· Fachbeitrag · Unfallschadensregulierung
Konkrete versus fiktive Abrechnung - Unterscheidung und praktische Konsequenzen
von VRiOLG a.D. Dr. Christoph Eggert, Leverkusen
| Einige aktuelle Entscheidungen des BGH haben die Praxis weiter verunsichert. Wann ist eine Abrechnung des Fahrzeugschadens eine konkrete, wann eine fiktive? Und was sind die Konsequenzen, wenn der Geschädigte auf die eine oder auf die andere Karte setzt? Oder auf beide: a) gleichzeitig, b) sukzessive? Der Beitrag gibt Antworten auf diese Fragen. |
Übersicht /l Worauf kommt es für die Unterscheidung „konkret/fiktiv“ aus heutiger BGH-Sicht an? |
Fallbeispiel 1 (BGH 5.2.13, VI ZR 363/11, VA 13, 55): Der Kl. ließ sein eindeutig reparaturwürdiges Fahrzeug nicht reparieren, sondern verkaufte es und erwarb ein Ersatzfahrzeug zu einem Preis, der incl. Regelumsatzsteuer über dem Wiederbeschaffungswert lag. Der bekl. VR regulierte auf der Basis der Nettoreparaturkosten. Der Kl. verlangt Zahlung der auf Reparaturkostenbasis kalkulierten (anteiligen) USt.
Die Vorinstanzen haben der Klage insoweit stattgegeben. Für das Berufungsgericht handelt es sich um eine fiktive Reparaturkostenabrechnung gepaart mit einer (konkreten) Abrechnung tatsächlich angefallener USt. Anders der BGH. Für ihn ist es keine Kombination aus fiktiver und konkreter Abrechnung, sondern konkret pur. Der Kl. rechne seinen Schaden konkret auf der Grundlage der Beschaffung eines Ersatzfahrzeugs ab. Diese neue Sichtweise (keine Reparaturkosten-, sondern „gekappte“ Totalschadensabrechnung) wird von den Instanzgerichten entweder nicht realisiert oder missverstanden (weiterhin für Kombination OLG Köln SP 14, 229, so wie früher z.B. OLG Dresden 20.8.10, 8 U 682/10, juris).
Demgegenüber hat der BGH in folgendem Fall eine fiktive Abrechnung angenommen:
Fallbeispiel 2 (BGH 22.9.09, VI ZR 312/08, VA 09, 200): Klarer Reparaturfall wie oben; das Unfallfahrzeug wird gleichfalls unrepariert verkauft und ersetzt durch ein von privat und damit umsatzsteuerfrei gekauftes Fahrzeug (Preis über WBW). Der Kl. verlangt außer den Nettoreparaturkosten lt. Gutachten die darin ausgewiesene, aber nirgendwo tatsächlich angefallene USt. Das Berufungsgericht spricht diese zu. Begründung: Es gehe nicht um den Ersatz fiktiver USt., sondern um den Ersatz des tatsächlich für die Ersatzbeschaffung aufgewendeten Betrags, begrenzt auf die Bruttoreparaturkosten. Anders der BGH. Keine (konkrete) Abrechnung auf Ersatzbeschaffungsbasis, sondern eine fiktive Abrechnung von Reparaturkosten ohne Anspruch auf Ersatz nicht angefallener USt.
Von einer fiktiven Abrechnung geht der BGH auch bei folgender Konstellation aus:
Fallbeispiel 3 (BGH 3.12.13, VI ZR 24/13, VA 14, 23): Der Geschädigte lässt sein Fahrzeug sach- und fachgerecht nach Maßgabe des Schadengutachtens reparieren, also keine Teilreparatur. Da die Fachwerkstatt (aus nicht mitgeteilten Gründen) preisgünstiger gearbeitet hat als vom Sachverständigen kalkuliert, rechnet er die Nettoreparaturkosten auf Gutachtenbasis ab und legt nachträglich die Rechnung vor, um die darin ausgewiesene USt. zu erhalten. Für die Vorinstanzen handelt es sich um eine - zulässige - Kombination aus fiktiver und konkreter Abrechnung. Sie entscheiden pro Kläger. Dagegen weist der BGH die Klage als unschlüssig ab. |
Was macht in den Augen des BGH den Unterschied zwischen den beiden Abrechnungsarten aus? Mal scheint es mit dem Gutachten die Basis der Abrechnung zu sein, mal das, was der Geschädigte zur Schadensbeseitigung unternommen hat. In der Tat ist der Begriff „fiktive Abrechnung“ mehrdeutig. Als gesichert kann gelten:
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Daraus lassen sich im Anschluss an Wellner (BGH-Rechtsprechung zum Kfz-Sachschaden, § 12) folgende Definitionen ableiten:
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Arbeitshilfe / Erläuterung anhand von Beispielen |
Die folgenden drei Beispiele verdeutlichen die Abgrenzungsproblematik:
Eigenreparatur: Kann eine Eigenreparatur, für die es keinerlei Rechnung gibt, auch konkret abgerechnet werden? Antwort: ja! Wer nach einer Eigenreparatur den Aufwand der tatsächlichen Reparatur (konkret) „dem Wert nach“ abrechnet (z.B. anhand eines speziellen Bewertungsgutachtens), rechnet konkret ab (Wellner NJW 12, 7). Der Karosseriebaumeister in BGH NJW 03, 2085 hat diese Abrechnungsart nicht gewählt. Seine Abrechnung auf der Basis eines „normalen“ Schadensgutachtens war also eine „fiktive“ (so BGH NJW 07, 588 Tz. 10). Dementsprechend müsste auch der Kfz-Mechaniker im 130-Prozent-Fall BGH NJW 92, 1618 „fiktiv“ abgerechnet haben. Hat er aber nicht.
Teilreparatur: Wer die Kosten einer vollständigen und fachgerechten Reparatur auf Gutachtenbasis abrechnet, aber mit der Reparatur, gleich, ob fremd oder eigen, hinter den Vorgaben des Sachverständigen zurückbleibt, rechnet fiktiv ab (BGH NJW 11, 667).
„Billigreparatur“ in Fremdwerkstatt: Wer unter Verwendung von Gebrauchtteilen kostengünstiger als im Gutachten kalkuliert reparieren lässt, aber den höheren Betrag lt. Gutachten geltend macht, rechnet insgesamt, nicht nur teilweise, fiktiv ab (BGH NJW 08, 1941). Ebenso derjenige, der nach einer gutachtenkonformen, aber preisgünstigeren Vollreparatur auf der Grundlage des Gutachtens den höheren (Netto-)Betrag beansprucht (BGH NJW 14, 535). |
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