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  • · Fachbeitrag · Unfallschadensregulierung

    Corona-Entscheidungen zur Schadensregulierung

    von VRiOLG a.D. Dr. Christoph Eggert, Leverkusen

    | In VA 20, 158 haben wir die Auswirkungen von Covid-19 auf die Regulierung von Haftpflichtschäden noch ohne Rechtsprechung beleuchtet. Nun liegen die ersten Gerichtsentscheidungen vor. VA gibt einen Überblick ‒ beschränkt auf Sach- und Sachfolgeschäden in Haftpflichtschadensfällen. |

     

    Übersicht 1 / Ersatz von Desinfektionskosten in Werkstattrechnung

    • 1. Um 60,87 EUR für die Position Desinfektionskosten hatte der Versicherer die Werkstattrechnung gekürzt. Zu Unrecht, wie das AG Heinsberg festgestellt hat (4.9.20, 18 C 161/20, Abruf-Nr. 217974). Für das Gericht war die Desinfektion in Zeiten von Covid-19 (Unfalldatum 9.6.20) eine notwendige Schutzmaßnahme. Auch der Höhe nach sei die Rechnungsposition angesichts des angefallenen Material- und Arbeitseinsatzes angemessen.

     

    • 2. Wie das AG Heinsberg haben AG bundesweit in breiter Mehrheit zugunsten der Geschädigten entschieden; selbst bei fiktiver Abrechnung. Allerdings können die KH-Versicherer auch einige Entscheidungen ins Feld führen, die einen Ersatzanspruch ganz oder teilweise verneinen. Berufen können sie sich auch auf das Urteil des LG Stuttgart vom 27.11.20, 19 O 145/20 (Abruf-Nr. 219501), das mit folgendem Orientierungssatz veröffentlicht ist: „Desinfektionskosten wegen Corona stellen evident keinen unfallkausalen Schaden dar und sind daher auch unter Berücksichtigung des sog. Werkstattrisikos nicht vom Schädiger zu tragen.“ Zweitinstanzliche Entscheidungen sind bisher nicht bekannt geworden.

     

    • 3. Eine Übersicht „Aktuelle Urteile zu den Desinfektionskosten“, ist abrufbar unter ue.iww.de → Abruf-Nr. 47041768
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    • 4. Die zentralen Argumente der Versicherer gegen eine Ersatzfähigkeit von rechnungsbasierten Desinfektionskosten schon dem Grunde nach sind:
      • Keine adäquate Kausalität bzw. kein unfallkausaler Schaden,
      • Kein Bestandteil des Reparaturauftrags,
      • Nur zum Schutz der Mitarbeiter entstanden bzw. Allgemeinkosten,
      • Keine medizinische Notwendigkeit,
      • Grundsätze des Werkstattrisikos nicht einschlägig bzw. keine Schutzwürdigkeit des Geschädigten.

     

    • 5. Entkräftung der Versicherungsargumente mithilfe von AG München, Hinweisbeschluss vom 5.11.20, 333 C 17092/20, Abruf-Nr. 218830, DAR 21, 38:
      • Werkstattrisiko: Desinfektionskosten unterfallen den Grundsätzen des Werkstattrisikos und sind erforderlich.
      • Kausalität: Wäre das klägerische Fahrzeug nicht in dieser Zeit beschädigt worden und zu reparieren gewesen, wären die Kosten auch nicht angefallen. Damit liegt eine ‚bloß zufällige Verbindung‘ gerade nicht vor.
      • Schutz des Kunden: Die entsprechenden Maßnahmen dienen nicht nur dem Schutz des Mitarbeiters, sondern auch dem Schutz des Kunden. Dieser kann in der heutigen Zeit erwarten, ein desinfiziertes Fahrzeug zu übernehmen. Eine ‚vertragliche Vereinbarung‘ ist nicht notwendig, da sich die Maßnahmen jedem verständig denkenden Durchschnittsbürger geradezu aufdrängen. Sie sind durchzuführen und erforderlich.
      • Schutz von Gesundheit und Leben: Die behauptete Einschätzung des RKI etc. spielt keine Rolle, da nunmehr allgemein bekannt sein sollte, dass Covid-19-Viren längere Zeit, je nach Oberfläche mehrere Stunden bis Tage, überlebensfähig sind. Es muss gerade in der aktuellen Pandemiesituation alles erdenklich Mögliche und Zumutbare unternommen werden, um die Verbreitung des Virus einzudämmen und Schaden an Gesundheit und Leben zu verhindern.
      • Desinfektion ist üblich (auch in anderen Bereichen): Dass die Anwendung von Desinfektionsmitteln unter die Schutzmaßnahmen fällt, ist allgemein bekannt.
    • Im anschließenden Urteil vom 27.11.20 (Abruf-Nr. 218830) heißt es außerdem: Selbst die Versicherungswirtschaft, z. B. Allianz und HUK, geht von der Erforderlichkeit einer Fahrzeugdesinfektion aus (jeweils mit Links).

     

    • 6. Sonderfall fiktive Abrechnung: Dass die Versicherer bei fiktiver Schadensabrechnung die Übernahme von Desinfektionskosten (erst recht) ablehnen, überrascht nicht. Teils haben sie damit Erfolg, teils aber auch nicht. Pro Geschädigte: AG Köln 14.1.21, 261 C 157/20, Abruf-Nr. 219977; AG Amberg 28.12.20, 1 C 535/20, Abruf-Nr. 220497.

     

    • 7. Höheprobleme: Berechnet werden Beträge für Sach- und Arbeitsaufwand zwischen ca. 30 und rund 100 EUR. Maßgebend im Rahmen des § 287 ZPO ist mangels ausdrücklicher Preisvereinbarung die übliche Vergütung. Angesichts der relativen Geringfügigkeit schätzen die Gerichte ohne gutachterliche Beratung. Das ist legitim.

     

    • 8. Bewertung: In Übereinstimmung mit der ganz überwiegenden Rspr. ist die Ersatzfähigkeit von Desinfektionskosten jedenfalls bei konkreter (rechnungsbasierter) Abrechnung anzuerkennen. Adäquanz und Zurechnungszusammenhang sind m. E. zu bejahen, auch Erforderlichkeit i. S. d. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB. Das ist (zunächst) keine Frage des „Werkstattrisikos“. Die Grundsätze über das Werkstattrisiko kommen erst nachrangig zum Tragen, nämlich bei einem unsachgemäßen/unwirtschaftlichen Vorgehen der Werkstatt.
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    • Was die fiktive Schadensabrechnung angeht, so ist auf der Linie zu prüfen und zu entscheiden, die der BGH jüngst für die Position Beilackierungskosten (VI ZR 396/18, Abruf-Nr. 212266) abgesteckt hat und die von den Obergerichten für die Positionen Verbringungskosten und UPE-Aufschläge in st. Rspr. umgesetzt wird („Was wäre bei einer Werkstattreparatur in der Region typischerweise bzw. wahrscheinlich angefallen?“). Überlegungen zum Werkstattrisiko sind hier von vornherein fehl am Platz.

     

    • 9. Exkurs: Desinfektionskosten in Sachverständigen-Rechnung. Für Ersatzfähigkeit AG Böblingen 17.2.21, 1 C 1773/20, Abruf-Nr. 220682; AG Köln 16.3.21, 267 C 177/20.
     

    Übersicht 2 / Ersatzbeschaffung

    • 1. Die Lage: Coronabedingt kann die Beschaffung eines gleichwertigen Ersatzfahrzeugs unmöglich oder zumindest wesentlich erschwert sein. Der seriöse Fachhandel ist nicht mehr oder nur unter erschwerten Bedingungen zugänglich. Bekanntlich ist das von Zeit (Lockdown ja/nein/“jein“), Land und Region abhängig. Wegweiser im Chaos sind die Verbände ZDK und BVfK. Zusatzhindernis: Geschlossene Zulassungsstellen.

     

    • 2. Angesichts des nachhaltig gestörten Marktgeschehens kann schon die Ersatzbeschaffung als Wiederherstellungsalternative, nicht erst deren Dauer (dazu Übersicht 5) zum Thema werden. Mehrere Szenarien/Optionen kommen in Betracht: Der Geschädigte kann auf seine Ersetzungsbefugnis verzichten und die Ersatzbeschaffung (inkl. Wrackverwertung) in die Hände des Schädigers/Versicherers legen. Im Rahmen seiner Ersetzungsbefugnis kann er verlangen, die Reparatur in stärkerem Maße als üblich zuzulassen, d. h. die Schwellenwerte von 100 und 130 Prozent nach oben zu verschieben. Weitere Möglichkeit: Nicht die Reparatur, sondern die Ersatzbeschaffung wird ausgeweitet, indem beim Merkmal der Gleichwertigkeit zugunsten des Geschädigten gelockert wird. Gegenzug der Versicherer. In Normalzeiten versperrte Einkaufsmöglichkeiten werden freigeschaltet, z. B. der überregionale Markt unter Einschluss des Privatmarktes. Als Alternative zum stationären Autohauserwerb wird der Geschädigte auf eine Ersatzbeschaffung per Fernabsatz verwiesen.
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    • 3. Vorgelagert ist die Frage, ob die vorübergehende Störung des Kfz-Markts durch Covid-19 zulasten des Schädigers geht oder vom Geschädigten als allgemeines Lebensrisiko bzw. als höhere Gewalt hinzunehmen ist. Der Rspr. zu den Desinfektionskosten (Übersicht 1) kann die Grundtendenz entnommen werden, dass die Gerichte in der Frage der Risikoverteilung aufseiten des Geschädigten stehen. Dem ist zuzustimmen (ebenso Studinger/Altun, NZV 21, 162; Vater, MRW 4/20, 62; abw. de Biasi, NZV 21, 113).

     

    • 4. Eins steht fest: Der Privatmarkt ist kein geeigneter Beschaffungsmarkt. Das war er vor Corona nicht und das ist er auch heute nicht (zutreffend AG Wolfsburg 12.10.20, 23 C 48/20, Abruf-Nr. 218296). Dass der Geschädigte nicht auf den theoretisch möglichen Kauf im Fernabsatz verwiesen werden kann, lässt sich mit AG Nürnberg 14.10.20, 21 C 4507/20 (Abruf-Nr. 218328) begründen. Ein Online-Auto-Abo ist gleichfalls keine Alternative.

     

    • 5. Pragmatischer Vorschlag: Will der Geschädigte bzw. sein Anwalt aus Gründen von Corona neue Wege der Schadensdeckung gehen, sollte er sich vorher mit dem gegnerischen Versicherer abstimmen. Kooperation, nicht Konfrontation ist das Gebot der Stunde.
    • 6. Nicht nur die Ersatzbeschaffung als solche, auch die Ermittlung des Wiederbeschaffungswerts rückt in Corona-Zeiten verstärkt in den Fokus, zumal bei fiktiver Abrechnung. Dass der Wiederbeschaffungswert auch bei faktischer Unmöglichkeit einer Ersatzbeschaffung die maßgebliche Größe bleibt, sagt BGH NJW 10, 2121 Rn. 8. Zur Problematik s. auch Eggert, VA 19, 211. Die vorübergehende Senkung des Umsatzsteuersatzes hat in der Gerichtspraxis, soweit ersichtlich, bisher keine Rolle gespielt.

     

    • 7. Erst fiktiv, dann konkret: Die Kosten der Ersatzbeschaffung im ersten Schritt fiktiv abzurechnen, um dann später, nach einem Ersatzkauf, auf konkret umzusteigen, ist gerade in Corona-Zeiten eine überlegenswerte Option. Ein solcher Wechsel der Abrechnungsart kommt selbstverständlich auch bzgl. der Reparaturkosten in Betracht, freilich mit dem ungelösten Zusatzproblem einer etwaigen Bindung an einen zwischenzeitlichen (zulässigen) Werkstattverweis. Rspr. zur Wechselthematik unter BGH NJW 17, 1310 Rn. 18; zur Preiserhöhung nach Verweisung BGH NJW 20, 1795.