20.08.2013 · IWW-Abrufnummer 132647
Bundesgerichtshof: Beschluss vom 19.06.2013 – V ZB 130/12
Es ist mit dem Grundgesetz vereinbar, dass die Ermäßigung von Notargebühren nur solchen Körperschaften, Vereinigungen und Stiftungen gewährt wird, die ausschließlich mildtätige oder kirchliche, nicht aber gemeinnützige Zwecke verfolgen.
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 19. Juni 2013 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die Richter Dr. Lemke und Prof. Dr. Schmidt-Räntsch und die Richterinnen Dr. Brückner und Weinland
beschlossen:
Tenor:
Die Rechtsbeschwerde der Kostenschuldnerin gegen den Beschluss des Hanseatischen Oberlandesgerichts vom 13. Juni 2012 wird zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 1.049,58 € festgesetzt.
Gründe
I.
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Der Kostengläubiger (Notar) beurkundete am 10. November 2011 einen Grundstückskaufvertrag für die Kostenschuldnerin. Bei dieser handelt es sich um eine gemeinnützige Stiftung, die ihrer Satzung zufolge die Förderung des Naturschutzes in Hamburg mit dem Schwerpunkt auf Naturschutzmaßnahmen im Naturraum der Tideelbe und außerhalb von Naturschutzgebieten bezweckt. In seiner Kostenrechnung setzte der Notar unter Zugrundelegung eines Geschäftswerts von 548.945,10 € unter anderem eine doppelte Gebühr nach § 36 Abs. 2 KostO an, auf die ein Betrag in Höhe von 1.764 € entfällt.
2
Der Antrag der Kostenschuldnerin auf gerichtliche Entscheidung, mit dem sie eine Gebührenermäßigung gemäß § 144 Abs. 1 und 2 KostO erreichen will, hat in den Vorinstanzen keinen Erfolg gehabt. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde strebt die Kostenschuldnerin weiterhin die Abänderung der Kostenberechnung an.
II.
3
Nach Auffassung des Beschwerdegerichts ist der Kostenschuldnerin keine Gebührenermäßigung gemäß § 144 Abs. 2 KostO zu gewähren. Der Wortlaut der Vorschrift sei eindeutig und einer erweiterten Auslegung nicht zugänglich. Der Gesetzgeber habe das Privileg der Gebührenermäßigung bewusst an die Verfolgung mildtätiger oder kirchlicher Zwecke geknüpft. Der Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG, der lediglich eine willkürliche Ungleichbehandlung verbiete, sei gewahrt, weil sich gemeinnützige und mildtätige bzw. kirchliche Zwecke grundsätzlich voneinander unterschieden. Der Begriff der Gemeinnützigkeit sei relativ umfassend, so dass viele nichtstaatliche Hilfswerke und kulturelle Institutionen, aber auch Sportvereine und Krankenhäuser gemeinnützige Zwecke verfolgten. Dagegen seien die mildtätigen und kirchlichen Zwecke eng gefasst. Nichts anderes folge aus der Entwicklung des Steuerrechts, die zu einer weitgehenden Gleichbehandlung der verschiedenen Zwecke geführt habe. Die Kostenberechnung der Notare sei von der Steuererhebung zu unterscheiden. Denn eine gesetzlich vorgeschriebene Gebührenermäßigung greife in Grundrechte des Notars ein (Art. 12 GG) und sei daher auf die unbedingt notwendigen Fälle zu begrenzen.
III.
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Die gemäß § 156 Abs. 4 Satz 1 KostO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Das Beschwerdegericht hat eine Abänderung der Kostenberechnung zu Recht versagt.
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1. Eine Gebührenermäßigung gemäß § 144 Abs. 2 i.V.m. § 144 Abs. 1 KostO scheidet aus, weil die Kostenschuldnerin weder mildtätige noch kirchliche Zwecke verfolgt.
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a) Gemäß § 144 Abs. 1 KostO ermäßigen sich die Notargebühren unter bestimmten Voraussetzungen für die dort genannten Kostenschuldner, insbesondere Bund, Länder, Gemeinden und Kirchen. Diese Gebührenermäßigung ist gemäß § 144 Abs. 2 KostO auch Körperschaften, Vereinigungen oder Stiftungen zu gewähren, die ausschließlich und unmittelbar mildtätige oder kirchliche Zwecke im Sinne der Abgabenordnung verfolgen. Ein mildtätiger Zweck setzt gemäß § 53 AO unter anderem die selbstlose Unterstützung hilfsbedürftiger Personen voraus. Kirchliche Zwecke im Sinne des § 54 AO liegen in der selbstlosen Förderung einer Religionsgemeinschaft, die Körperschaft des öffentlichen Rechts ist.
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b) Nach dem eindeutigen Wortlaut erstreckt sich der Anwendungsbereich der Norm nicht auf die Kostenschuldnerin. Sie verfolgt weder mildtätige noch kirchliche, sondern mit der Förderung des Naturschutzes gemeinnützige Zwecke; darunter sind gemäß § 52 Abs. 1 Satz 1 AO Tätigkeiten zu verstehen, durch die die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos gefördert wird. Hierzu gehören unter anderem die Förderung des Naturschutzes und der Landschaftspflege im Sinne des Bundesnaturschutzgesetzes und der Naturschutzgesetze der Länder (§ 52 Abs. 2 Satz 1 Nr. 8 AO). Dass § 144 Abs. 2 KostO nur auf die ausdrücklich in der Norm genannten Zwecke anwendbar ist, entspricht einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Literatur (BayObLGZ 1994, 271, 272; LG Arnsberg, KirchE 46, 361, 364; Schwarz in Korintenberg/Lappe/Bengel/Reimann, KostO, 18. Aufl., § 144 Rn. 12; Rohs in Rohs/Wedewer, KostO [2012], § 144 Rn. 7; Hartmann, Kostengesetze, 42. Aufl., § 144 Rn. 17; Tiedtke/Diehn, Notarkosten im Grundstücksrecht, 3. Aufl., Rn. 608; Filzek, KostO, 4. Aufl., § 144 Rn. 6; Notarkasse München, Streifzug durch die Kostenordnung, 9. Aufl., Rn. 658, 661).
8
2. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde kommt eine analoge Anwendung der Vorschrift nicht in Betracht, weil es an einer Regelungslücke fehlt.
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a) Der Gesetzgeber hat den Anwendungsbereich des § 144 Abs. 2 KostO bewusst eng begrenzt. Dass er bei seiner Verweisung auf Bestimmungen der Abgabenordnung die naheliegende Möglichkeit der Erstreckung auf gemeinnützige Einrichtungen übersehen hat, erscheint ausgeschlossen. Für eine gewollt eng begrenzte Reichweite der Gebührenermäßigung spricht darüber hinaus der Umstand, dass selbst eine mildtätige oder kirchliche Zweckrichtung nur dann begünstigt wird, wenn sie ausschließlich und unmittelbar verfolgt wird (vgl. § 56, § 57 AO). Sogar Einrichtungen, die nach ihrem Satzungszweck sowohl mildtätige als auch gemeinnützige Zwecke verfolgen, ist deshalb keine Gebührenermäßigung zu gewähren (BayObLGZ 1994, 271, 272; LG Arnsberg, KirchE 46, 361, 364 f.; Schwarz in Korintenberg/Lappe/Bengel/Reimann, KostO, 18. Aufl., § 144 Rn. 12; Hartmann, Kostengesetze, 42. Aufl., § 144 Rn. 17; Tiedtke/Diehn, Notarkosten im Grundstücksrecht, 3. Aufl., Rn. 608; Schmidt, MittRhNotK 1989, 209, 210).
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b) Die Entstehungsgeschichte der Norm bestätigt diese Auslegung. Mit der in § 144 Abs. 2 KostO in der Fassung vom 15. Juni 1989 erstmals enthaltenen Beschränkung der Gebührenermäßigung auf Körperschaften, Vereinigungen und Stiftungen, die ausschließlich und unmittelbar mildtätige oder kirchliche Zwecke verfolgen, reagierte der Gesetzgeber auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 1. März 1978, mit der die Vorgängerregelung (§ 144 Abs. 3 KostO idF vom 28. August 1969, BGBl. I S. 1513) teilweise für nichtig erklärt worden war. Das Bundesverfassungsgericht hielt die damals weiter gefasste Pflicht zur Gebührenermäßigung für unvereinbar mit der Berufsausübungsfreiheit der Notare (Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG; BVerfGE 47, 285 ff.). Eine Ermäßigungspflicht müsse aus Gründen des Allgemeinwohls gerechtfertigt und den Notaren zumutbar sein; dies habe der Gesetzgeber unter Ermittlung der Einkommensauswirkungen für die Notare konkret zu prüfen (BVerfGE 47, 285, 318 ff.). Diesen Vorgaben wollte der Gesetzgeber gerecht werden und die Gebührenvergünstigung in einem engen, den Notar möglichst wenig belastenden Rahmen halten (vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses vom 20. April 1989, BT-Drucks. 11/4394, S. 10 f.; Gesetzentwurf des Bundesrates vom 19. Mai 1988, BT-Drucks. 11/2343, S. 10 f.). Angesichts dessen ist der sachliche und persönliche Geltungsbereich der Gebührenermäßigung abschließend geregelt worden. Die Ausdehnung auf die weit gefasste Verfolgung gemeinnütziger Zwecke im Sinne des § 52 AO liefe dem erklärten Ziel des Gesetzgebers zuwider.
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3. Entgegen der Auffassung der Kostenschuldnerin ist § 144 Abs. 2 KostO mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar; eine Aussetzung des Verfahrens und Vorlage an das Bundesverfassungsgericht (Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG) kommt nicht in Betracht.
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a) Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet es dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (st. Rspr., vgl. BVerfGE 98, 365, 385 mwN). Er gilt sowohl für ungleiche Belastungen als auch für ungleiche Begünstigungen. Verboten ist daher
auch ein gleichheitswidriger Begünstigungsausschluss, bei dem einem Personenkreis eine Begünstigung gewährt wird, einem anderen Personenkreis die Begünstigung aber vorenthalten bleibt. Je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen ergeben sich unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber. Art. 3 Abs. 1 GG ist jedenfalls verletzt, wenn sich ein vernünftiger, aus der Natur der Sache ergebender oder sonstwie einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden lässt. Dabei kommt es entscheidend darauf an, in welchem Maß sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten nachteilig auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten auswirken kann. Nähere Maßstäbe und Kriterien dafür, unter welchen Voraussetzungen im Einzelfall der allgemeine Gleichheitssatz durch den Gesetzgeber verletzt ist, lassen sich nicht abstrakt und allgemein, sondern nur bezogen auf die jeweils betroffenen unterschiedlichen Sachund Regelungsbereiche präzisieren (st. Rspr., vgl. BVerfGE 110, 412, 432 f. [BVerfG 08.06.2004 - 2 BvL 5/00]; BVerfG, NJW 2013, 847 Rn. 72 [BVerfG 19.02.2013 - 1 BvL 1/11] jeweils mwN).
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b) Im Bereich der Notargebühren darf der Gesetzgeber die ausschließliche Verfolgung von mildtätigen oder kirchlichen Zwecken gegenüber der Verfolgung gemeinnütziger Zwecke privilegieren.
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aa) Im Ausgangspunkt sind der Gebührenermäßigung im Hinblick auf die Grundrechte der Notare enge Grenzen gesetzt; insoweit besteht ein grundlegender Unterschied zu Begünstigungen im Steuerrecht. Denn während der Staat auf eigene Einnahmen verzichtet, wenn er steuerrechtliche Privilegien gewährt, verpflichten Gebührenermäßigungsvorschriften Notare dazu, berufliche Leistungen für ein Entgelt zu erbringen, das erheblich unter den Regelgebühren liegt. Derartige Normen sind verfassungsrechtlich als Berufsausübungsregelungen im Sinne von Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG zu beurteilen und bedürfen einer besonderen Rechtfertigung (näher BVerfGE 47, 285, 321).
Demgegenüber handelt es sich auf Seiten der Kostenschuldner um eine relativ geringfügige finanzielle Erleichterung, die in aller Regel nicht von existentiellem Gewicht ist. Aus diesem Grund muss der Gesetzgeber bei der Auswahl der begünstigten Kostenschuldner lediglich das Verbot willkürlicher Ungleichbehandlung beachten.
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bb) Gemessen daran ist die durch § 144 Abs. 2 KostO getroffene Auswahl der privilegierten Zwecke nicht zu beanstanden.
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(1) Eine besondere Behandlung kirchlicher Zwecke im Sinne des § 54 AO begegnet keinen Bedenken, weil die geförderten Religionsgemeinschaften, die Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, dem besonderen verfassungsrechtlichen Schutz der Weimarer Kirchenartikel unterliegen (Art. 140 GG i.V.m. Art. 136 bis 139, 141 WRV). Daraus folgt zwar keine staatliche Verantwortung für die finanzielle Ausstattung der Kirchen und kirchlicher Einrichtungen, wohl aber eine Präferenzposition, soweit der Staat materielle Verteilungsfunktionen wahrnimmt (Robbers in Listl/Pirson, Handbuch des Staatskirchenrechts I, 2. Aufl., S. 877 f.; vgl. auch Ehlers in Sachs, GG, 6. Aufl., Art. 140 Rn. 9; Maunz/Dürig/Korioth, GG [2013] Art. 140 Rn. 32). Auch die Bevorzugung der Verfolgung kirchlicher Zwecke gegenüber den als gemeinnützig eingestuften religiösen Zwecken (§ 52 Abs. 2 Nr. 2 AO) hält sich noch in dem weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers.
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(2) Eine Gebührenermäßigung im Hinblick auf mildtätige Zwecke rechtfertigt sich jedenfalls aus der Überlegung, dass diese zum Kernbereich selbstloser Gemeinwohlförderung gehören (vgl. Hüttemann, Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht, 2. Aufl., § 3 Rn. 157). Einrichtungen, die ausschließlich mildtätige Zwecke verfolgen, unterstützen Personen, die persönlich oder wirtschaftlich hilfsbedürftig sind (vgl. § 53 AO). Damit decken sie einen Fürsorgebereich ab, der zu den selbstverständlichen Pflichten des Sozialstaats gehört (vgl. BVerfGE 40, 121, 133). Zwar betreffen auch die als gemeinnützig eingestuften Zwecke im Allgemeinen wichtige staatliche Aufgaben; dabei geht es aber auch und vor allem um eine qualitative Ergänzung und Bereicherung des staatlichen Leistungsangebots in höchst unterschiedlichen und breit gefächerten Bereichen (vgl. § 52 Abs. 2 AO; Hüttemann, aaO, § 1 Rn. 82).
IV.
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Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst (§ 156 Abs. 6 Satz 2, § 131 Abs. 2 KostO).
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Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 156 Abs. 6 Satz 2, § 131 Abs. 4, § 30 Abs. 1 KostO, wobei die Differenz zwischen der abgerechneten und der ermäßigten Gebühr für die Vertragsbeurkundung (§§ 32, 36 Abs. 2 KostO) in Ansatz zu bringen ist (50 % von 1.764 € = 882 € zzgl. Mwst.). Die gemäß § 55 Abs. 1 KostO erhobene Gebühr hat der Notar ohnehin auf die Mindestgebühr beschränkt (§ 33 KostO); die weiteren Gebühren erm äßigen sich nicht (§ 144 Abs. 1 und 2 KostO).
Stresemann
Lemke
Schmidt-Räntsch
Brückner
Weinland