10.02.2021 · IWW-Abrufnummer 220422
Finanzgericht Köln: Urteil vom 26.11.2020 – 8 K 2333/18
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Köln
Tenor:
Unter Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 17.08.2018 werden die Umsatzsteuerbescheide 2011, 2012 und 2013 vom 19.05.2015 dahingehend geändert, dass die Umsatzsteuer 2011 auf ... €, die Umsatzsteuer 2012 auf ... € und die Umsatzsteuer 2013 auf ... € festgesetzt wird.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Die Revision wird zugelassen.
1
T a t b e s t a n d:
2
Streitig ist, ob der Beklagte zu Recht die vom Kläger in den Streitjahren 2011-2013 als Aufsichtsratsmitglied des G e.V. erhaltenen Sachbezüge der Umsatzsteuer unterworfen hat.
3
Bei dem Kläger, der hauptberuflich neben seiner Aufsichtsratstätigkeit bei dem G e.V. geschäftsführender Gesellschafter zunächst der L GmbH und sodann der D GmbH war, fand für die Streitjahre eine Betriebsprüfung statt.
4
Auf den Betriebsprüfungsbericht vom 11.04.2016 wird verwiesen.
5
Dort wurde u.a. festgestellt, dass der Kläger Aufsichtsratsvergütungen des G e.V. zu Unrecht als umsatzsteuerlicher Kleinunternehmer erklärt habe. Die (Brutto-) Bemessungsgrundlagen für die nach Auffassung der Betriebsprüfung der Umsatzsteuer zu unterwerfenden Aufsichtsratsvergütungen betrugen entsprechend den Ermittlungen der Betriebsprüfung
6
2011: … € (darin enthaltene Umsatzsteuer: … €)
7
2012: … € (darin enthaltene Umsatzsteuer: … €)
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2013: … € (darin enthaltene Umsatzsteuer: … €).
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Den Feststellungen der Betriebsprüfung folgend erließ der Beklagte gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geänderte Umsatzsteuerbescheide 2011-2013 vom 19.05.2015, gegen die der Kläger Einspruch einlegte.
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Zur Begründung seines Einspruchs führte der Kläger im Wesentlichen aus, dass die Aufsichtsratsmitglieder des G e.V. ehrenamtlich tätig seien. Gemäß der Finanzordnung des Vereins stehe den Aufsichtsratsmitgliedern zur Ausübung ihrer Tätigkeit ein Budget in Höhe von bis zu … € zur Verfügung. Dieses Budget berechtige die Aufsichtsratsmitglieder zum Erhalt von Dauerkarten, Karten für … Spiele und die damit verbundenen Reisekosten, Tageskarten sowie Fanartikel. Er habe sein Budget dementsprechend genutzt. Die Umsatzsteuerpflicht der Sachzuwendungen aus dem Budget scheide aus, da die Sachzuwendungen kein Entgelt für seine Tätigkeit als Aufsichtsratsmitglied gewesen seien. Er habe vielmehr seine Aufsichtsratstätigkeit nur durch die ihm zur Verfügung gestellten Eintrittskarten ausüben können. Die Vereinsmitglieder erwarteten von allen Aufsichtsratsmitgliedern, dass diese sich einen eigenen Eindruck über die Verfassung des Vereins bildeten. Insofern folge die fehlende Umsatzsteuerbarkeit der Sachzuwendungen aus dem Budget auch aus den hier anwendbaren Grundsätzen der Rechtsprechung zu im überwiegenden betrieblichen Interesse erbrachten Arbeitgeberleistungen.
11
Mit Einspruchsentscheidung vom 17.08.2018 wies der Beklagte den Einspruch des Klägers als unbegründet zurück.
12
Auf die Einspruchsentscheidung wird verwiesen.
13
Mit der vorliegenden Klage hat der Kläger zunächst unter Ergänzung seiner Ausführungen aus dem Einspruchsverfahren vorgetragen, er habe wegen der fehlenden nachhaltigen Erzielung von Einnahmen keine unternehmerische Tätigkeit gemäß § 2 UStG ausgeübt. Auch sei er mangels einer Gegenleistung des G e.V. nicht im Rahmen eines umsatzsteuerbaren Leistungsaustausches gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG tätig geworden.
14
Mit Schriftsatz vom 19.02.2020 verweist der Kläger nunmehr auf das EuGH-Urteil vom 13.06.2019 ‒ C-420/18 ‒ IO. Hiernach sei ein Aufsichtsratsmitglied dann nicht als Unternehmer tätig, wenn es weder im eigenen Namen noch für eigene Rechnung oder in eigener Verantwortung tätig werde. Dem Urteil des EuGH folgend habe der BFH mit Urteil vom 27.11.2019 ‒ V R 23/19 ‒ entschieden, dass einem Aufsichtsratsmitglied bei einer vereinbarten Festvergütung wegen fehlendem wirtschaftlichen Risiko die Unternehmereigenschaft fehle.
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Sollten ‒ auch wenn er dies weiterhin bestreite ‒ die Sachzuwendungen aus dem Budget für Aufsichtsratsmitglieder des G e.V. an ihn eine Vergütung darstellen, erfolge diese unabhängig von der qualitativen oder quantitativen Ausübung seiner Aufsichtsratstätigkeit. Er trage daher als Aufsichtsratsmitglied kein wirtschaftliches Risiko und sei demzufolge nicht als Unternehmer für die erhaltenen Zuwendungen umsatzsteuerpflichtig.
16
Mit Schriftsatz vom 16.07.2020, auf den Bezug genommen wird, trägt der Kläger des Weiteren unter Stellungnahme zu einem gerichtlichen Schreiben vom 18.05.2020, auf das verwiesen wird, vor:
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Gemäß der Geschäftsordnung des Aufsichtsrats des G e.V., auf die verwiesen werde, sei Aufgabe des Aufsichtsrats, die in der Satzung des Vereins, auf die ebenfalls verwiesen werde, aufgeführten folgenden Aufgaben wahrzunehmen:
18
‒ Kontrolle der Wahrnehmung der Vereinsaufgaben durch den Vorstand,
19
‒ Bestellung und Abberufung des Vorstands,
20
‒ Beschluss der Geschäftsordnung des Vorstands,
21
‒ Bestellung des Wirtschaftsprüfers und Verabschiedung des Jahresabschlusses,
22
‒ Erlass der Finanzordnung für die Organe des Vereins,
23
‒ Zustimmung zu folgenden Geschäften des Vorstands:
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- Erwerb/Veräußerung/Belastung von Grundstücken,
25
- Übernahme von Bürgschaften,
26
- Abschluss von Darlehensverträgen, Stundungsvereinbarungen sowie Sicher- ungsgeschäften
27
- Abschluss von sonstigen Rechtsgeschäften jeder Art, deren Laufzeit entweder zwei Jahre überschreitet oder die einen einmaligen oder jährlichen Gegenstandswert von mehr als … € haben.
28
Der Aufsichtsrat des G halte regelmäßig einmal im Quartal eine gemeinsame ordentliche Sitzung ab. Die Einberufung der Sitzungen erfolge gemäß § 5 der Geschäftsordnung durch den Vorsitzenden, auf Einladung von mindestens drei Aufsichtsratsmitgliedern oder durch Vorstandsbeschluss. Gegenstand der regelmäßigen Sitzungen sei der Bericht des Vorstands über aktuelle Entwicklungen im Verein. An den Sitzungen nähmen die Vorstände sämtlicher Ressorts teil (Sport/Marketing/Finanzen). Über die regelmäßigen Sitzungen hinaus fänden zudem üblicherweise zweimal im Jahr sogenannte Klausurtagungen statt. Während die regelmäßigen Sitzungen des Aufsichtsrats als Soll/Ist-Vergleich der kurzfristigen Ziele verstanden werden dürften, dienten die Klausurtagungen zur Beratung über die strategische Ausrichtung des Vereins. Für bestimmte Aufgaben des Aufsichtsrates sehe die Geschäftsordnung des Aufsichtsrats zudem drei eigenständige Ausschüsse vor, die sich aus verschiedenen Mitgliedern des Aufsichtsrats zusammensetzten:
29
- Wirtschaftsausschuss (§ 4)
30
- Beteiligungsausschuss (§ 15)
31
- Eilausschuss für Sportentscheidungen (§ 12 Nr. 5).
32
Im Falle gebotener kurzfristiger Personalentscheidungen zu Lizenz-, Transfer- und Spielerberaterverträgen seien der Vorsitzende des Aufsichtsrats und mindestens ein weiteres gewähltes Aufsichtsratsmitglied befugt, im Rahmen des Eilausschusses für Sportentscheidungen entsprechende Eilentscheidungen (Transfer-/Spielerausschuss) für den Aufsichtsrat zu treffen.
33
Der Aufsichtsrat sei gemäß § 6 der Geschäftsordnung beschlussfähig, wenn mindestens sechs stimmberechtigte Mitglieder anwesend seien. Der Aufsichtsrat entscheide mit einer Zweidrittelmehrheit der anwesenden stimmberechtigten Mitglieder.
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Zu seiner, des Klägers, Tätigkeit sowie zu seinen Entscheidungsspielräumen im Aufsichtsrat des G e.V. in den Streitjahren sei auszuführen:
35
Er sei in den Streitjahren durchgehend gewähltes Mitglied des Aufsichtsrates des G e.V. gewesen. Zu seinen Aufgaben als Mitglied im Aufsichtsrat habe die Kontrolle und Beratung des Vorstands gehört. Diese werde für gewöhnlich im Rahmen der Aufsichtsratssitzungen vollzogen. Als Beispiele der zwischen dem Aufsichtsrat und dem Vorstand zu diskutierenden und abzustimmenden Themen könnten hierbei aus finanzieller Sicht die Budgetierung des Etats, Finanzierungsfragen oder der Abschluss von Sponsorenverträgen genannt werden. Die finanziellen Entscheidungen stünden dabei stets unter dem Aspekt der ausgegebenen sportlichen Ziele. Die sportlichen Ziele seien angesichts des Unternehmensgegenstandes eines Vereins wie dem G e.V. von entscheidender Bedeutung. Demnach sei die gegenwärtige sportliche Situation der Mannschaft stets Gegenstand des Austausches zwischen Aufsichtsrat und Vorstand in den Sitzungen. Zu den klassischen Themen zähle hierbei die Erfüllung der Erwartungen an das Trainerteam und die Einschätzung des Sportvorstandes, ob die gemeinsam entwickelten Ziele mit dem amtierenden Trainerteam weiterhin erreicht werden könnten. Ebenso würden notwendige Investitionen in die Mannschaft mit dem Vorstand diskutiert. Angesichts der ohnehin durch den Aufsichtsrat zu erteilenden Zustimmung bei Transferentscheidungen werde der Aufsichtsrat bereits während der Verhandlungen bei Spielerzugängen bzw. -abgängen in den Prozess einbezogen. Aufgrund der Vielzahl der Spielerzugänge und -abgänge in den Jahren … werde auf eine detaillierte Auflistung sämtlicher Transfers verzichtet. Ausführendes Organ sowohl für die Einstellung und Entlassung des Trainerteams als auch für die Investitionen in die Mannschaft bleibe der Vorstand. Tiefgreifende Entscheidungen erfolgten jedoch nicht ohne Anhörung und Austausch mit dem Aufsichtsrat, bei dem er, der Kläger, als Teil des Aufsichtsrats seine Einschätzungen zur sportlichen Situation abzugeben habe. Als Beispiel für den Austausch zwischen Sportvorstand und Aufsichtsrat werde das Protokoll der Sitzung vom … angeführt, in der Transfers und Vertragsverlängerungen sowie die weitere Planung im Lizenzbereich besprochen bzw. genehmigt worden seien. Auf das Protokoll werde verwiesen.
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Die Kommunikation zwischen Aufsichtsrat und Vorstand sei selbstverständlich nicht auf die offiziellen Sitzungen beschränkt. Ein regelmäßiger Austausch erfolge zudem durch den gemeinsamen Besuch der Heimspiele. Dabei dienten die Logenräumlichkeiten in der Arena an den Spieltagen als Kommunikationsplattform, in der die Mitglieder des Aufsichtsrats und des Vorstands zusammen kämen. Ebenfalls im Stadion anzutreffen seien hierbei Vertreter von Sponsoren und Werbepartnern, die entscheidende Funktionen für die finanzielle und damit auch sportliche Leistungsfähigkeit des Vereins einnähmen, so dass der Stadionbesuch auch als Netzwerkveranstaltung für den G verstanden werden dürfe. Er, der Kläger, nehme demnach im Rahmen seines Stadionbesuchs verschiedene Aufgaben wahr. Zu diesen zähle zum einen die Spielbeobachtung, um sich ein Bild über die sportliche Situation und damit den Unternehmensgegenstand des Vereins zu verschaffen, und des Weiteren der Austausch mit den anderen Aufsichtsratsmitgliedern, dem Vorstand sowie den Geschäftspartnern des Vereins.
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Ihm, dem Kläger, habe während der gesamten Streitjahre als gewähltes Mitglied des Aufsichtsrats die volle Stimmberechtigung innerhalb des Aufsichtsrats zugestanden. Seinen Entscheidungsspielraum habe er im Rahmen der vorgegebenen Zweidrittelmehrheit der anwesenden stimmberechtigten Mitglieder des Aufsichtsrats bei Beschlüssen des Aufsichtsrats ausgeübt.
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Er sei zudem in den Aufsichtsratssitzungen … in den Eilausschuss für Sportentscheidungen gewählt worden. Weiteres Mitglied des Eilausschusses für Sportentscheidungen sei stets der Aufsichtsratsvorsitzende B gewesen. Er habe keinen weiteren Ausschüssen in den Streitjahren angehört. Dem Eilausschuss komme eine zentrale Bedeutung bei den sportlichen Entscheidungen des Vereins zu. Hintergrund für die Installation des Eilausschusses sei das begrenzte Zeitfenster für Spielerverpflichtungen gewesen. Entscheidungen über Spielerverpflichtungen und/oder Spielerverkäufe könnten lediglich innerhalb der Transferfenster … jeden Jahres getroffen werden. Als Beispiele solcher kurzfristiger Entscheidungen könnten die folgenden Spielertransfers im jeweiligen Sommertransferfenster der Jahre … genannt werden, über die er im Rahmen seiner Mitgliedschaft im Eilausschuss zu entscheiden gehabt habe:
39
- C - Verpflichtung am …
40
- E - Abschluss eines Leihvertrages am …
41
- F - Verpflichtung am …
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Ein gesondertes Stimmrecht innerhalb des Eilausschlusses sehe die Geschäftsordnung nicht vor, sodass stets Einstimmigkeit zwischen den beiden Mitgliedern für eine Entscheidung geboten sei.
43
Der Verein habe ihm, dem Kläger, entsprechend der Finanzordnung, auf die verwiesen werde, zur Ausübung seiner Aufsichtsratstätigkeit kostenlos Eintrittsberechtigungen zur Verfügung gestellt. Der Organisationsprozess habe vorgesehen, dass er die Karten beim Verein per Mitteilung an die zuständige Mitarbeiterin für Gremien zu bestellen gehabt habe. Ihm habe es freigestanden, mehrere Karten für einzelne Spiele im Rahmen seines Budgets zu ordern. Die Entscheidung darüber habe in seinem Ermessen gestanden. Dies habe ihm unter anderem den Raum gegeben, entscheidende Personen durch die Begleitung ins Stadion an den Verein heranzuführen und an den G e.V. zu binden. Er habe in der Regel zwei Karten bezogen.
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Auf die Übersicht für die in den Streitjahren erhaltenen Eintrittsberechtigungen werde verwiesen.
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Angesetzt worden seien die Bruttoverkaufspreise, die auch fremden Dritten für die Spiele in Rechnung gestellt worden seien.
46
Hierzu verweise er auf die dem Gericht vorgelegten Rechnungen pro Kategorie von Eintrittsberechtigungen.
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Dabei handele es sich einmal um Dauerkarten. Die Dauerkarten berechtigten zum Besuch der … Heimspiele in der A. Des Weiteren habe er Karten für die Spiele des H erhalten, die nur als Einzelkarten ausgegeben würden. Je nach Qualifikation des Vereins hätten zu den Karten auch die Spiele in der I oder der J gezählt. Auch hier sei eine Ausgabe von Einzelkarten erfolgt.
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Unter die Reisekosten, die der Verein ihm entsprechend der Finanzordnung im Rahmen des ihm zustehenden Budgets zu erstatten hatte, seien die Anreisen zu den Auswärtsspielen im K gefallen. … Solche Reisen dienten der Ausbreitung des Bekanntheitsgrades im außereuropäischen Raum und seien ein zwischenzeitlich gängiges Marketinginstrument der Avereine geworden. Er habe an der Reise als einziger Vertreter des Aufsichtsrates in seiner Funktion als Mitglied des Eilausschusses für Sportentscheidungen teilgenommen. Die in diesem Zusammenhang auf ihn entfallenden Kosten i.H.v. … € hätten zu einer Budgetüberschreitung geführt. Diese sei angesichts seiner vom Verein gewünschten Teilnahme an der Reise nicht beanstandet worden.
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Die Finanzordnung sehe zudem vor, dass der Verein dem Aufsichtsratsmitglied eine durch die Versteuerung der Sachleistungen entstandene Steuermehrbelastung in bar erstatte. In seinem Fall seien in den Streitjahren folgende Erstattungen erfolgt:
50
-Erstattung Steuerbelastung 2009-2011 i.H.v. … € am …
51
-Erstattung Steuerbelastung 2012 i.H.v. … € am ….
52
Die jährlichen Sachbezüge entsprechend der Finanzordnung des G e.V. stellten keine variable Vergütungsform dar.
53
Mit Urteil vom 27.11.2019 (V R 23/19) habe der BFH entschieden, dass das Mitglied eines Aufsichtsrats nicht als Unternehmer tätig sei, sofern es aufgrund einer nicht variablen Festvergütung kein Vergütungsrisiko trage. Maßgeblich für die Bewertung einer Vergütung als Festvergütung oder variabler Vergütung sei, ob die Vergütung von der tatsächlichen Leistungserbringung des Empfängers abhängig sei. Danach sei keine Festvergütung gegeben, sofern Konnex zwischen der Leistungserbringung und der Vergütungshöhe bestehe. Nur insofern der Leistende durch seine variable Leistungserbringung Einfluss auf seine Vergütung habe, könne es sich auch um eine variable Vergütung handeln, die von der Festvergütung ohne wirtschaftlichem Risiko abzugrenzen sei. Sei jedoch zwischen Auftraggeber und Leistendem die Vergütung an keine quantitative oder qualitative Leistungserbringung geknüpft, sei für den Leistenden kein Vergütungsrisiko gegeben.
54
Vorliegend sei die unterschiedliche Inanspruchnahme des jährlichen Budgets von … € gemäß der Finanzordnung des G e.V. keine variable Vergütungsform in dem ausgeführten Sinne. Der Grund für die schwankenden Vergütungen, sofern man die Sachbezüge als Gegenleistung im Rahmen eines Leistungsaustauschs auffassen würde, sei nicht in einer Vereinbarung begründet, die ein Tätigwerden oder einen Erfolg erforderten, sondern in der tatsächlichen Inanspruchnahme des Budgets durch das jeweilige Aufsichtsratsmitglied. Er, der Kläger, habe in den Streitjahren das Budget in folgender Höhe in Anspruch genommen:
55
2011: … €,
56
2012: … € und außerordentlich, mit Genehmigung des Vereins, … € Reisekosten …,
57
2013: … €.
Auf die hierzu vorgelegten Aufstellungen werde verwiesen.
59
Die im Streitjahr 2013 entsprechend der Finanzordnung gezahlte Erstattung von Steuerbelastungen in der dargelegten Höhe sei zusätzlich erfolgt und führe nicht zu einer Überziehung des Budgets im Jahr 2013.
60
Dass die Bestellung der Eintrittsberechtigungen individuell durch das Aufsichtsratsmitglied vorgenommen werde und keine feste Zuweisung durch den Verein erfolge, sei organisatorisch sinnvoll und nicht leistungsabhängig. Dem einzelnen Aufsichtsratsmitglied solle die Möglichkeit gegeben werden, die nach seinem Ermessen erforderlichen Spiele zu besuchen. Dem Aufsichtsratsmitglied obliege es, wie es das zur Verfügung stehende Budget in Anspruch nehme. Aus dem geschilderten Sachverhalt im Zusammenhang mit der Satzung und der Finanzordnung sowie der Geschäftsordnung für den Aufsichtsrat folge, dass er, der Kläger, mangels leistungs- bzw. tätigkeitsabhängiger Vergütung kein wirtschaftliches Risiko als Aufsichtsratsmitglied trage und damit nicht als Unternehmer im Sinne des § 2 UStG tätig geworden sei.
61
Der Kläger beantragt,
62
die Umsatzsteuerbescheide 2011, 2012 und 2013 vom 19.05.2015 dahingehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer 2011, 2012 und 2013 ohne Einbeziehung einer Aufsichtsratsvergütung um … für 2011, um … € für 2012 und um … € für 2013 niedriger festgesetzt wird,
63
hilfsweise, die Revision zuzulassen.
64
Der Beklagte beantragt,
65
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte begründet seinen Antrag unter Verweis auf die Einspruchsentscheidung damit, dass der Kläger nach seinen eigenen Ausführungen eindeutig selbstständig und unabhängig seinen Aufgaben als Aufsichtsratsmitglied des G e.V. nachgegangen sei. Die Aufsichtsratstätigkeit des Klägers sei auch entgeltlich im Rahmen eines Leistungsaustausches erfolgt. Für seine Tätigkeit habe der Kläger eine Vergütung erhalten in Gestalt von Sachzuwendungen und der Erstattung der durch die Sachzuwendungen entstandenen steuerlichen Mehrbelastungen entsprechend der Finanzordnung des G e.V.
67
Die Sachzuwendungen durch die Bezahlung der angeforderten Eintrittsberechtigung und die Erstattung der Reisekosten erfolgten nicht im überwiegenden Interesse des G e.V.
68
Die Vergütung sei keine Festvergütung, sondern eine variable Vergütung. Damit entspreche die Aufsichtsratstätigkeit des Klägers auch den durch die neue Rechtsprechung des EuGH mit Urteil vom 13. Juni 2019 ‒ C-420/18 und des BFH mit Urteil vom 27.11.2019 ‒ V R 23/19 ‒ definierten Voraussetzungen für eine Umsatzsteuerpflicht der Aufsichtsratsvergütungen.
69
Dass die Vergütung des Klägers als Aufsichtsratsmitglied variabel sei, folge daraus, dass er durch die Anzahl der von ihm bestellten Eintrittsberechtigungen seine Entlohnung habe beliebig beeinflussen können. Auch sei das Entgelt des Klägers nicht auf einen fixen Höchstbetrag beschränkt gewesen, wie die das durch die Finanzordnung des Vereins gesetzte Limit überschreitenden Auszahlungen im Jahr 2012 belegten. Ein weiteres variables Element seien die durch die variablen Sachbezüge verursachten variablen Steuermehrbelastungen, die als Teil der Vergütung diese zusätzlich variabel ausgestaltet hätten.
70
Auf die Satzung des G e.V.sowie die Geschäftsordnung des Aufsichtsrates des G e.V.und die Finanzordnung des Vereins wird verwiesen. Ebenfalls wird auf die Protokolle der Sitzungen des Aufsichtsrates verwiesen, die der Kläger mit Schriftsatz vom 16.07.2020 vorgelegt hat.
71
Die Beteiligten haben mit Schriftsätzen vom 10.11.2020 und 11.11.2020 auf die Duchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
72
Entscheidungsgründe:
73
I.
74
Der Senat entscheidet im Einverständnis mit den Beteiligten ohne mündliche Verhandlung.
75
II.
76
Die Klage ist begründet.
77
Die Berücksichtigung der entgeltlichen Tätigkeit des Klägers als Aufsichtsrat des G e.V. in den Umsatzsteuerbescheiden 2011, 2012 und 2013 vom 19.05.2015 durch Erhöhung der Umsatzsteuer um … € im Jahr 2011, … € im Jahr 2012 und … € im Jahr 2013 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.
78
Der Kläger ist unter Anwendung der neuen Rechtsprechung des EuGH (EuGH, Urteil vom 13.06.2019 ‒ C-420/18, IO, juris) und des BFH (BFH, Urteil vom 27.11.2019 ‒ V R 23/19, juris; siehe auch Niedersächsisches Finanzgericht, Urteil vom 19.11.2019 ‒ 5 K 282/18, juris) zur Umsatzsteuerbarkeit der Tätigkeit von Aufsichtsratsmitgliedern mit seiner Aufsichtsratstätigkeit beim G e.V. mangels Selbstständigkeit nicht als Unternehmer einzuordnen. Seine dortige Tätigkeit und die für sie gezahlten Entgelte sind deshalb umsatzsteuerrechtlich unbeachtlich.
79
1.
80
Die oben genannte Rechtsprechung ist zu der Frage der umsatzsteuerlichen Einordnung der Tätigkeit als Aufsichtsratsmitglied bei einer niederländischen Stiftung bzw. einer deutschen Aktiengesellschaft ergangen und hier einschlägig, auch wenn der G e.V. keine Stiftung oder Aktiengesellschaft, sondern ein eingetragener Verein ist.
81
Klassische Organe eines eingetragenen Vereins sind die Mitgliederversammlung und der Vorstand, vergl. §§ 26, 27 BGB.
82
Wenn es die Satzung des Vereins (vergl. § 25 BGB) vorsieht, kann der Verein aber auch einen Aufsichtsrat erhalten (§ 30 BGB). In der Satzung erfolgt dann eine Aufgabenverteilung zwischen Aufsichtsrat und Vorstand.
83
Im vorliegenden Fall sieht die in den Streitjahren geltende Satzung des G e.V.einen Aufsichtsrat vor und regelt die Aufgabenverteilung zwischen Aufsichtsrat und Vorstand (vergleiche § 7 und § 8 der Satzung).
84
2.
85
Der Kläger ist als Mitglied des Aufsichtsrats des G e.V. im Sinne des § 2 UStG, hilfsweise im Sinne des Art. 9 und 10 MwstSyStRL, nicht selbstständig tätig.
86
Zwar erfüllt der Kläger die nach der bisherigen nationalen Rechtsprechung (BFH, Urteil vom 27.07.1972 ‒ V R 136/71, juris; BFH, Urteil vom 02.10.1986 ‒ V R 68/78, juris; BFH, Urteil vom 20.08.2009 ‒ V R 32/08, juris, zuletzt noch FG Münster, Urteil vom 26.01.2017 ‒ 5 K 1419/16 U, juris; s. auch Abschn.22 Abs.2 Satz 7 UStAE und § 3a Abs. 4 S. 2 Nr. 3 UStG, dazu Vobbe/Stelzer, DStR 2020, 1089, 1094ff, Heuermann, DStR 2020,279, 281) bestimmten Voraussetzungen für die Unternehmereigenschaft eines Aufsichtsratsmitglieds und für die Umsatzsteuerpflicht seiner Leistungen.
87
Die dem Kläger zugewandten Eintrittsberechtigungen, die erstatteten Auslagen für Reisen und die Steuererstattungen in Höhe der Mehrsteuern aufgrund der ihm zugewandten Eintrittsberechtigungen über mehrere Jahre führen dazu, dass der Kläger seine Aufsichtsratstätigkeit im Rahmen eines Leistungsaustausches nachhaltig und entgeltlich ausübt, vergl. § 2 Absatz 1 UStG, bzw. er im Sinne des Art. 9 Abs. 1 MwstSyStRL 1 wirtschaftlich tätig wird. Ein Leistungsaustausch liegt entgegen der Auffassung des Klägers auch dann vor, wenn für eine Leistung lediglich Auslagenersatz gezahlt wird (Korn in Bunjes, UStG, 19. Auflage, § 2 Rz. 61).
88
Auch ist der Kläger als Aufsichtsratsmitglied entsprechend der Vereinssatzung und den glaubhaft geschilderten vereinsinternen Abläufen nicht gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1 UStG weisungsgebunden und steht in keinem Unterordnungsverhältnis zum Vorstand oder zum Aufsichtsrat des G e.V. gemäß Art. 10 MwstSyStRL.
89
Das fehlende Unterordnungsverhältnis bzw. die fehlende Weisungsgebundenheit des Aufsichtsratsmitglieds reichen jedoch für die sowohl in § 2 Abs. 1 S. 1 UStG als auch in Art. 9 Abs. 1 S. 1 MwstSyStRL für die Unternehmereigenschaft vorausgesetzte „selbstständige Ausübung” der Tätigkeit als Aufsichtsratsmitglied nach neuer Rechtsprechung nicht aus.
90
Maßgeblich ist seit dem EuGH-Urteil ‒ IO ‒ (EuGH, Urteil vom 13.06.2019 ‒ C-420/18, IO, juris) die dort erfolgte umsatzsteuerrechtliche Definition der „Selbstständigkeit“, da der Begriff der Selbstständigkeit ein autonomer Begriff des Unionsrechts ist und § 2 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 2 Abs. 2 Nr. 1 UStG unionskonform auszulegen ist (siehe Nieskens, EU-UStB 2019, 90, 92 m.w.N.) bzw. der Kläger sich auf den Anwendungsvorrang des Unionsrechts (BFH, Urteil vom 24.10.2013 ‒ V R 17/13, juris), beruft.
91
Demnach liegt eine selbstständige Tätigkeit gemäß Art. 9 Abs. 1 MwstSyStRL bzw. § 2 Abs. 1 S. 1 UStG bei einem Aufsichtsratsmitglied, das wie der Kläger nicht weisungsabhängig bzw. untergeordnet als Aufsichtsratsmitglied tätig ist, vor
92
wenn das Aufsichtsratsmitglied,
93
‒ seine Tätigkeit als Aufsichtsratsmitglied im eigenen Namen und
94
‒ auf eigene Rechnung ausübt sowie
95
‒ das mit der Ausübung der Tätigkeit verbundene wirtschaftliche Risiko trägt (EuGH, Urteil vom 13.06.2019 ‒ C-420/18, IO, juris, Rz. 41-43).
96
Vorliegend folgt aus § 7.3. der Satzung des G e.V., dass der Kläger nicht in eigenem Namen, sondern stets für den Aufsichtsrat in Umsetzung der dort unter seiner Mitwirkung getroffenen Beschlüsse tätig wurde. Seine Tätigkeit im Eilausschuss übte er ebenfalls für den Aufsichtsrat und nicht im eigenen Namen aus.
97
Auf eigene Rechnung hat der Kläger zu keinem Zeitpunkt für den G e.V. gearbeitet.
98
Auch hat der Kläger kein wirtschaftliches Risiko getragen. Ein solches Risiko ist nach Auffassung des erkennenden Senats zu bejahen, wenn der Kläger für seine Aufsichtsratstätigkeit eine erfolgsabhängige Vergütung erhalten oder ein Verlustrisiko getragen hätte (siehe zu dem Begriff feste und variable bzw. erfolgsabhängige und erfolgsunabhängige Vergütung, Feldt, MwStR 2020, 394, 397, 398, siehe auch zu offenen Fragen zum Begriff “wirtschaftliches Risiko von Aufsichtsratsmitgliedern” im Anschluss an die neue Rechtsprechung, Sterzinger, UStB 2020, 77,78; Vobbe/Stelzer, DStR 2020, 1089, 1094ff; Nieskens, EU-UStB 2019, 90, 92).
99
Eine erfolgsabhängige Vergütung ist hier nicht gegeben, denn der Kläger erhielt in den Streitjahren Zahlungen aufgrund eines garantierten Auslagenersatzanspruchs i.H.v. grundsätzlich höchstens … € entsprechend Absatz § 1 Abs. 1 und 2 der in den Streitjahren geltenden Finanzordnung des G e.V. Zudem ersetzte der Verein ihm bei Budgetüberschreitung außerordentlich angefallene Reisekosten (siehe …), sofern diese auf Reisen im Interesse des Vereins beruhten. Mehrsteuern aufgrund der Einkommenbesteuerung der als Aufsichtsratsmitglied gemäß § 1 Finanzordnung des G e.V. erhaltenen Sachleistungen wurden dem Kläger zusätzlich gemäß § 2 Abs. 2 der Finanzordnung des Vereins ersetzt. Der Kläger übte seine mit Unkosten verbundene Aufsichtsratstätigkeit damit auch ohne Verlustrisiko aus.
100
Eine ein wirtschaftliches Risiko möglicherweise begründende persönliche Haftung für Pflichtverletzungen gegenüber Dritten ist für Aufsichtsratmitglieder des G e.V. in der Vereinssatzung nicht vorgesehen. Die Satzung sieht lediglich in § 7.6 eine Haftung für grob fahrlässig oder vorsätzlich verursachte Schäden vor, die auch Arbeitnehmer treffen würde und deshalb kein typisch unternehmerisches wirtschaftliches Risiko darstellt. Eine durch ein Aufsichtsratsmitglied des G begangene Fahrlässigkeit hat nach Aktenlage auch keine Auswirkungen auf die Vergütung des Aufsichtsratsmitglieds.
101
3.
102
Die Umsatzsteuer in den Streitjahre berechnet sich wie folgt:
103
Umsatzsteuer 2011
104
laut angefochtenem Bescheid: … €
105
laut Urteil: … € minus … € gleich … €
106
Umsatzsteuer 2012
107
laut angefochtenem Bescheid: … €
108
laut Urteil: … € minus … € gleich … €
109
Umsatzsteuer 2013
110
laut angefochtenem Bescheid: … €
111
laut Urteil: … € minus … € gleich … €.
112
III.
113
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
114
IV.
115
Die Revision wird zur Fortbildung des Rechts gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zugelassen.