09.11.2012 · IWW-Abrufnummer 123316
Oberlandesgericht Hamm: Beschluss vom 13.09.2012 – III-1 RBs 112/12
Ein "Vier-Augen-Prinzip" zur Überprüfung eines Ergebnisses einer Geschwindigkeitsmessung per Laser-Messgerät gibt es nicht. Zur Feststellung des Geschwindigkeitsverstoßes sind die Grundsätze der freien Beweiswürdigung heranzuziehen.
OLG Hamm, 13.09.2012
III-1 RBs 112/12
Tenor:
Die Rechtsbeschwerde wird als unbegründet verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels trägt der Betroffene (§§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 1 StPO).
Gründe
I.
Das Amtsgericht hat den Betroffenen mit dem angefochtenen Urteil wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 160 Euro verurteilt sowie gegen ihn ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet.
Nach den Feststellungen des Amtsgerichts wurde bei dem Betroffenen mittels des Lasergeschwindigkeitsmessgerätes Riegel FG 21P innerorts bei einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h eine (nach Abzug eines Toleranzwertes) tatsächlich gefahrene Geschwindigkeit von 84 km/h gemessen.
Gegen das Urteil wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Die Generalstaatsanwaltschaft hat die Verwerfung der Rechtsbeschwerde nach § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG i.V.m. § 349 Abs. 2 StPO beantragt.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 79 Abs. 1 Nr. 3 OWiG) und zulässig. Rechtsmitteleinlegung und Rechtsmittelbegründung erfolgten fristgerecht per Computerfax mit eingescannter Unterschrift - wie der Verteidiger mit Schriftsatz vom 04.09.2012 zur Überzeugung des Senats dargelegt. Dies wahrt die Schriftform nach § 79 Abs. 3 OWiG i.V.m. § 341 StPO (vgl. GemObS Beschl. v. 05.04.2000 - NJW 2000, 2340; OLG Nürnberg NStZ-RR 2008, 316, 317; OLG Stuttgart NJW 1976, 1905) bzw. die Form der Unterzeichnung durch den Verteidiger nach § 79 Abs. 3 OWiG i.V.m. § 345 Abs. 2 StPO (GemObS a.a.O.; OLG München NJW 2003, 3429, 3430).
III.
Die Rechtsbeschwerde ist aber unbegründet.
1.
Verfolgungsverjährung ist bzgl. der Tat des Betroffenen nicht eingetreten. Die Verjährungsfrist richtet sich nach § 26 Abs. 3 StVG. Die Tat wurde am 13.11.2010 begangen. Eine erste Unterbrechung der Verjährung erfolgte nach § 33 Abs. 1 Nr. 9 OWiG durch Erlass des Bußgeldbescheids am 25.11.2010 (zugestellt am 27.11.2010). Mit Eingang der Akten beim AG Dortmund am 17.02.2011 wurde die nach Erlass des Bußgeldbescheides nunmehr sechsmonatige Verjährsfrist nach § 33 Abs. 1 Nr. 10 OWiG erneut unterbrochen. Die nächste Unterbrechung geschah durch Anberaumung eines Hauptverhandlungstermins am 21.02.2011 (§ 33 Abs. 1 Nr. 11 OWiG). In der Hauptverhandlung vom 14.06.2011 wurde der Betroffene richterlich vernommen, was wiederum zu einer Unterbrechung führte (§ 33 Abs. 1 Nr. 2 OWiG). Durch Beauftragung eines Sachverständigen wurde die Verjährungsfrist am 31.08.2011 erneut unterbrochen (§ 33 Abs. 1 Nr. 3 OWiG). Die Anberaumung des zweiten Hauptverhandlungstermins am 13.12.2011 unterbrach die Verjährung erneut. Mit Erlass des angefochtenen Urteils am 28.02.2012 ruht die Verjährung (§ 32 Abs. 1 OWiG), da zu diesem Zeitpunkt seit der Tat noch nicht mindestens 2 Jahren verstrichen waren (§ 33 Abs. 3 S. 2 OWiG).
2.
Die Verfahrensrüge der Verletzung rechtlichen Gehörs wegen Übergehens eines Beweisantrages ist jedenfalls unbegründet. Die Generalstaatsanwaltschaft Hamm hat in ihrer Antragsschrift dazu zutreffend Folgendes ausgeführt:
"Die Verfahrensrüge, mit der die Rechtsbeschwerde die Verletzung des Beweisantragsrechts beanstandet, ist jedenfalls unbegründet, wobei offen bleiben kann, ob das entsprechende Beweisbegehren den strengen Kriterien eines Beweisantrages entspricht oder ob lediglich von einem so genannten Beweisermittlungsantrag auszugehen ist. Denn die im Beschlusswege erfolgte Ablehnung nach § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.
Nach § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG kann die Tatrichterin von weiterer Beweiserhebung absehen, wenn bereits eine Beweisaufnahme über die entscheidungserheblichen Tatsachen stattgefunden hat, die nach Überzeugung der Richterin zur Klärung des wahren Sachverhalts geführt hat, und eine weitere Beweiserhebung nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist.
Nach den Darlegungen der Tatrichterin im Urteil waren diese Voraussetzungen hier erfüllt. Das Gericht hatte zu den Umständen und zur Ordnungsgemäßheit der Geschwindigkeitsmessung bereits den Zeugen und Polizeibeamten S vernommen, ohne dass sich irgendwelche Anhaltspunkte für eine fehlende Eichung, fehlerhafte Bedienung oder eine sonstige Fehlerhaftigkeit des eingesetzten (standardisierten) Messverfahrens ergeben hätten. Für die Frage, ob eine weitere Beweiserhebung erforderlich war, ist nicht entscheidend, welche Vorstellung der Betroffene vom bisherigen Beweisergebnis hat, sondern wie sich dieses der Tatrichterin darstellen musste (zu vgl. BayObLGSt 1994, 1/3 = VRS 87, 42 ff.). Fehlerquellen sind nur dann zu erörtern, wenn der Einzelfall dazu Veranlassung gibt (zu vgl. BGHSt 39, 291/297/300 f.; BayObLGSt 1998, 109/111).
Hierzu bestand aus Sicht des Tatgerichts jedoch aufgrund der im Urteil ausführlich wiedergegebenen und gewürdigten Aussage des polizeilichen Messbeamten gerade keine Veranlassung. Anhaltspunkte dafür, das Amtsgericht habe sich insoweit womöglich so sehr von einer festen Tatsachengrundlage entfernt, dass seine Feststellungen den Vorwurf einer bloßen Mutmaßung oder gar willkürlichen Bewertung rechtfertigen könnten, sind nicht erkennbar und werden auch vom Betroffenen im Rahmen der Rechtsbeschwerde nicht aufgezeigt. Aus den dargestellten Gründen erweist sich die Verfahrensrüge auch unter dem Aspekt der tatrichterlichen Aufklärungspflicht als unbegründet."
Nach den für das Rechtsbeschwerdegericht maßgeblichen Urteilsfeststellungen hat der Zeuge S ausgesagt, dass seiner Erinnerung nach das Messgerät weit vor der Eichung vom 08.06.2010 defekt gewesen sei. Auch nach Erinnerung der Zeugin L sei das Messgerät innerhalb des Eichgültigkeitszeitraums nicht defekt gewesen. Damit bestand für das Amtsgericht keine Veranlassung mehr, anhand der Lebensakte zu überprüfen, ob der Defekt nicht doch etwa während des Eichgültigkeitszeitraums vorgelegen haben könnte. Die im Rahmen der Sachrüge vorgetragenen Behauptung angeblicher anderweitiger Aussagen der Zeugen ist für das Rechtsbeschwerdeverfahren im Rahmen der Verfahrensrüge nicht relevant. Der Senat hat von den Feststellungen im Urteil auszugehen.
3.
Auch die Sachrüge hat keinen Erfolg. Das Urteil weist keine Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen auf.
Angesichts des Umstandes, dass es sich vorliegend um ein standardisiertes Messverfahren handelte und weder Anhaltspunkte dafür ersichtlich noch vorgetragen waren, dass einzelne der erforderlichen Funktionstests nicht oder nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden waren, reicht die Angabe im Urteil, dass die erforderlichen Funktionstests ausgeführt worden sind (vgl. OLG Celle NZV 2010, 414; OLG Hamm NZV 1997, 187).
Ein Vier-Augen-Prinzip zur Überprüfung des Messergebnisses gibt es — anders als der Betroffene offenbar meint - nicht. Eine entsprechende ausdrückliche verfahrensrechtliche Vorschrift ist nicht existent. Es ergibt sich auch nicht aus anderen Vorschriften oder Grundsätzen. Existiert - wie bei dem in der vorliegenden Sache eingesetzten Lasermessgerät "Riegl FG 21-P" - keine von dem technischen Messsystem selbst hergestellte fotografischschriftliche Dokumentation des Messergebnisses, sind die Fragen nach dem vom Gerät angezeigten Messwert und nach der Zuordnung des Messergebnisses zu einem bestimmten Fahrzeug unter Heranziehung der hierfür im jeweiligen Einzelfall vorhandenen Beweismittel (z. B. Zeugenaussagen der beteiligten Polizeibeamten, Messprotokoll) nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 46 Abs. 1, 71 Abs. 1 OWiG, § 261 StPO) zu klären (OLG Hamm Beschl. v. 21.06.2012 — 3 RBs 35/12 = BeckRS 2012, 18144).
Die vermeintlichen Widersprüche im Urteil zur Frage des Defekts im Eichgültigkeitszeitraum vermag der Senat nicht zu erblicken. Auch hat das Amtsgericht ausdrücklich festgestellt, dass der bei der Anpeilung des Fahrzeugs des Betroffenen dessen Frontkontur nicht verlassen wurde, so dass schon deswegen keine weiteren Fahrzeuge erfasst worden sein konnten.
Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass der — von Betroffenen zwar nicht gerügte, aber im Rahmen der Sachrüge von Amts wegen zu berücksichtigende — Umstand, dass in den Feststellungen des angefochtenen Urteils von einer gemessenen Geschwindigkeit von 70 km/h die Rede ist, im Übrigen aber an drei Stellen (Beweiswürdigung, Bußgeldzumessung) von einer Geschwindigkeitsüberschreitung von 84 km/h (nach Toleranzabzug). Es ist hier aber offensichtlich, dass die Angabe der 70 km/h versehentlich erfolgt ist und von 84 km/h auszugehen ist. Zum einen taucht der Wert 70 km/h nur 1x im Urteil auf. Zum anderen entspräche er auch weder den Angaben in dem von Amts wegen zu Kenntnis zu nehmenden Bußgeldbescheid noch den festgesetzten Sanktionen.
Zum Zeitpunkt des Urteilserlasses war mit rund 1 1/4 Jahr auch noch nicht so viel Zeit seit der Tat vergangen, als dass sich das Amtsgericht zwingend mit einem Entfallen des Fahrverbots, weil es möglicherweise seine Denkzettel- und Warnfunktion verloren hätte, hätte auseinandersetzen müssen (vgl. OLG Hamm NZV 2001, 436; OLG Hamm Beschl. v. 24.01.2012—3 RBs 364/11 = BeckRS 2012, 07643).