23.11.2022 · IWW-Abrufnummer 232417
Bayerisches Oberstes Landgericht: Beschluss vom 26.11.2020 – 201 ObOWi 1381/20
1. Die sich aus §§ 1 und 2 MiLoG ergebende Verpflichtung des Arbeitgebers zur Zahlung eines Arbeitslohns in Höhe des Mindestlohns kann durch die Gewährung von Sachleistungen, wie z.B. durch die Überlassung eines Kraftfahrzeugs, nicht erfüllt werden (Anschl. an BAG, Urt. v. 25.05.2016 - 5 AZR 135/16 = BAGE 155, 202 = ZIP 2016, 1940 = DStR 2016, 2574 = NJW 2016, 3323 = BB 2016, 2621 = NZA 2016, 1327 = MDR 2016, 1392 ).
2. Der Arbeitgeber muss den Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn durch solche im arbeitsvertraglichen Austauschverhältnis erbrachten Entgeltzahlungen erbringen, die dem Arbeitnehmer endgültig verbleiben. Zahlungen, die der Arbeitgeber ohne Rücksicht auf eine tatsächliche Arbeitsleistung des Arbeitnehmers erbringt oder die auf einer besonderen gesetzlichen Zweckbestimmung beruhen, fehlt die Erfüllungswirkung (Anschl. an BAG, Urt. v. 20.09.2017 - 10 AZR 171/16 bei juris). Die Zahlung einer betrieblichen Altersversorgung ist kein Entgelt in diesem Sinne.
3. Die wirtschaftliche Absicherung eines Arbeitnehmers in anderer Form hindert nicht die Verwirklichung des Tatbestandes nach § 21 Abs. 1 Nr. 9 MiLoG, sondern kann im Rahmen der Bemessung der Geldbuße Berücksichtigung finden.
Die Rechtsbeschwerden der Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts vom 03.12.2019 werden als unbegründet verworfen.
II.
Die Betroffenen haben die Kosten ihrer Rechtsmittel zu tragen.
Das Hauptzollamt hat gegen die Betroffenen mit gleichlautenden Bußgeldbescheiden vom 08.01.2019 wegen Nichtzahlung des Mindestlohns eine Geldbuße in Höhe von jeweils 10.000 Euro verhängt. Das Amtsgericht hat mit Urteil vom 03.12.2019 die Betroffenen jeweils wegen fahrlässigen Verstoßes gegen § 21 Abs. 1 Nr. 9 Mindestlohngesetz (MiLoG) schuldig gesprochen und verhängte jeweils eine Geldbuße in Höhe von 2.000 Euro. Hiergegen richten sich die Rechtsbeschwerden der Betroffenen, mit der diese die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügen. Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit Stellungnahme vom 13.10.2020 beantragt, die Rechtsbeschwerden der Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts jeweils als unbegründet zu verwerfen. Hierzu haben sich die Verteidiger mit Gegenerklärungen vom 13.11.2020 bzw. vom 17.11.2020 geäußert.
II.
Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG statthaften und auch im Übrigen zulässigen Rechtsbeschwerden hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Betroffenen ergeben ( § 349 Abs. 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG ).
Zur Begründung wird zunächst auf die - auch unter Berücksichtigung der Gegenerklärungen der Verteidigung - zutreffende Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Antragsschrift vom 13.10.2020 Bezug genommen. Insbesondere im Hinblick auf das Vorbringen in den Gegenerklärungen ist aus Sicht des Senates eine ergänzende Erörterung zu folgenden Punkten veranlasst:
1. Das Amtsgericht hat, soweit es für die Rechtsbeschwerden von Bedeutung ist, im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen: Beide Betroffene beschäftigten als persönlich haftende Gesellschafter einer OHG im Zeitraum vom 01.01.2015 bis 31.10.2017 ihre Ehefrau bzw. Mutter als Arbeitnehmerin. Diese erhielt für die von ihr geleistete Arbeit von monatlich 43,33 Stunden keine Lohnzahlungen, insbesondere nicht den gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von monatlich 368,33 Euro (für den Zeitraum 01.01.2015 bis 31.12.2016) bzw. in Höhe von 383,07 Euro (für den Zeitraum 01.01.2017 bis 31.10.2017). Die Arbeitnehmerin erhielt stattdessen eine Sachleistung in Form der Überlassung eines Pkw. Zudem erhielt sie eine betriebliche Altersversorgung für die vor dem genannten Zeitraum erbrachten Arbeitsleistungen. Die Betroffenen kannten ihre Pflicht zur Zahlung des Mindestlohns, sie hätten erkennen müssen, dass die Arbeitsleistung nicht durch eine Sachleistung zu vergüten war.
2. Anhand der getroffenen Feststellungen lässt die rechtliche Würdigung des Amtsgerichts, dass die Betroffenen dadurch fahrlässig einen Verstoß gegen § 21 Abs. 1 Nr. 9 MiLoG begangen haben, keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Betroffenen erkennen.
a) Von beiden Betroffenen wurde vorliegend allein die Sachrüge formwirksam erhoben. Alleinige Prüfungsgrundlage für die Rechtsbeschwerde sind dabei die Urteilsfeststellungen (vgl. KK/ Gericke StPO 8. Aufl. § 337 Rn. 27 m.w.N.). Es kann demnach keine Berücksichtigung finden, was in den Gegenerklärungen über die Urteilsfeststellungen hinaus zu den Ansprüchen der Arbeitnehmerin auf Zahlung einer Alterspension bzw. Betriebsrente vorgetragen wurde.
b) Die Betroffenen waren zur Zahlung eines Arbeitslohns in Höhe des Mindestlohnes verpflichtet, durch die Gewährleistung von Sachleistungen - hier durch die Überlassung eines Kraftfahrzeugs - konnten sie ihre entsprechende Rechtspflicht nicht erfüllen. Die Betroffenen verkennen, dass §§ 1 , 2 MiLoG eindeutig durch den Begriff "Zahlung" und die Nennung eines Eurobetrages in "brutto" eine Entgeltleistung in Form von Geld verlangen (vgl. BAG, Urt. v. 25.05.2016 - 5 AZR 135/16 = BAGE 155, 202 = ZIP 2016, 1940 = DStR 2016, 2574 = NJW 2016, 3323 = BB 2016, 2621 = NZA 2016, 1327 = MDR 2016, 1392 m.w.N.). Demnach steht bereits der Gesetzeswortlaut der Auslegung, dass auch die Gewährung von Sachbezügen die Pflicht zur Entgeltfortzahlung erfüllen könnte, eindeutig entgegen (vgl. MüKoBGB/ Müller-Glöge MiLoG 8. Aufl. § 1 Rn. 20). Aus der Begründung zur Einführung des Mindestlohngesetzes (BT-Drs. 18/1558 S. 27, 28) ergibt sich, dass dieses der Gesetzgeber zum Schutz der Arbeitnehmer als erforderlich ansah, um die Zahlung unangemessen niedriger Löhne zu verhindern und einen "Lohnunterbietungswettbewerb" der Arbeitgeber zulasten der Sozialsysteme zu vermeiden. Sowohl die Gesetzesbegründung als auch der Gesetzeswortlaut lassen erkennen, dass der Gesetzgeber keinerlei Ausnahmen von der Verpflichtung zur Zahlung des Mindestlohnes zulassen wollte. Dementsprechend besteht die Zahlungspflicht auch dann, wenn - wie hier - die Arbeitnehmerin nicht aus Existenzsicherungsgründen auf die Zahlung des Mindestlohnes angewiesen ist.
Die wirtschaftliche Absicherung eines Arbeitnehmers aus anderen Gründen hindert nicht die Verwirklichung des Tatbestandes nach § 21 Abs. 1 Nr. 9 MiLoG , sondern kann im Rahmen der Bemessung der Geldbuße Berücksichtigung finden, was vorliegend auch erfolgt ist.
c) Auch die Zahlung einer Betriebsrente bzw. einer Alterspension ist unter keinen Umständen geeignet, den Anspruch nach §§ 1 , 2 MiLoG zu erfüllen. Der Arbeitgeber muss den Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn durch solche im arbeitsvertraglichen Austauschverhältnis erbrachten Entgeltzahlungen erbringen, die dem Arbeitnehmer endgültig verbleiben. Dabei sind alle im Synallagma stehenden Geldleistungen des Arbeitgebers geeignet, den Mindestlohnanspruch des Arbeitnehmers zu erfüllen. Von den im arbeitsvertraglichen Austauschverhältnis erbrachten Entgeltzahlungen des Arbeitgebers fehlt aber solchen Zahlungen die Erfüllungswirkung, die der Arbeitgeber ohne Rücksicht auf eine tatsächliche Arbeitsleistung des Arbeitnehmers erbringt oder die auf einer besonderen gesetzlichen Zweckbestimmung beruhen (vgl. BAG, Urt. v. 25.05.2016 a.a.O. Rn. 31, 32 m.w.N.; BAG, Urt. v. 20.09.2017 - 10 AZR 171/16 bei juris Rn. 13; EuGH [7. Kammer], Urt. v. 07.11.2013 - C-522/12 = NZA 2013, 1359 [für vermögenswirksame Leistungen]).
Die Zahlung einer betrieblichen Altersversorgung steht zwar mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung. Es fehlt aber an dem erforderlichen unmittelbaren Austauschverhältnis. Wie sowohl das Amtsgericht als auch die Generalstaatsanwaltschaft zutreffend darlegen, wäre die Zahlung der betrieblichen Altersversorgung auch dann erfolgt, wenn die Arbeitnehmerin nicht die Arbeitsleistung von monatlich 43,33 Stunden erbracht hätte. Dies ist nicht vergleichbar mit dem Sachverhalt, welcher dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 25.05.2016 (a.a.O.) zugrunde lag. Denn die Jahressonderzahlung war dort eine im arbeitsvertraglichen Austauschverhältnis stehende Gegenleistung des Arbeitgebers für die vom Arbeitnehmer erbrachte Leistung, auch wenn die Zahlung erst am Jahresende erfolgt ist.
Es kommt hinzu, dass vorliegend auch nicht festgestellt worden ist, dass die Betroffenen selbst die entsprechende Zahlung für die gewährte Altersvorsorge erbringen oder beispielsweise eine Versicherung die Bezüge leistet. Deshalb ist es auch unerheblich, wenn § 850 Abs. 3 b) ZPO im Zusammenhang mit der Regelung von Pfändungsfreigrenzen Betriebsrenten als Arbeitseinkommen berücksichtigt. Dies dient der Absicherung eines Arbeitnehmers bei drohender Pfändung, besagt aber nichts darüber, wie sich die Zahlungspflicht nach §§ 1 Abs. 1 , Abs. 2 Satz 1 MiLoG bestimmt.
d) Selbst wenn man - entgegen der hier vertretenen Rechtsauffassung - grundsätzlich eine Sachleistung als Bestandteil des Mindestlohns anerkennen wollte, verhindert § 107 Abs. 2 Satz 5 GewO jedenfalls, dass eine Sachleistung die Zahlung von Mindestlohn vollständig ersetzt (vgl. BeckOK-ArbR/ Greiner [Stand: 01.09.2020] § 1 MiLoG Rn. 47). Demnach können zwar in Abweichung von § 107 Abs. 1 GewO Sachbezüge als Teil des Arbeitsentgelts vereinbart werden. Der Wert der vereinbarten Sachbezüge auf das Arbeitsentgelt darf aber die Höhe des pfändbaren Teils des Arbeitsentgelts nicht übersteigen. Da sich der Mindestlohn an der Pfändungsfreigrenze des § 850c Abs. 1 ZPO orientiert (BT-Drs. 18/1558, S. 28), können Sachbezüge maximal in Höhe des Divergenzbetrags, um welchen die Mindestlohnschwelle die Pfändungsfreigrenze überschreitet, angerechnet werden (vgl. BeckOK-ArbR/ Greiner a.a.O.). Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde steht damit die genannte Bestimmung durchaus einer Erfüllungswirkung durch die Entgeltumwandlung in einen Sachbezug entgegen (vgl. BT-Drucks. 14/8796 S. 25; BAG, Urt. v. 24.03.2009 - 9 AZR 733/07 bei juris). Der Verstoß gegen §§ 1 , 2 i.V.m. § 21 Abs. 1 Nr. 9 MiLoG läge damit auch dann vor, wenn man die Sachleistung in diesem geringen Umfang als zulässig ansehen wollte.
e) Soweit in den Gegenerklärungen vorsätzliches Handeln der Betroffenen in Abrede gestellt wird, steht dies einer Verurteilung wegen fahrlässiger Tatbegehung nicht entgegen. Wie die Generalstaatsanwaltschaft auch insoweit zutreffend darlegt, hindert ein von den Betroffenen (wohl) geltend gemachter Verbotsirrtum im Hinblick auf § 11 Abs. 2 OWiG eine Verurteilung wegen fahrlässiger Tatbegehung nicht. Bereits ausgehend vom Wortlaut der §§ 1 Abs. 1 , Abs. 2 , 20 MiLoG sind Arbeitgeber verpflichtet, Zahlungen in Höhe des Mindestlohnes zu erbringen. Die Betroffenen hätten dementsprechend zumindest Rechtsrat einholen müssen, ob die Leistung des Mindestlohnes auch durch Gewährung von Sachleistungen erbracht werden kann. Den Urteilsfeststellungen lässt sich aber weder entnehmen, dass die Betroffenen Rechtsrat eingeholt hatten noch dass ihnen eine sachkundige Auskunft dahingehend erteilt worden ist, dass auch Sachleistungen bzw. die Zahlung einer Betriebsrente den Anspruch auf Zahlung des Mindestlohnes erfüllen. Es kann dahinstehen, ob die Tatrichterin zutreffend einen entsprechenden Verbotsirrtum der Betroffenen bejaht hat. Hierdurch sind die Betroffenen jedenfalls nicht belastet.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG
Gemäß § 80a Abs. 1 OWiG entscheidet der Einzelrichter.