· Fachbeitrag · Verkehrsunfallprozess
Teilschmerzensgeld/Teilklage oder Gesamtschmerzensgeld/Vollklage?
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Sachverhalt und Gründe
Die zur Unfallzeit 66-jährige Kl. war als Insassin eines Pkw bei einer Frontalkollision mit einem anderen Pkw erheblich verletzt worden. Die volle Ersatzpflicht des Unfallgegners stand außer Streit. Vorgerichtlich zahlte der bekl. VR ein Schmerzensgeld von 55.000 EUR. Mit ihrer Klage begehrt die Kl. u.a. ein mit 145.000 EUR beziffertes Teilschmerzensgeld sowie die Feststellung, dass die Bekl. verpflichtet sind, sämtliche weiteren ab Klageerhebung eintretenden materiellen und immateriellen Schäden aus dem Unfall zu ersetzen.
Das LG verurteilt die Bekl. u.a. zur Zahlung eines Teilschmerzensgelds von 95.000 EUR (145.000 EUR ./. 55.000 EUR) und stellt antragsgemäß ihre Ersatzpflicht in Bezug auf materielle wie immaterielle Zukunftsschäden fest. Die Berufung des bekl. VR war teilweise erfolgreich.
Das OLG bestätigt den Zuspruch von Schmerzensgeld der Höhe nach, hält jedoch die Geltendmachung eines Teilschmerzensgelds für unzulässig. Ob die Voraussetzungen erfüllt sind, unter denen eine offene Teilklage im Schmerzensgeldprozess ausnahmsweise zulässig ist, lässt der Senat offen. Jedenfalls fehle der Kl. für eine solche Teilklage ein Rechtsschutzbedürfnis. Was sie mit ihr verfolge, sei durch ihren Feststellungsantrag abgedeckt. Gleichwohl, so das OLG weiter, könne der Schmerzensgeldklage in der Sache stattgegeben werden. Denn zumindest hilfsweise sei sie auf einen Anspruch gestützt, der auch den vorhersehbaren immateriellen Schaden vollständig umfasse.
Praxishinweis
Beim Teilschmerzensgeld bewegt sich der Geschädigte auf dünnem Eis (Ch. Huber, ZVR 11, 402). Die Kl. ist eingebrochen, freilich erst in II. Instanz und, wofür einiges spricht, ohne Vorwarnung nach § 139 ZPO. So konnte ihr Anwalt nicht verhindern, dass dem OLG gleich mehrere Fehler unterlaufen sind. Fehlinterpretiert hat es zunächst die Aussage in der Leitentscheidung BGH NJW 04, 1243 unter 2c, cc („nicht bedurft hätte…“). Sie wird allgemein nicht dahin verstanden, dass bei Erhebung einer sämtliche immateriellen Zukunftsschäden umfassenden Feststellungsklage kein Rechtsschutzbedürfnis für eine offene (aufgedeckte) Teilklage besteht.
Vielmehr lautet die Empfehlung für Geschädigten-Anwälte: Bei ungewisser Entwicklung der Verletzungen bzw. ihrer Folgen, also der Möglichkeit eines weiteren Schadeneintritts nach Schluss der mündlichen Verhandlung, statt Vollklage (Gesamtschmerzensgeld) eine offene Teilklage in Erwägung ziehen, kombiniert mit einem Feststellungsantrag. Dieser hat dann einen größeren Rahmen als ein Feststellungsantrag, der eine Vollklage flankiert.
Begründung für die Kombi-Lösung „Teilklage/Feststeller“: Nur der zusätzliche Feststellungsantrag bringt verjährungsrechtlich die erforderliche Absicherung (Ch. Huber, NK-BGB, § 253 Rn.154; Jaeger/Luckey, Schmerzensgeld, Rn.1442; Diederichsen, VersR 05, 433, 440; Terbille, VersR 05, 37; Berg, NZV 10, 63). Ein Teilschmerzensgeld ohne Feststeller einzuklagen, ist und bleibt ungeachtet der Naumburger Entscheidung ein anwaltlicher Fehler, sofern kein titelersetzendes Anerkenntnis vorliegt. Verjährungsrechtlich bringt eine Teilklage in Bezug auf eine Nachforderung keine Sicherheit.
Weiterführender Hinweis
- Zur Gesamtproblematik „Teilschmerzensgeld“ s. Ch. Huber, NK-BGB, § 253 Rn. 152 ff.; Eggert, VA 07, 64; aus der aktuellen Rspr. OLG München 11.4.14, 10 U 4757/13, juris; OLG Saarbrücken VA 11, 145 mit weiteren Nachw. im Praxishinweis.