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  • · Fachbeitrag · Interview

    Von der Kanzlei zum Verband ‒ so agieren Verkehrsrechtler agil und erfolgreich

    von Christian Noe B. A., Göttingen

    | Wer als Verkehrsrechtler in die Mobilitätsbranche oder bei Verkehrsclubs einsteigt, unterschätzt rasch die herausfordernden neuen Aufgaben. Häufig löst die telefonische Beratung den persönlichen Mandantenkontakt ab und Rechtsinformationen müssen visualisiert oder für eigene Internetkanäle aufbereitet werden. Der Alltag von Rechtsanwältin Annika Danner in der Juristischen Zentrale des ADAC besteht derzeit zu 50 % aus Social-Media-Arbeit. Im Interview erklärt sie, worauf Anwälte achten müssen, wenn sie sich derart neu orientieren. |

     

    Frage: Wie sieht Ihr juristisches Tätigkeitsfeld aus?

     

    Antwort: Das Tagesgeschäft umfasst die Beratung von Mitgliedern, sowohl telefonisch als auch schriftlich. Wir geben den rechts- und auskunftsersuchenden ADAC-Mitgliedern im Rahmen einer Erstberatung Antworten auf Fragen rund um die Themen Auto, Verkehr, Mobilität und Reise oder Tipps, wie sie ihre Probleme selbst lösen oder nächste Schritte einleiten können. Sofern eine persönliche Beratung oder eine Vertretung durch einen Rechtsanwalt vor Ort gewünscht wird, können wir hierbei auch auf das Netz der ADAC Vertragsanwälte verweisen.

     

    Frage: Ob Unfall, Autokauf oder Bußgeld: Im Kanzleijob vertreten Verkehrsrechtler meist eine Partei. Die sog. ADAC Juristen arbeiten gleich zwei Gruppen zu. Was bedeutet das?

     

    Antwort: Auf der einen Seite verfassen wir für Vertragsanwälte juristische Texte und Fachzeitschriften, müssen komplexe Gerichtsentscheidungen verstehen, Gesetzestexte kritisch prüfen und juristisch aufbereiten, Fachinformationen zusammenstellen und Schulungen organisieren. Auf der anderen Seite müssen wir für die juristischen Laien verständliche Texte formulieren und Sachverhalte so einfach wie möglich darstellen.

     

    Frage: Wie kann man sich das Tätigkeitsspektrum genauer vorstellen, wenn Sie Vereinsmitglieder ansprechen?

     

    Antwort: Neue Rechtsprechung wird, sofern sie für eine Vielzahl von Fällen zu einem bestimmten Thema entscheidend sein könnte, für unsere Mitglieder in Form von kurzen Texten zusammengefasst. Diese werden auch auf Anfrage versendet. Solche Urteilszusammenfassungen sind zudem für die Mitarbeiter in der Mitgliederberatung wichtig und hilfreich.

     

    Frage: Sie hatten zuvor schon einen Schwerpunkt Verkehrsrecht in den Kanzleien, in denen Sie tätig waren. Wie hat sich das mit Ihren neuen Aufgaben verknüpft?

     

    Antwort: Ich hatte in den meisten Bereichen des Verkehrsrechts schon Erfahrungen gesammelt. Der thematische Einstieg fiel mir daher leicht, gerade wenn es um Verkehrsordnungswidrigkeiten, Verkehrsstraftaten oder um die Unfallabwicklung ging. Neu hingegen waren Mobilitätsthemen, wie beispielsweise das Reiserecht und vor allem die Themen mit Auslandsbezug.

     

    Frage: Unterschätzen Juristen, wie umfassend sich ihr Tätigkeitsfeld ändert?

     

    Antwort: Tatsächlich sind die Aufgaben hier in der Juristischen Zentrale nur annähernd vergleichbar mit einem klassischen Kanzleijob. Anstatt Schriftsatzarbeit oder Gerichtstermine wahrzunehmen, liegt der Fokus auf der Erstberatung von Mitgliedern, einer kurzen fachlichen Einordnung des Falls und dessen Erfolgschancen. Mit dieser Beratung ist der Fall in der Regel dann aber auch schon abgeschlossen.

     

    Frage: Also haben Sie meist kurze, einmalige Kontakte?

     

    Antwort: Die Mitglieder rufen i. d. R. bei uns an und stellen ihre Frage. Sie haben beispielsweise einen Bußgeldbescheid bekommen ‒ wir geben erste, kurze Hinweise, was man machen kann. Wollen sie dagegen vorgehen, nennen wir einen ADAC Vertragsanwalt, zu dem die Mitglieder Kontakt aufnehmen können. Damit ist der Fall für uns erledigt, wir fordern auch keine Unterlagen an oder bauen weitere Rückrufe oder Kontakte auf. Wir haben meistens also nur einmal mit dem jeweiligen Mitglied Kontakt und erfahren daher auch nicht, wie diese Fälle ausgegangen sind.

     

    Frage: Das erfordert eine breitere Informationsbasis. Wie sieht die aus und mit welchen Schnittstellen arbeiten Sie?

     

    Antwort: Abgesehen davon, dass wir uns wie alle Juristen mit der aktuellen Rechtsprechung beschäftigen und Gerichtsdatenbanken durchschauen, verfolgen wir die Tagespresse, Fachzeitschriften und Newsletter, die Verkehrs- oder Mobilitätsthemen beinhalten. Hieraus lassen sich Ideen zu Rechtsthemen entwickeln, die unsere Redaktion für Mitglieder auf unserer ADAC-Homepage und unseren Social-Media-Kanälen aufbereiten. Hinzu kommt der interne Informationsaustausch mit anderen Abteilungen und mit unseren Vertragsanwälten. Da einige Fragestellungen mehrere Themenbereiche verbinden, gibt es durchaus Schnittstellen zu anderen Fachabteilungen. Bei politischen Themen wird z. B. die Abteilung „Verkehr/Verkehrspolitik“ eingebunden. Das geht themenspezifisch täglich sehr in die Breite.

     

    Frage: Auch weil die Mitglieder aus allen Bundesländern stammen?

     

    Antwort: Es ist zwar auch ein gewisses „Masseverfahren“, aber es stimmt: Wir haben nicht nur aufgrund der Vielzahl der Mitglieder aus allen Regionen Deutschlands, der unterschiedlichen Altersstruktur und der großen Bandbreite an Rechtsfragen eine große Themenvielfalt, sondern auch aufgrund der bundesweit teils unterschiedlichen Rechtsprechung. Diese muss man als lokal tätiger Anwalt nicht unbedingt immer kennen und berücksichtigen. Hinzu kommt der enge Austausch mit der Redaktion unserer Vereinszeitschrift. Die fragt uns ADAC Juristen beispielsweise, was die typischsten Rechtsirrtümer sind oder was rechtsuchende Mitglieder besonders häufig fragen. Daraus entwickeln sie Artikel oder Serien, die wir wiederum vor der Veröffentlichung juristisch prüfen. Mitunter muss ich dazu sogar unsere Fahrzeugtechnik hinzuziehen.

     

    Frage: Warum das?

     

    Antwort: Wir hatten zum Beispiel ein Video für unsere YouTube-Serie „ADAC Recht? Logisch!“ produziert, in dem es um die Überladung von Wohnmobilen ging. Wir mussten möglichst anschaulich das Fahrverhalten darstellen, wie ein Wohnwagen unter welchen Bedingungen zu schleudern beginnt. Den technischen Teil hat die „Fahrzeugtechnik“ beigesteuert. Was unsere YouTube-Serie betrifft, schreibe ich auch die Skripte und begleite das Projekt in jedem Stadium, das heißt, von der Themensuche über den Dreh bis zur Antwort auf Kommentare von Usern. Man muss Ideen entwickeln, die juristische Informationen beinhalten und unterhaltsam sind, beispielsweise Klassiker, wie Winterreifenpflichten, Bedeutung von Verkehrszeichen, Sicherung des Dachgepäcks usw.

     

    Frage: Wie viel Arbeitszeit beansprucht Ihre Social-Media-Arbeit?

     

    Antwort: Am Anfang war der Hauptteil die Beratung der Mitglieder, jetzt entfällt schon mehr als 50 Prozent meiner Arbeitszeit auf unsere YouTube-Videos. Das beginnt mit der Suche nach geeigneten Themen, geht über die Abstimmung mit externen Firmen bis hin zur Produktion: Wer schreibt die Episode, wer dreht das Video? Und natürlich müssen die Skripte bzw. die im Video dargestellten Inhalte juristisch geprüft werden.

     

    Frage: Wie weit sind Sie darüber hinaus bei digitalen Vereinsangeboten und deren Entwicklung eingebunden?

     

    Antwort: Wir arbeiten gemeinsam mit Softwareentwicklern an Legal-Tech-Projekten, wie z. B. unserem „Bußgeldchecker“ oder „Promillerechner“. Hier müssen wir den Entwicklern kommunizieren, was Mitglieder verlangen, welche Probleme aus Verkehr und Mobilität sich im praktischen Alltag so häufig stellen, dass es sich lohnt, daraus eine Anwendung für das Internet zu gestalten. Wir können dazu schon die typische Frage-Antwort-Struktur vorgeben, die IT muss dies dann technisch in ein digital nutzbares Angebot umsetzen.

     

    Frage: Welche Fähigkeiten muss man sich als Jurist hier schnell aneignen?

     

    Antwort: Hilfreich und wichtig für die Tätigkeit bei uns ist auf jeden Fall die Fähigkeit, Sachverhalte und Lösungen gut zu vermitteln. Ein Anwalt muss grundsätzlich zwar juristische Probleme lösen, aber er schreibt eben nicht für ein Publikum und muss auch keine juristischen „Häppchen“ zusammenstellen. Unsere Mitglieder sind rechtliche Laien, wie Mandanten im Anwaltsbüro auch. Aber ein ADAC Jurist muss eine ziel- und praxisorientierte Hilfestellung aufbereiten, mit der man sofort etwas anfangen kann, und aktuelle Phänomene schnell aufgreifen. Vor zehn Jahren waren z. B. E-Scooter auf unseren Straßen noch undenkbar. Mit diesem technischen Wandel bedarf es auch der Einführung neuer Regelungen. Ein anderes Beispiel ist: Nachdem das Thema „Brand bei Elektrofahrzeugen“ mehrfach durch die Presse ging und der Anspruch auf die Errichtung von Ladestationen u. a. in Tiefgaragen nun gesetzlich verankert ist, sind bei uns vermehrt Anfragen zur praktischen Umsetzung und zu der Frage eingegangen, wer für einen möglichen Schaden aufkommen müsse.

     

    Frage: Was würden Sie hier als besonders komplex herausstellen wollen?

     

    Antwort: Aus meinem Fachbereich, dem Verkehrsstrafrecht, verfolgte ich vor allem in den letzten Jahren die Rechtsprechung zu den Themen „Trunkenheit auf dem E-Scooter“ oder „illegale Kraftfahrzeugrennen“, nachdem dieser Tatbestand erst im Jahr 2017 ins StGB aufgenommen wurde. § 315d StGB warf viele Fragen auf, die seitens BGH und BVerfG zu klären waren. Besonders anspruchsvoll ist hier u. a. die Abgrenzung von bloßen erheblichen Geschwindigkeitsüberschreitungen zu einem strafbaren Rennen, sowie die Abgrenzung zu Mord.

     

    Frage: Arbeiten Sie mit Datenspezialisten oder besonderer Software?

     

    Antwort: Wir arbeiten mit dem internen Juristischen Portal JUVEL. Dabei handelt es sich um eine spezielle Plattform, auf der sich unsere Akten-, Dokumentenverwaltung und Vertragsanwaltssuche befindet. Neben Akten sind dort auch unsere Musterformulare, Mitteilungen für Vertragsanwälte und Regionalclubs, Mitgliedermitteilungen, Länderinformationen sowie Namen und Anschriften der Vertragsanwälte etc. abrufbar.

     

    Frage: Greifen Sie eigentlich auch auf die Unterstützung durch KI-Tools, ChatGPT, Midjourney u. Ä. zurück? Wenn ja, auf welche?

     

    Antwort: Der ADAC testet verschiedene KI-Tools. Die KI kann bei Recherchen unterstützen, ersetzt aber nicht die rechtliche Prüfung, Expertise und Erfahrung eines Rechtsanwalts.

     

    Vielen Dank, Frau Danner!

     

    Weiterführende Hinweise

    • Entziehung der Fahrerlaubnis bei Unfallflucht, VA 24, 120
    • Wohnmobilkauf: Außerhalb der Geschäftsräume geschlossener Vertrag: ein lehrreiches Urteil mit vielen Aspekten, VA 24, 134
    Quelle: ID 50101877