27.04.2012 · IWW-Abrufnummer 121295
Landgericht Köln: Urteil vom 27.09.2011 – 27 O 142/11
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Landgericht Köln
27 O 142/11
Tenor:
Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger eine vollständige Liste der Mitglieder des Beklagten, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, mit Vor- und Nachnamen, Anschrift (Straße, Hausnummer, Postleitzahl, Wohnort) und (soweit bekannt) E‑Mail-Adresse in Form einer elektronischen Datei (Excel-Datei) herauszugeben.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 50.000,00 €.
T A T B E S T A N D:
Der Kläger nimmt den Beklagten, einen überregional bekannten Sportverein mit mehr als 50.000 Mitgliedern, unter Hinweis auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs, Beschl. v. 21.06.2010 – II ZR 219/09, auf Herausgabe aller Mitgliederdaten in Anspruch.
Der Kläger ist seit dem 1. Dezember 2001 Mitglied des Beklagten. Nach der letzten Mitgliederversammlung des Beklagten vom 17.11.2010, bei der 3119 Mitglieder anwesend waren, bildete sich unter Beteiligung auch des Klägers eine „Mitgliederinitiative FC-Reloaded“. Der Kläger und die Initiative streben eine umfassende Änderung der Satzung des Beklagten an, für Einzelheiten auf die Anlage K2 zur Klageschrift, Bl. 9‑19 GA, Bezug genommen wird. Für den Satzungsvorschlag der „Mitgliederinitiative FC-Reloaded“ wird auf die Anlage K3 zur Klageschrift, Bl. 20‑45 GA, Bezug genommen. Zu diesem Zweck streben der Kläger und die „Mitgliederinitiative FC-Reloaded“ die Einberufung einer außerordentlichen Mitgliederversammlung an.
Mit Schreiben vom 10.01.2011 forderte der Kläger den Beklagten auf, dem durch den Kläger benannten Treuhänder Herrn Rechtsanwalt N, O-Straße, ####1 Köln, die vollständige Mitgliederliste herauszugeben, um entsprechend für die Einberufung einer außerordentlichen Mitgliederversammlung und die Satzungsänderung werbend an die Mitglieder herantreten zu können. Mit der Herausgabe der Mitgliederliste erklärte sich der Beklagte mit Schreiben vom 17.01.2011 grundsätzlich einverstanden, jedoch sollte die Weitergabe nur an einen von dem Beklagten oder dem Präsidenten des OLG Köln zu benennenden Treuhänder erfolgen, der sich verpflichtet, die Daten vertraulich und ausschließlich zur Abwicklung des Minderheitsbegehrens zu verwenden und die von dem Kläger verfassten Mitteilungen vor dem Versand auf werbenden, abwerbenden oder strafrechtlich relevanten Inhalt zu prüfen. Mit Schreiben vom 21. Januar und 4. Februar 2011 forderte der Beklagte seine Mitglieder auf, mitzuteilen, ob sie der geplanten Übermittlung der Mitgliederdaten jeweils widersprechen. Von dieser Möglichkeit machten bisher rund 14.000 Mitglieder Gebrauch. Eine Übermittlung der Mitgliederdaten an den Kläger ist bisher nicht erfolgt. Ein Antrag auf Streitentscheidung gemäß § 25 Abs. 1 c) der Satzung wurde durch den Vereinsbeirat in der Sitzung vom 23.03.2011 nicht zur Entscheidung angenommen; für die Einzelheiten wird auf das Schreiben des Vorsitzenden des Vereinsbeirats Herr T vom 30.03.2011, Anlage K15 zum Schriftsatz der früheren Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 05.07.2011, Bl. 151‑152 GA, Bezug genommen.
Der Kläger ist der Ansicht, dass er als Ausfluss seines Mitgliedschaftsrechts einen Anspruch auf Herausgabe der vollständigen Mitgliederliste des Beklagten an sich selbst habe. Der Beklagte habe auch kein Mitspracherecht bei der Auswahl und der Ausgestaltung der Beauftragung eines Treuhänders, wenn man nur einen Anspruch auf Herausgabe an einen Treuhänder annehme. Ein etwaiger Widerspruch von Vereinsmitgliedern gegen die Weitergabe der Daten sei unbeachtlich.
Der Kläger beantragt,
1. den Beklagten zu verurteilen, dem Kläger die vollständige Mitgliederliste des Beklagten mit Vor- und Nachnamen, Anschrift (Straße, Hausnummer, Postleitzahl, Wohnort) und (soweit bekannt) E-Mail-Adresse und differenziert nach stimmberechtigten und nicht stimmberechtigten Mitgliedern in Form einer elektronischen Datei (Excel-Datei) herauszugeben;
hilfsweise:
2. den Beklagten zu verurteilen, an Herrn Rechtsanwalt N, O-Straße, ####1 Köln, als Treuhänder die vollständige Mitgliederliste des Beklagten mit Vor- und Nachnamen, Anschrift (Straße, Hausnummer, Postleitzahl, Wohnort) und (soweit bekannt) E-Mail-Adresse und differenziert nach stimmberechtigten und nicht stimmberechtigten Mitgliedern in Form einer elektronischen Datei (Excel-Datei) herauszugeben;
hilfsweise:
3. den Beklagten zu verurteilen, an Herrn Rechtsanwalt N, O-Straße, ####1 Köln, als Treuhänder die vollständige Mitgliederliste des Beklagten mit Vor- und Nachnamen, Anschrift (Straße, Hausnummer, Postleitzahl, Wohnort) und (soweit bekannt) E-Mail-Adresse und differenziert nach stimmberechtigten und nicht stimmberechtigten Mitgliedern in Form einer elektronischen Datei (Excel-Datei) herauszugeben, mit der Maßgabe, dass die bei dem Beklagten eingegangenen Widersprüche von Mitgliedern gegen ihre Adressweitergabe in der Datei markiert sind und die Widersprüche (in Form von Postkarten und sonstigen Dokumenten oder Dateien) ebenfalls an den Treuhänder herausgegeben werden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte ist der Ansicht, der Klage fehle im Hinblick auf die in der Satzung vorgesehene Streitentscheidung durch den Vereinsbeirat das Rechtsschutzbedürfnis, wenn nicht sogar die Einrede der Schiedsabrede durchgreife.
Auch wenn er grundsätzlich zur Herausgabe der Mitgliederdaten an den Kläger verpflichtet sei, müssten die Belange des Datenschutzes bei der konkreten Ausgestaltung der Herausgabe der Daten gewahrt werden. Dies sei bei einer Herausgabe an den Kläger oder einen von ihm benannten Treuhänder nicht ausreichend sichergestellt.
Wegen aller weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, ergänzend Bezug genommen.
E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E :
Die zulässige Klage ist im Wesentlichen begründet.
Die Klage ist zulässig.
Dabei kann dahinstehen, ob die Regelung in § 25 Abs. 1 c) der Satzung („Der Vereinsbeirat entscheidet … über Streitigkeiten zwischen Mitgliedern und Organen des Vereins betreffend Angelegenheiten des Vereins, wenn und soweit ein Antrag an ihn herangetragen wird“) als Einrichtung eines Schiedsgerichts im Sinne der §§ 1029 ff. ZPO verstanden werden muss und den Erklärungen des Beklagten als Erhebung der Einrede des Schiedsgerichts zu verstehen ist. In diesem Falle wäre für den vorliegenden Streit eine Kompetenz des Verwaltungsbeirats zur Streitentscheidung nicht vorgesehen, denn es fehlt an einem Streit zwischen Mitgliedern und Organen des Vereins betreffend Angelegenheiten des Vereins, handelt es sich doch um einen Anspruch eines Vereinsmitglieds gegen den Verein, nicht gegen eines seiner Organe. Zudem hätte sich die Schiedsvereinbarung als undurchführbar im Sinne von § 1032 Abs. 1 ZPO erwiesen, weil der Vereinsbeirat, wie sich aus dem Schreiben seines Vorsitzenden vom 30.03.2011 ergibt, die Anrufung eines staatlichen Gerichts als vorrangig ansieht und eine eigene Entscheidung endgültig abgelehnt hat.
Der Klage fehlt danach auch nicht das Rechtsschutzbedürfnis, weil die Möglichkeit einer vereinsinternen Streitentscheidung nicht besteht. Das Rechtsschutzbedürfnis fehlt auch nicht deshalb, weil der Beklagte seine Pflicht zur Herausgabe der Mitgliederdaten an den Klägern grundsätzlich einräumt, denn die Parteien haben sich – zuletzt auch in der mündlichen Verhandlung – über die hier entscheidende Ausgestaltung im Einzelnen nicht einigen können. Der Kläger hat danach ein Interesse an einer gerichtlichen Klärung des Anspruchsumfangs.
Die Klage ist im Wesentlichen begründet. Der Kläger hat Anspruch auf Herausgabe der Mitgliederdaten, allerdings nur soweit die Mitglieder stimmberechtigt sind.
Dem Mitglied eines Vereins steht ein Anspruch auf Offenbarung der Namen und Anschriften der Mitglieder des Vereins zu, wenn es ein berechtigtes Interesse darlegen kann, dem kein überwiegendes Interesse des Vereins oder berechtigte Belange der Vereinsmitglieder entgegenstehen. Ein berechtigtes Interesse eines Vereinsmitglieds, Kenntnis von Namen und Anschriften der übrigen Mitglieder zu erhalten, kann auch außerhalb des unmittelbaren Anwendungsbereichs des § 37 BGB bestehen, wenn das Mitglied nach dem Umständen des konkreten Falles die in der Mitgliederliste enthaltenen Informationen ausnahmsweise benötigt, um das sich aus seiner Mitgliedschaft ergebende Recht auf Mitwirkung an der Willensbildung im Verein wirkungsvoll ausüben zu können. Vereinsmitglieder müssen sich auch nicht darauf verweisen lassen, mit anderen Mitgliedern über Internetforen oder die Mitgliederzeitung in Kontakt zu treten oder auf anderem Wege zu verfolgen. Vielmehr muss es dem Mitglied überlassen bleiben, auf welchem Weg und an welche Mitglieder es herantreten will, um - aus seiner Sicht - Erfolg versprechend auf die vereinsrechtliche Willensbildung Einfluss nehmen zu können. Sind die Informationen, die sich das Mitglied durch Einsicht in die Unterlagen des Vereins beschaffen kann, in einer Datenverarbeitungsanlage gespeichert, kann es zum Zwecke der Unterrichtung einen Ausdruck der geforderten Informationen oder auch deren Übermittlung in elektronischer Form verlangen (BGH, Beschl. v. 21.06.2010 – II ZR 219/09; zustimmend Schöpflin in: BeckOK BGB (Bamberger/Roth), Stand: 01.03.2011, § 38 BGB Rn. 19; zweifelnd: LG Köln, Beschl. v. 21.01.2011 – 13 S 294/10, n.v.).
Dabei ist es dem Mitgliedern eines Vereins grundsätzlich nicht verwehrt, auch selbst Einsicht in die Mitgliederliste zu nehmen bzw. die Übermittlung der dort enthaltenen Informationen in elektronischer Form an sich selbst zu verlangen, sofern sie ein berechtigtes Interesse darlegen und ihrem Interesse nicht überwiegende Interessen des Vereins oder berechtigte Belange der Vereinsmitglieder entgegen stehen (BGH, Beschl. v. 25.10.2010 – II ZR 219/09, Juris Tz. 6).
Die Voraussetzungen des Herausgabeanspruchs liegen hier vor. Der Kläger kann seine Mitgliedschaftsrechte, hier seine Anregungen zu einer Satzungsänderung in einer (außerordentlichen) Mitgliederversammlung, angesichts der Mitgliederstruktur des Beklagten nur effektiv wahrnehmen, wenn er den Mitgliedern außerhalb der Mitgliederversammlung seine Anliegen bekannt machen kann. Dies ergibt sich aus der großen Zahl der Mitglieder in Verbindung mit den in der Satzung vorgesehenen Mitgliederquoren. Der Antrag auf Satzungsänderung kann gemäß § 15 Abs. 2 neben dem Vorstand, dem Verwaltungsrat oder dem Vereinsbeirat nur von zwei Zehnteln der stimmberechtigten Mitglieder gestellt werden; er muss zudem so rechtzeitig gestellt werden, dass er mit der Tagesordnung der Mitgliederversammlung bekannt gemacht werden kann, und muss im Wortlaut bei Einberufung der Mitgliederversammlung bekannt gegeben werden. Dies bedeutet tatsächlich, dass ein Vereinsmitglied für eine Satzungsänderung außerhalb der Mitgliederversammlung die Zustimmung von mehreren Tausend der stimmberechtigten Vereinsmitglieder gewinnen muss, um überhaupt eine Befassung der Mitgliederversammlung ohne Unterstützung durch ein Vereinsorgan erreichen zu können. Damit ist die entscheidende Hürde für Satzungsänderungen benannt, die aus dem Kreis der Mitglieder initiiert werden sollen. Um dieses Mitgliederquorum erreichen zu können, ist der Kläger darauf angewiesen, an die stimmberechtigten Mitglieder außerhalb der Mitgliederversammlung gezielt herantreten zu können. Um sein Mitwirkungsrecht an der vereinsinternen Willensbildung wirkungsvoll ausüben zu können, bedarf der Kläger hier daher der Kenntnis von Namen und Anschriften der anderen Vereinsmitglieder. Daneben kommt dem für Satzungsänderungen gemäß § 18 Abs. 1 S. 2 der Satzung bestehende Mehrheitserfordernis von drei Vierteln der abgegebenen Stimmen keine zusätzliche Bedeutung zu. Ebenfalls keiner Prüfung bedarf, ob die Anliegen des Klägers eilbedürftig sind und die Einberufung einer außerordentlichen Mitgliederversammlung erfordern, die nur von zwei Zehnteln der Mitglieder verlangt werden kann.
Die Geltendmachung des Auskunftsanspruchs ist nicht rechtsmißbräuchlich. Die angestrebten Satzungsänderungen, die im Kern auf eine stärkere Beteiligung der anderen Vereinsorgane neben dem Vorstand zielen, verfolgen keinen sitten- oder gesetzeswidrigen Zweck. Ob die Satzungsänderungen sinnvoll oder gar notwendig sind, ist nicht Voraussetzung des Auskunftsanspruchs, der gerade eine Diskussion der Vereinsmitglieder über Sinn und Notwendigkeit ermöglichen soll, und bedarf daher keiner Prüfung.
Aus den genannten Grundlagen des Auskunftsanspruchs, der eine wirksame Wahrnehmung der Mitgliedschaftsrechte ermöglichen soll, folgt zugleich seine Beschränkung auf die Daten derjenigen Mitglieder, die zur Mitwirkung an der Entscheidungsfindung berechtigt sind. Gemäß § 9 Abs. 2 S. 2 der Satzung haben jugendliche Mitglieder kein Stimmrecht; dies sind gemäß § 7 Abs. 2 der Satzung solche, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Sie können also bei einer Satzungsänderung nicht abstimmen. Minderjährige können zudem gemäß § 12 Abs. 3 der Satzung nicht den Organen des Beklagten angehören.
Der Herausgabe der Daten an den Kläger selbst stehen auch Gesichtspunkte des Datenschutzes nicht entgegen. Solche schützenswerten Belange sind nicht erst dann ausreichend gewahrt, wenn die Herausgabe der Mitgliederliste an einen zur Verschwiegenheit verpflichteten Treuhänder erfolgt, das Mitglied selbst also keinen Einblick in die Liste erhält. Dementsprechend hält etwa der Landesbeauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit im „Faltblatt zum Datenschutz im Verein“, herausgegeben von den Landesbeauftragten für den Datenschutz der Länder Bremen, Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein, Stand: Februar 2002, die Herausgabe einer Mitgliederliste oder eines Mitgliederverzeichnisses regelmäßig für im Vereinsinteresse erforderlich. Die Vereinsmitglieder sind mit ihrem Beitritt zum Beklagten, der einen bestimmten Zweck verfolgt, in eine gewollte Rechtsgemeinschaft zu den anderen, ihnen weitgehend unbekannten Mitgliedern des Beklagten getreten. Die anderen Vereinsmitglieder haben es deshalb jedenfalls hinzunehmen, dass andere Vereinsmitglieder in berechtigter Verfolgung vereinspolitischer Ziele an sie herantreten. Die Übermittlung der Daten an ein Vereinsmitglied ist für den Beklagten gemäß § 28 Abs. 8 BDSG i.V.m. § 28 Abs. 6 Nr. 3 BDSG auch ohne Einwilligung der Mitglieder zulässig. Ein Widerspruchsrecht sieht § 28 BDSG nur in Absatz 4 im Falle der Weitergabe für Zwecke der Werbung oder der Markt- und Meinungsforschung vor. Dabei ist der Auskunftsanspruch nicht auf die Herausgabe an einen aufgrund seines Amtes, etwa als Rechtsanwalt oder Notar, zur Amtsverschwiegenheit verpflichteten Treuhänder beschränkt; der Schutz der Daten wird vielmehr dadurch ausreichend gewährleistet, dass das Vereinsmitglied die Mitgliederdaten nur ihm Rahmen seines berechtigten Auskunftsinteresses nutzen darf, wie sich aus § 28 Abs. 5 BDSG ergibt und durch den Ordnungswidrigkeitentatbestand des § 43 Abs. 1 Nr. 4 BDSG sanktioniert wird. Im Zivilrecht besteht kein Anlass, durch praeter legem zu entwickelnde Konstruktionen einen vermeintlich höheren Datenschutzstandard zu sichern, als ihn der Gesetzgeber des Bundesdatenschutzgesetzes für erforderlich gehalten hat.
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92 Abs. 2, 709 ZPO.
Streitwert: 6.000,00 €