08.01.2010
Finanzgericht Bremen: Urteil vom 07.10.2004 – 4 K 195/02
1. Ausschlaggebend für die Einordnung eines Produkts als Arzneimittel ist seine an objektive Merkmale anknüpfende überwiegende Zweckbestimmung, wie sie sich für einen durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher darstellt (Verkehrsauffassung).
2. Ausführungen zu Zusammensetzung und Zweckbestimmung der im Ergebnis als Arzneimittel angesehenen streitgegenständlichen Präparate „Vitacor Plus TM” und „ImmunoCell TM”.
3. § 2 Abs. 1 AMG 1976 steht nicht in Widerspruch zum gemeinschaftsrechtlichen Arzneimittelbegriff.
4. Die in Deutschland für die Präparate „Vitacor Plus TM” und „ImmunoCell TM” bestehende Zulassungspflicht nach § 21 AMG 1976 stellt keine Behinderung des freien Warenverkehrs nach Art. 28 EG dar.
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
In dem Rechtsstreit
wegen Zollrecht (einschl. Zolltarif)
hat das Finanzgericht Bremen – 4. Senat – aufgrund mündlicher Verhandlung vom 7. Oktober 2004 durch
für Recht erkannt:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Gegenstand des Klagebegehrens sind die Aufhebung einer Verfügung des Beklagten vom…, mit der dieser von der Klägerin ins Inland verbrachte Präparate mit den Bezeichnungen „ImmunoCell” und „Vitacor Plus” sicherstellte, und die Herausgabe dieser Präparate an die Klägerin. Dem Rechtsstreit liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Im Juni 2001 kehrte die Klägerin nach einem 2 jährigen Aufenthalt in einer Missionsstation in Indonesien in die Bundesrepublik Deutschland zurück. Ihre persönlichen Gegenstände hatte sie zuvor per Post auf dem Seeweg in insgesamt acht Paketen zurück nach Deutschland verschickt. Diese Pakete trafen – teilweise einzelnen – über den Hafen Hamburg in Bremerhaven ein und wurden dort von ihren Eltern Anfang Juli 2001 abgeholt. Unter den Paketen befand sich die Paketlieferung Nr. …, die in Bremerhaven durch den Zoll geöffnet wurde und u. a. die streitigen Präparate,
drei Packungen „Vitacor Plus TM” zu je neunzig Stück (Verkaufspreis einer Packung 82,10 DM = 41,98 EUR) und
zwei Packungen „Immunocell TM” zu je 90 Stück (Verkaufspreis einer Packung 54,80 DM = 28,02 EUR),
enthielt. Das zuständige Zollamt … lehnte die Annahme einer Zollanmeldung dieser Präparate ab und stellte sie sicher, weil es sich bei ihnen nach Auskunft der für die Überwachung des Verkehrs mit Arzneimitteln zuständigen Bremer Landesbehörde (Senator für Arbeit, Frauen, Gesundheit, Jugend und Soziales) um Arzneimittel handle, die nach dem Arzneimittelgesetz nicht ohne Zulassung eingeführt werden dürften. Der dazu ergangene, angefochtene Bescheid des Beklagten vom … hatte auszugsweise den nachstehenden Inhalt…
„… Nach dem Ergebnis der arzneimittelrechtlichen Begutachtung durch den Senator für Arbeit, Frauen, Gesundheit, Jugend und Soziales, … Bremen, unterliegen die mit der o. a. Postsendung eingeführten Produkte
Natural Vitamin C Tabletten
ImmunoCell
Vitacor Plus
der Zulassung nach § 21 ff ArzneimittelG.
Entsprechende Zulassungen liegen nicht vor.
Hinsichtlich dieser Waren wird die Annahme der Zollanmeldung gem. § 7 Abs. 1 Nr. 3 Zollverwaltungsgesetz abgelehnt.
Gleichzeitig werden diese Waren gem. Art. 57 Zollkodex i.V.m. § 13 Zollverwaltungsgesetz sichergestellt. Da eine Rücksendung offensichtlich nicht in Betracht kommt, werden die Waren zu gegebener Zeit vernichtet werden.
Eine Rechtsbehelfbelehrung ist als Anlage beigefügt.
Die von einer Kasseler Apotheke hergestellten Kapseln mit Vitamin B1 und Kieselerde können zollrechtlich als Rückware abgefertigt werden.”
Die Klägerin legte dagegen unter dem …. Einspruch ein mit der Begründung, es handle sich bei den sichergestellten Präparaten nicht um zulassungspflichtige Arzneimittel bzw. die Präparate seien im Falle einer Einstufung als Arzneimittel von der Zulassungspflicht befreit.
Mit Einspruchsentscheidung vom … wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Er führte aus, nach § 7 Abs. 1 Nr. 3 Zollverwaltungsgesetz (ZollVG) lehne die Zollstelle die Annahme der Zollanmeldung ab, wenn Verbote und Beschränkungen entgegenstünden. Unter diese Vorschrift fielen auch Arzneimittel, denn gem. § 73 Abs. 1 Arzneimittelgesetz (Gesetz über den Verkehr mit Arzneimitteln, BGBl I 1976, 2445, 2448, neugefasst durch Bek. v. 11.12.1998; zuletzt geändert durch Art. 1 G v. 9.12.2004 – im Folgenden: AMG 1976) dürften Arzneimittel, die der Pflicht zur Zulassung oder zur Registrierung unterlägen, nur dann in den Geltungsbereich des AMG 1976 verbracht werden, wenn Sie dort zum Verkehr zugelassen oder registriert oder von der Zulassung bzw. Registrierung freigestellt seien.
Wegen Zweifeln an der Einfuhrfähigkeit der von der Klägerin zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr angemeldeten Präparate habe das Zollamt (ZA) den Senator für Arbeit, Frauen, Gesundheit, Jugend und Soziales – die für die Überwachung des Verkehrs mit Arzneimitteln zuständige Landesbehörde im Sinne von § 73 AMG 1976 – am 11. September 2001 um Auskunft über die arzneimittelrechtliche Bewertung dieser Präparate gebeten. Mit Schreiben vom … habe der Senator für Arbeit, Frauen, Gesundheit, Jugend und Soziales dem ZA mitgeteilt, dass die Präparate des vorliegenden Streitfalles als Arzneimittel einzustufen seien und der Zulassung nach §§ 21 ff AMG 1976 unterlägen. Wegen der Einzelheiten werde auf die der Einspruchsentscheidung beigefügte Anlage verwiesen.
Die Entscheidung des Senators für Arbeit, Frauen, Gesundheit, Jugend und Soziales in Bremen sei für die Zollbehörde bindend. Da die Klägerin die erforderliche Zulassung bzw. Freistellung von der Zulassung nicht habe beibringen können und auch keiner der in § 73 Abs. 2 AMG 1976 aufgeführten Befreiungstatbestände gegeben sei, habe das ZA die Annahme der Zollanmeldung gem. § 7 Abs. 1 Nr. 3 ZollVG abgelehnt und die Präparate sichergestellt (Art. 57 ZK i.V. m. § 13 ZollVG).
Als Befreiungsgründe seien die in § 73 Abs. 2 Nrn. 6 und 6 a AMG genannten Tatbestände in Erwägung zuziehen. Diese sähen die Befreiung von der Pflicht zur Zulassung oder zur Registrierung der Arzneimittel vor bei der Einreise in den Geltungsbereich des AMG für eine Menge, die dem üblichen persönlichen Bedarf für den Gebrauch oder Verbrauch während der Reise entspricht (Nr. 6), oder wenn die Präparate in einer dem üblichen persönlichen Bedarf entsprechenden Menge aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den europäischen Wirtschaftsraum bezogen würden (Nr. 6a).
Die Präparate der Efin seien indessen nicht im Reiseverkehr eingeführt worden. Der Versand sei auf dem Postweg aus Indonesien erfolgt, mithin auch nicht aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum. Die Klägerin könne demzufolge für die bezogenen Arzneimittel keine Befreiung von der Zulassungspflicht bei der Einfuhr beanspruchen.
Die Ablehnung der Annahme der Zollanmeldung der Klägerin sowie die Sicherstellung der Präparate durch das ZA seien somit nicht zu beanstanden.
Hiergegen richtet sich die am … erhobene Klage.
Die Klägerin trägt vor, das Produkt „Natural Vitamin 10 Tabletten 1000 mg” werde ausdrücklich nicht zum Gegenstand dieses Verfahrens gemacht. Bei den hier streitigen Produkten „Vitacor Plus TM” und „Immunocell TM” habe es sich entgegen der Auffassung des Beklagten nicht um Arzneimittel, sondern um Nahrungsergänzungsmittel gehandelt. Dies ergebe sich aus deren Zusammensetzungen und den dazu vorliegenden Produktbeschreibungen (… wird ausgeführt).
Die Produkte „Vitacor Plus TM” und „Immunocell TM” seien in den Niederlanden zugelassen und dürften dort in den Verkehr gebracht werden. Die Bescheinigung der zuständigen niederländischen Behörde, dem Keuringsraad, vom 4.Januar 2001 werde als Anlage 5 beigefügt. Die Produkte könnten ausschließlich von der Firma M.R. (Niederlande) bezogen werden, von der auch die Klägerin sie erworben habe. Sie seien nach der Beschlagnahme durch das HZA Bremen zur weiteren Untersuchung an den Senator für Arbeit, Frauen, Gesundheit, … (Bremen) verbracht worden. Da der Beklagte auch weiterhin weder eine schriftliche Sicherstellungsverfügung erlassen noch die Beschlagnahme näher begründet habe, hätten die Verfahrensbevollmächtigten der Klägerin mit Schreiben vom … darauf hingewiesen, dass für die Sicherstellung der Produkte keine Ermächtigungsnorm bestehe, weil es sich nicht um Arzneimittel handle. Hierzu sei die aktuelle Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in Kopie vorgelegt worden.
Ergänzend hätten die Verfahrensbevollmächtigten der Klägerin darauf hingewiesen, dass eine Sicherstellung selbst dann unzulässig gewesen wäre, wenn es sich um Arzneimittel im Sinne des Gesetzes über den Verkehr mit Arzneimitteln (AMG 1976) gehandelt hätte, da die Klägerin diese Produkte gemäß § 73 Abs. 2 Nr. 6a AMG 1976 ohne gewerbs- oder berufsmäßige Vermittlung in einer dem persönlichen Bedarf entsprechenden Menge aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften, indem sie zugelassen seien, bezogen und in die Bundesrepublik Deutschland eingeführt habe . Auch dieser Hinweis auf die Rechtslage habe die Beklagte nicht veranlassen können, die Produkte nunmehr herauszugeben oder zumindest die Sicherstellung näher zu begründen.
Erst mit Bescheid vom …, eingegangen am …, habe der Beklagte die Sicherstellung der Produkte mitgeteilt. Der Beklagte habe in dem Schreiben auf die angebliche Zulassungspflicht dieser Produkte nach § 21 ff. AMG 1976 verwiesen. Eine Begründung hierfür sei bezeichnenderweise nicht gegeben worden. Allerdings sei mitgeteilt worden, dass die genannten Produkte „zu gegebener Zeit” vernichtet werden würden.
In der Begründung seiner Einspruchsentscheidung vom … habe der Beklagte ausgeführt, die Zollanmeldung der streitgegenständlichen Produkte sei zu Recht gem. § 7 Abs. 1 Nr. 3 Zollverwaltungsgesetz (ZollVG) abgelehnt worden, da der Einfuhr Verbote und Beschränkungen entgegenstünden. Hierzu werde behauptet, es handle sich bei den beiden Produkten um zulassungsbedürftige Arzneimittel, bei denen eine angebliche erforderliche Zulassung nicht vorliege. Daher dürften diese Produkte gemäß § 73 Abs. 1 AMG nicht in den Geltungsbereich des AMG verbracht werden.
Die angebliche Arzneimitteleigenschaft der Produkte werde recht pauschal durch einen Hinweis auf ein Schreiben des Senators für Arbeit, Frauen, Gesundheit, … (Bremen) (Blatt 19 ff. der Verwaltungsakten) sowie damit begründet, dass diese Einschätzung für den Beklagten bindend sei. In dem in Bezug genommenen Schreiben des Senators für Arbeit, Frauen, Gesundheit … befinde sich jedoch keine Begründung dafür, dass es sich um Arzneimittel im Sinne des AMG handle. So werde bei dem Produkte „Immunocell” die Zusammensetzung des Produkts aufgezählt und im Anschluss schlicht behauptet: „Von der stofflichen Zusammensetzung sowie der angegebenen Indikation her wird das Produkt daher als Arzneimittel eingestuft, das der Zulassung nach den §§ 21 ff. AMG unterliegt ”
Das Gleiche gelte für das Produkt „Vitacor Plus”, bei dem – wiederum ohne jegliche Auseinandersetzung mit dem Arzneimittelbegriff des AMG – die durch nichts belegte These vertreten werde, „Vitacor Plus” werde „auf Grund seiner Zusammensetzung als Arzneimittel mit überwiegend pharmakologischer Wirkung eingestuft, weil die Zusammensetzung der diversen Vitamine und Mineralien und Aminosäuren etc. eindeutig eine arzneiliche Wirkung erwarten lasse und auch nach Einschätzung des Lebensmittelreferates keine überwiegende ernährungsphysiologische oder aromatische Zweckbestimmung nach dem LMBG zu erkennen” sei.
Der Umstand, dass die Präparate in den Niederlanden als Nahrungsergänzungsmittel rechtmäßig in den Verkehr gebracht würden, werde durch einen lapidaren Hinweis auf ein Schreiben des Sächsischen Staatsminister im soziales, Gesundheit, Jugend und Familie negiert, aus dem sich ebenfalls die angebliche Zulassungspflicht der Produkte als Arzneimittel ergeben solle.
Im übrigen werde noch auf eine ebenfalls sehr pauschale Einschätzung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte vom … (Blatt 79 f. der Verwaltungsakten) verwiesen, in der ebenfalls behauptet werde, es handle sich bei den Präparaten um „zulassungspflichtige Arzneimittel im Sinne des § 21 AMG”.
Eine anhand des Gesetzes nachvollziehbare Begründung fehle damit sowohl in der Einspruchsentscheidung als auch in den dieser zu Grunde liegenden Sachverhalten.
Die Klägerin beantragt,
Die Sicherstellungsverfügung des Hauptzollamtes Bremen … vom …, in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom …, wird aufgehoben.
Die vom Hauptzollamt Bremen in der Postsendung Nr. …, im Juli 2001 sichergestellten Präparate Immunocell und Vitacor Plus sind an die Klägerin herauszugeben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte trägt vor, bei den Erzeugnissen im „ImmunoCell” und „Vitacor Plus” handele es sich um Präparate, deren Zusammensetzung keine klare Abgrenzung zwischen einem Arzneimittel und einem Nahrungsergänzungsmittel zulasse. Für derartige Erzeugnisse regele § 2 Abs. 1 AMG 1976, dass es von den Umständen des Einzelfalles abhänge, ob diese Erzeugnisse als Lebensmittel oder als Arzneimittel einzustufen seien. Maßgeblich hierfür solle die allgemeine Verkehrsauffassung des Durchschnittsverbrauchers sein.
Das für Lebensmittel zuständigen Referat des Senators für Arbeit, Frauen, Gesundheit, Jugend und Soziales (Bremen) habe die Produkte „ImmunoCell” und „Vitacor Plus” begutachtet. Hierbei habe keine überwiegend ernährungsphysiologische oder aromatische Zweckbestimmung nach dem Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes festgestellt werden können. Zuvor habe das sächsische Staatsministerium für Soziales, Gesundheit, Jugend und Familie diese Präparate als Arzneimittel eingestuft. Es habe keine Veranlassung bestanden, die Einstufung der Präparate „ImmunoCell” und „Vitacor Plus” als Arzneimittel anzuzweifeln. Er, der Beklagte, sei verpflichtet gewesen, diese Arzneimittel gemäß dem in § 73 AMG 1976 geregelten Verbringungsverbot sicherzustellen.
Die Zollstellen träfen ihre Entscheidungen stets anhand der im Zeitpunkt der Einfuhr geltenden Rechtsvorschriften. Auch wenn diese Rechtsvorschriften umstritten seien, gelte nichts anderes. Falls der derzeit vor dem EuGH ausgetragene Rechtsstreit in der Sache C-387/99 zum Nachteil der Bundesrepublik Deutschland ausgehen sollte, sei nicht zu erwarten, dass dies eine rückwirkende Änderung des deutschen Arzneimittelrechts zur Folge haben werde. Das Zollamt Hohetor habe deshalb rechtmäßig gehandelt, als es die Präparate „ImmunoCell” und „Vitacor Plus” sicherstellte.
Er, der Beklagte, nehme diese Stellungnahme zum Anlass, um seine Einspruchsentscheidung vom 29. Oktober 2002 in den nachfolgenden Punkten richtig zu stellen. In seinen Entscheidungsgründen habe er u. a. ausgeführt,
„… lehnte das ZA die Annahme der Zollanmeldung gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 3 ZollVG ab und stellte die Präparate sicher (Artikel 57 Zollkodex – ZK – i.V.m. § 13 ZollVG)”.
Zutreffende Rechtsgrundlage für die Sicherstellung sei jedoch Art.75 ZK. Die entsprechende Textaussage in der Einspruchsentscheidung werde deshalb gemäß § 126 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977 geändert in:
„… lehnte das ZA die Annahme der Zollanmeldung gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 3 ZollVG ab und stellte die Präparate sicher (Artikel 75 Zollkodex – ZK – i.V.m. § 13 ZollVG)”.
In der vor dem EuGH anhängigen Rechtssache C-387/99 habe der Generalanwalt unter Hinweis auf § 2 Abs. 1 AMG 1976 die Auffassung vertreten, dass es von den Umständen des Einzelfalles abhänge, ob diese Erzeugnisse als Lebensmittel oder als Arzneimittel einzustufen seien. Diese Auffassung werde geteilt.
Bei der Überwachung des Verbringens von Arzneimitteln und Wirkstoffen in den Geltungsbereich des AMG wirkten die Zolldienststellen lediglich mit (§ 74 AMG 1976). Die Zollbehörde fungiere somit als Auftragsverwaltung für die zuständige Landesbehörde bei der Überwachung des Verkehrs mit Arzneimitteln. Zuständige Behörde für die Durchführung des AMG im Land Bremen sei der Senator für Arbeit, Frauen, Gesundheit, Jugend und Soziales (Bremen). Die Zollstelle entscheide über die Vorgehensweise im Einzelfall anhand der Tatsachen, die ihr von der zuständigen Landesbehörde vorgegeben würden. Im Streitfall habe die Vorgabe gelautet: Bei den von der Klägerin eingeführten Präparaten „ImmunoCell” und „Vitacor Plus” handle es sich um Arzneimittel. Er, der Beklagte, habe sich an diese Vorgabe gehalten und sei somit vorschriftsmäßig verfahren.
Die Sicherstellung werde nicht länger auf Art. 57 ZK gestützt, weil im Streitfall weder ein vorschriftswidriges Verbringen noch ein Entziehen aus der zollamtlichen Überwachung vorliege. Art. 75 Buchstabe a) letzter Anstrich ZK ermächtige die Zollbehörde hingegen ohne Einschränkung, „zur Regelung des Falls alle erforderlichen Maßnahmen – einschließlich der Einziehung und der Veräußerung – für Waren” zu treffen, … „die dem Anmelder nicht überlassen werden konnten, … weil sie Verboten oder Beschränkungen unterliegen”.
Ergänzend wird nach § 105 Abs. 3 FGO auf die gewechselten Schriftsätze und die Behördenakten Bezug genommen. Die Rechtsbehelfsakten des Beklagten … wurden zum Verfahren beigezogen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung, soweit sie in diesem Urteil verwertet worden sind.
Gründe
I.
Die Klage ist zulässig.
Der Rechtsweg zur Finanzgerichtsbarkeit ist im Streitfall nach § 33 Abs. 1 Nr. 1 FGO gegeben, weil es sich nach § 33 Abs. 2 Halbsatz 1 FGO auch bei Maßnahmen der Bundesfinanzbehörden zur Beachtung der Verbote und Beschränkungen für den Warenverkehr über die Grenze um Abgabenangelegenheiten handelt (vgl. BFH, Urteil vom 5. Oktober 1999, VII R 88/98, BFHE 191, 155, BFH/NV 2000, 406, ZfZ 2000, 163). Die Sicherstellung der Produkte „Immunocell TM” und „Vitacor Plus TM” der Firma M. R. B.V. (Niederlande) gehörte zu den „Maßnahmen …, die im Rahmen der zollamtlichen Überwachung des grenzüberschreitenden Warenverkehrs im Rahmen der Steueraufsicht (§ 209 Abs. 1 AO 1977) durchgeführt werden und die auch die Einhaltung der gemeinschaftlichen oder nationalen Vorschriften sichern, welche das Verbringen von Waren in den, durch den oder aus dem Geltungsbereich des Zollverwaltungsgesetzes (ZollVG) verbieten oder beschränken (§ 1 Abs. 3 ZollVG)” (BFH, a.a.O.). Die angefochtene Sicherstellung nach Ablehnung der Annahme einer Zollanmeldung durch den Beklagten stand in dem erforderlichen sachlichen Zusammenhang mit einer „Zollbehandlung” (vgl. BFH, Urteil vom 28. Januar 1986, VII R 37/85, BFHE 146, 7, BStBl II 1986, 410).
Zweifel an der nach § 63 FGO erforderlichen Passivlegitimation des Beklagten (BFH-Beschluss vom 28. Januar 2002, VII B 83/01, BFH/NV 2002, 934) bestehen nicht, insbesondere wäre die Klage nicht gegen den Senator für Arbeit, Frauen, Gesundheit, Jugend und Soziales (Bremen) zu richten gewesen. Der Beklagte hat zwar vorgetragen, bei der Überwachung des Verbringens von Arzneimitteln und Wirkstoffen in den Geltungsbereich des Arzneimittelgesetzes sei er im Auftrag für die zuständige Landesbehörde tätig geworden, die Zollstelle entscheide lediglich über die Vorgehensweise im Einzelfall anhand der Tatsachen, die ihr von der zuständigen Landesbehörde vorgegeben würden. Gleichwohl hat der Beklagte den angefochtenen Bescheid vom 30. November 2001 (SV0622 B-Ho) i. d. F. der Einspruchsentscheidung vom 29. Oktober 2002 (S-0625-204187-12-2001-2300) erlassen (vgl. § 63 Abs. 1 und 2 FGO). Der Ausnahmefall des § 63 Abs. 3 FGO ist nicht gegeben, da der Beklagte bei Erlass der angefochtenen Bescheide in eigener Zuständigkeit tätig wurde (s. unten II.1.) und folglich auch keine Amtshilfe leistete (vgl. § 4 Abs. 2 Nr. 2 VwVfG; dazu BFH-Urteil vom 10. November 1987, VII R 137/84, BFH/NV 1988, 417).
II.
Die Klage ist jedoch unbegründet.
Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 30. November 2001 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29. Oktober 2002, mit dem die Präparate „Vitacor Plus TM” und „Immunocell TM” sichergestellt und eingezogen wurden, ist rechtmäßig; so dass die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt ist. Folglich hat sie auch keinen Anspruch auf Herausgabe der eingezogenen Präparate.
1. Die Maßnahme des Beklagten war (und ist) formell rechtmäßig, insbesondere war er für den Erlass des angefochtenen Bescheides vom … i. d. F. der Einspruchsentscheidung vom 29. Oktober 2002 sachlich zuständig. Dies folgt aus § 1 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 ZollVG (Aufgaben der Zollverwaltung) in der für die Streitjahre geltenden Fassung, wonach der Verkehr mit Waren über die Grenze des Zollgebiets der Europäischen Gemeinschaften (Zollgebiet der Gemeinschaft) sowie über die Freizonengrenzen wird im Geltungsbereich dieses Gesetzes zollamtlich überwacht wird und die zollamtliche Überwachung „darüber hinaus die Einhaltung der gemeinschaftlichen oder nationalen Vorschriften, die das Verbringen von Waren in den, durch den und aus dem Geltungsbereich dieses Gesetzes verbieten oder beschränken (Verbote und Beschränkungen)” sichert. Entsprechend sieht auch § 74 AMG 1976 vor, dass das Bundesministerium der Finanzen und die von ihm bestimmten Zolldienststellen bei der Überwachung des Verbringens von Arzneimitteln und Wirkstoffen in den Geltungsbereich dieses Gesetzes und der Ausfuhr mitzuwirken haben. Diese Mitwirkung des Beklagten ist nicht als Amtshilfe für die zuständige Landesbehörde zu qualifizieren, weil nach § 4 Abs. 2 Nr. 2 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) Amtshilfe ausgeschlossen ist, „wenn die Hilfeleistung in Handlungen besteht, die der ersuchten Behörde als eigene Aufgaben obliegen.” So lag es im Streitfall bei dem Beklagten.
2. Die Einziehung der Präparate „Vitacor Plus TM” und „Immunocell TM” der Firma M.R. (Niederlande) war (und ist) auch materiell rechtmäßig, weil sie durch Art. 75 ZK i.V.m. §§ 21, 2 Abs. 1, 74 AMG 1976 gedeckt ist. Denn es handelte sich um „Waren”, die dem Anmelder nicht überlassen werden konnten, weil sie Verboten oder Beschränkungen unterliegen, die sich aus dem geltenden nationalen Arzneimittelrecht der Bundesrepublik Deutschland ergeben. Insbesondere bestand mangels vorheriger Zulassung und/oder Registrierung dieser Präparate im Inland der begründete Verdacht eines Verstoßes gegen das Arzneimittelgesetz. Der Beklagte war daher nach Art. 75 Buchst. a) letzter Anstrich ZK ermächtigt und verpflichtet, die zur Regelung des Falls erforderlichen Maßnahmen einschließlich der Einziehung zu treffen. Letzteres ist mit der Ablehnung der Zollanmeldung und der zollamtlichen Sicherstellung unter Wegnahme der Präparate ermessensfehlerfrei (dazu Witte/Henke, Zollkodex, 3. Aufl. 2002, Art. 75, Rz. 7, m.w.N.) geschehen. Daraus folgt zugleich, dass die Klägerin nicht die Herausgabe der Präparate entsprechend ihrem Klagantrag zu 2. verlangen kann.
Offen bleiben kann deshalb, ob die Klägerin mit dem Versand der Produkte „Immunocell TM” und „Vitacor Plus TM” aus nach Deutschland gegen das Verbringungsverbot des § 73 AMG 1976 verstieß, wie es der Beklagte in seinem angefochtenen Bescheid vom 30. November 2001 und in der Einspruchsentscheidung vom 29. Oktober 2002 noch angenommen hat. Hierfür sprechen die in den Bescheiden dargelegten Gründe, auf die nach § 105 Abs. 5 FGO Bezug genommen wird.
3. Die von der Klägerin in das Inland versandten Produkten „Vitacor Plus TM” und „Immunocell TM” der Firma M.R. (Niederlande) sind auch – wovon der Beklagte zu Recht ausgegangen ist – zulassungspflichtige Arzneimittel i. S. von § 21 i.V.m. § 2 Abs. 1 AMG 1976, die in Deutschland nicht zugelassen sind.
a) Die Arzneimitteleigenschaft der fraglichen Produkte folgt, da eine Anwendung des § 2 Absätze 2 bis 4 AMG 1976 ausscheidet, für den Streitfall aus dem funktionalen Arzneimittelbegriff des § 2 Abs. 1 AMG 1976. Hiernach sind „Arzneimittel” alle
„…Stoffe und Zubereitungen aus Stoffen, die dazu bestimmt sind, durch Anwendung am oder im menschlichen oder tierischen Körper
Krankheiten, Leiden, Körperschäden oder krankhafte Beschwerden zu heilen, zu lindern, zu verhüten oder zu erkennen,
die Beschaffenheit, den Zustand oder die Funktionen des Körpers oder seelische Zustände erkennen zu lassen,
vom menschlichen oder tierischen Körper erzeugte Wirkstoffe oder Körperflüssigkeiten zu ersetzen,
Krankheitserreger, Parasiten oder körperfremde Stoffe abzuwehren, zu beseitigen oder unschädlich zu machen oder
die Beschaffenheit, den Zustand oder die Funktionen des Körpers oder seelische Zustände zu beeinflussen.”
Keine Arzneimittel sind nach Absatz 3 der Bestimmung „… Lebensmittel im Sinne des § 1 des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes”.
b) Der Begriff des Arzneimittels i. S. von § 2 Abs. 1 AMG 1976 wird in Abgrenzung zu den Lebens- und Nahrungsergänzungsmitteln durch den Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung (grundlegend BGH-Urteil vom 10. Februar 2000, I ZR 97/98, WRP 2000, 510;, GRUR 2000, 528 – L-Carnitin; bestätigt durch Urteil vom 6. Mai 2004, I ZR 275/01, WRP 2004, 1024, GRUR 2004, 793 – Sportlernahrung II; Urteil vom 11. Juli 2002, I ZR 34/01, BGHZ 151, 286, WRP 2002, 114, GRUR 2002, 910 – Muskelaufbaupräparate; BGH-Urteil vom 3. April 2003, I ZR 203/00, GRUR 2003, 631, WRP 2003, 883 – L-Glutamin; BGH GRUR 1995, 419, 420 – Knoblauchkapseln; BGH, Urt. v. 3.12.1997 – 2 StR 270/97, NJW 1998, 836, 837; Kammergericht Berlin, Beschluss v. 15.06.2000, in Schorn, Medizinprodukte-Recht, R 2-1/1; BVerwGE 97, 132, 135 f.; VGH München NJW 1998, 845) wie folgt definiert:
Ausschlaggebend für die Einordnung eines Produkts als Arzneimittel ist seine an objektive Merkmale anknüpfende überwiegende Zweckbestimmung, wie sie für einen durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher darstellt (Verkehrsauffassung), maßgeblich ist. Die Verkehrsauffassung knüpft regelmäßig an eine schon bestehende Auffassung über den Zweck vergleichbarer Mittel und deren Anwendung an, welche ihrerseits von den Verwendungsmöglichkeiten solcher Mittel ihrer Art nach abhängt. Außerdem kann die Vorstellung der Verbraucher durch die Zweckbestimmung eines Produkts nach Auffassung der pharmazeutischen oder medizinischen Wissenschaft, beigefügte oder in Werbeprospekten enthaltene Indikationshinweise und Gebrauchsanweisungen und die Aufmachung, in der das Mittel dem Verbraucher allgemein entgegentritt, beeinflusst sein.
Kein Arzneimittel, sondern Lebensmittel ist hiernach ein Produkt, wenn es „in den Augen des Verkehrs” nach den Gesamtumständen keine überwiegend arzneiliche Zweckbestimmung aufweist und daher nicht als Arzneimittel, sondern als Lebensmittel einzustufen ist. Besonders wenn keine pharmakologischen Wirkungen festgestellt worden sind, werden Verbraucher, an welche sich die Werbung richtet, im allgemeinen nicht annehmen, daß ein als Nahrungsergänzungsmittel angebotenes Präparat tatsächlich ein Arzneimittel sei, wenn dieses in der empfohlenen Dosierung angewendet wird (vgl. BGH-Urteil vom 3. April 2003, I ZR 203/00, GRUR 2003, 631, WRP 2003, 883 – L-Glutamin; im Anschluss an BGHZ 151, 286, 292 – Muskelaufbaupräparate).
c) Bei Anwendung dieser Grundsätze ist das Produkt „Vitacor Plus TM” der Firma M. R. (Niederlande) als zulassungspflichtiges Arzneimittel i. S. der §§ 21, 2 Abs. 1 AMG 1976 einzustufen.
aa) Dies folgt zunächst aus seinen objektiven Merkmalen. Ausweislich der Inhaltsangabe auf der Verpackung setzt sich das Mittel wie folgt zusammen (Inhalt von 3 Tabletten):
„Vitamin C aus: | |||
Ascorbinsäure | 230 mg | Askorbylpalmitat | 170 mg |
Kalziumaskorbat | 100 mg | Magnesiumaskorbat | 100 mg |
Vitamin E (d-Alpha-Tokopherol) | 130 I.E. | ||
Vitamin A (Beta-Karotin) | 1665 I.E. | ||
Vitamin B 1 (Thiamin) | 7 mg | ||
Vitamin B 2 (Riboflavin) | 7 mg | ||
Vitamin B 3 aus: | |||
Niacin | 10 mg | Niacinamid | 35 mg |
Vitamin B 5 (Kalzium d-Pantothenat) | 40 mg | ||
Vitamin B 6 (Pyridoxalphosphat) | 10 mg | ||
Vitamin B 12 (Cyanokobalamin) | 20 mg | ||
Vitamin D 3 (Cholekalziferol) | 130 I.E. | ||
Folsäure | 90 mg | ||
Biotin | 65 mg | ||
L-Prolin | 110 mg | ||
L-Lysin | 110 mg | ||
L-Carnitin | 35 mg | ||
L-Arginin | 40 mg | ||
L-Cystein | 35 mg | ||
Calzium (Glyzanat) | 35 mg | ||
Magnesium (Glyzanat) | 40 mg | ||
Kalium | 20 mg | ||
Zink (Glyzanat) | 7 mg | ||
Mangan | 1,3 mg | ||
Kupfer (Glyzanat) | 330 mg | ||
Biotin | 65 mg | ||
Selen (L-Selenmethionin) | 20 mg | ||
Chrom (Glyzanat) | 10 mg | ||
Molybdän (Glyzanat) | 4 mg | ||
Inositol | 35 mg | ||
Coenzym Q 10 | 7 mg | ||
Phosphor (Dikalziumphosphat) | 15 mg | ||
Pycnogenol TM | 7 mg | ||
Zitrus-Bioflavonoide | 100 mg | ||
Weiteres natürliches Vitamin E | |||
(Beta-, Gamma- und Delta-Tokopherol | 22 mg | ||
Weiteres natürliche Karotinoide | |||
(Alpha-Karotin, Lutein, Zea- und Kryptoxantin, | 50 mg” |
Für eine objektivierbare pharmakologische (wenngleich nicht heilende) Wirkung dieser Zusammenstellung von Wirkstoffen spricht namentlich die Beurteilung des Mittels durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in seinem Bericht vom 21. November 2001 (Rechtsbehelfsakten des Beklagten RL 187/01, Bl. 79 f.), wonach die Einnahme von „Vitacor Plus TM” – ggf. im Zusammenwirken mit den weiteren Produkten aus der Firma M.R. – unerwünschte Risiken und Nebenwirkungen wie „Imbalanzen des Stoffwechsels”, „erhöhtes Lungenkrebsrisiko bei Rauchern” und eine „pro-oxidative Wirkung” von „Antioxidanzien” zur Folge haben kann.
bb) Auch nach der Verkehrsauffassung, orientiert am Maßstab des „durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers” (BGH-Urteil vom 10. Februar 2000, I ZR 97/98, WRP 2000, 510;, GRUR 2000, 528 – L-Carnitin) stellt sich das Produkt „Vitacor Plus TM” als ein Mittel dar, dem nach seiner objektiven Beschaffenheit eine heilende Wirkung zuzuschreiben wäre. Denn nach der Zusammensetzung drängt sich für den durchschnittlich informierten Verbraucher auf, dass es sich um ein komplexes, ausbalanciertes Präparat handelt, dem nach seiner Zweckbestimmung vornehmlich eine pharmakologische Wirkung (Wechselwirkung zwischen Arzneistoffen und Organismus) oder auch eine Einwirkung über den Metabolismus (Stoffwechsel) zugedacht sein muss, die ihrer Art nach über die Wirkungen einer Nahrungsergänzung hinausgeht (vgl. zu den Begriffen Kammergericht Berlin, Beschluss v. 15.06.2000, in Schorn, Medizinprodukte-Recht, R 2-1/1).
Dies entspricht der bestehenden Auffassung vom Zweck dieses Mittels und vergleichbarer Mittel sowie deren Anwendung, wie sie in der Stellungnahme des BfArM vom 21. November 2001 zum Ausdruck kommt: „In diesem Zusammenhang weisen wir darauf hin, dass das BfArM in Wahrnehmung der arzneimittelrechtlich gemäß § 21 Abs. 4 AMG festgelegten Kompetenz diverse Produkte der o. a. Firma als zulassungspflichtige Arzneimittel i. S. des § 2 Abs. 1 AMG eingestuft hat.”
Wenngleich die Verwendungsmöglichkeiten von Mitteln der vorliegenden Art aus der Produktgruppe der „Zellular-Medizin” im einzelnen ungeklärt sind, weil über die beanspruchten Anwendungsgebiete und Wirkungsweisen der Produkte der Firma M.R. (Niederlande) keine wissenschaftlichen Untersuchungen vorliegen (vgl. die Stellungnahme des BfArM a.a.O.), so ist dennoch von einer pharmakologischen Zweckbestimmung nach Einschätzung der pharmazeutischen und medizinischen Wissenschaft auszugehen, die aus der Sicht des Verbrauchers eine Zuordnung des Produkts „Vitacor Plus TM” zu den Arzneimitteln nahe legt.
Diese pharmakologische Zweckbestimmung (und Wirkung) besteht auch nach Einschätzung des Herstellers selbst, der Firma M.R. (Niederlande), die dem Mediziner Dr. R. zuzurechnen ist (vgl. Tageszeitung „Die Welt”, Freitag 12. November 2004: „Die Geschäfte des Dr. R.”). Hiernach enthält „Vitacor Plus TM” eine Mikro-Nährstoffkombination, die zusammengefasst unter der Produktgruppe „Vitaminpräparate des Dr. R.” bekannt ist, und, ausgehend von den Niederlanden, weltweit vertrieben wird. R. propagiert seit Jahren diese hochdosierten Präparate – zu denen „Vitacor Plus TM” gehört – als ein alternatives Heilmittel u. a. gegen Herztod, Krebs und Diabetes. Das medizinische Konzept geht zurück auf einen Mediziner (und zweimaligen Nobelpreisträger) L. P., der eine umfassende Gesundheitstheorie entwickelt und hochdosierte Vitamine als universelle Medizin gegen Krankheiten wie Gefäßverengungen, Herzschwäche, Schlaganfall und Krebs, die ausnahmslos als Folge des Mangels an Vitaminen, Mineralien und anderen „Biokatalysatoren” begriffen wurden, empfohlen haben soll. R. und dessen Herstellerfirma beanspruchen für sich, wissenschaftliche Studien durchgeführt zu haben, und begründen die sogenannte „Zellular-Medizin” als eine von der Schulmedizin (noch) nicht anerkannte Heilrichtung. Darauf fußend werden eine Klinik in Tijuana Mexiko, die nach den Methoden der „Zellular-Medizin” behandelt, ein Versandhandel, eine Stiftung, ein Verlag und eine Fortbildungsakademie in Wittenberg (Sachsen-Anhalt) betrieben, die „Berater für Zellular-Medizin” ausbildet (Die Welt, a.a.O.). Die genannten Institutionen beeinflussen ausnahmslos (und gewollt) die Vorstellungen des Verbrauchers im Blick auf eine arzneiliche Wirkung der Produktgruppe „Vitaminpräparate des Dr. R.” und folglich des Präparats „Vitacor Plus TM”.
Zwar liegen dem Senat weder Beipackzettel noch Werbeprospekte für „Vitacor Plus TM” vor, sondern nur der vom Hersteller für sein Produkt mitgelieferte Behälter, in dem es verwahrt wird. Dessen Aufmachung (vgl. BGH-Urteil vom 10. Februar 2000, I ZR 97/98, WRP 2000, 510;, GRUR 2000, 528 – L-Carnitin: „Aufmachung in der das Mittel dem Verbraucher allgemein entgegentritt”) begründet jedoch die von seinem Hersteller zugedachte arzneiliche Funktion aus der Sicht des durchschnittlichen Verbrauchers. Zwar wird auf dem Behälter einerseits „Vitacor Plus TM” dem Verbraucher (lediglich) als „Das Basis-Vitaminprogramm für alle zur täglichen Nahrungsergänzung” empfohlen, welches „natürliche Vitamine, Mineralien, Aminosäuren und andere Zellfaktoren als tägliche Nahrungsergänzung für jung und alt” enthalten soll. Für das Überwiegen der arzneilichen Funktion aus der Sicht des Verbrauchers spricht aber gleichwohl, dass auf dem Behälter andererseits hervorgehoben wird, das Produkt ergänze den „klinisch getesteten Vitamin-Zell-Komplex” durch wertvolle Karotinoide und natürliche Formen von Vitamin E (Tokopherole), wobei das Letztere in Kombination mit der Aufschrift „Zellular Medizin Formula TM” zu sehen ist, die auf eine medizinisch-pharmakologische Zweckbestimmung i. S. der sog. „Zellular-Medizin” verweist.
Erhärtet wird die pharmakologische Zweckbestimmung aus der Sicht des Durchschnittsverbrauchers durch die äußere Form und weiße Farbgebung des Kunststoffbehälters, in dem das Präparat untergebracht ist. Das Design der Verpackung spricht für eine medizinische und gegen eine nahrungsergänzende Funktion des Inhalts, wie unschwer einem Vergleich mit anderen Medikamentenpackungen (beispielsweise für das apothekenpflichtige homöopathische Arzneimittel „Calcium Phosphoricum D 6 … nach Dr. S.” des Herstellers DHU in Karlsruhe) entnommen werden kann. Dementsprechend hat der BGH im Blick auf die Aufmachung eines Präparats mit Urteil vom 19. Januar 1995 (I ZR 209/92, WRP 1995, 386, LM UWG § 1 Nr 678 <6/1995> – Knoblauchkapseln) zutreffend entschieden, in Blisterstreifen abgepackte Gelatinekapseln, die ein Knoblauchöl-Mazerat enthalten, seien ein Arzneimittel, dessen Verkauf ohne die nach § 21 AMG vorgeschriebene Zulassung gegen § 1 UWG verstoße.
Zu demselben Ergebnis führt der Internet-Auftritt der Firma M.R. (http://eu.dr-rath.com/… – Stand: 05.10.2004, GA Bl. 144 ff.). Danach wird „Vitacor Plus TM” im Internet als ein Basis-Multivitamin-Programm vorgestellt und in detaillierten Patientenberichten ausgelobt, das im Zusammenwirken mit den anderen Präparaten der „Zellular-Medizin” sofortige und wirksame Hilfe gegen Herzattacken, Schlaganfälle, Arterienverhärtung und Kreislaufstörungen sowie gegen Krebserkrankungen und Tumore aller Art verspricht (vgl. „Reports on the success of Cellular Medicine”). Dies deckt sich mit den Feststellungen im Bericht des BfArM vom 21. November 2001 (Rechtsbehelfsakten des Beklagten RL 187/01, Bl. 79 f.), wonach die Produkte der Firma M.R. vor allem auch wegen der „werblichen Aussagen in unterschiedlichen Medienerzeugnissen … als zulassungspflichtige Arzneimittel im Sinne des § 21 AMG” einzustufen sind, und bestätigt die Einschätzung, dass das Mittel jedenfalls nach dem Maßstab eines durchschnittlich informierten Verbrauchers als Arzneimittel einzustufen ist
Der gegenteiligen Auffassung des AG Tiergarten in den Gründen seines vom Senat beigezogenen Urteils vom 16. Oktober 2003 (333 Cs 45/02), wonach das Produkt als ein Lebensmittel in der Form eines Nahrungsergänzungsmittel einzustufen wäre, wird nicht gefolgt. Sie trägt dem Zweck des Arzneimittelgesetzes mit den darin enthaltenen Beschränkungen (§§ 21 ff und 38 f. AMG 1976) nicht hinreichend Rechnung, der nach § 1 AMG 1976, der im systematischen Zusammenhang mit § 2 AMG 1976 zu sehen ist, darin besteht,
„im Interesse einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung von Mensch und Tier für die Sicherheit im Verkehr mit Arzneimitteln, insbesondere für die Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der Arzneimittel nach Maßgabe der folgenden Vorschriften zu sorgen”.
Entsprechendes gilt für die von der Klägerin in Bezug genommene Bescheinigung der niederländischen Behörde „Keuringsraad” vom 4. Januar 2001 (Anlage K 5), wobei insoweit hinzu kommt, dass dieser Bescheinigung für die nach deutschem Arzneimittelrecht vorzunehmende Abgrenzung nur eine geringe Aussagekraft zukommen kann (s. noch unten 4.a).
Nicht zum Vorteil gereicht es der Klägerin nach allem, dass dem Produkt „Vitacor Plus TM” – vom Hersteller abgesehen – von den damit befassten Institutionen keine heilende Wirkung attestiert, sondern es im Gegenteil als eher schädlich eingestuft worden ist. In der Stellungnahme des BfArM vom 21. November 2001 wird dazu ausgeführt, nach den vorliegenden Unterlagen handle es sich um Vitaminpräparate, die deutlich den täglichen Bedarf überschritten. Auch wenn zu den zu den beanspruchten Anwendungsgebieten und Wirkungskreisen des Mittels „Vitacor Plus TM” noch keine wissenschaftlichen Untersuchungen vorlägen, müsse heute davon ausgegangen werden, dass die überhöhte Einnahme von Vitaminen bzw. Provitaminen oder Aminosäuren zu Imbalanzen des Stoffwechsels führe und unter Umständen Erkrankungen Vorschub leiste. Auch das BgVV (= ehemaliges Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin) habe in einer Presseerklärung klar zum Ausdruck gebracht, dass diese Produkte nicht unter das Lebensmittelgesetz fielen. Hier sei daran erinnert, dass z. B. eine routinemäßige Supplementierung mit Vitamin A (Beta-Karotin) nicht empfohlen werden könne, weil es Hinweise auf ein erhöhtes Lungenkrebsrisiko bei Rauchern gebe (a.a.O. mit Hinweis auf Omenn G.S. et al. Effects of a combination of beta-carotine and vitamin A on lung cancer and cardiovascular disease, N Eng.J.Med. 1996 (334) 1150-1155).
Aus den genannten Gründen ist „Vitacor Plus TM” ein zulassungspflichtiges Arzneimittel i. S. des AMG 1976. Dies deckt sich mit den Feststellungen des LSG Nordrhein-Westfalen in seinem Urteil vom 30. März 2001 (L 5 KR 216/00, nicht veröffentlicht, vorgehend SG Gelsenkirchen 2. November 2000, S 17 KR 145/00) an, wonach die Vitaminpräparate aus dem Dr. R. Zellular-Programm (d. h. der Firma M.R.) „Vitacor Plus”, „Metavicor”, „Arteriforte” und „Enercor” als (nicht zugelassene) Arzneimittel anzusehen waren mit der Konsequenz, dass kein Sachleistungsanspruch gegenüber der Krankenkasse bestand.
d) Auch das Produkt „ImmunoCell TM” der Firma M.R. ist als zulassungspflichtiges Arzneimittel i. S. der §§ 21 und 2 Abs. 1 AMG 1976 einzustufen.
aa) Die objektiven Merkmale ergeben sich aus der Verpackung des Produkts wie folgt (Inhalt von 3 Tabletten):
„Vitamin C from: | |||
Calciumascorbate | 83,3 mg | Magnesium ascorbate | 83,3 mg |
Beta carotene (Vitamin A) | 833,3 IU | ||
Vitamin E (d-Alpha-Tocophero)l | 67,7 IU | ||
Vitamin B 6 (Pyridoxal phosphate) | 2,7 mg | ||
Vitamin B 12 (Cyanocobalamin) | 10 mg | ||
Folic Acid | 133,3 mg | ||
Iron (Iron fumerate) | 3,3 mg | ||
Calcium | 166,7 mg | ||
Magnesium | 83,3 mg | ||
Natural Carotenoids | 25 mg | ||
(Alpha Carotene, Lutein, Zea- and Cryptoxantin)” |
Nach dieser Zusammensetzung liegt bei isolierter Betrachtung zwar nicht unbedingt eine überwiegende Zweckbestimmung als Arzneimittel vor, es könnte sich auch um ein Nahrungsergänzungsmittel handeln.
Für eine objektivierbare pharmakologische Zweckbestimmung und (wenngleich nicht heilende) Wirkung spricht indes auch hier die Beurteilung des Mittels durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in seinem Bericht vom 21. November 2001 (Rechtsbehelfsakten des Beklagten RL 187/01, Bl. 79 f.). Hiernach kann auch die Einnahme von „ImmunoCell TM” unerwünschte Risiken und Nebenwirkungen wie „Imbalanzen des Stoffwechsels”, ein „erhöhtes Lungenkrebsrisiko bei Rauchern”, „pro-oxidative Wirkung” von „Antioxidanzien” zur Folge haben.
bb) Ausschlaggebend für die Zuordnung des Präparats „ImmunoCell TM” zu den Arzneimitteln ist auch hier letztlich die Verkehrsauffassung, die auf eine überwiegend arzneiliche Zweckbestimmung verweist, welche über die Funktion einer bloßen Nahrungsergänzung hinausgeht. Dies folgt bei diesem Mittel weniger aus seinen objektiven Zusammensetzung, als vielmehr aus dessen Einbettung in das bereits dargestellte Gesamtkonzept der sog. „Zellular-Medizin”, die zumindest für den durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher zu der Überzeugung führen muss, dass dieses Mittel im beabsichtigten Zusammenwirken mit den anderen Präparaten der Firma M.R. eine überwiegend arzneiliche Zweckbestimmung hat. Der Name des Produkts „ImmunoCell TM” ist ein Hinweis darauf, dass mit ihm eine immunologische Wirkung, d.h. eine Einwirkung auf den Organismus über das Immunsystem, als Hauptzweck beabsichtigt wird (vgl. zu diesem Kriterium des Arzneimittels in Abgrenzung zu den Medizinprodukten Kammergericht Berlin, Beschluss v. 15.06.2000, in Schorn, Medizinprodukte-Recht, R 2-1/1, m.w.N.).
Im übrigen gelten die obigen Ausführungen zur arzneilichen Zweckbestimmung des Mittels „Vitacor Plus TM” auch für „ImmunoCell TM”, so dass darauf verwiesen werden kann. Auch „ImmunoCell TM” ist im Ergebnis ein zulassungspflichtiges Arzneimittel i. S. der §§ 21 und 2 Abs. 1 AMG 1976.
4. Die Bestimmungen der §§ 2 Abs. 1 und 21 AMG 1976 kollidieren nicht mit im Rang vorgehenden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. April 1987, 2 BvR 687/85, BVerfGE 75, 223, BB 1987, 2111, DB 1987, 2339, DStZ/E 1987, 365; Fortführung BVerfG, 22. Oktober 1986, 2 BvR 197/83, BVerfGE 73, 339, 366; EuGH-Urteil v. 15.07.1964, Rs. 6/64, Slg. 1964, 1251, 1269 – Costa/E.N.E.L.; Wegener in Callies/Ruffert <Hrsg.>, EUV/EGV, 2. Aufl. 2002, Art. 220 EG-Vertrag, Rdn. 22, m.w.N.), für den Streitfall einschlägigen Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts.
a) § 2 Abs. 1 AMG 1976 steht – ebenso wie die dazu vorliegenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs – im Einklang mit dem gemeinschaftsrechtlichen (funktionalen) Arzneimittelbegriff. Denn nach Artikel 1 Nummer 2 Unterabsatz 2 der Richtlinie 65/65/EWG des Rates vom 26. Januar 1965 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneimittel (ABl. Nr. 22, S. 369) in der Fassung der Richtlinie 93/39/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 (ABl. L 214, S. 22, im Folgenden: Richtlinie 65/65 – zitiert in EuGH-Urteil vom 29. April 2004 (C-387/99, Rdn. 61, EuZW 2004, 413, JuS 2004, 905) gelten als Arzneimittel
„alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die dazu bestimmt sind, im oder am menschlichen oder tierischen Körper zur Erstellung einer ärztlichen Diagnose oder zur Wiederherstellung, Besserung oder Beeinflussung der menschlichen oder tierischen Körperfunktionen angewandt zu werden” (Arzneimittel „nach der Funktion”).
Die Vereinbarkeit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu § 2 Abs. 1 AMG 1976 mit dem gemeinschaftsrechtlichen Arzneimittelbegriff wurde in mehreren Entscheidungen ausdrücklich festgestellt (BGH-Urteil vom 6. Mai 2004, I ZR 275/01, WRP 2004, 1024, GRUR 2004, 793 – Sportlernahrung II, im Anschluss an BGHZ 151, 286, 292 f. – Muskelaufbaupräparate, m.w.N.). Konkurrenzprobleme (dazu Jung in Callies/Ruffert <Hrsg.>, EUV/EGV, 2. Aufl. 2002, Art. 83 EG-Vertrag, Rdn. 32, m.w.N.) zwischen dem nationalen und dem gemeinschaftsrechtlichen Arzneimittelbegriff bestehen somit nicht. Der Europäische Gerichtshof hat in seinem Urteil vom 29. April 2004 (C-387/99, EuZW 2004, 413, JuS 2004, 905 – Kommission / Deutschland) in diesem Zusammenhang daran erinnert, dass
die Richtlinie 65/65 zwar im Wesentlichen bezwecke, die Hindernisse für den Handel mit Arzneimitteln innerhalb der Gemeinschaft zu beseitigen, und hierfür in Artikel 1 eine Definition des Arzneimittels gebe, sie aber nur einen ersten Schritt zur Harmonisierung der nationalen Regelungen für die Herstellung und den Vertrieb von pharmazeutischen Erzeugnissen darstelle (Rdn. 51);
es sich angesichts der durch die EG-Arzneimittelrichtlinie lediglich erfolgten Teilharmonisierung („erster Schritt”) kaum vermeiden lasse, dass im Kontext der Richtlinie 65/65 Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten bei der Qualifizierung von Erzeugnissen bestehen blieben, solange die Harmonisierung der zur Gewährleistung des Gesundheitsschutzes erforderlichen Maßnahmen nicht vollständiger sei;
wenn ein Erzeugnis in einem anderen Mitgliedstaat als Lebensmittel qualifiziert werde, dies nicht ausschließe, ihm im Einfuhrstaat dann die Eigenschaft eines Arzneimittels zuzuerkennen, wenn es die entsprechenden Merkmale aufweise (unter Hinweis auf EuGH-Urteil v. 06.11.1997, C-201/96, Slg 1997 I, 6147, Rdn. 24).
b) Die in Deutschland für die Präparate „Vitacor Plus TM” und „ImmunoCell TM” bestehende Zulassungspflicht nach § 21 AMG 1976 stellt keine Behinderung des freien Warenverkehrs nach Art. 28 EGV (ex-Artikel 30) dar, die als solche einer besonderen Rechtfertigung nach Artikel 30 EGV (ex-Artikel 36) bedürfte.
Der EuGH (Urteil vom 29. April 2004, C-387/99,a.a.O.) hat dazu ausgeführt, Artikel 2 und 3 der Richtlinie 65/65 sei zu entnehmen, dass ein industriell hergestelltes Arzneimittel in einem Mitgliedstaat nicht in den Verkehr gebracht werden dürfe, wenn dafür keine Verkehrsgenehmigung erteilt worden sei (Rdn. 49). Folglich stelle es, wenn ein industriell hergestelltes Erzeugnis unter die Definition des Arzneimittels gemäß Artikel 1 Nummer 2 der Richtlinie 65/65 falle, keine durch Artikel 30 EG-Vertrag verbotene Beschränkung des innergemeinschaftlichen Handels dar, den Importeur zu verpflichten, vor der Vermarktung des Erzeugnisses im Einfuhrmitgliedstaat gemäß der Richtlinie 65/65 eine Verkehrsgenehmigung einzuholen (Rdn. 50, im Anschluss an EuGH-Urteil vom 11. Dezember 2003, C-322/01, Deutscher Apothekerverband, Slg. 2003, I-0000, Rdn. 48, 52 und 53). So liegt es im Fall der Klägerin.
Dabei obliegt es nach der Rechtsprechung des EuGH – vorbehaltlich gerichtlicher Kontrolle – den nationalen Behörden, von Fall zu Fall zu entscheiden, ob ein Vitaminpräparat als Arzneimittel einzustufen ist, und dabei alle seine Merkmale, insbesondere seine Zusammensetzung, seine pharmakologischen Eigenschaften – so, wie sie sich beim jeweiligen Stand der Wissenschaft feststellen lassen – die Modalitäten seiner Anwendung, den Umfang seiner Verbreitung, seine Bekanntheit bei den Verbrauchern und die Risiken, die seine Verwendung mit sich bringen kann, zu berücksichtigen (EuGH-Urteil vom 29. April