05.03.2013 · IWW-Abrufnummer 130653
Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt: Beschluss vom 08.11.2012 – 3 M 599/12
Im Verfahren nach § 25 StVG (Fahrverbot) wird keine Entscheidung über die Eignung eines Kraftfahrzeugfahrers zum Führen von Kraftfahrzeugen getroffen. Das Fahrverbot ist als "Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme" gedacht und ausgeformt und soll in erster Linie spezialpräventiv auf nachlässige oder leichtsinnige Kraftfahrer einwirken.
3 M 599/12
OVG Sachsen-Anhalt
Gründe
Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Die von dem Antragsteller innerhalb der Beschwerdefrist vorgebrachten Einwände, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, greifen nicht durch.
Das Verwaltungsgericht hat zu Recht die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Verfügung des Antragsgegners vom 16. Mai 2012 abgelehnt. Der Antragsgegner hat in nicht zu beanstandender Weise aus dem Konsum von Amphetaminen auf die Nichteignung des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen geschlossen und ihm deshalb zu Recht gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG, § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV die Fahrerlaubnis entzogen.
Auch das Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine andere rechtliche oder tatsächliche Bewertung. Die vom Antragsteller mit der Beschwerde erhobenen Einwände geben keine Veranlassung, die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs gegen den streitgegenständlichen Bescheid des Antragsgegners wiederherzustellen. Die Entziehung der Fahrerlaubnis erweist sich bei der im vorliegenden vorläufigen Rechtsschutzverfahren allein gebotenen überschlägigen Prüfung als rechtmäßig; auch besteht ein besonderes Interesse am Sofortvollzug, weil das öffentliche Interesse am Sofortvollzug das Interesse des Antragstellers, vorläufig von der sofortigen Vollziehung verschont zu bleiben, überwiegt.
Erweist sich jemand als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, so hat ihm die Fahrerlaubnisbehörde nach § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG und § 46 Abs. 1 Satz 1 FeV die Fahrerlaubnis zu entziehen, ohne dass insoweit der Fahrerlaubnisbehörde ein Ermessen eingeräumt ist. Nach dem vom Antragsteller mit der Beschwerdebegründung nicht in Frage gestellten Befundbericht des Instituts für Rechtsmedizin und Verkehrsmedizin des Universitätsklinikums H. über die am (...). März 2012 genommene Blutprobe hat der Antragsteller Amphetamine und damit sog. harte Drogen i. S. d. Ziffer 9.1 der Anlage 4 zu den §§ 11,13 und 14 FeV konsumiert. Das Verwaltungsgericht hat in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Senats und der nahezu einhelligen obergerichtlichen Rechtsprechung ausgeführt, dass bereits der einmalige Konsum eines Betäubungsmittels i. S. d. § 1 Abs. 1 BtMG (ausgenommen Cannabis) im Regelfall gemäß Ziffer 9.1 der Anlage 4 zur FeV zur Fahrungeeignetheit führt (vgl. Beschl. d. Senats v. 20.03.2012 - 3 M 74/12 - und Beschl. v. 20.01.2011 - 3 M 496/10 -; VGH BW, Beschl. v. 19.02.2007 - 10 S 3032/06 -; BayVGH, Beschl. v. 14.02.2006 - 11 ZB 05.1406 -, alle zit. nach [...], jeweils mit weiteren Nachweisen). Diesen Ansatz stellt auch die Beschwerdeschrift nicht in Frage. Vielmehr beruft der Antragsteller sich auch im Beschwerdeverfahren vorrangig darauf, er habe die Betäubungsmittel nicht wissentlich eingenommen. Soweit er einwendet, das Verwaltungsgericht überspanne die Anforderungen an den erforderlichen Nachweis, dass ihm die Drogen von Dritten unwissentlich verabreicht worden seien, hat seine Beschwerde keinen Erfolg.
Zwar kann eine im Regelfall eignungsausschließende Einnahme von Betäubungsmitteln nur bei einem willentlichen Konsum angenommen werden, so dass es bei einer unwissentlichen Aufnahme von Betäubungsmitteln - wie das Verwaltungsgericht zutreffen ausführt - bereits an den Voraussetzungen für das Eingreifen der Regelannahme fehlt. Allerdings geht nach allgemeiner Lebenserfahrung einem positiven Drogennachweis typischerweise ein entsprechender Willensakt voraus. Der Fall einer versehentlichen bzw. missbräuchlich durch Dritte herbeigeführten Einnahme eines Betäubungsmittels stellt sich dagegen als ein Ausnahmetatbestand dar, zu dem nur der Betroffene als der am Geschehen Beteiligte Klärendes beitragen kann. Behauptet eine Person, in deren Körper ein Betäubungsmittel vorgefunden wurde, also, sie habe diese Droge unwissentlich eingenommen, so muss sie einen detaillierten, in sich schlüssigen und auch im Übrigen glaubhaften Sachverhalt vortragen, der einen solchen Geschehensablauf als ernsthaft möglich erscheinen lässt (vgl. OVG LSA, Beschl. v. 13.04.2012 - 3 M 47/12 -; OVG NW, Beschl. v. 22.03.2012 - 16 B 231/12 -, beide zitiert nach [...]).
Von diesen, in der obergerichtlichen Rechtsprechung allgemein anerkannten Grundsätzen ist das Verwaltungsgericht nicht abgewichen; insbesondere hat das Verwaltungsgericht entgegen den Ausführungen in der Beschwerdeschrift weder einen lückenlosen Nachweis über den Verbleib des Antragstellers während der angegebenen Zeit von 23.00 Uhr bis 6.00 Uhr noch eine Bestätigung seines Verbleibs durch Augenzeugen verlangt. Vielmehr hat die Vorinstanz maßgeblich darauf abgestellt, dass aus dem von dem Antragsteller geschilderten Geschehensablauf nicht ansatzweise deutlich werde, welchen Beweggrund ein unbekannter Dritter gehabt haben könnte, dem Antragsteller Drogen beizubringen. Hiergegen ist nichts zu erinnern. Da die bei dem Antragsteller festgestellten Betäubungsmittel (Methamphetamin und Amphetamin) illegal und sie zudem nicht billig sind, ist es eher unwahrscheinlich, dass Dritte einer Person Betäubungsmittel dadurch gegen ihren Willen zuführen, dass sie z.B. eine solche Substanz ohne Wissen des Betroffenen in ein für ihn bestimmtes Getränk einbringen, sofern nicht ein nachvollziehbares Motiv für eine solche Handlungsweise aufgezeigt wird. Derartigen Behauptungen kann mithin nur dann Beachtlichkeit zuerkannt werden, wenn überzeugend aufgezeigt werden kann, dass dem Auffinden von Betäubungsmitteln im Körper eines Fahrerlaubnisinhabers ein Kontakt mit Personen vorausgegangen ist, die zumindest möglicherweise einen Beweggrund hatten, dem Betroffenen ein drogenhaltiges Getränk zugänglich zu machen (vgl. BayVGH, Beschl. v. 31.05.2012 - 11 CS 12.807 -, zit. nach [...], m. w. N.).
Soweit der Antragsteller mit Schriftsatz vom 20. Juli 2012 angekündigt hat, "durch eine eidesstattliche Versicherung seiner Begleiterin glaubhaft zu machen, dass einer der Mitfahrer bzw. Begleiter während des Abends wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz vorbestraft ist, gleichermaßen nicht über eine Fahrerlaubnis verfügt und, so jedenfalls die Information, weiterhin konsumiert", ist er dieser Ankündigung bisher nicht nachgekommen. Zudem lässt sich diesem Vorbringen weder entnehmen, dass der Mitfahrer bzw. Begleiter dem Antragsteller die Drogen beigebracht hat, noch ist erkennbar, welchen Beweggrund die Begleitperson gehabt haben könnte, dem Antragsteller die Betäubungsmittel unbemerkt in ein Getränk zu mischen.
Ohne Erfolg wendet der Antragsteller schließlich mit Schriftsatz vom 27. Juli 2012 ein, dass aufgrund des parallellaufenden Ordnungswidrigkeitenverfahrens § 3 Abs. 3 Satz 1 StVO (richtig StVG) der streitbefangenen Fahrerlaubnisentziehung entgegenstehe.
Nach § 3 Abs. 3 Satz 1 StVG darf die Fahrerlaubnisbehörde in einem Fahrerlaubnisentziehungsverfahren den Sachverhalt, der Gegenstand eines gegen den Inhaber der Fahrerlaubnis gerichteten Strafverfahrens ist, in dem die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB in Betracht kommt, nicht berücksichtigen, solange das Strafverfahren anhängig ist. Mit dieser die Bindung der Fahrerlaubnisbehörde an die in dem Strafverfahren ergehende gerichtliche Entscheidung betreffenden Regelung sollen bei Vorrangigkeit des Strafverfahrens widersprüchliche Entscheidungen von Fahrerlaubnisbehörden und Gerichten vermieden werden. Der Fahrerlaubnisbehörde fehlt demnach in den in § 3 Abs. 3 Satz 1 StVG genannten Fällen bis zur Einstellung des Strafverfahrens oder bis zur Rechtskraft der ergehenden Entscheidung die Befugnis, selbst über die Entziehung der Fahrerlaubnis zu befinden (vgl. Dauer in: Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl. 2011, § 3 StVG Rdnr. 15 f.). Hingegen ist die Fahrerlaubnisbehörde nach der nur im Verhältnis zu Strafverfahren geltenden Bestimmung des § 3 Abs. 3 Satz 1 StVG nicht gehindert, die Entziehung der Fahrerlaubnis anzuordnen, wenn wegen desselben Sachverhalts ein Ordnungswidrigkeitenverfahren - wie hier - eingeleitet, aber noch nicht rechtskräftig abgeschlossen ist. Eine analoge Anwendung von § 3 Abs. 3 StVG kommt im Verhältnis zu Ordnungswidrigkeiten nicht in Betracht (st. Rspr., OVG LSA, Beschl. v. 13.04.2012 - 3 M 47/12 -, a. a. O.; VGH BW, Beschl. v. 24.07.2007 - 10 S 306/07 -, zit. nach [...]; Janker in: Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 22. Aufl. 2012, § 3 StVG Rdnr. 10).
Auch wird entgegen der Auffassung des Antragstellers im Verfahren nach § 25 StVG (Fahrverbot) keine Entscheidung über die Eignung eines Kraftfahrzeugfahrers zum Führen von Kraftfahrzeugen getroffen. Mit der Verhängung eines Fahrverbots neben einer Geldbuße wird lediglich eine erzieherische Nebenfolge verfügt, nicht jedoch über die Fahreignung des Betreffenden befunden. Das Fahrverbot ist als "Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme" gedacht und ausgeformt und soll in erster Linie spezialpräventiv auf nachlässige oder leichtsinnige Kraftfahrer einwirken (vgl. BT-Drucks. V/1319, S. 90; BVerfG, Beschl. v. 16.07.1969 - 2 BvL 11/69 -; BVerwG, Beschl. v. 21.01.1994 - BVerwG 11 B 116.93 -; alle zit. nach [...]). Da im Bußgeldverfahren die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht geprüft wird, entfalten Bußgeldentscheidungen nach § 3 Abs. 4 Satz 2 zweiter Halbs. StVG für das behördliche Entziehungsverfahren auch nur insoweit Bindungswirkung, als sie sich auf die Feststellung des Sachverhalts und die Beurteilung der Schuldfrage beziehen, nicht hingegen hinsichtlich der Eignungsfrage (OVG LSA, Beschl. v. 13.04.2012 - 3 M 47/12 -. a. a. O.).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes ergibt sich §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 und 2, 47 Abs. 1 Satz 1 GKG und folgt der erstinstanzlichen Wertfestsetzung.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 152 Abs. 1 VwGO; §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG.