspruch nehmen kann (solches ablehnend offenbar OLG Frankfurt, Beschluß vom 25.9.1991 - 2Ws (B) 421/91 OWiG, zitiert nach NZV 1992,334, und diesem folgend z.B. Mühlhaus/Janiszewski, Komm. zur StVO, 15. Auflage, Rn. 2 zu § 35 StVO; Sonderrechte zubilligend demgegenüber aber z.B. Kullik in NZV 1994,58(59) und Hentschel, Kommentar zum Straßenverkehrsrecht, 36. Auflage, Rn. 3 zu § 35 StVO m.w.N.). Diese Frage ist aus Sicht des erkennenden Gerichts jedenfalls aber bei einem Brandalarm wie hier uneingeschränkt zu bejahen (ebenso auch das Schreiben des Bundesverkehrsministeriums, abgedruckt in Deutsche Feuerwehr-Zeitung 2001, 572 und die Stellungnahme des Bund/Länder-Fachausschusses StVO, abgedruckt in DAR 1995, 128).

    Mit der Befreiung der Feuerwehr von den Vorschriften der Straßenverkehrsordnung wollte der Gesetzgeber ersichtlich erreichen, dass die überkommenen Aufgaben der Feuerwehr wie Brandlöschung, Rettung von Menschen, Bergung von Habe und Hilfe bei sonstigen Notfällen (BGHZ 37, 336) ? möglichst effektiv und zügig erfolgen können. Dies geschah aber in der Erkenntnis, dass diese an sich staatlichen Aufgaben der Gefahrenabwehr und -beseitigung längst weit verbreitet in den Bundesländern insbesondere auf freiwillige Angehörige von kommunalen Feuerwehren verlagert wurden. Deren Mitglieder - sonst Privatleute - werden dabei regelmäßig hoheitlich im Auftrag der Gemeinde tätig (vgl. z.B. § 7 Abs. l Satz 2 und § 2 Abs. 4 des Baden-Württembergischen Feuerwehrgesetzes - FeuerwehrG BW -). Spätestens jedoch mit erfolgter Alarmierung hat der Feuerwehrangehörige dann aber seine ihm verliehenen Aufgaben hoheitlicher Gewalt wahrzunehmen (vgl. §§ 26 Abs. 1 und 14 Abs. l Nr. 2 FeuerwehrG BW), weshalb er auch von diesem Zeitpunkt an als "die Feuerwehr" im Sinne des § 35 Abs. l StVO anzusehen ist. Denn ab diesem Moment hat er umgekehrt auch Anspruch auf Entschädigung und genießt den Schutz als Feuerwehrmann, wenn er Sach- oder Körperschäden erleidet (vgl. nur §§ 15 ff. FeuerwehrG BW). Hier jetzt eine andere zeitliche Abgrenzung vorzunehmen, würde daher sachfremd und willkürlich erscheinen.

    Bei der Fahrt des alarmierten Angehörigen einer Freiwilligen Feuerwehr zum Feuerwehrhaus (oder einer sonst ihm auferlegten Meldestelle) handelt es sich auch nicht bloß um solche Vorbereitungsmaßnahmen, wie z.B. der Fahrt zur Betankung eines Löschfahrzeugs oder der Rückfahrt zum Depot, für die regelmäßig unabhängig von der Frage hoheitlichen Handelns keine Sonderrechte bestehen, weil ein Abweichen von den Regeln der StVO nicht "dringend" geboten ist, wie es aber § 35 Abs. l am Ende StVO expressis verbis fordert (vgl. dazu auch Hentschel, a.a.O., Rn. 5 zu § 35 StVO). Vielmehr verlangt bei Brandalarm die Fahrt zum Feuerwehrhaus dieselbe höchste Eile, wie anschließend diejenige des Einsatzfahrzeuges zum Brandort. Dem Opfer eines Brandes könnte nämlich schwer erklärt werden, dass sich seine Rettung nur deshalb verzögert habe, weil die Angehörigen der Feuerwehr auf dem Weg zum Feuerwehrhaus - das womöglich noch innerorts in einer 30-km/h-Zone liegt - zunächst nicht hatten schneller fahren dürfen. Im Extremfall würde das sonst bedeuten, dass nachts an einer beampelten, völlig leeren und ganz übersichtlichen Kreuzung ein Feuerwehrangehöriger bei Rotlicht erst einen mehrminütigen Ampelphasenumlauf abwarten müßte, bis er weiter zur Brandwache fahren dürfte. Eher noch sähe sich dann der Feuerwehrmann oder die hinter ihm stellende Körperschaft der Geltendmachung von Ersatzansprüchen bei einer auf diese Weise verursachten Vertiefung eines Schadensfalles wegen zögerlichen Verhaltens ausgesetzt. Demgemäß dürfte auch allgemein anerkannt sein, dass die Verkehrsbehörde eigens gehalten ist, durch geeignete Maßnahmen (wie gesonderte Ampelschaltungen) zu gewährleisten, dass im Alarmfall die Einsatzfahrzeuge möglichst rasch besetzt werden und ausrücken können.

    Dabei stellt es auch kein Argument dar, dem alarmierten Feuerwehrangehörigen auf der Fahrt zum Feuerwehrhaus die Inanspruchnahme von Sonderrechten deshalb zu versagen, weil andere Verkehrsteilnehmer nicht ohne weiteres erkennen könnten, dass es sich hier um eine berechtigte Hinwegsetzung im Privatfahrzeug über die allgemeinen Regeln der Straßenverkehrsordnung handele (zumal ja kein Fall eines Wegerechtes bzw. blauen Blinklichts im Sinne des § 38 StVO gegeben ist). Denn auch das Sonderrecht des § 35 Abs. 1 StVO besteht nicht schrankenlos. Vielmehr fordert § 35 Abs. 8 StVO auch bei der Inanspruchnahme der Sonderrechte nachdrücklich die Rücksichtnahme auf die Sicherheitsbelange anderer Fahrzeugführer und sonstiger Verkehrsteilnehmer ein. Eine konkrete Gefährdung anderer darf also hierbei gar nicht erfolgen, schließlich soll ja der Feuerwehrmann nur möglichst rasch zum Alarmplatz und von dort aus zum Brandort gelangen, nicht aber hierbei weitere Einsatzlagen produzieren. Demgemäß entspricht es auch höchstrichterlicher Rechtsprechung, dass der Sonderrechtsfahrer um so mehr Warnzeichen geben muß und sich zu vergewissern hat, dass der andere Verkehr ihn und diese wahrnimmt, je mehr er in einer abstrakt gefahrbringenden Weise von den allgemeinen Verkehrsregeln abweicht (BGH VRS 36, 40 und BGHZ 63, 327).

    Der Betroffene, der hier mithin Sonderrechte für sich in Anspruchnehmen konnte, zumal er über seinen Funknaturgemäß nur die Kenntnis von einem Brandalarm, nicht jedoch von näheren Einzelheiten des Einsatzes erlangt hatte, steht dabei freilich ein eigener Beurteilungsspielraum zu, ob und wie er seine Sonderrechte ausüben möchte (vgl. dazu auch Hentschel, a.a.O. ,Rn. 5 zu § 35 StVO m.w.N.). Diesen hat der Betroffene hier aber keinesfalls überspannt. Er hat auf einer Durchgangsstraße die Höchstgeschwindigkeit nur maßvoll überschritten, wie dies im allgemeinen Straßenverkehr auch sonst häufig vorkommt. Der Betroffene hat zudem andere Verkehrsteilnehmer durch den gut sichtbaren, auffälligen Dachreiter in sinnvoller und sehr verantwortungsbewußter Weise sogar noch auf den Grund seines besonderen Tempos hingewiesen. Er war auch bereits in einer solchen räumlichen Nähe zur Brandwache, dass er damit rechnen konnte, zumindest als Einsatzreserve bzw. Mannschaft in Bereitstellung dienen zu können, zumal er sich ja auch noch in der Reichweite des Funkes befand. Dieses hat nicht zuletzt auch gerade der Zeuge Auch in gut nachvollziehbarer Weise so bestätigt. Demgemäß hat der Betroffene für seinen Einsatz hie auch eine entsprechende Entschädigung ausbezahlt erhalten. Anhaltspunkte dafür, dass er gar andere Verkehrsteilnehmer durch sein Verhalten gefährdet hätte und deshalb z.B. akustische Warnsignale hätte abgeben müssen, haben sich schon deswegen nicht ergeben können, weil die Meßbeamten damals nicht permanent vor Ort waren, andere durch seine Fahrweise aber auch nur mittelbar tangierte Personen jedoch nie bekannt geworden sind.

    Nach allem war der Betroffene, der sich in seiner konkreten Situation völlig korrekt - auch entsprechend der ihm so zutreffend erteilten polizeilichen Schulung - verhalten hat, mit der gesetzlichen Kostenfolge freizusprechen.

    ...
    Richter am Amtsgericht

    Vorschriften§ 35 Abs. 1, 8 StVO, §§ 11 Abs. 1, 16 OWiG