08.06.2022 · IWW-Abrufnummer 229559
Oberlandesgericht Hamm: Urteil vom 13.04.2022 – 8 U 112/21
1. Die Regelung in der Satzung einer gemeinnützigen GmbH (gGmbH), wonach im Fall des Ausscheidens eines Gesellschafters eine Abfindung nur in Höhe des Nennbetrages seiner Stammeinlage zu leisten ist, ist nicht nach § 138 BGB nichtig, selbst wenn ein grobes Missverhältnis zwischen dem Nennwert und dem nach allgemeinen gesetzlichen Regeln zu bestimmenden Abfindungsbetrag besteht. Wenn die Gesellschaft steuerbegünstigte Zwecke i. S. d. §§ 55 ff. AO verfolgt, ist die Klausel zulässig und geboten.
2. Der Zulässigkeit der Beschränkung des Abfindungsanspruchs steht nicht entgegen, dass auch (Insolvenz-)Gläubigern des Gesellschafters nur der Nennbetrag als Haftungsmasse zur Verfügung steht, sofern die Satzung keine abweichenden Regelungen für unterschiedliche Ausscheidensgründe enthält.
3. Zur Auslegung von Bestandteilen einer GmbH-Satzung.
Tenor:
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Dieses und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund beider Urteile vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
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Gründe:
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A.
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Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der A Pflege-Dienste Ruhr gGmbH (im Folgenden: Insolvenzschuldnerin), die in B einen ambulanten Pflegedienst betrieb. Das Insolvenzverfahren wurde durch Beschluss des AG Essen (Aktenzeichen 162 IN 118/13) vom 01.10.2013 (Anlage TW 1) eröffnet.
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Die Insolvenzschuldnerin war Gesellschafterin der Beklagten mit einer Stammeinlage von 1.000,00 EUR. Das Stammkapital der Beklagten beträgt nach § 4 (1) des Gesellschaftsvertrages (Stand 14.04.2014) insgesamt 63.000,00 EUR.
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Der Gesellschaftsvertrag der Beklagten (Stand: 14.04.2014) enthält u.a. die folgenden Regelungen:
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§ 3
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Steuerbegünstigte Zwecke
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(1) Die Gesellschaft verfolgt ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige, mildtätige und kirchliche Zwecke im Sinne des Abschnitts „Steuerbegünstigte Zwecke“ der Abgabenordnung.
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[…]
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§5
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Verfügung über Geschäftsanteile
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[…]
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(3) Die Geschäftsanteile können von der Gesellschaft dann eingezogen werden, wenn
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a. ein Gesellschafter in der Weise gegen die Satzung und seine Treuepflichten verstößt, dass bei einer Personengesellschaft ein Ausschluss nach § 140 HGB verlangt werden könnte,
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b. insichtlich des Vermögens eines Gesellschafters das Insolvenzverfahren eröffnet wird,
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c. in den Geschäftsanteil die Zwangsvollstreckung betrieben wird,
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d. der Gesellschafter die Gesellschaft kündigt oder Auflösungsklage erhebt,
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e. wenn das Mitglied seine Tätigkeit im Bereich der in § 2 vorausgesetzten Tätigkeit als Träger katholischer Krankenhäuser oder Einrichtungen der katholischen Altenpflege und der dazugehörigen Ausbildung einstellt.
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(4) Über die Einziehung von Geschäftsanteilen beschließt die Gesellschafterversammlung mit einer Mehrheit von mindestens 2/3 der Stimmen. Die betroffenen Gesellschafter sind nicht stimmberechtigt. Im Falle der Einziehung des Geschäftsanteils erhält der betroffene Gesellschafter nur den Nennwert seiner Stammeinlage erstattet.
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[…]
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§17
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Kündigung, Auflösung der Gesellschaft
24
[…]
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(4) Scheidet ein Gesellschafter durch Kündigung, Einziehung oder durch eine die Einziehung ersetzende Übertragung an einen Dritten aus der Gesellschaft aus, steht ihm eine Abfindung zu. Die Abfindung berechnet sich nach dem Nennwert des Anteils des ausscheidenden Gesellschafters.
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[…]
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(7) Bei Auflösung der Gesellschaft oder bei Wegfall steuerbegünstigter Zwecke erhalten die Gesellschafter nicht mehr als die eingezahlten Kapitaleinlagen und den gemeinen Wert geleisteter Sacheinlagen zurück, die für gemeinnützige, mildtätige oder kirchliche Zwecke zu verwenden sind. Das übrige Vermögen der Gesellschaft fällt nach Ablösung sämtlicher Verpflichtungen an die Gesellschafter, soweit sie steuerbegünstigt im Sinne des Abschnitts „steuerbegünstigte Zwecke" der Abgabenordnung sind und zwar im Verhältnis der durchschnittlichen Zahl der tatsächlichen Auszubildenden der letzten fünf Jahre vor der Auflösung, die es unmittelbar und ausschließlich für gemeinnützige, mildtätige oder kirchliche Zwecke zu verwenden haben.
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[…]
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den zu den Akten gereichten Gesellschaftsvertrag (Anlage TW 20) Bezug genommen.
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Mit Beschluss vom 16.10.2017 (Anlage TW 5) schlossen die Gesellschafter die Insolvenzschuldnerin aus der Beklagten aus und bestimmten ihr Abfindungsguthaben auf den Nennwert ihrer Stammeinlage von 1.000,00 EUR. Dieser Betrag wurde dem Anderkonto des Klägers am 03.07.2017 gutgeschrieben.
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Mit seiner Stufenklage begehrt der Kläger auf der ersten Stufe die Erteilung einer Schlussabrechnung auf den Stichtag 16.10.2017. Er hat gemeint, dass der Insolvenzschuldnerin ein Anspruch auf Zahlung des vollen wirtschaftlichen Werts ihres Anteils an der Beklagten zustehe, den er vorläufig auf 21.498,00 EUR beziffert. Die Regelung in § 5 Abs. 3 lit. b), Abs. 4 Satz 3 i.V.m. § 17 Abs. 4 Satz 2 des Gesellschaftsvertrages der Beklagten sei insolvenzzweckwidrig. Das Interesse an einer gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung überlagere den Zweck der Beschränkung des Abfindungsanspruchs. Darüber hinaus sei die Regelung wegen des großen Abstandes zwischen dem Nennwert und dem Verkehrswert des Geschäftsanteils und der damit einhergehenden grob unbilligen Benachteiligung der Insolvenzschuldnerin als unangemessene sittenwidrige Klausel i.S.d. § 138 Abs. 1 BGB und gleichzeitig als unzulässige indirekte Beschränkung des Kündigungsrechts nach § 723 Abs. 3 BGB zu qualifizieren. Jedenfalls sei es der Beklagten gemäß § 242 BGB verwehrt, sich auf die die Abfindung beschränkende Klausel zu berufen, da eine Abfindung zum Buchwert in Ansehung des hier beachtlichen Substanzwerts der Beteiligung in keiner Weise akzeptabel sei. Die Beklagte ist dem Begehren des Klägers entgegen getreten. Sie hat gemeint, die Beschränkung der Abfindung im Rahmen des Gesellschaftsvertrags sei aufgrund ihrer ‒ der Beklagten ‒ Gemeinnützigkeit und „Selbstlosigkeit“ i.S.v. § 55 AO zulässig. Gerade zur Erhaltung des Status als gemeinnützige GmbH sei die vertragliche Regelung erfolgt, zumal eine andere Regelung als die Nennwertabfindung zu einem Entzug der Anerkennung als gemeinnützig führe. Die Satzung entspreche insofern fast wortgleich der Mustersatzung aus der Anlage zu § 60 AO. Dem Kläger kämen als Insolvenzverwalter keine Sonderrechte zu.
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Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien erster Instanz sowie ihrer Anträge wird gem. § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Dem Kläger stünden die von ihm geltend gemachten Ansprüche nicht zu. Denn aufgrund der Regelungen in §§ 5 Abs. 3 lit. b), Abs. 4, 17 Abs. 4 des Gesellschaftsvertrags der Beklagten seien Ansprüche über den bereits ausgezahlten Betrag in Höhe der Stammeinlage der Insolvenzschuldnerin ausgeschlossen. Diese Regelung sei wirksam und insbesondere weder sittenwidrig noch insolvenzzweckwidrig. Eine Vereinbarung im Gesellschaftsvertrag, Gesellschafter zu deren Nachteil zu einem geringeren Wert als dem Anteil am Verkehrswert abzufinden, sei zwar gemäß § 138 BGB grundsätzlich unzulässig und nur in eng begrenzten Ausnahmen möglich. Eine solche Ausnahme liege aber vor, wenn die Gesellschaft, wie vorliegend die Beklagte, rein ideelle Zwecke verfolge. Hiervon sei nicht deshalb abzuweichen, weil die ausgeschiedene Gesellschafterin insolvent gewesen sei.
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Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung, mit der er seine erstinstanzlichen Anträge weiterverfolgt und sein bisheriges Vorbringen vertieft und ergänzt. Er vertritt die Auffassung, bei der gebotenen Auslegung der Satzung nach dem objektiven Erklärungswert sehe das Regelwerk der Satzung zu den Rechtsfolgen des Ausschlusses eines Gesellschafters und Einziehung seines Geschäftsanteils auch in Anbetracht der die Abfindung in den dort enumerativ aufgeführten Fällen begrenzenden Regelungen einen Anwendungsbereich vor, in dem der ausscheidende Gesellschafter einen Anspruch auf den wahren Wert des Geschäftsanteils habe. Die Satzung der Beklagten enthalte in § 5 Abs. 3 lit. a) zwar eine Regelung zum Ausschluss eines Gesellschafters aus wichtigem Grund (durch den dortigen Verweis auf § 140 Abs. 1 HGB, der wiederum auf § 133 Abs. 1 HGB verweise), schränke aber die Möglichkeiten, gestützt auf einen wichtigen Grund die Einziehung nach dieser Satzungsziffer zu beschließen, dergestalt ein, dass dieser gegen die Satzung und die Treuepflichten als Gesellschafter verstoßen müsse. Nur auf einen solchen Fall sei die Regelung des § 5 Abs. 4 anwendbar, der allein von einer „Einziehung des Geschäftsanteils“ spreche, nicht aber von einer Ausschließung eines Gesellschafters. Diese richte sich nach § 17 Abs. 4, der die Abfindung aber nicht auf den Nennwert des Geschäftsanteils beschränke. Dieser sei lediglich Berechnungsgrundlage für die Ermittlung der Höhe des nach allgemeinen Grundsätzen zu ermittelnden Geschäftswerts. Die Formulierungen in § 5 Abs. 4 Satz 2 und § 17 Abs. 4 Satz 2 der Satzung seien strikt voneinander abzugrenzen und meinten nicht dasselbe. Eine solche Differenzierung sei auch sachgerecht. Es sei offensichtlich, dass die Satzung einen Unterschied mache zwischen solchen Gesellschaftern, die gegen die Satzung und die Treuepflichten verstießen und solchen, in deren Person lediglich ein wichtiger Grund für einen Ausschluss auszumachen sei. Überdies trage die unterschiedliche Behandlung des gegen Satzung und Treuepflichten verstoßenden Gesellschafters und dem aus anderen Gründen auszuschließenden dem Umstand Rechnung, dass ein gesellschaftsvertraglicher Abfindungsausschluss grundsätzlich sittenwidrig i.S.d. § 138 Abs. 1 BGB sei, ebenso eine Abfindungsbeschränkung, wenn die danach geschuldete Abfindung in einem groben Missverhältnis zu der Abfindung nach den allgemeinen Regeln stehe. Bestätigt werde dieses Ergebnis dadurch, dass die Satzung in § 17 Abs. 7 bei Auflösung der Gesellschaft eine Übererlösverteilung zu Gunsten bestimmter Gesellschafter vorsehe, so dass der Satzung keineswegs fremd sei, dass Gesellschafter das Gesellschaftsvermögen ausgekehrt erhielten. Die Folge dieser Ungleichbehandlung zwischen dem Ausscheiden aufgrund des Insolvenzverfahrens nach § 5 Abs. 3 lit. b) und demjenigen nach § 17 Abs. 4 sei eine unzulässige Gläubigerdiskriminierung. Aus dieser ergebe sich die Unwirksamkeit der vorliegenden Abfindungsklausel, welche die Abfindung im Fall der Einziehung des Geschäftsanteils bei dessen Pfändung sowie bei der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens vorsehe, dies aber nicht auch für den vergleichbaren Fall der Ausschließung eines Gesellschafters aus wichtigem Grund regele.
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Der Kläger beantragt, das Urteil des Landgerichts Essen vom 11.05.2021, 4 O 258/20, abzuändern und
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1. die Beklagte zu verurteilen, eine Schlussabrechnung auf den Stichtag 16.10.2017 zu erstellen, der der Wert des ehemaligen Anteils der A Pflege-Dienste Ruhr gGmbH an der Beklagten mit einem Stammkapital in Höhe von nominal EUR 1.000,00 unter Berücksichtigung aller aktiven und passiven Vermögensgegenstände mit ihrem wahren wirtschaftlichen Wert unter Aufdeckung der stillen Reserven sowie unter Berücksichtigung des ideellen Firmenwerts sowie schwebender Geschäfte zu entnehmen ist,
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2. die Beklagte zu verurteilen, erforderlichenfalls die Vollständigkeit und Richtigkeit der Schlussabrechnung an Eides statt zu versichern,
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3. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger einen nach Erstellung der Schlussabrechnung noch zu bestimmenden Betrag an den Antragsteller nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16. Oktober 2017 zu zahlen,
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Sie ist der Ansicht, zwar sei eine Beschränkung der Abfindung eines ausscheidenden Gesellschafters auf den Nennwert seines Anteils am Stammkapital nur in eng begrenzten Ausnahmefällen zulässig, ein solcher Ausnahmefall liege hier aber aufgrund der unbestrittenen Gemeinnützigkeit der Beklagten vor. Für die Anerkennung der Gemeinnützigkeit einer Körperschaft müssten die §§ 55 ff. AO erfüllt sein. Gemäß § 60 AO müsse die Satzung bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Bei Kapitalgesellschaften wie der gGmbH sei gemäß § 3 der Mustersatzung unter anderem zwingend eine Formulierung aufzunehmen, der zufolge die Gesellschafter einer gGmbH bei ihrem Ausscheiden nicht mehr als ihre eingezahlten Kapitalanteile und den Gemeinwert ihrer geleisteten Sacheinlage zurückerhalten würden. Die gesellschaftsvertraglichen Bestimmungen der Beklagten entsprächen damit einem gesetzlichen Gebot und könnten nicht unwirksam sein. Wenn die Beklagte ihre Gemeinnützigkeit behalten wolle, müsse sie die vom Kläger als sittenwidrig beanstandete Begrenzung des Abfindungsanspruchs beachten. Anderenfalls drohe der Verlust der Gemeinnützigkeit, verbunden mit massiven Steuernachforderungen und der Gefahr einer eigenen Insolvenz. Die Begrenzung des Abfindungsanspruchs sei auch nicht insolvenzzweckwidrig. Das Insolvenzrecht habe keinen Vorrang vor dem Gemeinnützigkeitsrecht. Wäre die Insolvenzschuldnerin nicht als insolventes Unternehmen aus der Beklagten ausgeschieden, sondern im Normalzustand, hätte sie nicht mehr als den Nominalwert ihrer Beteiligung zurückerhalten. An dieser Ausgangsituation könne sich durch die Insolvenz nichts ändern, da andernfalls durch das Insolvenzereignis der Wert des Geschäftsanteils wachsen würde.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze und der zu den Gerichtsakten gereichten Unterlagen verwiesen.
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B.
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Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet.
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I.
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Die Klage ist zulässig, insbesondere wurde das in § 19 des Gesellschaftsvertrages vorgesehene Schiedsstellenverfahren (vgl. BGH, Urteil vom 23.11.1983, VIII ZR 197/82, juris) erfolglos durchgeführt.
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II.
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Die Klage ist unbegründet. Die nach § 254 ZPO statthafte Stufenklage war insgesamt durch Endurteil abzuweisen. Denn die Prüfung des auf der ersten Stufe gestellten Antrags auf Vorlage einer Schlussabrechnung führt zu dem Ergebnis, dass dem Hauptanspruch, hier also dem Anspruch auf Zahlung einer höheren, am Wert des Geschäftsanteils orientierten Abfindung, die materiell-rechtliche Grundlage fehlt.
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1. Die Aktivlegitimation des Klägers ergibt sich aus § 80 Abs. 1 InsO. Der Geschäftsanteil der Schuldnerin an der Beklagten gehörte zur Insolvenzmasse (BeckOK InsR/Kirchner, 26. Ed. 15.1.2022, InsO § 35 Rn. 38), so dass der Kläger insofern die Rechte geltend machen kann, die der ausgeschiedenen Insolvenzschuldnerin zustehen würden. Die Einziehung der Gesellschaftsanteile bleibt jedoch möglich, wenn die Satzung für den Fall der Insolvenz des Gesellschafters diese vorsieht oder ein Ausschluss des Gesellschafters aus wichtigem Grund in Betracht kommt (Weller/Reichert in: Münchener Kommentar zum GmbHG, 4. Aufl., § 15 Rn. 551). In diesem Fall setzt sich der Insolvenzbeschlag an dem Abfindungsguthaben des Gesellschafters fort (BeckOK InsR/Kirchner, 26. Ed. 15.1.2022, InsO § 35 Rn. 38), dieses fällt in die Masse (Peters in: Münchener Kommentar zur InsO, 4. Aufl., § 35 Rn. 257). Die Beklagte ist passivlegitimiert, denn die Pflicht zur Bilanzaufstellung trifft gegenüber dem ausgeschiedenen Gesellschafter die Gesellschaft (Kilian in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 5. Aufl., § 738 BGB Rn. 8; Schäfer in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl., § 738 Rn. 27). Diese ist auch Schuldnerin des Abfindungsanspruchs, wenn sie den Geschäftsanteil als Folge der Ausschließung einzieht (Strohn in: Münchener Kommentar zum GmbHG, 4. Aufl., § 34 Rn. 130).
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2. Grundsätzlich steht der Insolvenzschuldnerin ein Abfindungsanspruch aus § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB analog i.V.m. §§ 5 Abs. 4 Satz 2, 17 Abs. 4 des Gesellschaftsvertrages zu. Der Anspruch auf Abfindung entsteht, wenn sämtliche Voraussetzungen wirksamer Einziehung vorliegen, also ein Einziehungsbeschluss der Gesellschafterversammlung gefasst und das Ergebnis dieser Beschlussfassung dem betroffenen Gesellschafter ‒ sofern er nicht in der Versammlung anwesend oder vertreten war ‒ mitgeteilt wurde (BGH, Urteil vom 24.01.2012, II ZR 109/11, juris, Rn. 8; BeckOK GmbHG/Schindler, 50. Ed. 1.5.2021, GmbHG § 34 Rn. 76). Die Voraussetzungen für die Zahlung einer Abfindung sind hier erfüllt. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Insolvenzschuldnerin als Gesellschafterin der Beklagten ausgeschlossen und ihr Geschäftsanteil eingezogen worden ist. Der Gesellschaftsvertrag der Beklagten enthält in § 5 Abs. 3 lit. b) die nach § 34 Abs. 1 und 2 GmbHG erforderliche Ermächtigung hierfür. Der Gesellschafterbeschluss vom 16.10.2017 ist bestandskräftig und damit wirksam (BGH, Urteil vom 24.01.2012, II ZR 109/11, juris).
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3. Der Abfindungsanspruch der Insolvenzschuldnerin ist jedoch durch Erfüllung erloschen, § 362 Abs. 1 BGB. Denn der Insolvenzschuldnerin steht aufgrund der wirksamen Regelungen in §§ 5 Abs. 4 Satz 2, 17 Abs. 4 Satz 2 des Gesellschaftsvertrages nur eine Abfindung in Höhe des Nennwerts des Anteils, hier also in Höhe von 1.000,00 EUR, zu. Dieser Betrag wurde vorgerichtlich an den Kläger gezahlt. Eine höhere Abfindung kann der Kläger nicht beanspruchen.
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a) Grundsätzlich ist der Insolvenzverwalter an die vertraglichen Grundlagen der insolventen Gesellschaft gebunden. Ansprüche stehen ihm daher nur in dem Umfang zu, wie sie sich aus dem Gesetz, der Satzung und anderweitigen Vereinbarungen ergeben (BGH, Urteil vom 26.04.2018, IX ZR 56/17, juris, Rn. 16 für Genossenschaft). Die Satzung der Beklagten sieht für den hier einschlägigen Fall der Einziehung des Geschäftsanteils vor, dass der betroffene Gesellschafter nur den Nennwert seiner Einlage erstattet erhält, § 5 Abs. 4 Satz 2 des Gesellschaftsvertrages.
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b) Die Regelung über die Beschränkung der Abfindung auf den Nennbetrag im Fall der Einziehung ist wirksam.
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aa) Die Klausel ist nicht wegen eines großen Abstandes zwischen dem Nennwert und dem Verkehrswert und der damit einhergehenden unbilligen Benachteiligung der Insolvenzschuldnerin bzw. ihrer Gläubiger sittenwidrig, § 138 Abs. 1 BGB.
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(1) Gesellschaftsvertragliche Beschränkungen des Abfindungsrechts eines GmbH-Gesellschafters sind aufgrund der Satzungsautonomie grundsätzlich zulässig, unterliegen aber den Grenzen der Vorschrift des § 138 BGB (BGH, Urteil vom 16.12.1991, II ZR 58/91, juris, Rn. 23). Die Regelung greift jedoch nur ein, wenn die Klausel bereits bei ihrer Vereinbarung grob unbillig war (BGH, Urteil vom 16.12.1991, II ZR 58/91, juris, Rn. 23; Urteil vom 20.09.1993, II ZR 104/92, juris, Rn. 11). Hierzu hat der Kläger, der sich in erster Linie auf das Missverhältnis im Jahr 2017 (Abfindungsanspruch beträgt das 21-fache des Nominalbetrages) bezieht und im Übrigen nur den Zeitraum von 2007 bis 2017 betrachtet, nicht ausreichend vorgetragen.
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(2) Wie die wirtschaftlichen Verhältnisse der Beklagten zum Zeitpunkt der Vereinbarung der Abfindungsregelung waren, kann jedoch dahinstehen. Denn die Beschränkung des Abfindungsanspruchs auf den Nominalbetrag der Einlage ist mit Blick auf den unstreitigen sachlichen Grund für diese Regelung, nämlich den ideellen Gesellschaftszweck der Beklagten, nicht nur ausnahmsweise zulässig (BGH, Urteil vom 02.06.1997, II ZR 81/96, juris, Rn. 10; Urteil vom 29.04.2014, II ZR 216/13, juris, Rn. 13; Senat, Urteil vom 26.05.1997, 8 U 163/96, GmbHR 1997, 942, 944, zitiert über juris), sondern rechtlich geboten. Die Beklagte ist eine gemeinnützige GmbH (vgl. § 4 Satz 2 GmbHG), die steuerbegünstigte Zwecke i.S.d. §§ 55 ff. AO verfolgt, so dass die von dem Kläger beanstandete Satzungsgestaltung für sie zwingend vorgeschrieben ist. Es muss nämlich sichergestellt sein, dass die Gesellschafter keine Zuwendungen aus Mitteln der Körperschaft erhalten; das Vermögen der Beklagten darf selbst im Fall ihrer Auflösung nicht den Gesellschaftern zufließen, sondern ausschließlich für gemeinnützige, mildtätige und kirchliche Zwecke verwendet werden (vgl. die Mustersatzung, Anlage 1 zu § 60 AO). Mitglieder dürfen daher auch bei ihrem Ausscheiden aus der Körperschaft oder bei Auflösung der Körperschaft nicht mehr als die eingezahlten Kapitalanteile und den gemeinen Wert ihrer Sacheinlagen zurückerhalten, § 55 Abs. 1 Nr. 2 AO. Die Vorschrift dehnt das allgemeine Gewinnausschüttungsverbot des § 55 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 AO auf die Liquidation der Körperschaft und das Ausscheiden eines Mitglieds aus, um zu verhindern, dass das steuerbegünstigt gebildete Vermögen die steuerbegünstigte Sphäre verlässt (Weitemeyer, Fallstricke der gGmbH, GmbHR 2021, 57, 60, zitiert über juris). Eine Bestimmung in der Satzung, die zur Erreichung des Gesellschaftszwecks erforderlich ist, kann nach dem Grundsatz der Einheit und Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung nicht nach § 138 Abs. 1 BGB unwirksam sein. Eine Sittenwidrigkeit scheidet damit aus, ohne dass es auf ein Missverhältnis zwischen der Höhe des Abfindungsanspruchs und dem Verkehrswert des eingezogenen Geschäftsanteils ankommt.
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bb) Das Argument, die Abfindungsregelung stelle eine unzumutbare Kündigungserschwernis dar (vgl. dazu BGH, Urteil vom 16.12.1991, II ZR 58/91, juris, Rn. 27), verfängt aus den o.g. Gründen ebenfalls nicht, weil die Beschränkung der Abfindung durch die von der Abgabenordnung vorgegebenen Anforderungen an die Satzungsgestaltung vorgeschrieben ist.
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cc) Die Regelung des § 5 Abs. 4 Satz 2 des Gesellschaftsvertrages ist auch nicht wegen einer mit ihr einhergehenden Gläubigerbenachteiligung unwirksam.
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(1) Der Senat teilt die Auffassung des Klägers, die Gläubigerbefriedigung überlagere den Zweck der Beschränkung des Abfindungsanspruchs, nicht. Denn sie ist mit der weitreichenden Satzungsautonomie, die prägendes Merkmal der GmbH ‒ und außerhalb der durch §§ 55 ff. AO vorgegeben Grenzen auch der gGmbH ‒ ist, nicht zu vereinbaren. Soweit ausdrückliche gesetzliche Verbote nicht vorhanden sind, bedarf die Einschränkung der Vertragsfreiheit einer besonderen Rechtfertigung, die möglichst in Anlehnung an anerkannte bindende Rechtssätze zu erfolgen hat und anhand der konkret beeinträchtigten Rechtspositionen der betroffenen Gläubiger und Gesellschafter zu begründen ist (Wicke, Münchener Kommentar zum GmbHG, 4. Aufl., § 3 Rn. 150; allgemein H. P. Westermann in: Scholz, GmbHG, 12. Aufl., Einl. Rn. 21).
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(2) Eine Einschränkung der Satzungsautonomie ist hier nicht gerechtfertigt. Zwar sind Satzungsbestimmungen über Entschädigungsregelungen unwirksam, die auf eine Gläubigerbenachteiligung abzielen (BGH, Beschluss vom 12.06.1975, II ZB 12/73, juris; Urteil vom 19.06.2000, II ZR 73/99, juris). Eine Bestimmung hingegen, die bei Pfändung eines Geschäftsanteils (oder im Fall der Insolvenz) dessen Einziehung gegen Entgelt zulässt, das nach wahren Vermögenswerten der Gesellschaft, aber ohne Ansatz eines Firmenwertes berechnet werden soll, ist wirksam, wenn dieselbe Entschädigungsregelung auch für den vergleichbaren Fall der Ausschließung eines Gesellschafters aus wichtigem Grund gilt. Für die Frage, ob die Satzung einer GmbH für den Fall der Pfändung (oder der Insolvenz) die Einziehung eines Geschäftsanteils gegen ein Entgelt, das nicht dem vollen Verkehrswert entspricht, zulassen kann, ist davon auszugehen, dass die Pfändung oder der Insolvenzbeschlag den Pfandgegenstand mit dem Inhalt erfasst, den er in der Hand des Schuldners selbst hat. Ein Pfändungs- oder Insolvenzgläubiger muss daher Einschränkungen oder Belastungen, denen der Schuldner in seiner durch den Pfand- oder Massegegenstand vermittelten vermögensrechtlichen Stellung unterliegt, grundsätzlich auch gegen sich gelten lassen (BGH, Beschluss vom 12.06.1975, II ZB 12/73, juris, Rn. 12). Dies ist die Auswirkung einer für alle Gesellschafter geltenden gemeinsamen Vertragsordnung, die für den einzelnen Gesellschafter ‒ und damit auch für den Pfandgläubiger ‒ Inhalt und Grenzen seiner Rechtsstellung bestimmt; die Begründung des Einziehungsrechts in der Satzung lässt den Geschäftsanteil von vornherein nur mit dieser Belastung entstehen (BGH, Beschluss vom 12.06.1975, II ZB 12/73, juris, Rn. 14). Gleiches gilt für den Fall, dass die Insolvenzgläubiger eines Gesellschafters sich nach der Satzungsbestimmung von vornherein mit einem niedrigeren Betrag begnügen müssen als der Gesellschafter im Fall seines Ausscheidens (BGH, Urteil vom 19.06.2000, II ZR 73/99, juris, Rn. 7 ff.). Hieraus folgt, dass eine Satzungsregelung, die für alle Fälle des zwangsweisen Ausscheidens eine auf den Nennwert beschränkte Abfindung vorsieht, wirksam ist (so auch Weller/Reichert in: Münchener Kommentar zum GmbHG, 4. Aufl., § 15 Rn. 552).
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(2.1) Eine Benachteiligung der Insolvenzgläubiger gegenüber Gesellschaftern, die aus anderen Gründen als der Insolvenz oder der Zwangsvollstreckung aus der Beklagten ausscheiden, liegt hier nicht vor. Denn der Gesellschaftsvertrag der Beklagten sieht nicht nur für den Fall der Einziehung aus den in § 5 Abs. 3 genannten Fällen, sondern für alle in Betracht kommenden Gründe für ein Ausscheiden eines Gesellschafters eine Beschränkung des Abfindungsanspruchs auf den Nennwert des Geschäftsanteils vor. Dies ergibt sich aus § 17 Abs. 4 Satz 2 des Gesellschaftsvertrages.
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(2.2) Soweit der Kläger meint, die Höhe einer zu zahlenden Abfindung sei in § 5 Abs. 4 Satz 2 und § 17 Abs. 4 Satz 2 des Gesellschaftsvertrages für bestimmte Sachverhalte unterschiedlich geregelt, folgt der Senat dem nicht. Die Auslegung des Klägers überdehnt den Wortlaut der Bestimmung des § 17 Abs. 4 Satz 2 und widerspricht Sinn und Zweck der gesamten Satzung, die erkennbar auf die Verwirklichung der gemeinnützigen Ziele der Beklagten und den Erhalt der Gemeinnützigkeit i.S.v. §§ 55 AO und der damit einhergehenden Steuervorteile ausgerichtet ist.
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(2.2.1) Die Auslegung korporativer Satzungsbestandteile ‒ zu denen Regelungen über die Höhe der Abfindung bei einem Ausscheiden aus der Gesellschaft gehören (BGH, Urteil vom 27.09.2011, II ZR 279/09, NZG 2011, 1420, Rn. 8) ‒ beurteilt sich nach dem objektiven Erklärungswert des beurkundeten Vertragstextes (Wicke in: Münchener Kommentar zum GmbHG, 4. Aufl., § 3 Rn. 106). Bei der Auslegung der Satzung einer GmbH sind in erster Linie Wortlaut, Inhalt und Zweck des Gesellschaftsvertrages zu berücksichtigen. Auch erkennbare Absichten der Gründer sind zu beachten. Bei mehrdeutigen Bestimmungen verdient eine gesetzes- bzw. satzungskonforme Auslegung, ggf. sogar gegen den Wortlaut, den Vorzug, durch die ihre Gültigkeit bejaht und die Vereinbarkeit mit dem übrigen Vertragsinhalt am besten gewährleistet werden kann (Servatius in: Noack/Servatius/Haas, GmbHG, 23. Aufl., § 2 Rn. 31).
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(2.2.2) Vorliegend kann der Senat dem Gesellschaftsvertrag bereits nicht entnehmen, dass zwischen Gesellschaftern differenziert werden soll, die gegen Treuepflichten verstoßen und solchen, in deren Person ein wichtiger Grund vorliegt. Das kann aber dahinstehen, denn eine Ungleichbehandlung läge nur dann vor, wenn die Entschädigung bzw. Abfindung für einen Gesellschafter, der aus einem wichtigen Grund aus der Beklagten ausgeschlossen wird, anhand des wahren Unternehmenswertes zu bestimmen wäre. Das ist nicht der Fall.
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(2.2.2.1) Die Auslegung des Klägers, in den von § 17 Abs. 4 des Gesellschaftsvertrages erfassten Fällen sei die Abfindung nicht auf den Nennwert des Geschäftsanteils beschränkt, wird von dem Wortlaut der Regelung bereits nicht gedeckt. Das Verb „berechnet“ in § 17 Abs. 4 Satz 2 des Gesellschaftsvertrages bezieht sich nicht auf die Bestimmung des quotalen Anteils am Gesellschaftsvermögen. Bei diesem Verständnis wäre die Regelung überflüssig, was den oben genannten Auslegungskriterien widerspricht. Denn der Geschäftsanteil ist der mitgliedschaftliche Anteil des einzelnen Gesellschafters (vergleichbar der Aktie); sein Nennwert bestimmt (von Sonderregeln in der Satzung abgesehen) die Summe seiner Rechte und Pflichten im Verhältnis zur GmbH und zu den anderen Gesellschaftern (Bayer in: Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 20. Aufl., § 5 Rn. 3). Ein Auseinanderfallen der Summe der Nennbeträge der Geschäftsanteile und des Nennbetrags des Stammkapitals ist unzulässig, § 5 Abs. 3 Satz 2 GmbHG. Es ist daher selbstverständlich, dass der mitgliedschaftliche Anteil bestimmende Bezugsgröße für die Abfindung eines ausscheidenden Gesellschafters ist. Einen eigenständigen Regelungsgehalt hat § 17 Abs. 4 Satz 2 des Gesellschaftsvertrages daher nur, wenn er die Höhe der Abfindung auf den Nennwert des Anteils festlegt. Der Wille, die Abfindung nach dem vollen Wert des Geschäftsanteils zu ermitteln, hätte im Übrigen durch eine andere sprachliche Fassung einfacher zum Ausdruck gebracht werden können. Hierfür hätte es genügt, das Wort „Nennwert“ durch den Begriff „Wert“ zu ersetzen. Zudem wäre ‒ wenn das Verständnis des Klägers richtig wäre ‒ das Verhältnis der beiden Regelungen in § 5 Abs. 4 Satz 2 und § 17 Abs. 4 Satz 2 des Gesellschaftsvertrages für den Fall der Einziehung unklar. Denn § 17 Abs. 4 Satz 2 bezieht sich auf § 17 Abs. 4 Satz 1 des Gesellschaftsvertrages, in dem auch die Einziehung als Ausscheidensgrund genannt ist. Im Zweifel ist aber einer Auslegung der Vorzug zu geben, bei der jede Vertragsnorm eine rechtserhebliche Bedeutung hat und bei der solche inneren Widersprüche nicht entstehen (Ellenberger in: Grüneberg, BGB, 81. Aufl., § 133 Rn. 26).
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(2.2.2.2) Eine etwaige sprachliche Ungenauigkeit der Formulierung in § 17 Abs. 4 Satz 2 des Gesellschaftsvertrages wird hier jedoch durch eine an Sinn und Zweck orientierte Auslegung überwunden. Denn dem objektiven Erklärungswert der Satzung ist ohne weiteres zu entnehmen, dass einem Gesellschafter, der ‒ gleich aus welchem Grund ‒ aus der Beklagten ausscheidet, nur eine Abfindung in Höhe des Nennwerts seines Geschäftsanteils zusteht.
70
(2.2.2.2.1) Die Beklage ist, wie sich aus § 3 Abs. 1 des Gesellschaftsvertrages ergibt, auf die Verfolgung steuerbegünstigter Zwecke angelegt. Ihre Satzung ist dabei im Zweifel so auszulegen, dass ihre Bestimmungen die Vorgaben der §§ 55 ff. AO erfüllen. Bei der Auslegung können auch Umstände außerhalb der Satzung herangezogen werden (BGH, Urteil vom 16.12.1991, II ZR 58/91, NJW 1992, 892, 894), wenn sie der Allgemeinheit zugänglich sind, so wie es hier durch die Bezugnahme auf die Vorschriften der Abgabenordnung der Fall ist. Eine Regelung, durch die einem ausscheidenden Gesellschafter oder seinen Gläubigern Vermögen der Beklagten zufließt, das über den Wert der erbrachten Stammeinlage hinausgeht, könnte für die Beklagte zum Verlust ihrer Gemeinnützigkeit führen. Der Verweis auf § 17 Abs. 7 des Gesellschaftsvertrages steht dem nicht entgegen, denn es handelt sich um eine Sonderregelung, bei der ebenfalls gewährleistet ist, dass das steuerbegünstigt gebildete Vermögen die steuerbegünstigte Sphäre nicht verlässt. Gleiches gilt für § 3 Abs. 3 des Gesellschaftsvertrages. Die Auskehr von Mitteln der Beklagten an Insolvenzgläubiger, die nicht die Anforderungen in § 3 Abs. 3 Satz 2 des Gesellschaftsvertrages erfüllen, ist damit ersichtlich nicht gewollt.
71
(2.2.2.2.2) Für die Satzungsgeber bestand auch kein Anlass, mit Blick auf die Rechtsprechung zur Nichtigkeit beschränkender Abfindungsklauseln für bestimmte Fälle eine am wahren Wert des Geschäftsanteils orientierte Abfindung vorzusehen. Denn diese Beschränkung ist hier angesichts des ideellen Gesellschaftszwecks, den die Beklagte verfolgt, sachlich gerechtfertigt.
72
(2.2.2.2.3) Auch jenseits des verfolgten Gesellschaftszwecks steht der Auslegung des Klägers entgegen, dass sie zu einer unpraktikablen Abfindungsregelung und zu einer nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung ausscheidender Gesellschafter führen würde. Bei der Auslegung der Bestimmungen über die Abfindung eines ausscheidenden Gesellschafters im Gesellschaftsvertrag einer GmbH ist zu berücksichtigen, dass die am Gesellschaftsvertrag beteiligten Personen im Zweifel eine auf Dauer wirksame und die Gesellschafter gleichbehandelnde Berechnung der Abfindung gewollt haben (BGH, Urteil vom 27.09.2011, II ZR 279/09, NZG 2011, 1420, Rn. 11). Eine Differenzierung zwischen der in der Satzung geregelten Einziehung eines Geschäftsanteils wegen eines Treuepflichtverstoßes und der vermeintlich nicht geregelten Ausschließung wegen eines wichtigen Grundes unterhalb der Schwelle des Treuepflichtverstoßes mag bei isolierter Betrachtung der Regelung des § 5 Abs. 3 lit. a) des Gesellschaftsvertrages noch sachgerecht erscheinen. Bei der Auslegung sind aber Inhalt, Sinn und Zweck der gesamten Satzung in den Blick zu nehmen. Die Annahme, es gebe Fallkonstellationen, in denen ausgeschiedenen Gesellschaftern eine Abfindung nach dem vollen Anteilswert zustehe, würde zu Unstimmigkeiten im Gesamtgefüge der enumerativ aufgezählten Einziehungsgründe führen. Denn es wäre nicht sachgerecht, einem Gesellschafter, der aus wichtigem Grund aus der Beklagten ausgeschlossen wird, eine Abfindung nach dem vollen Wert zuzubilligen, während ein Gesellschafter, dessen Geschäftsanteil wegen eigener Kündigung eingezogen wird, nur seine Stammeinlage zurückerhält. Ein solches Verständnis könnte im Übrigen zu einer unzulässigen Kündigungserschwernis und damit zu einer Unwirksamkeit der Regelung in § 5 Abs. 3 lit. d), Abs. 4 Satz 2 des Gesellschaftsvertrages führen.
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(2.2.2.2.4) Einer Auslegung, die im Ergebnis dazu führt, dass innere Widersprüche entstehen, einzelne Satzungsbestandteile unwirksam sind und die Gesellschaft wegen Verlustes der in §§ 2, 3 der Satzung vorausgesetzten Gemeinnützigkeit ihren vorgesehenen Gesellschaftszweck nicht mehr verwirklichen kann, kann offensichtlich nicht gefolgt werden.
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(3) Damit gehörte der „wahre Wert“ des Geschäftsanteils (vgl. Roßkopf/Notz, Münchener Kommentar zum GmbHG, 4. Aufl., § 33 Rn. 153, 173) zu keinem Zeitpunkt zum verwertbaren Vermögen der Insolvenzschuldnerin (§ 35 Abs. 1 InsO), da der Geschäftsanteil der Insolvenzschuldnerin von vornherein mit den in §§ 5 Abs. 4 Satz 2, 17 Abs. 4 Satz 2 des Gesellschaftsvertrages geregelten Beschränkungen entstanden war. Beschränkende Abfindungsklauseln sind daher auch in der Insolvenz zu berücksichtigen (BeckOK InsR/Kirchner, 26. Ed. 15.1.2022, InsO § 35 Rn. 38).
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(4) Im Übrigen ist der sachliche Grund für die Beschränkung des Abfindungsanspruchs mit der Insolvenz einer einzelnen Gesellschafterin nicht weggefallen. Zwar erstrecken sich die Auswirkungen der Beschränkung des Abfindungsanspruchs mit der Insolvenz auf die Gläubiger und damit auf weitere Beteiligte, die sich den gemeinnützigen Zwecken, die die Beklagte verfolgt, möglicherweise nicht verpflichtet fühlen. Dieses Argument des Klägers ist aber rechtlich irrelevant: Durch die Satzungsregelung, dass auch im Fall der Insolvenz die Abfindung auf den Nennwert beschränkt wird, wird verhindert, dass das steuerbegünstigt gebildete Vermögen an die Insolvenzgläubiger abfließt, sie dient daher der Einhaltung der Vorgaben der Abgabenordnung. Die Gesellschaftsgläubiger ‒ und damit auch die Gläubiger der Insolvenzschuldnerin ‒ sind im Übrigen in einem Vertrauen auf ein bestimmtes Gesellschaftsvermögen nicht geschützt (Strohn in: Münchener Kommentar zum GmbHG, 4. Aufl., § 34 Rn. 121). Dies hat nichts damit zu tun, dass die Insolvenzschuldnerin selbst gemeinnützige Zwecke verfolgt (hat), wie das Landgericht meint. Die Gründer der Beklagten waren aus den genannten Gründen nicht verpflichtet, eine Satzungsregelung zu treffen, durch die spätere Insolvenzgläubiger gegenüber Gesellschaftern, die aus anderen Gründen aus der Beklagten ausscheiden, bevorzugt werden. Ein allgemein anerkanntes Gebot einer Gläubigerbevorzugung gibt es nämlich nicht. Hier hat die Satzungsautonomie der Beklagten Vorrang vor den Interessen der Insolvenzgläubiger einer ihrer Gesellschafter.
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c) Eine Anpassung der Abfindungsregelung wegen einer nachträglichen Veränderung der maßgeblichen Umstände (vgl. BGH, Urteil vom 24.05.1993, II ZR 36/92, juris; Urteil vom 20.09.1993, II ZR 104/92, juris, Rn. 13) kommt ebenfalls nicht in Betracht. Hierauf könnten sich, wenn die Voraussetzungen erfüllt wären, auch die Insolvenzgläubiger berufen (BGH, Beschluss vom 12.06.1975, II ZB 12/73, juris, Rn. 23). Vorliegend sind jedoch durch die Insolvenz einer Gesellschafterin nicht nachträglich Umstände eingetreten, die eine flexible Reaktion erfordern. Die Gesellschafter haben bei Abschluss des Gesellschaftsvertrages vorausgesehen, dass es zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer beteiligten Gesellschaft kommen kann, und hierfür wirksame Regelungen getroffen, die nun zur Anwendung gelangen. Dass andere konkrete Umstände ‒ jenseits der Insolvenz der Schuldnerin ‒ vorliegen, die unter dem Gesichtspunkt der unzulässigen Rechtsausübung dazu führen, dass sich der Kläger bzw. die Insolvenzgläubiger mit dem in der Satzung festgelegten Einziehungsentgelt nicht zufrieden geben müssen, ist nicht dargetan. Ein etwaiges Missverhältnis zwischen dem Nennbetrag des Geschäftsanteils und seinem wahren Wert genügt dafür nach dem oben Gesagten nicht.
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III.
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1. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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2. Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.