05.04.2013 · IWW-Abrufnummer 131207
Bundesgerichtshof: Urteil vom 19.02.2013 – VI ZR 45/12
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 19. Februar 2013 durch den Vorsitzenden Richter Galke, die Richter Zoll und Wellner, die Richterin Diederichsen und den Richter Stöhr
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Revision der Beklagten zu 1 wird das Urteil des 13. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 28. Dezember 2011 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zu ihrem Nachteil entschieden worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
1
Der in Deutschland wohnhafte Kläger nimmt die Beklagte zu 1, den in Belgien ansässigen Haftpflichtversicherer des Unfallgegners (im Folgenden: Beklagte), wegen eines Verkehrsunfalls auf Schadensersatz in Anspruch. Der Unfall ereignete sich am 4. Juli 2008 in Belgien. Die Parteien streiten in erster Linie darüber, ob der vorliegende beim Landgericht Konstanz anhängig gemachte Rechtsstreit im Hinblick auf ein Verfahren vor belgischen Gerichten hätte ausgesetzt werden müssen. In jenem Verfahren verlangt der Unfallgegner des Klägers, der frühere Beklagte zu 2, seinerseits Schadensersatz vom Kläger.
2
Das Landgericht hat die Beklagte zur Zahlung von 5.348,50 € nebst Zinsen an den Kläger verurteilt. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Dagegen wendet sich die Beklagte mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision. Sie erstrebt die Abweisung der Klage. Hinsichtlich des Beklagten zu 2 ist die Klage in den Vorinstanzen durch Prozessurteil rechtskräftig abgewiesen worden.
Entscheidungsgründe
I.
3
Das Berufungsgericht führt aus: Die Voraussetzungen für eine Aussetzung des Rechtsstreits nach Art. 27 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. EG 2001, L 12, S. 1, im Folgenden: EuGVVO) lägen nicht vor. Danach müsse die Klage durch dieselben Parteien erhoben werden. Dies sei hier nicht der Fall. Denn die Beklagte sei an dem Verfahren in Belgien nicht beteiligt. Das Urteil im dortigen Verfahren sei in seinem zivilrechtlichen Teil lediglich zwischen dem Kläger und dem Unfallgegner ergangen. Soweit die Berufung geltend mache, der Unfallgegner und die Beklagte als sein Versicherer seien als ein- und dieselbe Partei im Sinne des Art. 27 EuGVVO zu betrachten, könne dem nicht gefolgt werden. Nach dem von der Berufung angeführten Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 19. Mai 1998 seien ein Versicherungsnehmer und ein Versicherer ausnahmsweise dann als eine Partei im Sinne von Art. 21 EuGVÜ - mit dem heutigen Art. 27 EuGVVO wortgleich - anzusehen, wenn die Interessen des Versicherers und seines Versicherungsnehmers hinsichtlich des Gegenstands zweier Rechtsstreitigkeiten soweit übereinstimmten, dass ein Urteil, das gegen einen ergehe, Rechtskraft gegenüber dem anderen entfalten würde. Ein solcher Fall liege nicht vor. Zwar seien die Interessen der Beklagten und ihres Versicherungsnehmers insoweit gleichgerichtet, als sie sich gegen die Abwehr der geltend gemachten Schadensersatzansprüche des Klägers richteten. Die Beklagte habe jedoch mit den von ihrem Versicherungsnehmer gegen den Kläger geltend gemachten Schadensersatzansprüchen nichts zu tun und deshalb auch kein direktes Interesse an dieser Entscheidung. Es sei auch nicht ersichtlich, inwieweit ein von dem Versicherungsnehmer gegen den Kläger erwirktes Urteil eine Rechtskraftwirkung gegenüber der Beklagten im vorliegenden Rechtsstreit entfalten könne.
4
Das Berufungsgericht sehe auch davon ab, das Verfahren gemäß Art. 28 Abs. 1 EuGVVO bis zur Entscheidung des Berufungsgerichts in Belgien auszusetzen. Zwar bestehe ein Zusammenhang der Klagen in beiden Verfahren nach Art. 28 Abs. 3 EuGVVO. Bei der Ausübung des dem Berufungsgericht zustehenden Ermessens seien jedoch insbesondere die Parteiinteressen des Klägers zu berücksichtigen. Nach der erstinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme stehe insbesondere aufgrund der Aussagen zweier neutraler Zeugen fest, dass der Unfallgegner des Klägers den Unfall schuldhaft verursacht habe. Die vom Landgericht vorgenommene Beweiswürdigung sei nicht zu beanstanden. Da das erstinstanzliche belgische Gericht offensichtlich keine Zeugenvernehmung durchgeführt habe und nicht beurteilt werden könne, ob dies gegebenenfalls von dem Berufungsgericht nachgeholt worden sei, führe die Ermessensentscheidung dazu, eine Aussetzung des Verfahrens nicht vorzunehmen, sondern das erstinstanzliche Urteil zu bestätigen. Dafür spreche auch, dass auf diese Weise dem Kläger der ihm nach Art. 11 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 9
Abs. 1 Buchst. b EuGVVO aus sozialen Schutzgründen eingeräumte Gerichtsstand an seinem Wohnsitz erhalten bleibe.
II.
5
Diese Erwägungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
6
1. Die Revision ist insgesamt statthaft (§ 543 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Sofern das Berufungsgericht eine Beschränkung der Revisionszulassung für die Beklagte beabsichtigt haben sollte, wäre diese unzulässig, so dass die Revision unbeschränkt zugelassen ist (vgl. Senatsurteil vom 12. Dezember 2006 - VI ZR 4/06, VersR 2007, 811 Rn. 4 mwN, insoweit in BGHZ 170, 180 nicht abgedruckt).
7
2. Die Entscheidung des Berufungsgerichts, den Rechtsstreit nicht nach Art. 27, 28 EuGVVO auszusetzen, kann mit der Revision angegriffen werden. Das Verfahren der Aussetzung nach Art. 27, 28