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  • · Fachbeitrag · Richtsatzsammlung

    Warenverderb im Kontext des Rohgewinnaufschlagsatzes

    von Philipp Blanke und Dr. Karsten Webel, LL.M. (Indiana), Hamburg

    | Lässt sich keine ordnungsgemäße Kassenführung nachweisen, drohen (Hinzu-)Schätzungen im Rahmen der Betriebsprüfung und entsprechende Strafverfahren. Dies gilt insbesondere für bargeldintensive Branchen wie Gast-, Speise- und Schankwirtschaften. Die Schätzung orientiert sich oft an den sich aus der jeweiligen Gewerbeklasse ergebenden Richtsätzen des BMF. Obwohl es sich dabei nur um eine grobe Schätzung handelt, wird diese Art der Hinzuschätzung oft angewandt und findet auch durch einschlägige Rechtsprechung regelmäßig Bestätigung. |

    1. Die Richtsatzsammlung

    In der letzten Zeit hat sich der BGH in Strafsachen mehrfach zur Richtsatzsammlung des BMF geäußert (zuletzt BGH 14.5.20, 1 StR 6/20). Der BGH geht davon aus, dass in den Fällen, in denen Umsätze und Gewinne nicht konkret berechnet werden können und die vorhandene Tatsachengrundlage nicht ausreicht, um andere Schätzungsmethoden anzuwenden, auch die pauschale Schätzung der Besteuerungsgrundlagen gestützt auf die Richtwerte für Rohgewinnaufschlagsätze aus der Richtsatzsammlung des BMF zulässig ist. Dabei ist aber stets zu beachten, dass es sich bei der Anwendung der Richtsätze um ein eher grobes Schätzungsverfahren handelt und folglich auch die festgestellten Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind. Die Richtsätze sind nicht mehr und nicht weniger als ein Hilfsmittel für die Finanzverwaltung, Umsätze und Gewinne der Gewerbetreibenden zu verproben und ggf. bei Fehlen anderer geeigneter Unterlagen gem. § 162 AO zu schätzen. Der BFH geht davon aus, dass es sich bei der Richtsatzsammlung um eine anerkannte Schätzungsmethode handelt (z. B. BFH 8.8.19, X B 117/18).

     

    Für die Anwendung der Richtsatzsammlung ist zunächst von der Gewerbeklasse des jeweiligen Betriebs auszugehen. Es handelt sich um 75 unterschiedliche Branchen (Stand Richtsatzsammlung 2018), z. B. ambulante soziale Dienste, Eisdielen und Schlossereien, in denen teilweise wiederum nach dem wirtschaftlichen Umsatz differenziert wird. Auf Großbetriebe sind die Richtsätze generell nicht anwendbar. Die Richtsätze sind für die einzelnen Gewerbeklassen auf der Grundlage von Betriebsergebnissen zahlreicher geprüfter Unternehmen ermittelt worden. Es handelt sich somit um eine Form des äußeren Betriebsvergleichs.

     

    Die Aufnahme neuer Gewerbeklassen ist von der Zahl der im Bundesgebiet vorhandenen Betriebe abhängig. Statistisch ist es erst ab ca. 10.000 Betrieben möglich, einen repräsentativen Querschnitt darzustellen. Die Ermittlung der Richtsätze erfolgt im Wege von Betriebsprüfungen der den jeweiligen Gewerbeklassen angehörenden Betriebe, wobei i. d. R. alle vier Jahre eine neue Erhebung und auch eine Überprüfung der Werte erfolgt.

     

    Welche Parameter in die Erstellung der Richtsatzsammlung einfließen, wurde in der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage ‒ BT-Drucksache 19/3987 ‒ dargelegt. Hieraus ergeben sich aber auch einige Kritikpunkte:

     

    • U. a. ist nicht bekannt, wie viel Prozent der Betriebe der jeweiligen Branche/Gewerbeklasse geprüft wurden, um die Daten zu ermitteln. Auch der Vierjahresturnus der Erhebung führt dazu, dass nicht immer aktuelle Daten zugrunde gelegt werden. Selbst wenn keine Auswahl der Betriebe mit dem Ziel erfolgt, die Festsetzung der Richtsätze in eine bestimmte Richtung zu beeinflussen, werden in der Praxis je nach Bundesland und Prüfungskapazitäten tendenziell eher jene Betriebe ausgewählt, die ein hohes Betriebsergebnis erwirtschaften oder bei vorheriger Durchsicht ein hohes steuerliches Mehrergebnis vermuten lassen.

     

    • Betriebe mit geringem oder negativem Betriebsergebnis werden eher nicht geprüft, sodass deren Daten nicht in die Richtsatzsammlung aufgenommen werden. Betriebe, bei denen im Ergebnis der Betriebsprüfung ein negatives Betriebsergebnis festgestellt wurde, bleiben bei der Ermittlung der Richtsätze unberücksichtigt. Begründung: Bei Betrieben mit einem Gewinn geringer als 0 EUR sei eine Verprobung des Gewinns nicht möglich. Folglich sollen diese Betriebe außer Ansatz bleiben, um die Richtwerte nicht zu verfälschen.

     

    • Dementsprechend ist nicht abschließend geklärt, inwieweit die Richtsatzsammlung bzw. die darin ermittelten Rohgewinn-/Rohgewinnaufschlagsätze repräsentativ und aussagekräftig sind.

     

    MERKE | Die Richtsatzsammlung kann unter www.bundesfinanzministerium.de mit dem Suchbegriff „Richtsatzsammlung“ abgerufen werden und wird in regelmäßigen Abständen aktualisiert.

     

    2. Anwendung der Richtsatzsammlung im Steuerstrafrecht

    Schon in steuerlichen Verfahren kann im Fall eines durch den Steuerpflichtigen formell ordnungsgemäß ermittelten Buchführungsergebnisses eine Gewinn- und Umsatz(hinzu)schätzung i. d. R. nicht allein darauf gestützt werden, dass die erklärten Gewinne oder Umsätze von den Werten der Richtsatzsammlung abweichen. Die Beweiskraft einer formell ordnungsgemäßen Buchführung dürfte durch einen Richtsatzvergleich aufgrund der erheblichen damit verbundenen Unsicherheiten nur bei ausgesprochen gewichtigen Abweichungen des Buchführungsergebnisses (mindestens größer ca. 25 %) zu erschüttern sein. Die Finanzbehörde muss, wenn der Steuerpflichtige die materielle Unrichtigkeit der Buchführung nicht einräumt, konkrete Hinweise auf die Unrichtigkeit des Buchführungsergebnisses vorlegen.

     

    Liegt keine ordnungsgemäße Buchführung vor und erweist sich die konkrete Ermittlung der zutreffenden Zahlen von vornherein oder nach entsprechenden Berechnungsversuchen als unmöglich, z. B. da der Täter in einer bargeldintensiven Branche die Kassenaufzeichnungen in nicht mehr nachvollziehbarem Umfang manipuliert hat, ist eine Schätzung dem Grund nach zu rechtfertigen. Ein Richtsatzvergleich kann herangezogen werden, um die Höhe der zu schätzenden Besteuerungsgrundlagen zu ermitteln. In einem solchen Fall kann ‒ ausnahmsweise ‒ auch im Strafrecht pauschal geschätzt werden. Dabei besteht nicht nur die Möglichkeit, von den niedrigsten Rohgewinnaufschlagsätzen der Richtsatzsammlung auszugehen. Vielmehr kann das Strafgericht sich zulasten des Täters bei der Festsetzung des Rohgewinnaufschlagsatzes auch an mittleren oder hohen Werten der Richtsatzsammlung orientieren. Liegen Anhaltspunkte für eine überdurchschnittliche Ertragslage vor ‒ z. B. Erkenntnisse aus Zeugenbefragungen, eine gute Lage des Geschäftsbetriebs, eine mittlere bis überdurchschnittliche Preisgestaltung ‒, darf der amtliche Mittelwert der Richtsatzsammlung durchaus auch bei einer strafrechtlichen (Richtsatz-)Schätzung überschritten werden.

     

    Auch aus dem Grundsatz in dubio pro reo ergibt sich insoweit nichts anderes, da dieser Grundsatz nur greift, wenn sich der Richter über die entscheidungserheblichen Tatsachen keine Klarheit verschaffen kann. Beim Richter müssen nach Ausschöpfung aller Aufklärungsmittel im konkreten Einzelfall vernünftige Zweifel über das Vorliegen einer entscheidungserheblichen Tatsache verbleiben. Aus dem Zweifelssatz kann hingegen nicht gefolgert werden, dass der Tatrichter unter bestimmten Voraussetzungen Zweifel haben oder immer von dem für den Steuerpflichtigen günstigsten Ergebnis ausgehen muss.

     

    In der Praxis wird hingegen von den Strafverfolgungsbehörden teilweise versucht, sich durch Rückgriff auf den jeweils niedrigsten Richtsatz dem Erfordernis einer entsprechenden Begründung der Schätzung zu entziehen.

     

    Im Fall einer auf der Anwendung der Richtsatzsammlung basierenden Schätzung im Strafverfahren ist eine der Hauptaufgaben der Verteidigung folglich, im Einzelnen zu begründen, dass und warum die verallgemeinerten Werte der Richtsätze nicht den Besonderheiten des jeweiligen Betriebs gerecht werden. So ist z. B. zu klären, ob gewisse Leistungen kostenlos an die Kunden weitergegeben („aufs Haus“) oder Waren gestohlen wurden. Einer der wichtigsten Bereiche für entsprechende Verteidigungsansätze ist aber der Warenverderb.

    3. Manipulationen im Bereich des Warenverderbs

    Hinsichtlich des Manipulationspotenzials im Bereich des Warenverderbs muss die Vielschichtigkeit der Gastronomiebetriebe in Deutschland berücksichtigt werden. Neben einer großen Anzahl verschiedener Länderküchen bestehen signifikante Unterschiede in der Verwendung von Convenience-Produkten, tiefgekühlten und frischen Lebensmitteln.

     

    Bei Convenience-Produkten (convenience engl. für „Bequemlichkeit“) handelt es sich um vorgefertigte Lebensmittel, bei denen der Nahrungsmittelhersteller bestimmte Be- und Verarbeitungsstufen übernimmt, um u. a. in der Gastronomie eine schnellere und einfachere Zubereitung zu ermöglichen. So können Produkte z. B. so weit bearbeitet sein, dass sie nur noch gegart oder gemischt werden müssen.

     

    Tendenziell werden in der gehobenen Gastronomie ausschließlich frische und zumeist teure Lebensmittel verwendet. Dies steigert potenziell den Wareneinsatz sowie den Anteil des Warenverderbs. Hingegen wird in Imbissen, Systemgastronomien etc. ein hoher Anteil an Convenience- und Tiefkühlprodukten verwendet. Insbesondere Tiefkühlprodukte sind in ihrer Eigenschaft lange haltbar, sofern die Kühlkette eingehalten wird. Aber auch Convenience-Produkte sind i. d. R. länger haltbar und bieten zudem die Vorteile von weniger „Verschnitt“ und eines geringeren Personalaufwands. Es sind aber auch hier die Umstände des Einzelfalls zu beachten (BGH, a. a. O.).

     

    Für Warenverderb kann es zahlreiche Gründe geben. Der bedeutendste Faktor ist menschliches Versagen. Die Kühlkette wird nicht eingehalten, Hygienevorschriften oder präventive Maßnahmen werden missachtet, um Gefahren im Zusammenhang mit Lebensmitteln (HACCP) zu vermeiden. Es werden Fehlkalkulationen durchgeführt, das First-in-first-out-Prinzip wird nicht angewandt oder grundlegende Regeln der Lagerhaltung werden nicht eingehalten. Der Beweis gestaltet sich hierbei schwierig, da bereits einzelne, wenige Mitarbeiter einen großen Schaden anrichten können. Einzig gezielte Befragungen, z. B. von ausgeschiedenen Mitarbeitern, könnten hier Klarheit bringen.

     

    MERKE | Der Steuerpflichtige sollte zeitnah verdorbene Waren dokumentieren, um etwaige Hinzuschätzungen in diesem Bereich abzuwenden. Dabei sind auch die Gründe für den Verderb dezidiert und belegbar festzuhalten.

     

    Im Gegensatz zu Handwerksbetrieben kann jeder ungelernte Laie einen Gastronomiebetrieb eröffnen. Daraus ergibt sich ein erhebliches Gefälle, was die Ausbildung des Personals sowie das entsprechende Grundwissen anbelangt und so den Faktor des menschlichen Versagens noch mehr in den Fokus rückt.

     

    Ein weiterer bedeutender Faktor ist technisches Versagen. Kühlhäuser erleiden einen Defekt, es kommt zum Stromausfall oder gar zu größeren Schäden durch Feuer, Wassereinbruch, etc.

     

    All diese Ereignisse lassen sich i. d. R. gut im Nachhinein durch Reparaturrechnungen, Auskünfte beim Stromversorger etc. nachvollziehen und bieten daher ‒ abgesehen von der Menge der jeweils verdorbenen Waren ‒ ein eher geringes Manipulationsrisiko.

     

    Festzuhalten ist, dass, je höher der Anteil frischer und hochwertiger Lebensmittel am Wareneinsatz ist, desto höher auch der Warenverderb in Relation zum Umsatz ausfällt.

     

    Stets ist die jeweilige Auslastung des Betriebs zu beachten. Saisonale Besonderheiten mögen in der Richtsatzsammlung hinreichend berücksichtigt werden. Außergewöhnliche Ereignisse, wie z. B. Auswirkungen der Corona-Pandemie inklusive etwaiger Nachwirkungen, können jedoch nicht branchenspezifisch vereinheitlicht werden. Diese müssen individuell beachtet werden. Hier gilt: Je geringer die Auslastung, desto höher der anteilige Warenverderb, da trotz geringer Auslastung eine gewisse Menge an Lebensmitteln bereitgehalten werden muss, die im Zweifel unweigerlich verderben.

    4. Richtsatzsammlung bezüglich Warenverderb

    Teil der Richtsatzsammlung und im Hinblick auf den Warenverderb relevant ist der Rohgewinnaufschlagsatz. Dieser bezeichnet das Verhältnis zwischen Rohgewinn und Wareneinsatz. Der tatsächliche Wareneinsatz ermittelt sich durch:

     

    • Wareneinsatz

    Materialeinkauf

    +

    Materialbestand zum 1.1. (durch Inventur)

    -

    Materialbestand zum 31.12. (durch Inventur)

    =

    tatsächlicher Wareneinsatz

     

    Dieser Wareneinsatz beinhaltet auch Verderb, Diebstahl und Schwund.

     

    In der Gewinn- und Verlustrechnung wirkt sich der Warenverderb (ebenso wie Diebstahl und Schwund bezogen auf das Umlaufvermögen) nicht weiter auf den Gewinn aus. Eine gewinnmindernde Berücksichtigung als Betriebsausgabe hat bereits im Zeitpunkt der Anschaffung über den Wareneinkauf stattgefunden. Der tatsächliche Wareneinsatz ermittelt sich wie oben beschrieben anhand der Inventur.

     

    Die Richtsatzsammlung umfasst hinsichtlich des Rohgewinnaufschlagsatzes je Gewerbeklasse und Umsatz eine Spanne (z. B. Pizzerien bis 150.000 EUR wirtschaftlicher Umsatz: 186‒488) und einen entsprechenden Mittelwert (z. B. Pizzerien bis 150.000 EUR wirtschaftlicher Umsatz: 270). Der Betriebsprüfer ermittelt nun anhand der vorliegenden Unterlagen den Rohgewinnaufschlagsatz und gleicht diesen mit der Richtsatzsammlung des BMF ab. Liegen Mängel in der Buchführung vor und fällt der ermittelte Rohgewinnaufschlagsatz geringer aus, kann es zu einer Hinzuschätzung kommen.

     

    Die Spanne in der Richtsatzsammlung soll dem Betriebsprüfer (oder Gericht) ermöglichen, individuelle Gegebenheiten zu beachten und damit der Wirklichkeit möglichst nahe zu kommen. Zu berücksichtigen sind insbesondere die Lage (z. B. Randbezirk oder Innenstadt), Auslastung und individuelle Besonderheiten innerhalb der Gewerbeklasse. In welchem Umfang innerhalb der Spanne die Hinzuschätzung erfolgt, entscheidet der Prüfer jedoch anhand seiner Erkenntnisse und Erfahrungswerte. Die ermessensgerechte Festsetzung des Rohgewinnaufschlagsatzes anhand der Richtsatzsammlung setzt neben Wissen über den jeweiligen Betrieb nicht nur dezidierte Kenntnisse und Erfahrungen hinsichtlich der allgemeinen Prüfung von Gastronomiebetrieben voraus, sondern auch Erfahrungswerte bezüglich der praktischen Abläufe in Küche und Service. Zudem muss eine vertiefte Kenntnis über die Unterschiede zwischen Gastronomiebetrieben, selbst in derselben Gewerbeklasse, vorhanden sein.

     

    Dies mag für andere Branchen nicht notwendig erscheinen, da dort ein branchenabhängiger Standard herrscht. So wird z. B. in Handwerksbetrieben durch die Pflicht eines Meisterbriefs wenigstens ein gewisser Minimalstandard sichergestellt. In Gastronomiebetrieben herrscht jedoch wie bereits dargelegt aufgrund des nicht geringen Anteils an ungelernten Arbeitnehmern und Betriebsinhabern kein solcher einheitlicher Mindeststandard.

     

    Dies erschwert die sach- und ermessensgerechte, zugleich aber auch nachvollziehbare und transparente Findung eines adäquaten Rohgewinnaufschlagsatzes im Rahmen der Spanne der Richtsatzsammlung.

     

    Bezogen auf den Warenverderb ergeben sich unter Berücksichtigung der bereits genannten Einflussfaktoren sehr viele individuelle Variablen, die sich über die Richtsatzsammlung nur unzureichend abbilden lassen.

     

    Technisches, aber insbesondere menschliches Versagen oder Unkenntnis können auch über lange Zeit zu erheblichem Warenverderb führen. Je nach Art des Gastronomiebetriebs hält sich der Warenwert der einzelnen Lebensmittel im überschaubaren Rahmen. Bestehen nun jedoch z. B. grundlegende Mängel in der Lagerhaltung, verderben fortlaufend und schleichend Warenposten. In der Praxis wird Warenverderb zumeist nicht oder nur unzureichend dokumentiert, sodass eine Auswertung erst im Rahmen der Jahresabschlussarbeiten unter Einbeziehung der Inventur möglich ist. Selbst dann ergeben sich aber immer noch viele schlüssige Erklärungen für einen hohen Wareneinsatz, wie große/schwankende Portionsgrößen, teurer Einkauf, mangelnde Kalkulation, Diebstahl oder der thematisierte Warenverderb. Es sind darüber hinaus aber auch dem Warenverderb „entgegenwirkende“ Faktoren zu beachten. So werden z. T. gerade in der gehobenen Gastronomie auch Lebensmittel, die für die Gerichte der Gäste z. B. aufgrund einer Veränderung ihres optischen Erscheinungsbildes nicht mehr genutzt werden können und somit letztendlich „verdorben“ sind, für regelmäßige Belegschaftsessen oder als Grundlage z. B. für Suppen genutzt.

     

    Die Richtsatzsammlung bietet eine geringe Grundlage, um diese Sachverhalte sachlich zutreffend, nachvollziehbar und transparent zu berücksichtigen und in etwaige Hinzuschätzungen einzubeziehen.

    5. Fazit

    Aus der Ermittlung der Richtsätze und ihrer konkreten Anwendung ergibt sich, dass die Richtsatzsammlung ein recht grobes, wenn nicht ungenaues Schätzwerk darstellt. Dessen Anwendung wird in vielen Fällen den Besonderheiten des Einzelfalls nicht gerecht. Trotzdem ist die Richtsatzsammlung ein praxisrelevantes Werkzeug, das seitens der Finanzverwaltung regelmäßig Anwendung findet. Dessen Daseinsberechtigung ist, trotz aller Kritik, in den Fällen nicht von der Hand zu weisen, in denen keine ausreichenden Anhaltspunkte für die Anwendung einer anderen Schätzungsmethode vorliegen.

     

    PRAXISTIPP | Der Verteidiger sollte schon im Rahmen einer Betriebsprüfung darauf hinwirken, dass im Fall einer steuerlichen Schätzung Methoden verwandt werden, die im Steuerstrafverfahren keine große Beweiskraft entfalten. Anzustreben ist z. B., sich für den Betriebsprüfungsbericht darauf zu einigen, statt einer umfangreichen und für den Betriebsprüfer arbeitsaufwendigen Geldverkehrs- oder Vermögenszuwachsrechnung auf eine Richtsatzschätzung abzustellen, da Letztere in einem späteren strafrechtlichen Verfahren aufgrund der damit verbundenen Unsicherheiten deutlich weniger aussagekräftig ist. Mindestens ebenso sinnvoll ist es unter steuerstrafrechtlichen Gesichtspunkten, sich mit dem Betriebsprüfer auf eine einvernehmliche griffweise Hinzuschätzung zu verständigen.

     
    Quelle: Seite 232 | ID 47057515