Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • · Fachbeitrag · Verfolgungshindernis

    Kein „Nachkarten“ im Bußgeldverfahren

    | Macht eine Verwaltungsbehörde eine Tat im verfahrensrechtlichen Sinne zum Gegenstand ihrer bußgeldrechtlichen Untersuchung, so hat auch sie eine umfassende Kognitionspflicht, wie sie auch der Strafrichter im Strafverfahren zu beachten hat. Der geschichtliche Vorgang ist erschöpfend im Hinblick auf verwirklichte Bußgeldtatbestände zu untersuchen. Das hat das AG Essen festgestellt. |

     

    Sachverhalt

    Der Betroffene wurde am 11.6.15 um 11 Uhr kontrolliert. Die Polizeibeamten stellten mehrere Verstöße fest. Deshalb wurden in der Folgezeit mehrere Bußgeldbescheide erlassen. Einer am 24.6.15 wegen nicht verkehrssicheren Verstauens von Ladung, einer am 14.10.15 wegen Verstoßes gegen § 55 Abs. 1 GewO (Handel mit Schrott ohne Reisegewerbekarte) und einer am 22.10.15 wegen Sammelns von Altmetallen ohne Berechtigung. Der Bußgeldbescheid vom 24.6.15 ist rechtskräftig. Das AG hat das Verfahren im Übrigen eingestellt

     

    Entscheidungsgründe

    Das AG Essen (30.6.16, 38 OWi-90 Js 2760/15-953/15, Abruf-Nr. 187767) stellt klar, dass nach Rechtskraft des Bescheids vom 24.6.15 ein Verfolgungshindernis gemäß § 84 Abs. 1 OWiG besteht. Dieselbe Tat kann nicht mehr als Ordnungswidrigkeit verfolgt werden. In den beiden anderen Bußgeldbescheiden wurde dieselbe Ordnungswidrigkeit noch einmal verfolgt. Dieselbe Tat ist im verfahrensrechtlichen Sinne zu verstehen, es liegt nur ein einziger historischer Vorgang vor. Dieser kann nicht Gegenstand mehrerer verschiedener Verfahren sein. Sämtliche Bußgeldbescheide enthalten denselben Tatort und dieselbe Tatzeit. Es liegt eine natürliche Handlungseinheit vor.

     

    Dem steht nicht entgegen, dass die Verwaltungsbehörde, die den ersten Bußgeldbescheid erlassen hat, für die Ahndung der nicht berücksichtigten weiteren Ordnungswidrigkeiten sachlich gar nicht zuständig gewesen wäre. Macht eine Verwaltungsbehörde eine Tat im verfahrensrechtlichen Sinne zum Gegenstand ihrer bußgeldrechtlichen Untersuchung, muss sie den Sachverhalt wie der Strafrichter im Strafverfahren umfassend zur Kenntnis nehmen und aufklären. Sie muss den geschichtlichen Vorgang deshalb erschöpfend im Hinblick auf verwirklichte Bußgeldtatbestände untersuchen. Im Falle eines Bußgeldbescheids über die Tat im verfahrensrechtlichen Sinne entsteht bei Rechtskraft eine Sperrwirkung hinsichtlich der Verfolgung aller Bußgeldtatbestände, die in der Tat im verfahrensrechtlichen Sinne liegen. Das gilt unabhängig davon, ob sie seinerzeit erkannt oder übersehen wurden.

     

    Relevanz für die Praxis

    Die Bußgeldbehörden müssen also bei Erlass des Bußgeldbescheids darauf achten, dass sie alle potenziellen Ordnungswidrigkeiten erfassen. Es kann nicht später „nachgekartet“ werden. Die dann noch erlassenen Bußgeldbescheide sind unzulässig. Die entsprechenden Verfahren werden nach § 46 OWiG i.V.m. § 206a StPO wegen des Verfahrenshindernisses des „Strafklageverbrauchs“ eingestellt.

    Quelle: ID 44190592