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  • · Fachbeitrag · Gemeinnützigkeit

    Zeitnahe Mittelverwendung und Rücklagenbildung im Verein (Teil 2)

    | In keinem Bereich des Gemeinnützigkeitsrechts hat sich in den letzten beiden Jahren so viel geändert wie bei den Rücklagen und der zeitnahen Mittelverwendung. Lernen Sie deshalb in einer Beitragsreihe den aktuellen Stand der Vorgaben aus Gesetz, Rechtsprechung und finanzbehördlichen Erlässen kennen und stellen Sie Ihr Rücklagen- und Mittelverwendungsmanagement auf eine sichere Basis. |

    Was passiert bei einer unzulässigen Rücklagenbildung?

    Von der rechtlichen Systematik her ist das Gebot der zeitnahen Mittelverwendung dem Selbstlosigkeitsgrundsatz zugeordnet (§ 55 Abgabenordnung [AO]). Wie auch bei anderen Verstößen gegen das Selbstlosigkeitsgebot droht der Entzug der Gemeinnützigkeit. Das ist aber eher die Ausnahme als die Regel.

     

    Verstoß kann geheilt werden

    Dass ein Verstoß gegen die zeitnahe Mittelverwendung weniger streng geahndet wird als eine Mittelfehlverwendung, ergibt sich schon daraus, dass er jederzeit „geheilt“ werden kann. Die Mittel sind ja nicht „falsch“ verwendet, sondern nur noch nicht „richtig“. Folglich kann das Finanzamt „eine angemessene Frist für die Verwendung der Mittel setzen“ (§ 63 Abs. 4 AO).

     

    Wichtig | Es handelt sich hier um eine Kann-Regelung. Das Finanzamt kann also auch strenger reagieren. Diesen Spielraum wird es aber nur nutzen, wenn wiederholte oder besonders grobe Verstöße vorliegen. Vor allem dann, wenn es eine Frist zur zweckgebundenen Verwendung der Mittel gesetzt hat, diese vom Verein aber nicht beachtet wurde.

     

    Zeitnahe Mittelverwendung ist gerade bei Spenden gefordert

    Auch die Herkunft der Mittel kann eine Rolle spielen. Insbesondere bei Spenden erwartet auch der Spender, dass die Mittel gegenwartsnah verwendet werden. Dass gerade bei Spenden der Mittelbindungsgrundsatz strenger überwacht wird, zeigt auch die Problematik überhöhter Verwaltungskosten. Rechtsprechung und Finanzverwaltung legen den Fokus hier besonders auf Spenden, weniger auf Überschüsse aus Zweckbetrieben und Vermögensverwaltung.

     

    In welcher Frist muss der Verstoß geheilt werden?

    Finanzverwaltung und Rechtsprechung haben sich zur Frage der Fristsetzung bisher nicht näher geäußert. Man darf wohl davon ausgehen, dass bei praktisch allen erstmaligen Verstößen eine Fristsetzung erfolgt. Zur Länge der Frist gibt es keine bundeseinheitlichen Vorgaben. Nach Auffassung der Oberfinanzdirektion (OFD) Frankfurt (Schreiben vom 13.2.2014, Az. S 0181 A - 2 - St 53) ist sie nach den Umständen des Einzelfalls zu bemessen und sollte regelmäßig zwei bis drei Jahre nicht übersteigen. In den meisten Fällen wird diese Frist lang genug sein, um die Mittel sinnvoll zu verwenden.

     

    PRAXISHINWEIS | Sollte es tatsächlich dazu kommen, dass das Finanzamt dem Verein eine Verwendungsfrist setzt, hat der Verein gute Chancen, eine möglichst lange Frist auszuhandeln. Gemeinnützigkeitsgebundene Mittel sollen satzungsgemäß verwendet und dabei nicht „verschleudert“ werden - so die Bundesregierung in ihrer Begründung der Gesetzesänderung (Deutscher Bundestag, Drucksache 17/12037). Es kommt also darauf an, dem Finanzamt gegenüber darzustellen, dass kurzfristig keine optimale Verwendung der Mittel möglich ist.

     

    Die Praxis lehrt ferner, dass Finanzämter auf Verstöße gegen das Gebot der zeitnahen Mittelverwendung oft gar nicht aufmerksam werden. Der Grund dafür ist, dass bei nichtbilanzierenden Organisationen meist keine Vermögensaufstellung verlangt wird. Aus der Einnahmen-Überschuss-Rechnung ist ein Mittelverwendungsüberhang aber nicht unmittelbar zu erkennen. Die Überschüsse des jeweiligen Jahres müssen ja erst bis Ende des übernächsten Jahres verwendet werden. Auf einen Verwendungsüberhang wäre also erst zu schließen, wenn über eine Reihe von Jahren hinweg nennenswerte Überschüsse erzielt wurden. Auch das ist aber nicht zwingend, weil die Mittel mittlerweile für die Anschaffung von Anlagegütern verwendet worden sein können, deren Anschaffungskosten - per Abschreibung - erst über die Jahre in die Gewinnermittlung eingehen.

    Ausnahmen vom Gebot der zeitnahen Mittelverwendung

    Würde das Gebot der zeitnahen Mittelverwendung generell gelten, wären die Finanzierungsmöglichkeiten gemeinnütziger Organisationen unangemessen einschränkt. Gesetzgeber und Finanzverwaltung sehen deswegen eine Reihe von Ausnahmen vor. Diese beziehen sich sowohl auf die Mittelverwendung als auch die -herkunft. Nachfolgend finden Sie zunächst eine kurze Übersicht. Die einzelnen Ausnahmefälle werden später noch ausführlich dargestellt.

     

    Zweckgebundene Rücklagen (Projektrücklagen)

    Nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 AO dürfen Mittel für eine spätere zweckgebundene Verwendung, die konkret festgelegt sein muss, angespart werden. In der Regel betrifft das die Anschaffung von Anlagegütern, die nicht aus dem laufenden Budget finanziert werden kann oder besondere Veranstaltungen, die nicht regelmäßig (ein- oder zweijährlich) stattfinden. Bei zweckgebundenen Rücklagen wird die - nach Zweck und Zeitraum vorab festgelegte - zeitnahe Verwendung also lediglich aufgeschoben.

     

    Wiederbeschaffungsrücklagen

    Hier handelt es sich um einen Sonderfall der zweckgebundenen Rücklagen, bei dem der Nachweis des Verwendungszwecks vereinfacht ist. Für vorhandene Anlagegüter, die zweckgebunden verwendet werden, dürfen Mittel für die Ersatzbeschaffung freigestellt werden. Die Höhe der Mittel errechnet sich auf Basis der jährlichen Abschreibungen des zu ersetzenden Wirtschaftsguts (§ 62 Abs. 1 Nr. 3 AO).

     

    Rücklagen zum Erwerb von Gesellschaftsrechten

    Diese Rücklagen beschränken sich im Wesentlichen auf den Fall, dass eine Einrichtung eine Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft (vor allem GmbH) hält, die eine Kapitalerhöhung durchführt. Die Beteiligung darf dann soweit aufgestockt werden, dass der prozentuale Anteil am Gesellschaftskapital unverändert bleibt (§ 62 Abs. 1 Nr. 2 AO).

     

    Freie Rücklagen

    Die Bildung dieser Rücklagen ist weder betragsmäßig noch zeitlich begrenzt. Obergrenzen gibt es nur für die jährliche Aufstockung der Rücklagen, die sich auf die Einnahmen bzw. Überschüsse beziehen. Freie Rücklagen ermöglichen es den gemeinnützigen Einrichtungen, ihre „Kapitaldecke“ zu stärken, Vermögen aufzubauen (und daraus Erträge zu erzielen) und Mittelerwirtschaftungsbetriebe auszustatten (§ 62 Abs. 1 Nr. 3 AO).

     

    Betriebsmittelrücklagen

    Die Finanzverwaltung erlaubt den Vereinen auch, Rücklagen für periodisch wiederkehrende Ausgaben (zum Beispiel Löhne, Gehälter, Mieten) zu bilden. Ziel ist es, die Liquidität der Organisation sicherzustellen (AEAO, Ziffer 4 zu § 62 Abs. 1 Nr. 1). Eine Beschränkung auf Betriebsmittel im satzungsmäßigen Bereich ist dabei nicht gefordert.

     

    Diese Rücklagenbildung ist „für eine angemessene Zeitperiode “ zulässig. In aller Regel wird sich das auf die laufenden Kosten eines Jahres beschränken.

     

    Vermögenszuführungen

    § 62 Abs. 3 AO erlaubt es, bestimmte Einnahmen zeitlich unbegrenzt und ohne bestimmten Zweckwidmung von der zeitnahen Verwendung freizustellen. Insofern entsprechen diese Mittelzuführungen den freien Rücklagen. Aus diesem Grund verringert sich bei solchen Vermögenszuführungen nach Auffassung der Finanzverwaltung die Bemessungsgrundlage zur Bildung freier Rücklagen entsprechend (AEAO, Ziffer 16 zu § 62 Abs. 3).

     

    Es kommt hier aber auf die Mittelherkunft an. Begünstigt sind - unter bestimmten Voraussetzungen - Erbschaften, Spenden und besondere Sachzuwendungen.

     

    Rücklagen in steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieben

    Im wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb können Rücklagen durch Zuführung des Gewinns gebildet werden (AEAO, Ziffer 1 zu § 62). Die Rücklagen müssen bei vernünftiger kaufmännischer Beurteilung wirtschaftlich begründet sein. Es muss ein konkreter Anlass gegeben sein, der auch aus objektiver unternehmerischer Sicht die Bildung der Rücklage im wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb rechtfertigt (zum Beispiel eine geplante Betriebsverlegung, Werkserneuerung oder Kapazitätsausweitung).

     

    Rücklagen in der Vermögensverwaltung

    Nach AEAO Ziffer 1 zu § 62 dürfen aus Überschüssen der Vermögensverwaltung zusätzliche Rücklagen gebildet werden. Allerdings ausschließlich, um damit konkrete Reparatur- oder Erhaltungsmaßnahmen durchzuführen.

    Sonderregelung für Stiftungen

    Für Stiftungen gibt es eine Sonderregelung. Im Jahr der Errichtung und den drei Folgejahren dürfen die Überschüsse aus der Vermögensverwaltung und aus den wirtschaftlichen Geschäftsbetrieben vollständig dem Vermögen zugeführt werden. Diese Sonderregelung erlaubt es Stiftungen, ihr Kapital über das eigentliche Stiftungskapital hinaus zu erhöhen. Sie trägt dem Umstand Rechnung, dass Stiftungen ihre steuerbegünstigten Zwecke typischerweise aus Kapitalerträgen finanzieren (§ 62 Abs. 4 AO).

    Strategische Überlegungen bei der Rücklagenbildung

    Gemeinnützigkeitsrechtliche Rücklagen zu bilden, bedeutet, Mittel von der zeitnahen Verwendung freizustellen. Genauer: Sie als nicht zeitnah zu verwendend auszuweisen. Es geht also immer darum, vorhandene Mittel, die nicht für satzungsmäßige Tätigkeiten benötigt werden, dem grundsätzlichen Verwendungsgebot zu entziehen. Eine solche Rücklagenbildung folgt grundsätzlich zwei Erwägungen.

     

    • Es gibt ein konkretes Finanzierungsvorhaben.
    • Die gemeinnützige Einrichtung will (ohne konkretes Finanzierungsvorhaben) Vermögen bilden.

     

    Bevorzugt freie Rücklagen bilden

    Mit Ausnahme der freien Rücklagen und Vermögenszuführungen (und der Sonderregelung für Stiftungen) sind die oben genannten Fälle der Rücklagenbildung zeitlich begrenzt oder für spezifische Zwecke gebunden.

     

    Aus diesem Grund wird die Empfehlung immer lauten: Zunächst und bevorzugt freie Rücklagen und Vermögenszuführungen nutzen. Es gilt nämlich ausnahmslos, dass beide Rücklagenarten auch für Zwecke eingesetzt werden können, für die es besondere Rücklagen gibt.

     

    • Beispiele
    • 1. Zum Aufstocken des Gesellschafteranteils an einer GmbH, an der ein gemeinnütziger Verein beteiligt ist, dürfen auch freie Rücklagen verwendet werden. Anders als bei der Kapitalerhaltungsrücklage nach § 62 Abs. 1 Nr. 4 AO können damit auch Anteile an Gesellschaften erworben werden, bei denen bisher keine Beteiligung bestand.
    • 2. Die Instandhaltung und Reparatur von Immobilien, die der Vermögensverwaltung zugeordnet sind, kann statt aus Vermögenserträgen auch aus freien Rücklagen finanziert werden. Anders als die Instandhaltungsrücklage muss bei der Bildung freier Rücklagen keine Rücksicht auf den zu erwartenden Finanzbedarf genommen werden.
    • 3. Freie Rücklagen und Vermögenszuführungen können natürlich auch für die Anschaffung zweckgebunden genutzter Wirtschaftsgüter verwendet werden. Während eine zweckgebundene Rücklage aber aufgelöst werden muss, wenn das Finanzierungsvorhaben scheitert oder der Grund wegfällt, dürfen die freien Rücklagen im Vermögen bleiben.
     

    Eine gemeinnützige Einrichtung sollte bei der Rücklagenbildung deswegen immer zuerst den Spielraum bei freien Rücklagen und Vermögenszuführungen voll ausschöpfen. Die anderen Formen der Rücklagenbildung können in den meisten Fällen zusätzlich genutzt werden. Das ist dann sinnvoll und erforderlich, wenn nach der Bildung der freien Rücklagen noch ein Mittelüberhang besteht. Natürlich müssen außerdem die Voraussetzungen für die verschiedenen Rücklagenfälle erfüllt sein.

     

    Rücklagen unabhängig vom konkreten Bedarf bilden

    Die zweite Empfehlung lautet, die Möglichkeit zur Bildung freier Rücklagen und Vermögenszuführungen auch dann auszuschöpfen, wenn kein konkreter Finanzierungsbedarf besteht.

     

    PRAXISHINWEISE |  

    • Die Erfahrung zeigt, dass in den meisten Fällen, in denen das Finanzamt eine unerlaubte Rücklagenbildung moniert, schlicht die möglichen Spielräume nicht genutzt worden waren. Nur wenige gemeinnützige Einrichtungen erzielen regelmäßig so hohe Liquiditätsüberschüsse, dass die Bemessungsobergrenzen zur Bildung freier Rücklagen überschritten werden. Typischerweise wurde es lediglich versäumt, über die Jahre hinweg die möglichen freien Rücklagen auszuweisen. Eine Nachholung ist aber nach spätestens drei Jahren nicht mehr möglich.
    • Deswegen sollten freie Rücklagen grundsätzlich in maximaler Höhe ausgewiesen werden. Das gilt auch dann, wenn diese Mittel schon im Folgejahr zweckgebunden verwendet werden. Eine zweckgebundene Verwendung ist immer möglich - und grundsätzlich vom auch Gesetzgeber gewünscht. Die Möglichkeit, die Mittel der zeitnahen Verwendung zu entziehen, verfällt dagegen nach Ablauf von drei Jahren.
     

    Rücklagenbildung den Mitgliedern erläutern

    Vorstände sehen sich - als Vermögensverwalter des Vereins - oft zu besonderer Sparsamkeit verpflichtet. Der Gesetzgeber verpflichtet gemeinnützige Organisationen dagegen dazu, Mittel zeitnah zweckbezogen zu verwenden. Andererseits wecken Rücklagen oft die Begehrlichkeiten der Vereinsmitglieder oder -abteilungen. Nicht selten wird der Ruf nach Beitragssenkungen laut, wenn der Verein offensichtlich gut ausgestattet ist. Das betrifft insbesondere Mittel, für die kein spezieller Verwendungszweck definiert ist.

     

    PRAXISHINWEIS | Auch wenn der Vorstand Rücklagen grundsätzlich ohne Zustimmung der Mitglieder bilden kann, sollte er den Mitgliedern Art und Umfang der Rücklagenbildung - in der Regel im Rechenschaftsbericht - genau erläutern. Dabei sollte auch klargestellt werden, dass bei der Strategie der Vermögensbildung steuerliche Aspekte eine große Rolle spielen.

     

    Weiterführende Hinweise

    • Beitrag „Rücklagenbildung und zeitnahe Mittelverwendung im Verein: So ist der neue Stand der Dinge“, VB 6/2014, Seite 4
    • Beiträge mit ausführlichen Darstellungen der einzelnen Rückstellungsarten finden Sie in den Folge-Ausgaben des VereinsBrief.
    Quelle: Ausgabe 07 / 2014 | Seite 13 | ID 42764113