12.07.2010 | Rechtstreitigkeiten
Der Verein vor Gericht: Basiswissen für Vereins-Praktiker
von Rechtsanwalt Michael Röcken, Bonn
Es gibt immer wieder Situationen, in denen ein Verein gerichtliche Hilfe in Anspruch nehmen muss oder sich einer Klage ausgesetzt sieht. Nachfolgend erläutern wir Ihnen, wie sich der Verein verhalten soll und welchen Risiken er ausgesetzt ist.
Grundsätzliches
Vor Gericht werden die Beteiligten „Parteien“ genannt. Man unterscheidet zwischen dem Kläger und dem Beklagten. Ob ein Verein klagen oder verklagt werden kann, hängt davon ab, ob er „parteifähig“ ist.
Bis vor kurzem war es so, dass nur rechtsfähige - also im Vereinsregister eingetragene - Vereine klagen konnten. Verklagt werden konnten hingegen sowohl eingetragene als auch nicht eingetragene Vereine. Mit der jüngsten Novelle des Vereinsrechts, die seit dem 30. September 2009 gilt (Abruf-Nr. 093290) wurde § 50 Absatz 2 Zivilprozessordnung (ZPO) entsprechend geändert. Seitdem haben auch nicht rechtsfähige Vereine die Stellung eines rechtsfähigen Vereins - und können klagen.
Zuständiges Gericht
Welches Gericht konkret zuständig ist, richtet sich nach den Kriterien sachliche und örtliche Zuständigkeit.
Sachliche Zuständigkeit
Welches Gericht zuständig ist, entscheidet sich zunächst danach, über welchen Gegenstand man sich streitet. Handelt es sich beispielsweise um Ansprüche aus einem Arbeitsverhältnis, ist das Arbeitsgericht zuständig. Handelt es sich um eine sogenannte bürgerlich-rechtliche Streitigkeit, weil beispielsweise der Verein einen Kaufpreis nicht gezahlt hat oder sich ein ausgeschlossenes Mitglied gegen den Ausschlussbeschluss wendet, ist entweder das Amts- oder Landgericht zuständig. Dies ist wiederum vom sogenannten „Streitwert“ abhängig.
Der Streitwert ergibt sich bei einer vermögensrechtlichen Streitigkeit aus dem Wert der Sache. Handelt es sich um eine nicht vermögensrechtliche Streitigkeit, muss der Streitwert nach dem Ermessen bestimmt werden
(§ 48 Absatz 2 Gerichtskostengesetz [GKG]). Dabei sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, vor allem der Umfang und die Bedeutung der Sache sowie die Vermögens- und Einkommensverhältnisse der Parteien.
Wichtig: Das Amtsgericht ist zuständig, wenn der Streitwert 5.000 Euro nicht übersteigt; ansonsten das Landgericht.
Beispiel vermögensrechtliche Streitigkeit
Der Verein hat neue Turnmatten in einem Gesamtwert von 1.200 Euro gekauft. Versehentlich vergisst der Kassier, die Rechnung zu zahlen. Da er auch die Mahnungen ignoriert, verklagt der Lieferant den Verein. Weil der Streitwert 1.200 Euro beträgt, wäre hier das Amtsgericht zuständig. |
Beispiele nicht vermögensrechtliche Streitigkeit
Beispiel 1: Ein Mitglied verlangt vom Vorstand Auskunft zu einzelnen Zuschüssen, die der Verein erhält. Da der Vorstand der Auffassung ist, dass er eine solche detaillierte Auskunft nicht geben muss, verweigert er sie. Das Mitglied verklagt den Verein. Weil es sich um eine nicht vermögensrechtliche Streitigkeit handelt, müsste der Wert hier durch das Gericht festgesetzt werden. Diese Festsetzung erfolgt unter Berücksichtigung der Gesamtumstände. Je nachdem, um welchen Verein es sich handelt, wird hier ein Streitwert zwischen 2.000 Euro und 4.000 Euro festgesetzt.
Beispiel 2: Ein Mitglied des Vorstands eines Vereins wird durch die Mitgliederversammlung ausgeschlossen. Das ehemalige Vorstandsmitglied erhebt hiergegen Klage. Auch hier ist kein Wert ersichtlich, sodass dieser festgesetzt werden muss. Das Amtsgericht Düsseldorf hatte diesen auf 3.000 Euro festgesetzt (Urteil vom 27.1.2009, Az: 52 C 10352/08). |
Örtliche Zuständigkeit
Aus der örtlichen Zuständigkeit ergibt sich, wo eine Klage erhoben werden muss. Die genaue örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus der ZPO.
- Soll der Verein verklagt werden, ist die Klage an das Gericht zu richten, an dessen Ort der Verein seinen Sitz hat (§ 17 Absatz 1 ZPO).
- Tritt der Verein als Kläger auf, ist zu unterscheiden, wen er verklagt.
- Richtet sich die Klage gegen seine Mitglieder, dann ist auch hier das Gericht des Vereinssitzes zuständig (§ 22 ZPO). Das gilt auch für Klagen, die Mitglieder untereinander führen.
- Wird eine Klage gegen andere Personen geführt, ergibt sich die örtliche Zuständigkeit aus den allgemeinen Regelungen der ZPO (§§ 12 bis 37); letztlich aus Gerichtsverzeichnissen, die sich auch im Internet finden (z. B. http://oertliche-zustaendigkeit.de)
Anwaltliche Vertretung
Ein Anwaltszwang besteht vor dem Amts- und Arbeitsgericht nicht. Der Verein kann sich dort selbst vertreten. Der Vorstand kann die erforderlichen Schriftsätze also selbst erstellen. Anderes gilt für Verfahren, die vor dem Landgericht (und aufwärts) geführt werden. Dort besteht Anwaltszwang.
Das Klageverfahren
Die verfahrensrechtlichen Fragen hängen davon ab, ob der Verein als Kläger oder Beklagter auftritt.
Der Verein als Kläger
Der Verein muss seinen Anspruch in einer Klageschrift darlegen. Darin müssen die Gesamtumstände beschrieben werden, warum der Verein diesen Anspruch hat. Gegebenenfalls muss dieser Anspruch auch durch Zeugenaussagen oder durch die Vorlage von Belegen bewiesen werden.
Diese Klageschrift wird dem Beklagten zugestellt. Er kann sich dann gegen die Klage verteidigen. Ist eine Einigung im schriftlichen Verfahren nicht möglich, findet im Anschluss in mündlicher Verhandlung die sogenannte Güteverhandlung statt. Üblicherweise folgt dann das Urteil, gegen das dann wieder (unter Umständen) Rechtsmittel möglich sind.
Nach § 26 Absatz 1 Satz 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) vertritt der Vorstand den Verein gerichtlich und außergerichtlich. Das heißt, dass der gesamte „Vorstand i. S. d. § 26 BGB“ in der Klageschrift aufzunehmen ist. Diese prozessuale Stellung hat zur Folge, dass Vorstandsmitglieder nicht als Zeugen, sondern nur als Partei gehört werden können.
Der Verein als Beklagter
Wenn der Verein sich einer Klage ausgesetzt sieht, ist schnelles Handeln geboten. Der Verein hat verschiedene Möglichkeiten, darauf zu reagieren.
- Zunächst sollte geprüft werden, ob ein Anwaltszwang besteht, beispielsweise wenn die Klage beim Landgericht eingereicht wurde.
- Verteidigungsanzeige: Ist der Verein der Auffassung, dass die Klage unbegründet ist, muss er nach der Zustellung innerhalb von zwei Wochen gegenüber dem Gericht anzeigen, dass er sich gegen die Klage verteidigen möchte. Diese Frist kann nicht verlängert werden (§ 276 ZPO). Bereits jetzt sollte der Verein entscheiden, ob ein Rechtsanwalt beauftragt werden soll.
- Anerkenntnis: Ist der Verein der Auffassung, dass der gerichtlich geltend gemachte Anspruch besteht, kann er diesen auch anerkennen. Unter Umständen lassen sich auf diesem Weg Kosten sparen. Bevor der Verein sich zu einem solchen Schritt entschließt, sollte er sich unbedingt rechtlich beraten lassen.
- Säumnis: Reagiert der Verein gar nicht, kann der Kläger beim schriftlichen Vorverfahren beantragen, dass ein Versäumnisurteil erlassen wird. Üblicherweise wird dieser Antrag schon in der Klageschrift gestellt. Ein Versäumnisurteil kann auch ergehen, wenn Anwaltszwang besteht und der Verein keinen Anwalt beauftragt hat. Gegen ein Versäumnisurteil kann Einspruch eingelegt werden (§ 338 ZPO).
- Kosten: Für ein Gerichtsverfahren fallen Kosten an (Gerichtskosten, eventuell Anwaltskosten). Beide richten sich nach dem Streitwert. Während die Gerichtskosten sich aus dem GKG ergeben, ergeben sich die Kosten für den Rechtsanwalt aus dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG). Für diese Kosten besteht eine Vorschusspflicht.
Beispiel
Ein Vereinsmitglied zahlt eine beschlossene Umlage nicht, sodass diese klageweise geltend gemacht werden soll. Der Gesamtbetrag beträgt 650 Euro. Auf den Verein kommen folgende Kosten zu: Gerichtskosten: Sie betragen nach § 34 GKG 135 Euro (insgesamt drei Gebühren, Nummer 1210 Anlage 1 GKG). Anwaltskosten: Der Rechtsanwalt kann für das gerichtliche Verfahren folgende Gebühren berechnen:
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Wichtig: Fragen Sie den Anwalt vorher, mit welchen Kosten Sie rechnen müssen, damit Sie das Kostenrisiko besser kalkulieren können. Nach § 91 ZPO hat die unterliegende Partei die Kosten des Rechtsstreit, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten. Sollte sich also im Beispiel ergeben, dass der Umlagenbeschluss nicht wirksam zustande gekommen ist, und die Klage abgewiesen wird, muss der Verein neben den obigen Kosten auch die Kosten für den gegnerischen Anwalt tragen.
Finanzierung eines Rechtsstreits über Prozesskostenhilfe
Vereinen bieten sich mehrere Möglichkeiten, einen Rechtsstreit zu finanzieren. So kann es sich anbieten, eine Rechtsschutzversicherung abzuschließen. Diese tritt dann für die Kosten ein. Teilweise bieten auch Verbände Gruppenverträge an.
Nachfolgend gehen wir aber auf eine andere - kostenlose - Alternative ein: Die Inanspruchnahme von Prozesskostenhilfe.
Drei Voraussetzungen
Für Vereine, die es sich nicht leisten können, einen Rechtsstreit zu finanzieren, kann Prozesskostenhilfe gewährt werden. Vor allem drei Voraussetzungen müssen erfüllt sein (§ 116 Nummer 2 ZPO):
- Der Verein muss im Inland, in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum gegründet worden und dort ansässig sein.
- Weder der Verein noch die am Gegenstand des Rechtsstreits wirtschaftlich Beteiligten können die Kosten aufbringen (Mittellosigkeit).
- Die Unterlassung der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung würde allgemeinen Interessen zuwiderlaufen.
Nachweis der Mittellosigkeit des Vereins
Der Verein muss darlegen, dass er nicht über die Mittel verfügt, um die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Dieser Nachweis kann durch die Vorlage geeigneter Unterlagen (Bilanzen, Einnahme-Überschuss-Rechnungen) geführt werden.
Es ist aber nicht ausreichend, wenn in jüngster Zeit nur Verluste erwirtschaftet wurden; der Verein darf auch nicht über andere Mittel verfügen, die für den Rechtsstreit verwendet werden könnten (Landesarbeitsgericht Köln, Beschluss vom 28.1.2010, Az: 5 Ta 433/09; Abruf-Nr. 101014). Weiter kann ihm zugemutet werden, dass er sich die erforderlichen Mittel über eine Kreditaufnahme besorgt.
Auch kann der Verein im Hinblick auf einen drohenden Rechtsstreit gehalten sein, Rücklagen anzulegen (Kammergericht Berlin, Beschluss vom 13.4.2006, Az: 12 U 249/04).
Nachweis der Mittellosigkeit der wirtschaftlich Beteiligten
Nch § 16 ZPO dürfen auch die wirtschaftlich Beteiligten über keine entsprechenden Mittel verfügen. Wirtschaftlich Beteiligte im Sinne des § 116 ZPO sind diejenigen, auf deren Vermögenslage sich ein Obsiegen oder ein Unterliegen der juristischen Person wirtschaftlich auswirkt.
Grundsätzlich zählen der Vorstand und die Mitglieder eines Vereins zu den wirtschaftlich Beteiligten, wenn sie den Verein durch ihre Beiträge oder auch Umlagen wirtschaftlich tragen (Landgericht Osnabrück, Beschluss vom 10.1.2007, Az: 12 O 1908/06). Auch diese müssen ihre Bedürftigkeit gegenüber dem Gericht darlegen.
Werden die Mittel eines Vereins im Wesentlichen durch die öffentliche Hand zur Verfügung gestellt, sind die Mitglieder dagegen nicht wirtschaftlich beteiligt (Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 3.2.1987, Az: 5 W 2/87)
Allgemeines Interesse
Die dritte - in § 116 ZPO genannte - Voraussetzung für die Gewährung von Prozesskostenhilfe ist, dass die Unterlassung der Rechtsverfolgung dem allgemeinen Interesse zuwiderlaufen würde.
Dieses allgemeine Interesse ist gegeben, wenn durch den Ausgang des Rechtsstreits größere Kreise der Bevölkerung oder des Wirtschaftslebens angesprochen werden. Ein solches könnte angenommen werden, wenn ein gemeinnütziger Verein, der zahlreiche Projekte in einer Stadt durchführt, durch diesen Rechtsstreit aufgelöst werden würde und dies Auswirkungen auf größere Kreise hat.
Das allgemeine Berufen auf eine bestehende Anerkennung als gemeinnützige Organisation ist nicht ausreichend. Das allgemeine Interesse wird für den jeweiligen Einzelfall unter Abwägung der Gesamtumstände ermittelt und sollte dementsprechend umfassend dargelegt werden.