Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • 13.09.2012 · IWW-Abrufnummer 122823

    Landgericht Saarbrücken: Beschluss vom 22.06.2012 – 13 S 12/12

    Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.


    13 S 12/12
    16 C 225/11 (13) Amtsgericht Homburg
    verkündet am 22. Juni 2012

    LANDGERICHT SAARBRÜCKEN

    Beschluss

    In dem Rechtsstreit XXX

    hat die 13. Zivilkammer des Landgerichts Saarbrücken auf die mündliche Verhandlung vom 1. Juni 2012 durch XXX b e s c h l o s s e n :

    I. Das Verfahren wird ausgesetzt.

    II. Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts gemäß Art. 267 Abs. 1 Buchstabe b, Abs. 2 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) folgende Fragen vorgelegt:

    1. Ist Art. 21 Abs. 5 der Richtlinie 2009/103/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung und die Kontrolle der entsprechenden Versicherungspflicht (ABl. EG L Nr. 263 S. 11-31; im Folgenden Richtlinie 2009/103/EG) dahin auszulegen, dass die Befugnisse des Schadensregulierungsbeauftragten eine passive Zustellungsvollmacht für das Versicherungsunternehmen umfassen, so dass in dem Klageverfahren des Geschädigten gegen das Versicherungsunternehmen auf Ersatz des Unfallschadens eine gerichtliche Zustellung mit Wirkung gegen das Versicherungsunternehmen an den von ihm benannten Schadensregulierungsbeauftragten bewirkt werden kann?

    Falls die Frage zu 1) bejaht wird:

    2. Entfaltet Art. 21 Abs. 5 der Richtlinie2009/103/EG unmittelbare Wirkung dergestalt, dass sich der Geschädigte vor dem nationalen Gericht darauf berufen kann mit der Folge, dass das nationale Gericht von einer gegenüber dem Versicherungsunternehmen wirksamen Zustellung auszugehen hat, wenn eine Zustellung an den Schadensregulierungsbeauftragten „als Vertreter“ des Versicherungsunternehmens bewirkt worden ist, eine Zustellungsvollmacht jedoch weder rechtsgeschäftlich erteilt worden ist, noch das nationale Recht für diesen Fall eine gesetzliche Zustellungsvollmacht begründet, die Zustellung jedoch im Übrigen alle durch das nationale Recht vorgeschriebenen Voraussetzungen erfüllt?

    Gründe

    I.

    1 Die in Deutschland ansässige Klägerin macht Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall geltend, der sich am ... in ... ereignete und an dem neben dem klägerischen Lkw ein bei der beklagten Versicherung mit Sitz in Frankreich haftpflichtversicherter Pkw beteiligt war.

    2 Das Erstgericht hat die Klageschrift an die von der Beklagten vorprozessual benannte Regulierungsbeauftragte mit Sitz in Deutschland, die ... Versicherungs AG, „als Vertreterin“ der Beklagten zugestellt. Die ... Versicherungs AG hat die Klageschrift zurückgeschickt und erklärt, für die Beklagte nicht zustellungsbevollmächtigt zu sein.

    3 Die Klägerin vertritt die Auffassung, die Regulierungsbeauftragte der Beklagten sei kraft Gesetzes für die Klage auf Ersatz des Unfallschadens zustellungsbevollmächtigt. Sie hat es abgelehnt, die Klageschrift nebst Anlagen zwecks Zustellung an die Beklagte im Ausland übersetzen zu lassen oder dafür einen Kostenvorschuss einzuzahlen.

    4 Erstinstanzlich hat sie Reparaturkosten, Sachverständigenkosten sowie eine Auslagenpauschale, insgesamt 2.382,89 € nebst Zinsen geltend gemacht und den Erlass eines Versäumnisurteils beantragt.

    5 Die Beklagte hat sich erstinstanzlich nicht an dem Verfahren beteiligt.

    6 Das Erstgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Klage sei nicht wirksam zugestellt worden. Die Klage sei an die Beklagte an ihrem Sitz im Ausland zuzustellen gewesen, da die Regulierungsbeauftragte der Beklagten in Deutschland nicht zustellungsbevollmächtigt sei. Eine wirksame Zustellung an die Beklagte im Ausland sei jedoch nicht möglich, da die Klägerin die Klageschrift weder habe übersetzen lassen, noch einen Vorschuss dafür eingezahlt habe.

    7 Mit ihrer hiergegen gerichteten Berufung verfolgt die Klägerin ihre Klage weiter.

    8 Die Beklagte beantragt, die Berufung als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise, die Berufung zurückzuweisen. Sie verteidigt die angegriffene Entscheidung.

    II.

    9 Gemäß Art. 267 AEUV ist unter Aussetzung des Berufungsverfahrens eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union einzuholen, weil die Entscheidung der Kammer über die form- und fristgerecht eingelegte, mithin zulässige Berufung der Klägerin von der Beantwortung der an den Gerichtshof gestellten Fragen zur Auslegung der Richtlinie 2009/103/EG abhängt.

    10 1. Die Kammer ist für die Klage gegen das ausländische Versicherungsunternehmen wegen der behaupteten Schäden aus dem Verkehrsunfall international zuständig. Der Geschädigte kann vor dem Gericht des Ortes in einem Mitgliedstaat, an dem er seinen Wohnsitz hat, eine Klage unmittelbar gegen den Versicherer des Schädigers erheben, sofern eine solche unmittelbare Klage zulässig und der Versicherer im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats ansässig ist (Art. 11 Abs. 2 i.V.m. Art. 9 Abs. 1 b EuGVVO; Gerichtshof, Urteil vom 13. Dezember 2007 – C-463/06, Odenbreit, Slg. 2007 I-11321-1136; BGH, Urteil vom 7. Dezember 2010 – VI ZR 48/10VI ZR 48/10, MDR 2011, 121-121, mwN.; Urteil der Kammer vom 9. März 2012 – 13 S 51/11). Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Insbesondere besteht aufgrund der in Art. 18 der Richtlinie 2009/103/EG enthaltenen Verpflichtung in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, mithin auch in Frankreich, ein Direktanspruch des Geschädigten gegen den Haftpflichtversicherer des Schädigers (vgl. Art. 18 Rom-II-VO, Art. 124-3 Code des Assurances; zur 4. Kraftfahrzeughaftpflicht-Richtlinie auch BGH, Urteil vom 7. Dezember 2010 aaO; Urteil der Kammer vom 9. März 2012 aaO).

    11 2. Wenn beide Vorlagefragen zu bejahen wären, hätte die Berufung einen Teilerfolg. Entgegen der angefochtenen Entscheidung wäre die Klage zulässig. Die Begründetheit der Klage hinge dann von der Aufklärung des streitigen Unfallhergangs ab. Wenn eine der Vorlagefragen zu verneinen wäre, wäre die Berufung hingegen unbegründet. Das Erstgericht hätte die Klage zu Recht als unzulässig abgewiesen.

    12 a) Die Frage, ob die Zustellung der Klage wirksam und die Klage rechtshängig geworden ist, beurteilt sich nach dem deutschen Zivilprozessrecht. Denn das deutsche Recht bestimmt autonom, unter welchen tatsächlichen Umständen eine Auslandszustellung notwendig ist oder ob die Inlandszustellung genügt. Das gilt grundsätzlich auch für die Zustellung von den Prozess einleitenden Schriftstücken (BGH, Urteil vom 7. Dezember 2010 aaO; Geimer in: Zöller, ZPO, 28. Aufl. 2010, § 183 Rdn. 14, 18 und 21; Geimer, Internationales Zivilprozessrecht, 6. Aufl. 2009, Rdn. 2080 mwN.).

    13 b) Die Zustellung der Klageschrift an die ... Versicherungs AG genügt nach deutschem Recht allen Anforderungen an eine wirksame Zustellung bis auf die Auswahl des richtigen Zustellungsadressaten. Zur wirksamen Begründung eines Prozessrechtsverhältnisses muss die Klageschrift dem richtigen Zustellungsadressaten zugestellt werden (vgl. etwa BGHZ 61, 308; BGH v. 28. November 2006 – VIII ZB 52/06, MDR 2007, 479 f.; Hüßtege in: Thomas/Putzo, ZPO, 32. Aufl. 2011, Vorbem. § 166 Rdn. 18). Richtiger Zustellungsadressat ist grundsätzlich die beklagte Partei. Eine Ausnahme, wonach eine Klageschrift dem Schadensregulierungsbeauftragten als Vertreter des Versicherungsunternehmens mit Wirkung gegen dieses zugestellt werden könnte, enthalten weder die Zivilprozessordnung noch das zur Umsetzung der Richtlinie 2000/26/EG (Vierte Kraftfahrzeughaftpflicht-Richtlinie) ergangene Gesetz zur Änderung des Pflichtversicherungsgesetzes und anderer versicherungsrechtlicher Vorschriften vom 10. Juli 2002 (BGBl. I, S. 2586). Eine Heilung der an den falschen Zustellungsadressaten vorgenommenen Zustellung scheidet nach § 189 ZPO aus, wenn das zuzustellende Dokument – wie hier – dem richtigen Zustellungsadressaten nicht zugegangen ist.

    14 c) Dem deutschen Recht kann eine passive Zustellungsvollmacht des Schadensregulierungsbeauftragten auch nicht im Wege der richtlinienkonformen Auslegung entnommen werden. Zwar muss das nationale Gericht seine Auslegung des nationalen Rechts soweit wie möglich am Wortlaut und Zweck der einschlägigen Richtlinie ausrichten, um das mit der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen (vgl. Gerichtshof, Urteil vom 13. November 1990 – C-106/89, Marleasing, Slg. 1990, I-4135; Urteil vom 16. Dezember 1993 – C-334/92, Wagner Miret, Slg. 1993, I-6911; Urteil vom 14. Juli 1994 – C-91/92, Paola Faccini Dori, Slg. 1994, I-3325; Urteil vom 5. Oktober 2004 – C-397/01-403/01, Pfeiffer u.a., Slg. 2004 I-8878; Urteil vom 4. Juli 2006 – C-212/04, Adeneler u. a., Slg. 2006, I 6057; Urteil vom 22. Dezember 2008 – C-414/07, Magoora, Slg. 2008, I-10921). Auch kennt das deutsche Recht in §§ 170 ff. ZPO Ausnahmen vom Grundsatz der Zustellung an die beklagte Partei. Das deutsche Zivilprozessrecht steht einer sich aus anderen Rechtsquellen ergebenden Zustellungsvollmacht deshalb nicht grundsätzlich entgegen. Die gesetzlich geregelten Ausnahmen sind jedoch abschließend und lassen nach ihrer Formulierung keinen Raum für die Einbeziehung des Schadensregulierungsbeauftragten im Wege der richtlinienkonformen Auslegung.

    15 d) Danach wäre die hier zu beurteilende Zustellung nur wirksam, wenn der Regulierungsbeauftragte gemäß Art. 21 Abs. 5 der Richtlinie 2009/103/EG prozessual zustellungsbevollmächtigt für das Versicherungsunternehmen wäre und sich die Klägerin darauf im vorliegenden Rechtsstreit berufen könnte.

    16 e) Eine Entscheidung der Vorlagefrage ist auch nicht etwa entbehrlich, weil die Klage selbst im Falle einer wirksamen Zustellungsvollmacht aus materiellrechtlichen Gründen keinen Erfolg hätte. Die Frage nach der Zulässigkeit der Klage darf schon deshalb nicht offen bleiben, weil ein absoluter Vorrang der Zulässigkeits- vor der Begründetheitsprüfung besteht. Denn nur die Sachentscheidung über die Begründetheit hat volle Rechtskraftwirkung (vgl. BGH, Urteil vom 19. Juni 2000 – II ZR 319/98, NJW 2000, 3718-3720 mwN; Greger in: Zöller aaO, Vor § 253 Rdn. 10).

    17 4. Die Vorlagefrage 1) ist in der deutschen Rechtsprechung und Literatur umstritten.

    18 a) Teilweise wird angenommen, aus der Richtlinie 2000/26/EG, die im Wesentlichen in der Richtlinie 2009/103/EG aufgegangen ist, ergebe sich, dass der Regulierungsbeauftragte anstelle des Versicherungsunternehmens zustellungsbevollmächtigt sein müsse (vgl. AG Achern DAR 2010, 476; Riedmeyer zfs 2008, 602, 605, ders. DAR 2004, 203, 206; Staudinger/Czaplinski NJW 2009, 2249, 2253; Nugel, jurisPR-VerkR 7/2009 Anm. 3; Fucks IPrax 2012, 140 ff., mwN; Staudinger, KammerForum 2010, 165; Backu in: Feyock/Jacobsen/Lemor, Kraftfahrtversicherung, 3. Aufl. 2009, AuslUnf Rdn. 7; Nissen in: Himmelreich/Halm/Staab, Handbuch der Kfz-Schadensregulierung, 2. Aufl. 2012, Kap. 25 Rdn. 69; Riedmeyer in: Stiefel/Maier, Kraftfahrtversicherung, 18. Aufl. 2010, AuslUnf Rdn. 121; 47. Deutscher Verkehrsgerichtstag, Arbeitskreis I der Deutschen Akademie für Verkehrswissenschaft e.V., http://www.deutsche-verkehrsakademie.de/images/stories/pdf/empfehlungen_47vgt.pdf; unklar Becker DAR 2008, 187, 191). Dafür spreche der Wortlaut des Art. 21 Abs. 5 der Richtlinie 2009/103/EG (entsprechend Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie 2000/26/EG) und der Erwägung 37 der Richtlinie 2009/103/EG (entsprechend Erwägung 15 der Richtlinie 2000/26/EG), wonach Schadensregulierungsbeauftragte über ausreichende Befugnisse verfügen sollten, um das Versicherungsunternehmen gegenüber den Geschädigten auch gegenüber den Gerichten zu vertreten. Für diese Auslegung spreche ferner, dass nach Erwägung 34 Satz 2 der Richtlinie 2009/103/EG (entsprechend Erwägung 12 der Richtlinie 2000/26/EG) der Schaden, der außerhalb des Wohnsitzmitgliedstaats des Geschädigten eintritt, in einer Weise abgewickelt werde, die dem Geschädigten vertraut sei (vgl. Staudinger/Czaplinski, NJW 2009, 2249, 2253). Gestützt werde diese Meinung weiter durch Erwägung 38 der Richtlinie 2009/103/EG (entsprechend Erwägung 16 der Richtlinie 2000/26/EG). Die Bestimmung, wonach allein durch die Tätigkeit des Schadensregulierungsbeauftragten kein Gerichtsstand begründet werden solle, sei überflüssig, wenn der Schadensregulierungsbeauftragte als rechtlich selbständige Einrichtung in einem Gerichtsverfahren ohne jede Bedeutung wäre (vgl. Riedmeyer aaO; Baku aaO). Allein dieses Verständnis sei auch prozessökonomisch und diene der Erleichterung der Verfolgung von Auslandsschäden für den Geschädigten im Inland (Nugel aaO; Riedmeyer aaO).

    19 b) Die Gegenauffassung (KG, VersR 2009, 93 f.; Saarländisches Oberlandesgericht, IPrax 2012, 157 ff.; LG Saarbrücken NJW-RR 2011, 968 f.; AG München zfs 2011, 677 f.; Geimer in: Zöller aaO, § 183 Rdn. 21, Diehl zfs 2011, 678) beruft sich ebenfalls auf den Wortlaut der Richtlinie 2009/103/EG (bzw. der vorausgegangenen Richtlinie 2000/26/EG). Aus ihm ergebe sich nicht, dass der Schadensregulierungsbeauftragte für die Zustellung von Klagen als bevollmächtigt gelte. Aus den Erwägungen 37 und 38 der Richtlinie 2009/103/EG (15 und 16 der Richtlinie 2000/26/EG) ergäben sich keine belastbaren Hinweise darauf, dass eine Zustellungsbevollmächtigung von Schadensregulierungsbeauftragten für gerichtliche Klagen gewollt gewesen sei. Der Umstand, dass Art. 21 Abs. 5 der Richtlinie 2009/103/EG (Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie 2000/26/EG) die Befugnis zur Vertretung des Versicherungsunternehmens vor Gerichten nicht regele, belege in Verbindung mit der in der Erwägung 37 der Richtlinie 2009/103/EG (bzw. 15 der Richtlinie 2000/26/EG) gemachten Einschränkung „soweit dies mit den Regeln des internationalen Privat- und Zivilprozessrechts (…) vereinbar ist“, dass eine Änderung des nationalen Prozessrechts nicht beabsichtigt gewesen sei. Aus Erwägung 38 der Richtlinie 2009/103/EG (bzw. 16 der Richtlinie 2000/26/EG) und Art. 21 Abs. 6 der Richtlinie 2009/103/EG (bzw. Art. 4 Abs. 8 der Richtlinie 2000/26/EG) folge ebenfalls keine Zustellungsvollmacht für Klagen. Wäre eine Zustellungsbevollmächtigung gewollt gewesen, hätte nichts näher gelegen, als dies ausdrücklich zu regeln. Denn die Richtlinie diene ausweislich Erwägung 8 der Richtlinie 2000/26/EG der Beseitigung von Regelungslücken. Da zeitgleich mit Erlass der Richtlinie 2000/26/EG die Zustellung gerichtlicher Schriftstücke im EU-Ausland durch Erlass der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 vom 29. Mai 2000 erleichtert worden sei, habe auch kein Bedürfnis für die Einführung einer Zustellungsvollmacht des Schadensregulierungsbeauftragten bestanden.

    20 c) Die Kammer neigt aus den unter a) dargestellten Gründen der erstgenannten Auffassung zu. Dass ein Schadensregulierungsbeauftragter im Zusammenhang mit der Regulierung von Unfallschäden im Grundsatz zur Vertretung des Versicherungsunternehmens befugt sein muss, ergibt sich aus dem insoweit klaren Wortlaut des Art. 21 Abs. 5 der Richtlinie 2009/103/EG. Die Erwägung 37 zeigt, dass der Richtliniengeber dabei nicht bloß eine außergerichtliche Vertretung, sondern auch eine Vertretung vor Gericht im Blick hatte. „Ausreichend“ im Sinne von Art. 21 Abs. 5 der Richtlinie 2009/103/EG ist eine Vertretungsmacht dann aber nur, wenn dem Geschädigten unabhängig davon, in welchem Land der Gemeinschaft sich der Unfall ereignet, eine vergleichbare Behandlung garantiert werden kann (vgl. nun auch Erwägung 20 der Richtlinie). Dazu bedarf es einer Zustellungsvollmacht vor Gericht. Denn das Erfordernis der Zustellung an das Versicherungsunternehmen im Ausland stellt in der Praxis ein wesentliches Erschwernis für den Geschädigten dar. Es erweist sich häufig als zeitaufwendig und fehleranfällig und produziert wegen möglicher Zurückweisungsrechte des Versicherungsunternehmens (vgl. Art. 8 der Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2007 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten („Zustellung von Schriftstücken“) und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 des Rates (ABl. EU L Nr. 324, S. 79)) hohe Übersetzungskosten. Eine Zustellung an den Schadensregulierungsbeauftragten würde dieses Erschwernis beseitigen. Ohne eine solche Zustellungsvollmacht ergäbe die Einschaltung des Schadensregulierungsbeauftragten im gerichtlichen Verfahren keinen vernünftigen Sinn, da sie zu keiner spürbaren Erleichterung für den Geschädigten führen würde. Denn da er in seinem Mitgliedstaat nach seinem vertrauten Prozessrecht in der ihm vertrauten Sprache prozessieren kann, macht es für ihn – abgesehen von der Zustellung – keinen nennenswerten Unterschied, ob ihm das Versicherungsunternehmen oder der Schadensregulierungsbeauftragte im Prozess gegenübersteht. Dieser Auslegung steht auch nicht entgegen, dass nach Erwägung 37 der Richtlinie 2009/103/EG eine Vertretungsbefugnis des Schadensregulierungsbeauftragten nur vorbehaltlich ihrer Vereinbarkeit mit den Regelungen des internationalen Privat- und Zivilprozessrechts über die Festlegung der gerichtlichen Zuständigkeiten bestehen soll. Denn die Frage, ob der Schadensregulierungsbeauftragte zustellungsbevollmächtigt ist, berührt keine Regelungen der gerichtlichen Zuständigkeiten.

    21 5. Für den Fall, dass die Vorlagefrage 1 bejaht wird, stellt sich die Vorlagefrage 2. Denn nur wenn sich der Geschädigte gegenüber den Gerichten der Mitgliedstaaten darauf berufen kann, dass sich aus der Richtlinie 2009/103/EG ergibt, dass der Regulierungsbevollmächtigte in den hier in Frage stehenden Verfahren gegen das Versicherungsunternehmen für dieses zustellungsbevollmächtigt ist, ist die Kammer berechtigt und verpflichtet, eine solche Zustellungsvollmacht zugrunde zu legen (vgl. Gerichtshof, Urteil vom 4. Dezember 1974 - Rs. 41/74, van Duyn, Slg. 1974, 1337; Urteil vom 19. Januar 1982 – Rs. 8/81, Becker, Slg. 1982, 53; Urteil vom 22. Juni 1989 – 103/88, Fratelli Costanzo, Slg. 1989, 1839).

    22 a) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs sind die Einzelnen in all den Fällen, in denen Bestimmungen einer Richtlinie inhaltlich als unbedingt und hinreichend genau erscheinen, berechtigt, sich gegenüber dem Staat auf diese Bestimmungen zu berufen, wenn der Staat die Richtlinie nicht fristgemäß in nationales Recht umsetzt oder eine unzutreffende Umsetzung der Richtlinie vornimmt (vgl. Gerichtshof, Rs. 148/78, Ratti Slg. 1979, 1629; Urteil vom 19. Januar 1982 – Rs. 8/81, Becker, Slg. 1982, 53; Urteil vom 26. Februar 1986 – Rs. 152/84, Marshall, Slg. 1986, 732; Urteil vom 22. Juni 1989 – 103/88, Fratelli Costanzo, Slg. 1989, 1839; Urteil vom 23. Februar 1994 – C-236/92, Comitatio di coordi-namento per la difesa della Cava, Slg. 1994, I-483). Dafür genügt es nicht, dass die Bestimmung programmatischen Charakter hat und lediglich die Ziele nennt, die die Mitgliedstaaten bei der Erfüllung der konkreteren Verpflichtungen zu beachten haben (vgl. Gerichtshof, Urteil vom 23. Februar 1994 – C-236/92, Comitato di coordinamento per la difesa della Casa, Slg. 1994, I-483). Umgekehrt schließt allein der Umstand, dass die Richtlinie den Rechtsetzungsorganen der Mitgliedstaaten einen Gestaltungsspielraum einräumt, nicht aus, dass der Einzelne vor den staatlichen Gerichten die Rechte und Mindestgarantien geltend machen kann, deren Inhalt sich bereits aufgrund der Richtlinie mit hinreichender Genauigkeit bestimmen lässt (vgl. Gerichtshof, Urteil vom 1. Februar 1977 – Rs. 51/76, Verbond van Nederlands Ondernemingen, Slg. 1977, 113; Urteil vom 19. Januar 1982 – Rs. 8/81, Becker, Slg. 1982, 53; Urteil vom 19. November 1991 – C-6/90 und C-9/90, Francovich, Slg. 1991, I-5357; Urteil vom 14. Juli 1994 – C-91/92, Paola Faccini Dori, Slg. 1994, I-3325).

    23 Im vorliegenden Fall neigt die Kammer zu der Ansicht, dass Art. 21 Abs. 5 der Richtlinie2009/103/EG nach Maßgabe der Grundsätze des Gerichtshofs inhaltlich unbedingt und hinreichend genau erscheint, um dem Geschädigten die Berufung auf eine passive Zustellungsvollmacht des Versicherungsunternehmens zu gestatten. Zwar lässt sich der konkrete Inhalt und die konkrete Ausgestaltung der gebotenen Vertretungsmacht dem Wortlaut der Vorschrift nicht unmittelbar entnehmen. Jedoch lässt sich aus der oben dargestellten Funktion einer solchen Zustellungsvollmacht ein durch Art. 21 der Richtlinie 2009/103/EG gebotener Mindestinhalt einer Vollmacht für die Zustellung der Klageschrift in einem gerichtlichen Verfahren bestimmen, der dem nationalen Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der innerstaatlichen Umsetzungsbestimmungen keinen substantiellen Spielraum belässt.

    24 b) Allerdings kann eine Richtlinie nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs, selbst wenn sie inhaltlich unbedingt und hinreichend genau ist, nicht selbst Verpflichtungen für einen Einzelnen begründen, so dass diesem gegenüber eine Berufung auf die Richtlinie als solche nicht möglich ist (vgl. Gerichtshof, Urteil vom 26. Februar 1986 – Rs. 152/84, Marshall, Slg. 1986, 732; Urteil vom 22. Februar 1990 – C-221/88, Busseni, Slg. I-519; Urteil vom 13. November 1990 – C-106/89, Marleasing SA; Slg. 1990, I-04135; Urteil vom 14. Juli 1994 – C-91/92, Paola Faccini Dori, Slg. 1994, I-3325; Urteil vom 7. März 1996 – C-192/94, El Corte Inglés, Slg. 1996, I-01281; Urteil vom 4. Dezember 1997 – C-97/96, Verband deutscher Daihatsu-Händler e.V., Sgl. 1997 I-6858; Urteil vom 7. Januar 2004 – C-201/02, Wells, Slg. 2004, I-723; Urteil vom 5. Oktober 2004 – C-397/01-403/01, Pfeiffer u.a., Slg. 2004, I-8878). Daraus folgt, dass sogar eine klare, genaue und unbedingte Richtlinienbestimmung, mit der dem Einzelnen Rechte gewährt oder Verpflichtungen auferlegt werden sollen, im Rahmen eines Rechtsstreits, in dem sich ausschließlich Private gegenüberstehen, nicht als solche Anwendung finden kann (Gerichtshof, Urteil vom 26. September 2000 – C-443/98 – Unilever Italia SpA, Slg. 2000 I-7565; Urteil vom 5. Oktober 2004 – C-397/01-403/01, Pfeiffer u.a., Slg. 2004, I-8878). Auch kann sich der Einzelne nicht gegenüber einem Mitgliedstaat auf eine Richtlinie berufen, wenn es sich um eine Verpflichtung des Staates handelt, die unmittelbar im Zusammenhang mit der Erfüllung einer anderen Verpflichtung steht, die aufgrund dieser Richtlinie einem Dritten obliegt (vgl. Gerichtshof, Urteil vom 22. Februar 1990 – C-221/88, Busseni, Slg. 1990, I-495; Urteil vom 4. Dezember 1997 – C-97/96, Verband deutscher Daihatsu-Händler, Slg. 1997, I-6843; Urteil vom 7. Januar 2004 – C-201/02, Delena Wells, Slg. 2004, I-723). Diese Rechtsprechung gilt jedoch nicht für den Fall, dass eine Richtlinie nicht selbst den materiellen Inhalt einer Rechtsnorm festlegt, auf deren Grundlage das nationale Gericht den bei ihm anhängigen Rechtsstreit zu entscheiden hat, und weder Rechte noch Pflichten für Einzelne begründet (vgl. Gerichtshof, Urteil vom 30. April 1996 – C-194/94 – CIA Security International SA, Slg. I-2230; Urteil vom 26. September 2000 – C-443/98 – Unilever Italia SpA, Slg. 2000 I-7565). Bloße negative Auswirkungen auf die Rechte Dritter rechtfertigen es nämlich nicht, dem Einzelnen das Recht auf Berufung auf die Bestimmungen einer Richtlinie gegenüber dem betreffenden Mitgliedstaat zu versagen (vgl. Gerichtshof, Urteil vom 22. Juni 1989 – 103/88, Fratelli Costanzo, Slg. 1989, I-1839; Urteil vom 30. April 1996 – C-194/94, CIA Security International, Slg. 1996, I-2201; Urteil vom 12. November 1996 – C-201/94, Smith & Nephew und Primecrown, Slg. 1996, I-5819; Urteil vom 26. September 2000 – C-443/98, Unilever, Slg. 2000, I-7535; Urteil vom 7. Januar 2004, – C-201/02, Delena Wells, Slg. 2004, I-723; Urteil vom 17. Juli 2008 – C-152/07C-154/07, Arcor u.a., Slg. 2008, II-5959).

    25 Die Kammer hält es für klärungsbedürftig, ob sich die Klägerin nach Maßgabe dieser Grundsätze in dem Rechtsstreit vor der Kammer auf Art. 21 der Richtlinie 2009/103/EG berufen kann. Wenn Art. 21 der Richtlinie 2009/103/EG eine Zustellungsvollmacht des Schadensregulierungsbevollmächtigten entnommen werden könnte, würde dadurch keine rechtliche Verpflichtung des Versicherungsunternehmens gegenüber dem Geschädigten begründet, aufgrund derer der Geschädigte von dem Versicherungsunternehmen ein Tun oder Unterlassen verlangen könnte. Lediglich das staatliche Prozessgericht wäre – soweit die Zustellung der Klageschrift wie nach deutschem Recht im Amtsbetrieb und nicht im Parteibetrieb vorgesehen ist – verpflichtet, die Zustellungsvollmacht bei Vornahme der Zustellung zu beachten. Freilich würden die von einer wirksamen Zustellung an den Schadensregulierungsbeauftragten ausgehenden Rechtsfolgen – nämlich die Begründung eines wirksamen Prozessrechtsverhältnisses als Voraussetzung für eine zulässige Klage zu Lasten des Versicherungsunternehmens eintreten. Dies hat das staatliche Gericht – unabhängig von dem in dem Mitgliedstaat für die Zustellung geltenden Amts- oder Parteibetrieb – im Rahmen seiner Urteilsfindung zu berücksichtigen. Die Frage, ob es sich bei diesen Folgen um eine bloße negative Auswirkung auf die Rechte Dritter handelt, die einer unmittelbaren Anwendung der Richtlinie nicht entgegensteht, soll im Hinblick auf die weiterhin umstrittenen Grenzen der unmittelbaren Wirkung von Richtlinien (vgl. etwa Siebert, Die horizontalunmittelbare Wirkung von Richtlinien, 2010; Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, 4. Aufl. 2009, § 10 Rdn. 123 f.; Schroeder in: Streinz aaO, Art. 288 AEUV Rdn. 118 f. mwN.; Herrmann EuZW 2006, 69 f. mwN.) zur Entscheidung vorgelegt werden.
    Saarbrücken, den 22. Juni 2012
    Landgericht – 13. Zivilkammer –