27.08.2021 · IWW-Abrufnummer 224380
Landgericht Köln: Beschluss vom 19.07.2021 – 39 T 72/21
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Landgericht Köln
Tenor:
Auf die Beschwerde der Antragstellerin vom 14.07.2021 wird unter Abänderung des Beschlusses des Amtsgerichts Köln vom 28. Juni 2021 ‒ 140 C 180/21 ‒ in Gestalt des Nichtabhilfebeschlusses vom 19. Juli 2021 ‒ 116 C 294/21 ‒ durch
einstweilige Verfügung
angeordnet:
Dem Antragsgegner wird aufgegeben, die Antragstellerin einstweilen bis zum endgültigen Abschluss des vereinsinternen Rechtsmittelverfahrens betreffend den Beschluss des Ortsgruppenausschusses vom 22. Juni 2021 über den Ausschluss der Antragstellerin aus der Ortsgruppe Köln weiterhin als sein Mitglied gemäß seiner Satzung, insbesondere unter voller Gewährung der hieraus folgenden Mitgliedschaftsrechte, zu behandeln.
Die Kosten des Verfahrens erster Instanz sowie des Beschwerdeverfahrens werden dem Antragsgegner auferlegt.
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Gründe:
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I.
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Die Antragstellerin ist seit 2004 Mitglied beim Antragsgegner, einem eingetragenen Verein, zu dessen satzungsmäßiger Zwecksetzung unter anderem die Förderung des Natur- und Umweltschutzes gehört.
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Im Jahr 2020 kam es zu Konflikten zwischen dem Vorstand des Antragsgegners und der Antragstellerin im Zusammenhang mit deren Tätigwerden für den Verein M e.V., einem ehemaligen Pächter des Antragsgegners für das O in Köln. Im Zuge der Auseinandersetzung versuchte der Antragsgegner erfolglos sowohl im Februar 2020 wie auch im September 2020, die Antragstellerin aus dem Verein auszuschließen. Der im Februar 2020 ausgesprochene Ausschluss wurde mit Beschluss vom 09.06.2020 durch das Landesschiedsgericht für unwirksam erklärt; die durch die Antragstellerin gegen den Vereinsausschluss aus September 2020 gerichtete Hauptsacheklage vor dem Amtsgericht Köln ‒ 129 C 5/21 ‒ hat der Antragsgegner anerkannt.
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Mit Schreiben vom 23.06.2021 teilte der Antragsgegner der Antragstellerin mit, dass der Ortsgruppenausschuss am 22.06.2021 ‒ erneut ‒ ihren Vereinsausschluss beschlossen habe. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Antragstellerin am 05.03., 17.03. und 21.05.2021 im Internet und per Email den Vorstand öffentlich und wiederholt vereinsinterner Pflichtverletzungen beschuldigt und Tatsachen behauptet und verbreitet habe, die geeignet seien, den Vorstand und seine Mitglieder in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen (vgl. Anl. AST 1, Bl. 27 ff. BA AG Köln 116 C 294/21). Eine Anhörung der Antragstellerin zu den aufgeführten Gründen des Vereinsausschlusses war im Vorfeld nicht erfolgt; ebenso wurde ihr vorab die Einleitung eines erneuten Ausschlussverfahrens nicht bekannt gemacht.
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Zum Ausschluss eines Mitglieds regelt die Satzung des Antragsgegners in § 9 Abs. 3:
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„Ein Mitglied, welches das Ansehen d[e]s Vereins schädigt, der Satzung zuwiderhandelt oder Beschlüsse des Vereins, des Landesverbandes, der Bundesgruppe oder der O1 missachtet, kann ausgeschlossen werde[n].
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Der Ausschluss muss beim Vorstand beantragt werden. Über den Ausschluss entscheidet der Ortsgruppenausschuss mit Dreiviertel-Mehrheit; mindestens drei Viertel der Mitglieder müssen anwesend sein. Der Ausschlussantrag muss den Mitgliedern des Ausschusses mindestens zwei Wochen vorher schriftlich bekannt gegeben werden. Gegen den Beschluss des Ausschlusses kann das Ortsgruppen-Schiedsgericht angerufen werden. Gegen dessen Beschluss ist Widerspruch bei der Jahreshauptversammlung der Ortsgruppe möglich; diese entscheidet endgültig.
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(…)“
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Die für das Schiedsverfahren nach § 20 Abs. 3 der Satzung des Antragsgegners maßgebliche Bundesschiedsordnung (vgl. Anl. AG3, Bl. 26 ff. d.A.) sieht in § 3 Abs. 5 vor:
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„Bei einem Antrag gegen den Ausschluss aus dem Verein O2 Deutschlands ruhen die Mitgliederrechte in dem Organisationsteil, der ausgeschlossen ist.“
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Gegen den Vereinsausschluss hat die Antragstellerin ein verbandsinternes Schiedsverfahren angestrengt. Parallel hierzu hat die Antragstellerin mit Schreiben vom 27.06.2021 beim Amtsgericht Köln ‒ Eingang am selben Tag ‒ einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung beantragt, mit dem sie die vorübergehende Wiederherstellung ihrer Mitgliedschaftsrechte verfolgt. Sie ist der Ansicht, der Beschluss vom 22.06.2021 sei unter Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör verfahrensfehlerhaft zustandegekommen.
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Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 28.06.2021 unter dem Az. 140 C 180/21 ‒ der Antragstellerin zugestellt am 01.07.2021 ‒ den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wegen fehlenden Verfügungsgrundes zurückgewiesen. So sei keine Dringlichkeit für eine Regelung im Eilverfahren gegeben. Zudem würde die begehrte Maßnahme zu einer Vorwegnahme der Hauptsache führen.
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Mit ihrer am 14.07.2021 bei Gericht eingegangenen sofortigen Beschwerde richtet sich die Antragstellerin gegen diese Beurteilung des Amtsgerichts. Zur Darlegung des Verfügungsgrundes verweist sie unter anderem auf die für den 21.08.2021 anstehende Jahreshauptversammlung.
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Das Amtsgericht hat ‒ nach einer Verweisung der Sache an die Abteilung 116 ‒ mit Beschluss vom 19.07.2021 ‒ Az. 116 C 294/21 ‒ der sofortige Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache der Beschwerdekammer vorgelegt.
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Im Beschwerdeverfahren ist dem Antragsgegner die Antragsschrift vom 27.06.2021 nebst weiteren Auszügen aus der Verfahrensakte zur Stellungnahme übersandt worden. Mit Schreiben vom 04.08.2021 macht der Antragsgegner geltend, dass der Satzungsgeber in Fällen eines Vereinsausschlusses bewusst auf eine vorherige Anhörung des jeweiligen Mitglieds verzichtet habe, da eine solche das Ausschlussverfahren lediglich hinauszögern würde. Zudem habe die Antragstellerin aufgrund der vorangegangenen Konflikte mit einem weiteren Ausschluss rechnen müssen.
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II.
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Die nach §§ 567 Abs. 1 Nr. 2, 569 ZPO zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde führt in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang zum Erlass der beantragten einstweiligen Verfügung.
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Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist zulässig und begründet, da der gegenständliche Vereinsausschluss der Antragstellerin gemäß Beschluss des Ortsgruppenausschusses vom 22.06.2021 rechtswidrig war.
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1.
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Der Zulässigkeit des Antrags steht vorliegend nicht der Vorrang verbandsinterner Rechtsbehelfe entgegen. Zwar ist im Zusammenhang mit Fragen der inneren Vereinsordnung die Anrufung staatlicher Gerichte im Grundsatz erst dann zulässig, wenn zuvor satzungsmäßig vorgegebene verbandsinterne Rechtsbehelfe ‒ wie hier das nach § 9 Abs. 3 Unterabs. 2 Satz 4 der Satzung des Antragsgegners vorgesehene Verfahren vor dem Ortsgruppen-Schiedsgericht ‒ ausgeschöpft sind (vgl. Schöpflin, in: Münch Hdb des GesR, Bd. 5, 5. Aufl., § 37 Rn. 18; Stöber/Otto, Handbuch zum VereinsR, 12. Aufl., Rn. 1217; Palandt/Ellenberger, BGB, 78. Aufl., § 25 Rn. 20; MüKo-BGB/Leuschner, 8. Aufl., § 25 Rn. 79; Staudinger/Weick (2005) BGB § 35 Rn. 57). Dadurch soll vermieden werden, dass die Gerichte in die Selbstverwaltung des Vereins eingreifen, solange keine abschließende Entscheidung der zuständigen Vereinsorgane vorliegt (vgl. Stöber/Otto, aaO mwN.). Ausgenommen hiervon ist aber der Eilrechtsschutz vor staatlichen Gerichten, so dass eine vorläufige Sicherung von Mitgliedsrechten mit Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung verfolgt werden kann, ohne dass ein Mitglied auf den Abschluss des verbandsinternen Rechtsmittelverfahrens verwiesen wäre (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 6. Juli 1973 ‒ 7 U 79/73, BB 1973, 1190; Stöber/Otto, aaO, Rn. 1222; Palandt/Ellenberger, aaO, Rn. 20; Schöpflin, aaO, Rn. 18a; MüKo-BGB/Leuschner, aaO; Staudinger/Weick (2005) BGB § 35 Rn. 58).
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2.
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Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts liegt ein Verfügungsgrund vor, weil der vom Ortsgruppenausschuss des Antragsgegners ausgesprochene Ausschluss der Antragstellerin ‒ wie sich nicht zuletzt aus § 3 Abs. 5 der Bundesschiedsordnung ergibt ‒ zunächst eine sofortige Wirkung entfaltet. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung stellt mit Blick auf die für den 21.08.2021 anberaumte Jahreshauptversammlung daher das einzige Mittel für die Antragstellerin dar, zumindest kurzfristig die Möglichkeit auf Wahrung ihrer Rechte zu sichern. Eine Vorwegnahme der Hauptsache ist mit dem verfolgten Antrag nicht verbunden. Denn die beantragte einstweilige Verfügung würde die Prüfung der Rechtmäßigkeit des Vereinsausschlusses im ordentlichen Streitverfahren keinesfalls vereiteln (vgl. auch OLG Köln, Beschluss vom 23. März 1993 ‒ 19 W 59/92, Rn. 9, juris). Vielmehr wird durch die begehrte einstweilige Verfügung lediglich der sofortige Vollzug des von der Antragstellerin angegriffenen Ausschlusses ausgesetzt und der bisherige Status quo bis zum endgültigen Abschluss des verbandsinternen Verfahrens gesichert. Vor dem Hintergrund, dass die Antragstellerin ohne die Möglichkeit rechtlichen Gehörs wenige Wochen vor der Jahreshauptverhandlung (zum wiederholten Male) aus dem Verein ausgeschlossen wurde, erscheint es ‒ nicht zuletzt wegen der offenkundigen Unwirksamkeit des Beschlusses (dazu sogleich unter Ziffer II.3.) ‒ nicht zumutbar, die Antragstellerin auf den Ausgang des vereinsinternen Verfahrens (und eines etwaig sich hieran anschließenden Hauptsacheverfahrens vor staatlichen Gerichten) bei gleichzeitig fehlender aufschiebender Wirkung etwaiger Rechtsmittel zu verweisen. Der sofortige Vollzug birgt vorliegend die Gefahr, dass vollendete Verhältnisse geschaffen werden und die von der Satzung vorgesehenen Rechtsmittel nur unvollkommenen Rechtsschutz bieten (vgl. auch hierzu OLG Köln, aaO, Rn. 20).
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3.
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Ein Verfügungsanspruch liegt vor. Der gegenüber der Antragstellerin ausgesprochene Vereinsausschluss ist verfahrensfehlerhaft zustande gekommen und damit unwirksam, so dass der Antragstellerin die satzungsmäßigen Rechte eines Vereinsmitglieds weiterhin zuteilwerden.
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Es entspricht gefestigter höchstgerichtlicher Rechtsprechung, dass vereinsrechtliche Disziplinarmaßnahmen der Kontrolle durch die staatlichen Gerichte unterliegen. Zwar muss diese in grundsätzlicher Anerkennung der Vereinsautonomie bestimmte Grenzen einhalten. Gleichwohl ist seit langem anerkannt, dass die Gerichte jedenfalls nachprüfen können, ob die verhängte Maßnahme eine Stütze im Gesetz oder in der Satzung hat, ob das satzungsmäßig vorgeschriebene Verfahren beachtet ist, sonst keine Gesetzes- oder Satzungsverstöße vorgekommen sind und ob die Maßnahme nicht grob unbillig oder willkürlich ist (vgl. hierzu nur BGH, Urteil vom 9. Juni 1997 ‒ II ZR 303/95, NZG 1998, 65, 66, beck-online; Stöber/Otto, aaO, Rn. 1205; Staudinger/Weick, aaO, Rn. 55). Der gerichtlichen Nachprüfung unterliegt dabei auch, ob eine verhängte Vereinsstrafe (wie hier der Ausschluss der Antragstellerin) allgemein auf einem fairen Verfahren beruht (vgl. OLG Köln, Beschluss vom 23. März 1993 ‒ 19 W 59/92, Rn. 13, juris). Hierzu gehört, dass das auszuschließende Mitglied einen Anspruch auf rechtliches Gehör hat, der sich aus der Treuepflicht des Vereins zu seinem Mitglied ergibt und zudem daraus folgt, dass es sich um einen allgemeingültigen Verfahrensgrundsatz handelt (vgl. BGH, Urteil vom 26. Februar 1959 - II ZR 137/57, NJW 1959, 982, beck-online; OLG Köln, aaO, Rn. 17; Schöpflin, aaO, § 38 Rn. 37; Staudinger/Weick, aaO, Rn. 48). Das rechtliche Gehör muss schon vor der Beratung und Entscheidung des für die Vereinsstrafe zuständigen Gremiums gewährt werden (vgl. Staudinger/Weick, aaO mwN), so dass der Einwand des Antragsgegners, die Antragstellerin erhalte mit der in der Satzung angelegten Möglichkeit eines verbandsinternen Rechtsmittels die Gelegenheit sich zu den ihr vorgeworfenen Pflichtverletzungen zu äußern, fehl geht. Dass der Satzungsgeber ‒ wie der Antragsgegner meint ‒ bewusst auf eine Anhörung des Vereinsmitglieds in Ausschlussverfahren abgesehen habe, ergibt sich aus der Satzung nicht und kann insbesondere nicht aus dem Umstand geschlossen werden, dass in der knapp gehaltenen Regelung des § 9 Abs. 3 der Satzung eine Anhörung nicht erwähnt wird. Zudem stünde es ohnehin nicht in der Befugnis des Satzungsgebers, elementare Verfahrensgrundsätze auszuschließen. Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör schied vorliegend auch nicht deshalb aus, weil die Antragstellerin aufgrund vorheriger Konflikte mit einem weiteren Sanktionsverfahren hätte rechnen können. Auch in einem solchen Fall musste der Antragstellerin Gelegenheit gegeben werden, zu den konkreten Vorwürfen Stellung zu nehmen und im Vorfeld des Ausschlusses durch die Möglichkeit der Stellungnahme auf die Entscheidung des vereinsintern berufenen Organs Einfluss zu nehmen. Dass die Gewährung rechtlichen Gehörs dabei zu einer zeitlichen Verzögerung von Ausschluss- und anderen Sanktionsverfahren führt, ist dabei hinzunehmen.
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Leidet der Beschluss eines Vereinsorgans ‒ wie vorliegend der gegenständliche Beschluss des Ortsgruppenausschusses vom 22.06.2021 ‒ somit an einem rechtlichen Mangel, führt dies im Vereinsrecht automatisch zu dessen Unwirksamkeit, ohne dass wie im Aktienrecht zwischen nichtigen und lediglich anfechtbaren Beschlüssen zu unterscheiden wäre (vgl. Waldner, in: Münch Hdb des GesR, aaO, § 31 Rn. 52). Hieraus folgt, dass die der Antragstellerin kraft ihrer Mitgliedschaft zuteilwerdenden Mitgliedschaftsrechte - vorbehaltlich einer abzuwartenden Hauptsacheentschehidung - auch weiterhin Bestand haben.
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III.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
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Wert für das Beschwerdeverfahren: 1.000 €
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Rechtsbehelfsbelehrung:
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Gegen diesen Beschluss kann Widerspruch eingelegt werden. Dieser ist bei dem Amtsgericht Köln, Luxemburger Straße 101, 50939 Köln, schriftlich in deutscher Sprache zu begründen.