· Fachbeitrag · Gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr
Tatsächliche Feststellungen beim gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr
Bei einer Verurteilung wegen eines vollendeten gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr gem. § 315b Abs. 1 StGB muss sich aus den tatsächlichen Feststellungen ergeben, dass durch eine der in § 315b Abs. 1 Nr. 1 bis 3 StGB genannten Tathandlungen eine Beeinträchtigung der Sicherheit des Straßenverkehrs herbeigeführt worden ist und sich diese abstrakte Gefahrenlage zu einer konkreten Gefährdung von Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremder Sachen von bedeutendem Wert verdichtet hat (BGH 18.6.13, 4 StR 145/113, Abruf-Nr. 132376). |
Sachverhalt
Der Angeklagte ist vom LG wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr verurteilt worden. Nach Feststellung des LG hatte er den Zeugen G mit einem Kleintransporter verfolgt. Dabei fuhr er auf den sich weiter in Bewegung befindlichen Pkw des G von hinten auf, um G zum Anhalten zu bewegen. Der Anstoß war immerhin so stark, dass sich der Beifahrer des G, der sich nicht angeschnallt hatte, mit den Händen am Armaturenbrett abstützen musste, um nicht gegen die Windschutzscheibe geschleudert zu werden. Im weiteren Verlauf der Fahrt rammte der Angeklagte zumindest einmal den Pkw des G im Bereich der Fahrertür, die dabei beschädigt wurde. Dem Angeklagten gelang es dann, den Pkw des G zu überholen, sich in geringem Abstand vor diesen zu setzen und stark abzubremsen. Infolge dieses Manövers konnte G ein Auffahren auf den Kleintransporter nicht verhindern. Die gegen die auf § 315b StGB gestützte Verurteilung gerichtete Revision hatte Erfolg.
Entscheidungsgründe
Der BGH hat die in seiner Rechtsprechung geforderte über die abstrakte Beeinträchtigung der Sicherheit des Straßenverkehrs hinausgehende konkrete Gefährdung von Leib oder Leben eines anderen oder einer Sache von bedeutendem Wert verneint. Das LG hat zwar festgestellt, dass der nicht angeschnallte Beifahrer M sich infolge des Anstoßes von hinten mit den Händen am Armaturenbrett abstützen musste, um nicht gegen die Windschutzscheibe geschleudert zu werden. Diese Feststellung steht jedoch in einem nicht ohne Weiteres auflösbaren Widerspruch zu der Wertung des LG im Rahmen der rechtlichen Würdigung, wonach der Angeklagte B das Fahrzeug des G „zumindest einmal leicht von hinten“ gerammt habe. Nähere Feststellungen zu den Geschwindigkeiten der Fahrzeuge im Zeitpunkt der verschiedenen Kollisionen und der jeweiligen Intensität der Anstöße zwischen den beteiligten Fahrzeugen hat die Strafkammer nicht getroffen. Auch das Schadensbild, das aus den durch Bezugnahme nach § 267 Abs. 1 S. 3 StPO zum Bestandteil der Urteilsgründe gewordenen Lichtbildern vom Fahrzeug des Zeugen G ersichtlich sei, erlaubt keinen sicheren Schluss auf eine konkrete Leibesgefahr. Schließlich ist den Urteilsausführungen ein drohender, die Wertgrenze von 750 EUR erreichender Sachschaden ebenfalls nicht zu entnehmen, weil sich das LG zum Wert des für den Gefahrenerfolg allein maßgeblichen Fahrzeugs des Zeugen G - etwa zu Modell, Baujahr, Laufleistung oder Zustand - nicht geäußert hat.
Praxishinweis
Die Entscheidung entspricht der ständigen BGH-Rechtsprechung zu § 315b StGB (vgl. BGHSt 48, 119). Daher kann auf die vorliegende Rechtsprechung verwiesen werden (vgl. u.a. VA 11, 47; VA 12, 154 und die dortigen Praxishinweise).
Die Strafbarkeit nach § 315b Abs. 1 StGB bei Verkehrsvorgängen im fließenden Verkehr (verkehrsfeindlicher Inneneingriff) setzt nach der Rechtsprechung des BGH zudem voraus, dass zu dem bewusst zweckwidrigen Einsatz des Fahrzeugs in verkehrsfeindlicher Einstellung hinzukommt, dass das Fahrzeug mit mindestens bedingtem Schädigungsvorsatz - etwa als Waffe oder Schadenswerkzeug - missbraucht wird. Erst dann liegt eine - über den Tatbestand des § 315c StGB hinausgehende und davon abzugrenzende - verkehrsatypische „Pervertierung“ eines Verkehrsvorgangs zu einem gefährlichen „Eingriff“ in den Straßenverkehr im Sinne des § 315b Abs. 1 StGB vor (vgl. BGHSt 48, 233, 237; u.a. auch VA 12, 65). Hier hatte sich aus den Feststellungen des LG ergeben, dass sich die subjektiven Vorstellungen eines Mitfahrers des Angeklagten, der wegen Mittäterschaft verurteilt worden war, auf die billigende Inkaufnahme von für das verfolgte Fahrzeug und dessen Insassen gefährlichen Fahrmanövern des Angeklagten beschränkte, der Mitangeklagte mithin nur mit Gefährdungsvorsatz handelte. Damit schied eine Strafbarkeit dieses Angeklagten nach § 315b StGB auf der Grundlage der bisherigen Urteilsfeststellungen ebenfalls aus. Auf das Vorliegen des Schädigungsvorsatzes ist ein besonderes Augenmerk zu richten.