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  • 15.02.2012 · IWW-Abrufnummer 120308

    Kammergericht Berlin: Beschluss vom 11.11.2011 – (4) 1 Ss 334/11 (270/11)

    Zwischen einer Trunkenheitsfahrt (§ 316 StGB) und dem zeitgleich verwirklichten Besitz von Betäubungsmitteln (§ 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG) besteht keine Tatidentität im Sinne des § 264 StPO, wenn kein innerer Beziehungs- bzw. Bedingungszusammenhang zum Fahrvorgang besteht; allein die Gleichzeitigkeit und die enge örtliche Verknüpfung der Handlungen führt nicht zur Annahme einer prozessualen Tat.


    Diese Entscheidung ist x rechtskräftig nicht rechtskräftig

    KAMMERGERICHT

    Beschluss

    Geschäftsnummer:
    (4) 1 Ss 334/11 (270/11)___________
    (284a Ds) 5 Op Js 289/10 Ns (67/10)

    In der Strafsache gegen

    wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln

    hat der 4. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin
    am 11. November 2011 beschlossen:

    Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 28. März 2011 wird nach § 349 Abs. 2 StPO verworfen.

    Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

    G r ü n d e :

    Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln unter Einbeziehung der Strafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 4. Januar 2010 – 303 Cs 307/09 – zu einer Gesamtgeldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 15 Euro verurteilt, ihm Zahlungserleichterungen (§ 42 StGB) bewilligt und die im einbezogenen Strafbefehl erkannte Sperre für Fahrerlaubnis aufrecht erhalten.

    Gegen das Urteil wendet sich der Angeklagte mit der Sprungrevision. Neben der allgemein erhobenen Sachrüge macht er mit der Verfahrensrüge geltend, dass Strafklageverbrauch eingetreten sei und das Amtsgericht der Verurteilung eine Tat zu Grunde gelegt habe, die nicht von der Anklage erfasst gewesen sei.

    Die mit der Verfahrensrüge geltend gemachten Rechtsfehler betreffen Voraussetzungen des Verfahrens und sind daher vom Revisionsgericht von Amts wegen zu prüfen. Ein Verfahrenshindernis besteht nicht.

    1. Das Amtsgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:

    Der Angeklagte entschloss sich in den Morgenstunden des 8. Oktober 2009 im Lokal „V.-Stübchen“ nach einem Streit mit seiner Freundin über das Ausführen des Hundes dazu, mit dem PKW eines Bekannten nach Hause zu fahren, den Hund zu holen und in das Lokal zurückzukehren. Weil er sich müde fühlte, nahm er im Lokal ein Amphetamingemisch zu sich, das er dort unentgeltlich erhalten hatte. Da er mehr Amphetamingemisch erhalten, als er im Lokal – in Wasser aufgelöst – zu sich genommen hatte, steckte er die verbliebene Restmenge des Gemisches, 552 Milligramm, in seine Bauchtasche, fuhr mit dem Auto seines Bekannten nach Hause und holte den Hund. Als er den PKW auf dem Rückweg in das „V.-Stübchen“ führte, geriet er um 2.50 Uhr auf dem B. Damm in eine Polizeikontrolle. „Hierbei führte der Angeklagte immer noch in seiner Bauchtasche die 552 Milligramm Amphetamingemisch mit sich.“ Auf dem Polizeiabschnitt wurde es in seiner Bauchtasche gefunden.

    2. Der Verfolgung der vom Amtsgericht abgeurteilten Tat steht nicht das Verfahrenshindernis des Strafklageverbrauchs entgegen.

    a) Mit Strafbefehl vom 4. Januar 2010, rechtskräftig seit dem 2. Oktober 2010, hat das Amtsgericht Tiergarten den Angeklagten wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr in Tateinheit mit Fahren ohne Fahrerlaubnis zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 15 Euro verurteilt und eine Sperre für die Erteilung der Fahrerlaubnis bis zum 1. Oktober 2011 verhängt. Dem Strafbefehl lagen folgende Feststellungen zu Grunde: Am 8. Oktober 2009 um 2.50 Uhr befuhr der Angeklagte in Berlin-Spandau fahruntauglich in Folge Alkoholgenusses und ohne Fahrerlaubnis mit dem PKW SAW-… den B. Damm.

    b) Diese Verurteilung hat zu keinem Strafklageverbrauch geführt.

    „Tat“ im Sinne des Art. 103 Abs. 3 GG ist der geschichtliche – und damit zeitlich und sachverhaltlich begrenzte – Vorgang, auf den Anklage und Eröffnungsbeschluss hinweisen und innerhalb dessen der Angeklagte als Täter oder Teilnehmer einen Straftatbestand verwirklicht haben soll (vgl. BVerfG, 2. Senat 1. Kammer, Nichtannahmebeschluss vom 16. März 2006 - 2 BvR 111/06 – m.w.N. [Juris]). Ob verschiedene Urteile dieselbe Tat im Sinne des Art. 103 Abs. 3 GG betreffen, ist unabhängig von dem Begriff der Tateinheit (§ 52 StGB) zu beurteilen, weil die Rechtsfiguren der Tateinheit (§ 52 StGB) und der Tatidentität (Art. 103 Abs. 3 GG) verschiedene Zwecke verfolgen. Ein durch den Rechtsbegriff der Tateinheit (§ 52 StGB) zusammengefasster Sachverhalt wird jedoch in der Regel auch verfassungsrechtlich eine einheitliche prozessuale Tat darstellen. Umgekehrt bilden mehrere im Sinne von § 53 StGB sachlich-rechtlich selbständige Handlungen grundsätzlich nur dann eine einheitliche prozessuale Tat, wenn die einzelnen Handlungen nicht nur äußerlich ineinander übergehen, sondern wegen der ihnen zugrunde liegenden Vorkommnisse unter Berücksichtigung ihrer strafrechtlichen Bedeutung auch innerlich derart miteinander verknüpft sind, dass der Unrechts- und Schuldgehalt der Handlung nicht ohne die Umstände, die zu der anderen Handlung geführt haben, richtig gewürdigt werden kann und ihre getrennte Würdigung und Aburteilung als unnatürliche Aufspaltung eines einheitlichen Lebensvorgangs empfunden würde (vgl. Senat NStZ-RR 2008, 48; BVerfG Beschluss vom 16. März 2006 – 2 BVR 111/06 - [Juris]; BGH NJW 2005, 836 m.w.N.).

    Zwischen Straftaten, die im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeuges begangen werden, und dem unerlaubten Besitz von Betäubungsmitteln während dieser Fahrten besteht verfahrensrechtlich keine Tatidentität im Sinne des § 264 StPO, wenn der Betäubungsmittelbesitz in keinem inneren Beziehungs- bzw. Bedingungszusammenhang mit dem Fahrvorgang steht (vgl. BGH NStZ 2009, 705; NStZ 2004, 694; OLG Hamm, Beschluss vom 14. September 2009 – 2 Ss 319/09 – [Juris]). Zwar ist ein solcher Zusammenhang denkbar, etwa wenn die Fahrt mit dem PKW den Zweck verfolgt hat, die mitgeführten Drogen an einen sicheren Ort zu bringen (vgl. BGH NStZ 2009, a.a.O.). Aber allein die Gleichzeitigkeit und eine enge örtliche Verknüpfung der strafbaren Handlungen führt nicht zur Annahme einer Tat im Sinne des § 264 StPO, also eines einheitlichen Lebensvorgangs, der durch getrennte Würdigung und Aburteilung unnatürlich aufgespalten würde (vgl. BGH NStZ 2004, a.a.O.; Senat a.a.O.).

    Ein innerer Beziehungs- bzw. Bedingungszusammenhang zwischen dem Führen des PKW unter Alkoholeinfluss und dem Besitz des Betäubungsmittels ist nicht gegeben. Ob ein solcher Zusammenhang zwischen dem Konsum des Amphetamins vor Fahrtantritt und der anschließenden Fahrt bestand, weil der Angeklagte das Rauschmittel zur Bekämpfung seiner Müdigkeit genommen hat, kann vorliegend dahinstehen. Denn jedenfalls zwischen der hier verfahrensgegenständlichen Tat, dem Besitz des nicht konsumierten Amphetamins während der Fahrt, und der bereits abgeurteilten Tat, dem Führen des PKW, bestand kein innerer Zusammenhang. Soweit die Verteidigung diesen damit zu begründen sucht, dass der Angeklagte das Amphetamingemisch „an sich“ und „mit sich“ genommen habe, „um der Müdigkeit entgegen zu wirken“ (Revisionsbegründung) bzw. er „eine kleine Restmenge“ bei sich geführt habe, „um auch bei dieser Fahrt notfalls darauf zurückgreifen zu können, falls die Müdigkeit ihn erneut übermannt“ (Gegenerklärung), handelt es sich um urteilsfremdes Vorbringen. In den Urteilsgründen findet eine solche Motivation für das Einstecken und den Besitz des Amphetaminsgemisches keine Erwähnung, und sie bieten dafür auch keine Stütze.

    3. Das Amtsgericht hat – entgegen dem Vorbringen der Verteidigung – auch nicht den Rahmen der von der zugelassenen Anklageschrift umgrenzten Tat im prozessualen Sinn verlassen.

    Mit der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklageschrift vom 26. Februar 2010 hat die Staatsanwaltschaft dem Angeklagten zur Last gelegt, am 8. Oktober 2009 gegen 3.00 Uhr in seiner Bauchtasche 552 mg eines Amphetamingemisches bei sich geführt zu haben. Dieser Tatvorwurf ist Gegenstand des Verfahrens und Grundlage des angefochtenen Urteils geworden. Dass das Amtsgericht im Rahmen der rechtlichen Ausführungen angreifbar argumentiert hat, verhilft dem Rechtsmittel nicht zum Erfolg, weil die Entscheidung in der Sache nicht rechtsfehlerhaft ist.

    4. Die allgemein erhobene Sachrüge deckt keine den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler auf.

    5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.

    RechtsgebieteStGB, StVG, BtMG, StPO, GGVorschriftenStGB 316 StGB; § 21 Abs. 1 Nr. 1 StVG; § 29 Abs. 1 Nr. 3 BtMG; StPO 264; Art 103 Abs. 3 GG