Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • 08.01.2010

    Hessisches Finanzgericht: Urteil vom 25.11.1999 – 3 K 4198/98

    -Kinder, die im Haushalt der Pflegeeltern aufgenommen und von ihnen erzogen werden, werden, wenn sie ein Pflegegeld erhalten, das die auf gesetzlicher Grundlage festgelegten Entgelte nicht übersteigt, grundsätzlich zu einem nicht unwesentlichen Teilauf Kosten der Pflegeeltern unterhalten,.


    -Die Pflegegeldbeträge beinhalten nur die Kosten der Pflegschaft eines Kindes, dessen Pflege keinen pädagogischen Mehrbedarf erfordert.


    -Soweit ein aufgrund pädagogischen Mehrbedarfs gezahltes höheres Pflegegeld dem Betrag entspricht, der nach landesrechtlichen Regelungen in vergleichbaren Fällen allgemein gezahlt wird, ist davon auszugehen, daß die Zahlungen den durch die Pflegschaft ausgelösten notwendigen Bedarf abdecken.


    -In solchen Fällen kann unterstellt werden, daß die Pflegeeltern durch ihr eigenes erzieherisches Engagement zusätzlich geldwerte Leistungen in nicht unwesentlichem Umfang erbringen.


    Der Bescheid vom 11.2.1998 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 15.7.1998 wird aufgehoben.

    Der Beklagte wird verpflichtet, an den Kläger ab August 1997 Kindergeld für das Pflegekind U zu zahlen.

    Tatbestand

    Die Beteiligten streiten darüber, ob der Kläger ab dem 1.8.1997 einen Anspruch auf Kindergeld für ein zur Pflege in den Familienhaushalt aufgenommenes minderjähriges Kind hat. Dem Rechtsstreit liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

    Der Kläger ist Arbeitnehmer mit einem monatlichen Bruttoeinkommen von x.xxx,-- DM im Jahr 1998. Seine Frau ist selbständig als xxxx tätig. Sie hat aus dieser Tätigkeit 1997 einen Überschuß von xx.xxx,-- DM und 1998 von xx.xxx,-- DM erzielt. Aus der Ehe ist der am 19.12.1995 geborene Sohn T hervorgegangen.

    Ab dem 1.8.1997 haben der Kläger und seine Ehefrau den 1985 geborenen U gemäß § 33 Kinder- und Jugendhilfegesetz, jetzt: § 33 Sozialgesetzbuch VIII (SGB VIII) in Vollzeitpflege in ihren Haushalt aufgenommen. Die Unterbringung des Pflegekindes ist durch den Landeswohlfahrtsverband (LWV) Hessen nach den von ihm aufgestellten Grundsätzen über die Auswahl und Organisation der Erziehungsstellen erfolgt. Danach bilden die Eheleute C eine Erziehungsstelle für das Pflegekind U. Seine Unterbringung bei ihnen ist als ein familienähnliches, auf längere Dauer angelegtes Betreuungsverhältnis ausgestaltet. Die Unterbringung soll nicht nur der Versorgung des Pflegekindes, sondern in erster Linie dazu dienen, dessen massive Verhaltensstörungen abzubauen und für sein leibliches, geistiges und seelisches Wohl zu sorgen. Im Fall einer positiven Verhaltensänderung des Pflegekindes ist dessen Rückkehr in sein Elternhaus vorgesehen.

    Der LWV Hessen hat an den Kläger und seine Ehefrau nach der Übernahme der Pflegschaft ein monatliches Pflegegeld in Höhe von 1.054,-- DM sowie ein monatliches Erziehungsgeld (als pädagogische Aufwandsentschädigung) in Höhe von 1.185,-- DM gezahlt, außerdem ein monatliches Taschengeld für U in Höhe von 48,-- DM und eine monatliche Kleidungspauschale von 70,-- DM. Im Jahr 1997 haben die Eheleute einen Zuschuß von 1.000,-- DM für die Erstausstattung mit Möbeln und einen Zuschuß von 469,-- DM für eine Urlaubsfahrt erhalten, im Jahr 1998 einen Zuschuß von 460,-- DM für eine Ferienfreizeit und einen weiteren Zuschuß über 99,60 DM für eine Klassenfahrt von U. Außerdem erhalten sie einen monatlichen Zuschuß zu ihrer Rentenversicherung von 110,-- DM.

    Im September 1997 hat der Kläger die Zahlung von Kindergeld auch für das Pflegekind beantragt. Den Antrag hat der Beklagte (die Familienkasse) mit Bescheid vom 11.2.1998 abgelehnt. Der dagegen eingelegte Einspruch blieb ohne Erfolg. Mit der vorliegenden Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.

    Zur Begründung trägt er vor, die Einnahmen aus der Pflege des Kindes U bildeten keinen erheblichen Beitrag zum Familieneinkommen. Die Zahlungen erfolgten nicht nach marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten als Entgelt für die an U erbrachten Erziehungsleistungen. Diese würden, da er und seine Frau nur ein Kind in Pflege genommen hätten, auch nicht gewerbsmäßig mit dem Ziel der Sicherung des Lebensunterhalts erbracht. Eine solche Zielrichtung sei schon durch die entsprechenden Richtlinien des LWV Hessen untersagt, wonach das Erziehungsgeld nicht die Grundlage des Erwerbseinkommens der Erziehungsstelle bilden dürfe. Der Kläger hat den monatlichen materiellen Unterhaltsbedarf für U auf 1.475,-- DM beziffert. Dazu komme noch weiterer Aufwand der Eheleute C, wobei besonders auch die von der Ehefrau erbrachten, zeitlich unbegrenzten Betreuungsleistungen zu berücksichtigen seien, die wegen ihres überdurchschnittlich hohen zeitlichen Aufwands zu einem Verdienstausfall bei ihr führten.

    Der Kläger beantragt,

    das Arbeitsamt xxxx- Familienkasse - unter Aufhebung des Bescheids vom 11.2.1998 und der dazu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 15.7.1998 zu verpflichten, ab August 1997 auch für das Pflegekind U Kindergeld an ihn zu zahlen.

    Die Familienkasse beantragt,

    die Klage abzuweisen.

    Sie ist der Auffassung, die an den Kläger und seine Ehefrau im Zusammenhang mit der Pflegschaft gezahlten Bezüge seien so erheblich, daß das Kind U nur noch zu einem unwesentlichen Teil auf Kosten des Klägers unterhalten werde, § 32 Abs. 1 Nr. 2 Einkommensteuergesetz (EStG). Es sei daher nicht als Pflegekind des Klägers anzuerkennen.

    Das Gericht hat beim Jugendamt des Landkreises xxxx Unterlagen über die Verwaltungsanweisungen und Grundsätze zur finanziellen Ausstattung der Erziehungsstellen in Hessen angefordert. Von den daraufhin übersandten Unterlagen wird Bezug genommen auf den Beschluß der Schiedsstelle der Jugendhilfekommission Hessen vom 5.12.1997 und auf die Entgeltvereinbarungen für den Bereich der Kinder- und Jugendhilfe für den Zeitraum vom 1.4. bis 30.6.1998 nebst Anlagen, die in dem gelben Heftstreifen der Gerichtsakte als Anlage beigefügt sind.

    Dem Gericht hat bei seiner Entscheidung außerdem die Kindergeldakte des Klägers vorgelegen.

    Gründe

    Die Klage ist begründet.

    Dem Kläger steht Kindergeld auch für das ab August 1997 in seinem Haushalt aufgenommene Pflegekind U zu.

    1. Nach § 64 Abs. 2 Satz 1 EStG wird das Kindergeld demjenigen gezahlt, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat. Als Kinder im Sinne dieser Vorschrift werden berücksichtigt die Kinder im Sinne des § 32 Abs. 1 EStG (§ 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG). Dazu gehören nach § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG auch Pflegekinder.

    Pflegekinder sind Personen, mit denen der Steuerpflichtige durch ein familienähnliches, auf längere Dauer berechnetes Band verbunden ist, sofern er sie in seinen Haushalt aufgenommen hat und das Obhuts- und Pflegeverhältnis zu den Eltern nicht mehr besteht und der Steuerpflichtige sie mindestens zu einem nicht unwesentlichen Teil auf seine Kosten unterhält, § 32 Abs. 1 Nr. 2 EStG.

    2. Nach Auffassung der Beteiligten und nach dem Inhalt der Akten ist es unstreitig, daß der Kläger das Kind U in seinen Haushalt aufgenommen und zusammen mit seiner Frau zu ihm ein familienähnliches, auf längere Dauer berechnetes Verhältnis begründet hat und daß das Kind U seither in keinem Obhuts- oder Pflegeverhältnis zu seinen leiblichen Eltern steht. Streitig ist einzig, ob der Kläger U auch zu einem nicht unwesentlichen Teil auf eigene Kosten unterhält.

    3. Die Rechtsprechung und die Verwaltung haben mit unterschiedlichen Zielrichtungen versucht, das Merkmal des nicht unwesentlichen Kostenbeitrags zu konkretisieren.

    a) Der Bundesfinanzhof (BFH) ist der Auffassung, daß Pflegeeltern einen nicht unwesentlichen Unterhaltsbeitrag leisten, wenn sie etwa 20 v.H. der gesamten Unterhaltskosten des Kindes tragen. Dieser Anteil sei regelmäßig erbracht, wenn das Kind im Haushalt der Pflegeeltern lebe und von diesen - zumindest teilweise - betreut werde. Unter diesen Voraussetzungen sei davon auszugehen, daß bei der Betreuung üblicherweise zusätzliche Kosten anfallen, die im Verhältnis zum notwendigen gesamten Unterhalt nicht unwesentlich sind.

    Eine andere Beurteilung sei allerdings dann angezeigt, wenn die Pflegeeltern ein erheblich über den eigentlichen Unterhaltskosten des Kindes liegendes Entgelt erhalten würden und sie für die Unterbringung und die Betreuung des Kindes nach marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten entlohnt würden. In einem solchen Fall seien auch die im Rahmen der Betreuung anfallenden zusätzlichen Ausgaben mit abgegolten (Urteil des BFH vom 12. Juni 1991 III R 109/89, BFHE 165, 201; Bundessteuerblatt -BStBl- II 1992, 20).

    b) Die Finanzverwaltung geht grundsätzlich davon aus, daß Pflegeeltern einen nicht unwesentlichen eigenen Unterhaltsbeitrag leisten, wenn sie für das Pflegekind zwar Pflegegeld erhalten, diese Bezüge aber insgesamt nicht das vom zuständigen Jugendamt zu leistende Pflegegeld (Grundbetrag und Erziehungsbeitrag, § 39 Abs. 2 SGB VIII) übersteigen. Aber auch dann, wenn die Pflegeeltern ein höheres Pflegegeld erhalten, könne von einem nicht unwesentlichen Unterhaltsbeitrag der Pflegeeltern ausgegangen werden, wenn sie im Jahresdurchschnitt mindestens einen eigenen monatlichen Kostenbeitrag von 250,-- DM leisteten (Abschnitt 177 Abs. 4 Einkommensteuerrichtlinien 1998; Abschnitt 63.2.2.5 der Dienstanweisung zur Durchführung des steuerlichen Familienleistungsausgleichs 1998 in BStBl I 1998, 386 ff).

    c) Aus diesen Äußerungen läßt sich der Grundsatz ableiten, daß Pflegeeltern das in ihren Haushalt aufgenommene und von ihnen erzogene Kind auch dann grundsätzlich zu einem nicht unwesentlichen Teil auf eigene Kosten unterhalten, wenn sie aus Anlaß der übernommenen Pflegschaft ein Pflegegeld erhalten, das die auf gesetzlicher Grundlage festgelegten Entgelte nicht übersteigt. In gleichem Sinn hat sich das FG Münster mit Urteil vom 30. Juli 1998 - 3 K 7530/97 Kg - (Entscheidungen der Finanzgerichte -EFG- 1999, 74) geäußert. Soweit das FG Schleswig-Holstein mit Urteil vom 27. April 1994 - II 364/93 - (EFG 1994, 752) zu einem anderen Ergebnis gekommen ist, lag dieser Entscheidung ein gänzlich anderer Sachverhalt zugrunde.

    4. Nach den vorstehenden Grundsätzen haben der Kläger und seine Frau einen nicht unwesentlichen Teil der Kosten für die Erziehung des Pflegekindes U getragen, denn das ihnen gewährte Pflegegeld hat die gesetzlich vorgesehenen und landesrechtlich geregelten Sätze der Jugendämter für die Übernahme einer Kinder-Pflegschaft nicht überschritten.

    a) Auf der Grundlage des jetzigen § 39 Abs. 2 SGB VIII hat das Hessische Ministerium für Jugend, Familie und Gesundheit mit Erlaß vom 25. August 1993 (Staatsanzeiger für das Land Hessen -StAnz- 1993, 2263) erstmals die Modalitäten und die Höhe des Pflegegeldes festgelegt. Danach betrugen der Grundbetrag bei Vollzeitpflege eines 8-14-jährigen Kindes zunächst 824,-- DM und der Erziehungsbeitrag 300,-- DM monatlich. Der Grundbetrag ist mit Wirkung vom 1.7.1997 auf 864,-- DM angehoben worden (StAnz 1998, 81); außerdem ergibt sich aus den vorliegenden Unterlagen, daß der Erziehungsbeitrag bis 1997 um 10 v.H. erhöht worden ist. Dabei ist jedoch zu beachten, daß diese Beträge die Kosten für die Übernahme der Pflegschaft eines Kindes beinhalten, dessen Erziehung keinen pädagogischen Mehrbedarf erfordert. Im Streitfall ist jedoch ein Mehrbedarf für die Erziehung des verhaltensgestörten Kindes U angefallen.

    Liegt ein besonderer Bedarf für die Erziehung und Betreuung eines Jugendlichen vor, so ist nach Ziffer 2.1 des Erlasses des Hessischen Ministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit vom 25. August 1993 das Pflegegeld „angemessen zu erhöhen”. Diese Erhöhung des Pflegegeldes ist zwischen den Jugendämtern und dem LWV kontrovers diskutiert worden, so daß zur Beilegung der Differenzen und zur umfassenden Klärung der Rechtslage im Jahr 1997 die Schiedsstelle der Jugendhilfekommission angerufen worden ist. Wie sich aus deren Beschluß vom 5. Dezember 1997 - auf den Bezug genommen wird - ergibt, haben sich die beteiligten Behörden vorab darauf verständigt, daß der Erziehungsbeitrag im Falle eines Mehrbedarfs von 330,-- DM auf bis zu 1.700,-- DM erhöht werden kann. Durch diese Anhebung des Pflegegeldes soll einem erzieherischen Mehrbedarf „angemessen” Rechnung getragen werden.

    b) Im Streitfall hat der LWV das Erziehungsgeld für die Pflege von U auf monatlich 1.185,-- DM festgesetzt (Blatt 15 Kig-A) und ist damit in dem Rahmen geblieben, der durch das Gesetz und nach Auffassung der Verwaltung als „angemessener” erzieherischer Mehrbedarf anzuerkennen ist. Die übrigen Zahlungen an den Kläger und seine Frau im Zusammenhang mit der Pflegschaft für U übersteigen ebenfalls die von Gesetzes wegen vorgesehenen Entgelte nicht. Der Kläger hat damit keine höheren Bezüge für die Pflegschaft erhalten, als die Jugendämter nach landesrechtlicher Regelung in vergleichbaren Fällen allgemein zahlen. Da das Pflegegeld der Jugendämter grundsätzlich nur die notwendigen Kosten für den Unterhalt und die Erziehung eines Pflegekindes abdecken sollen (§ 39 Abs. 1 SGB VIII), kann nach Auffassung des Senats nicht davon ausgegangen werden, daß der Kläger im Streitfall einen Unterhaltsbeitrag für U erhalten hat, der nach marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten bemessen worden ist, auch wenn die absolute Höhe der Zahlung an ihn dem durchschnittlichen monatlichen Nettoeinkommen eines Arbeitnehmers nahe kommt.

    c) Damit halten sich die vom LWV im Zusammenhang mit der Pflegschaft von U an den Kläger und seine Frau geleisteten Zahlungen innerhalb des Rahmens, der durch Gesetz und die dazu ergangenen Verwaltungsvorschriften aufgestellt worden ist. Diese Zahlungen decken nur den durch die Pflegschaft ausgelösten notwendigen Bedarf ab. Trotz des erheblichen Erstattungsbetrages ist daher davon auszugehen, daß der Kläger und seine Frau durch ihr eigenes erzieherisches Engagement für U zusätzlich geltwerte Leistungen in einem nicht unwesentlichen Umfang erbringen. U ist danach auch im steuerrechtlichen Sinn als Pflegekind des Klägers und seiner Frau anzuerkennen mit der Folge, daß dem Kläger Kindergeld für U zusteht.

    5. Die Kosten der erfolgreichen Klage hat der Beklagte zu tragen, § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Entscheidung über die Zuziehung des Bevollmächtigten im Vorverfahren folgt aus § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 151 Abs. 3 i.V.m. § 155 FGO und §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozeßordnung. Die Revision war wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache zuzulassen, § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.

    VorschriftenEStG § 32 Abs. 1 Nr. 2, EStG § 64 Abs. 2