23.10.2024 · IWW-Abrufnummer 244397
Landgericht Heidelberg: Urteil vom 22.02.2024 – 5 O 62/23
1. Erscheint eine Nutzung von Vereinsvermögen zu Vereinszwecken (hier: eines Gebäudes als Altersheim) in näherer Zukunft nicht realisierbar, kann eine vorübergehende Nutzung zu anderen Zwecken (hier: als Flüchtlingsunterkunft) zulässig sein, wenn diese alternative Nutzung dem Vereinszweck näherkommt als der bisherige Zustand (hier: Leerstand) oder ein Verkauf.
2. Zur Auslegung der Vereinssatzung (hier: "Zustellung" der Einladungen zur Mitgliederversammlung)
3. Zur hinreichenden Bestimmtheit der Bezeichnung der Beratungsgegenstände in der Einladung zur Mitgliederversammlung
Landgericht Heidelberg
Urteil vom 22.02.2024
In dem Rechtsstreit
1)
- Klägerin -
2)
- Kläger -
Prozessbevollmächtigter:
gegen
- Beklagter -
Prozessbevollmächtigte:
wegen Ungültigkeit von Beschlüssen einer Mitgliederversammlung
hat das Landgericht Heidelberg - 5. Zivilkammer - durch den Vizepräsidenten des Landgerichts xxx als Einzelrichter am 22.02.2024 aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 25.01.2024 für Recht erkannt:
Tenor:
- Die Klage wird abgewiesen.
- Die Kläger haben die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
- Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Der Beklagte war bzw. ist Träger zweier Alters- und Pflegeheime in X, des ehemaligen A-Stifts sowie des Neubaus "B". Beide Kläger sind Mitglieder des Beklagten.
In der Satzung des Beklagten ist der Vereinszweck wie folgt geregelt:
"§ 2 Zweck
(1) Zweck des Vereins ist es, alte Menschen, die einen eigenen Haushalt nicht mehr führen können und deshalb hilfs- oder pflegebedürftig sind, ihren Bedürfnissen entsprechend zu betreuen. Hierzu errichtet, unterhält und verwaltet der Verein Einrichtungen für betreutes Wohnen und Pflegeheime.
(2) Der Verein verfolgt ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige und mildtätige Zwecke im Sinne des Abschnitts "Steuerbegünstigte Zwecke" [sic!] der Abgabenordnung. Er ist selbstlos tätig und verfolgt nicht in erster Linie eigenwirtschaftliche Interessen. Die Mitglieder der Organe des Vereins sind ehrenamtlich tätig."
Mit Blick auf die Einladung zu den Mitgliederversammlungen heißt es in § 7 Abs. 3 der Satzung:
"Die Einladung erfolgt schriftlich. Sie ist den Mitgliedern unter Einhaltung einer Frist von mindestens 2 Wochen vor dem Datum der Versammlung zuzustellen bzw. bekanntzumachen."
Das Gebäude, in dem das A-Stift betrieben worden war, war renovierungsbedürftig und stand seit der Aufgabe der Verwendung als Altersheim im Jahre 2010 rund 13 Jahre lang leer. Diverse Initiativen des Beklagten - zuletzt in Gestalt eines Genossenschaftsmodells -, das Gebäude wieder in einen brauchbaren Zustand zu versetzen und für betreutes Wohnen in Betrieb zu nehmen, scheiterten, insbesondere an der Finanzierbarkeit. Der Landkreis bekundete Interesse, das A-Stift zum Zwecke der Unterbringung von Flüchtlingen von dem Beklagten für eine Dauer von bis zu 3 Jahren zu mieten.
Mit Schreiben vom "09.09.2021" (gemeint: 2022) lud der damalige Vorsitzende des Vereins zu einer Mitgliederversammlung am Freitag, dem 30.09.2022, ein. In der Tagesordnung zu dieser Einladung hieß es unter Punkt 6 (Hervorhebungen im Original):
"Status: "A-Stift
- Genossenschaftsmodell
- Information über die Verhandlung mit [Landkreis] bzgl. einer Flüchtlingsunterkunft
Abstimmung und Beschluss: Kann das A-S vorübergehend als Flüchtlingsunterkunft zur Verfügung gestellt werden?"
Auf der Mitgliederversammlung wurde der Tagesordnungspunkt 6 diskutiert und zur Abstimmung gestellt. Diese ergab unter den anwesenden Mitgliedern 16 Ja-, 2 Nein-Stimmen und keine Enthaltungen.
Im Frühjahr 2023 schloss der Beklagte mit dem Landkreis einen entsprechenden Mietvertrag für die Dauer von bis zu drei Jahren. Während des Rechtsstreits ist das Gebäude vom Landkreis umfassend renoviert und mittlerweile als Flüchtlingsheim bezogen worden.
Die Kläger machen geltend, der Beschluss leide unter formellen und materiellen Mängeln. Der Tagesordnungspunkt 6 sei in der Einladung zu unbestimmt formuliert, insbesondere sei der Begriff "vorübergehend" zu unpräzise. Auch seien die Konditionen des abzuschließenden Mietvertrags nicht im Vorhinein mitgeteilt, sondern erst in der Mitgliederversammlung erörtert worden. Die Klägerin zu 1) rügt darüber hinaus, sie habe die Einladung nicht erhalten. Nach Auffassung der Kläger erfordere die Satzung im Übrigen eine förmliche Zustellung der Einladung per Gerichtsvollzieher. Ergänzend rügen sie, dass das Protokoll der Mitgliederversammlung (unstreitig) nicht versendet wurde. Inhaltlich verstoße eine Nutzung des A-Stifts als Flüchtlingsunterkunft sowie der Abschluss eines dahingehenden Mietvertrags mit dem Landkreis gegen den Vereinszweck. Die Kläger hätten ihr Interesse an der Feststellung der Nichtigkeit des Beschlusses auch nicht verwirkt.
Die Kläger beantragen:
Es wird festgestellt, dass der Beschluss der Mitgliederversammlung des beklagten Vereins vom Freitag, dem 30.09.2022, zu TOP 6 "Kann das A-S vorübergehend als Flüchtlingsunterkunft zur Verfügung gestellt werden?" nichtig ist.
Der Beklagte beantragt:
Die Klage wird abgewiesen.
Er ist der Meinung, der Beschluss sei nicht zu beanstanden. Der Tagesordnungspunkt 6 sei in der Einladung hinreichend genau bezeichnet. Er behauptet ferner, die Einladungen zur Mitgliederversammlung seien postalisch an sämtliche Mitglieder versendet worden. Selbst wenn die Einladung die Klägerin zu 1) nicht erreicht haben sollte, sei das kein Nichtigkeitsgrund. Inhaltlich vertritt der Beklagte die Ansicht, die beschlossene vorübergehende Nutzung des A-Stifts als Flüchtlingsunterkunft sei in Anbetracht des langen Leerstandes, der Gebote einer ordnungsgemäßen Verwaltung des Vereinsvermögens und des dauerhaften Betriebs eines Alters- und Pflegeheims am Standort "B" mit dem Vereinszweck vereinbar. Schließlich ist der Beklagte der Auffassung, das Klagerecht der Kläger sei verwirkt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Protokolle der Verhandlungstermine Bezug genommen. Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung von Zeugen; wegen des Beweisergebnisses wird auf das Protokoll vom 25.01.2024 verwiesen.
Entscheidungsgründe
1. Der streitgegenständliche Beschluss ist nicht aus formellen Gründen nichtig.
Ein Vereinsbeschluss ist aus formellen Gründen nichtig, wenn er gegen zwingende gesetzliche oder statutarische Regeln über das Verfahren bei der Einberufung und Durchführung der Mitgliederversammlung verstößt (vgl. BeckOK/Schöpflin, Stand: 01.05.2023, § 32 Rn. 32). Leidet ein Vereinsbeschluss an einem formellen Fehler, so ist der Beschluss jedoch nicht stets nichtig. Eine Nichtigkeit kommt vielmehr erst dann in Betracht, wenn ein objektiv urteilendes Mitglied bei mangelfreier Handhabung der Versammlung bzw. der Beschlussfassung zu einer anderen Entscheidung gelangt sein könnte (vgl. BGH NJW 2002, 1128, 1129 [BGH 12.11.2001 - II ZR 225/99]; NJW 2005, 828, 830 [BGH 18.10.2004 - II ZR 250/02]; BeckOGK/Notz, Stand 15.09.2018, § 32 BGB Rn. 216). Hier fehlt es bereits an der formellen Mangelhaftigkeit des streitgegenständlichen Beschlusses.
a) Die Einladung zur Mitgliederversammlung vom 09.09.2022 und die darin enthaltene Tagesordnung zu Punkt 6 bezeichnet den Gegenstand des streitgegenständlichen Beschlusses mit hinreichender Bestimmtheit.
Zur Gültigkeit eines Beschlusses der Mitgliederversammlung ist gemäß § 32 Abs. 1 S. 2 BGB lediglich erforderlich, dass der Gegenstand der Beschlussfassung bei der Einberufung bezeichnet wird. Wie genau dies zu geschehen hat, bleibt im Gesetz offen und richtet sich nach den Erfordernissen des jeweiligen Einzelfalles. § 32 Abs. 1 S. 1 BGB bezweckt, die Vereinsmitglieder vor Überraschungen in der Mitgliederversammlung zu schützen und ihnen Gelegenheit zu geben, über die Notwendigkeit einer Teilnahme zu entscheiden und sich auf die zur Beratung anstehenden Themen vorzubereiten (BGH NJW 1987, 1811 [BGH 17.11.1986 - II ZR 304/85]; NJW-RR 1989, 376, 377 f.; NJW 2008, 69 [BGH 02.07.2007 - II ZR 111/05] Rn. 38). In Anbetracht dieses Zwecks reicht es im Grundsatz aus, dass die Mitglieder in der Einladung mit dem Verhandlungsgegenstand im Allgemeinen vertraut gemacht werden. Eine wörtliche Übermittlung der Anträge ist nicht erforderlich, der Beschlussgegenstand muss allerdings seinem wesentlichen Inhalt nach grundsätzlich so klar umrissen sein, dass jedes Mitglied seine Bedeutung erfassen, eine sinnvolle Entscheidung über die Notwendigkeit seiner Anwesenheit treffen und, wenn es dies wünscht, in die Meinungsbildung darüber eintreten kann, wie es sich in der Abstimmung verhalten will (BGH NJW-RR 1989, 376, 378 [BGH 10.10.1988 - II ZR 51/88]).
Nach diesen Maßstäben erweist sich die Einladung vom 09.09.2022 als hinreichend. Der Tagesordnungspunkt 6 lässt eindeutig erkennen, dass im Rahmen der Mitgliederversammlung über die Frage, ob das A-Stift vorübergehend als Flüchtlingsunterkunft zur Verfügung gestellt werden kann, beraten und abgestimmt werden soll, und gibt den entsprechenden Antrag sogar wörtlich wieder. Vor diesem Hintergrund war es einem eingeladenen Vereinsmitglied ohne Weiteres möglich, sich auf die Frage einer vorübergehenden Nutzung des A-Stift als Flüchtlingsunterkunft vorzubereiten. Anders als in der von den Klägern angeführten Entscheidung des BGH (NJW 2008, 69 [BGH 02.07.2007 - II ZR 111/05] Rn. 39) sollte die Mitgliederversammlung im vorliegenden Fall nicht über einen bereits abschließend ausgehandelten konkreten (Miet-)Vertrag und dessen Einzelbedingungen beschließen und hat dies auch tatsächlich nicht getan; Gegenstand der Beschlussfassung war hier vielmehr - wie in der Einladung angekündigt - lediglich ein "Grundsatzbeschluss" (so die Formulierung des BGH a.a.O.) über das "Ob" einer vorübergehenden Überlassung als Flüchtlingsunterkunft an den Landkreis. Auch wenn im Rahmen der Beratung naturgemäß auch etwaige Konditionen eines zu schließenden Mietvertrags zur Sprache kamen, wurde nicht über einen konkreten, bereits ausgehandelten Mietvertrag abgestimmt. Zum Abschluss eines Mietvertrags kam es vielmehr erst über ein halbes Jahr später nach näheren Verhandlungen mit dem Landkreis. Inwieweit diese später erfolgte Vermietung und deren Vertragsbedingungen von dem streitgegenständlichen Beschluss umfasst sind, bedarf im hiesigen Rechtsstreit keiner Klärung. Denn Gegenstand ist hier allein der Beschluss der Mitgliederversammlung.
Soweit die Kläger eine mangelnde Präzisierung der Nutzungsdauer ("vorübergehend") rügen, greift auch das nicht durch. Eine weitergehende Präzisierung war nicht erforderlich. Denn der Schutzzweck des § 32 Abs. 1 S. 2 BGB (bzw. der entsprechenden Regelung in § 7 Abs. 4 der Vereinssatzung) wird durch das Fehlen einer zeitabschnittsgenauen Bestimmung der beabsichtigten Nutzungsdauer als Flüchtlingsunterkunft nicht tangiert. Bei lebensnaher Betrachtung versteht sich von selbst, dass eine Nutzung als Flüchtlingsunterkunft sinnvollerweise nur dann in Betracht kommt, wenn sie sich jedenfalls über einen gewissen Zeitraum - ersichtlich länger als bloß wenige Wochen oder Monate - erstreckt. Zugleich kommt durch den einschränkenden Zusatz "vorübergehend" hinreichend zum Ausdruck, dass kein dauerhafter, also insbesondere nicht über Jahrzehnte andauernder Zustand geschaffen werden soll. Die weitere Präzisierung kann entweder dem auf der Mitgliederversammlung von den Vereinsmitgliedern zu bildenden gemeinsamen Willen oder gemäß §§ 26 ff. BGB dem Vereinsvorstand überlassen werden.
b) Eine formelle Nichtigkeit des streitgegenständlichen Beschlusses ergibt sich auch nicht aus einer fehlenden Einladung zur Mitgliederversammlung.
aa) Im Grundsatz ist ein Vereinsbeschluss ungültig, wenn nicht alle Mitglieder in der durch die Satzung bestimmten Weise eingeladen worden sind (vgl. BGH NJW 1973, 235, 236 [BGH 09.11.1972 - II ZR 63/71]). Die Einberufung der Mitgliederversammlung ist eine geschäftsähnliche Handlung, auf die die Vorschriften über Willenserklärungen entsprechend anwendbar sind. Die Einladung muss demnach grundsätzlich gem. § 130 Abs. 1 S. 1 BGB zugehen; die Beweislast für den Zugang und damit für die Ordnungsgemäßheit der Beschlussfassung trägt nach allgemeinen Grundsätzen der Erklärende, mithin der Beklagte (vgl. BGH a.a.O.). Nach der vereinsrechtlichen Rechtsprechung sind diese Grundsätze insbesondere bei Vereinen mit zahlreichen Mitgliedern jedoch nicht schematisch anzuwenden. Vielmehr dürfen keine übertriebenen und praktisch unerfüllbaren Maßstäbe angelegt werden, denn andernfalls könnten auf einer Mitgliederversammlung keine wirksamen Beschlüsse gefasst werden, wenn auch nur ein einziges Mitglied nicht geladen worden wäre. Wird jedes Mitglied individuell geladen, so wird es im Allgemeinen ausreichen, wenn der Verein beweist, alle nach den Umständen möglichen und zumutbaren Vorkehrungen getroffen zu haben, die geeignet sind, unter regelmäßigen Verhältnissen die Ladung aller erreichbaren Mitglieder sicherzustellen (BGH a.a.O.). Dies ist regelmäßig dann der Fall, wenn der Verein die Versendung der Einladung nachweist (vgl. BGH NZG 2005, 69, 71 [BGH 20.09.2004 - II ZR 334/02]; BayObLG NJW-RR 1997, 289, 290 [BayObLG 10.07.1996 - 3Z BR 78/96]). Dabei ist es ausreichend, die Einladung an die zuletzt bekannte Adresse zu richten. In diesem Fall ist die Einladung auch dann wirksam, wenn das Mitglied die Ladung ohne Verschulden des Vereins tatsächlich nicht empfängt, etwa weil die Ladung auf dem Postweg verloren gegangen ist; Beschlüssen haftet insofern kein Mangel an (vgl. OLG Zweibrücken NJW-RR 2014, 1128, 1129 [OLG Zweibrücken 08.05.2014 - 3 W 57/13]; BeckOGK/Notz, Stand: 15.9.2018, BGB § 32 Rn. 44 m.w.N.). Anders als die Kläger meinen, sind diese Grundsätze insbesondere auch auf den Beklagten anwendbar, bei dem es sich mit knapp 300 Mitgliedern um einen mitgliederstarken Verein handelt.
bb) Entgegen der Auffassung der Kläger bedurften die Einladungen keiner förmlichen Zustellung; es genügte die einfache Übersendung per Post. Aus der Formulierung in § 7 Abs. 3 S. 2 der Satzung, wonach die Einladungen "zuzustellen" seien, ergibt sich nichts anderes.
Grundsätzlich sind Satzungsbestimmungen, die auch für künftige Mitglieder und für Rechtsbeziehungen zu Dritten maßgeblich sind, objektiv aus sich heraus auszulegen. Bei der Auslegung von Satzungen spielt der Wortlaut vor allem in seiner eventuell typischen Bedeutung eine erhöhte Rolle, während die Umstände nur eingeschränkt für die Auslegung zu berücksichtigen sind; eine teleologische Auslegung hat sich an objektiv bekannten Umständen zu orientieren, wobei vorrangig der Vereinszweck und die Interessen der Mitglieder zu berücksichtigen sind. Umstände aus der Entstehungsgeschichte oder aus der späteren Entwicklung des Vereins können nur insoweit berücksichtigt werden, als ihnen ein nach außen erkennbarer Aussagewert zukommt. Als Auslegungskriterium kann allerdings auch auf die ständige Übung im Verein zurückgegriffen werden (Staudinger/Schwennicke [2023] BGB § 25 Rn. 80; OLG Hamm, Urteil vom 1. März 2021 - I-8 U 61/20 -, juris Rn. 72, je m.w.N.).
Nach diesen Maßstäben ergibt die Auslegung der Satzungsbestimmung, dass die Versendung mit einfachem Brief ausreicht. Der Begriff "zustellen" wird im allgemeinen, insbesondere nicht-juristischen Sprachgebrauch zumindest auch synonym mit der (einfachen) Versendung per Post gebraucht, die nicht zwingend einen Zugangsnachweis umfasst (vgl. auch die Bezeichnung von Briefträgern als "Postzusteller"). Selbst im juristischen Sprachgebrauch wird die Zustellung i.S.d. §§ 166 ff. ZPO mitunter ausdrücklich als "förmliche", also besonders qualifizierte Zustellung bezeichnet (so etwa auf dem für gerichtliche Zustellungen verwendeten gelben Briefumschlag); daraus ergibt sich im Umkehrschluss, dass offenbar auch im juristischen Sprachgebrauch eine Unterscheidung zur nicht-förmlichen, also einfachen Zustellung für erforderlich gehalten wird. Bei der Auslegung ist ferner zu berücksichtigen, dass eine förmliche Zustellung an mehrere hundert Empfänger für die regelmäßigen Vereinsversammlungen offensichtlich unpraktikabel, weil mit einem unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand verbunden wäre, zumal die Satzung mit der bloßen Bekanntgabe eine weitere Einladungsalternative vorsieht, die ebenfalls ohne Zugangsnachweis auskommt. Ergänzend für die Auslegung im Sinne einer einfachen Versendung spricht schließlich auch die entsprechende vom Beklagten jahrzehntelang unbeanstandet geübte Praxis.
cc) Den ihm danach obliegenden Beweis der vollständigen Versendung der Einladungen hat der Beklagte erbracht. (...)
Bei einem solchen Vorgehen ist nach Überzeugung des Gerichts das Absenden der Einladungen nachgewiesen und die Ladung sämtlicher Mitglieder unter normalen Umständen gewährleistet. Dass die Einladung an die Klägerin zu 1) möglicherweise auf dem Postweg verloren gegangen ist, liegt außerhalb des Einflusses des Beklagten und führt nach den oben dargestellten Grundsätzen nicht zur Unwirksamkeit der Einladung und der Mitgliederversammlung.
(...)
3. Der streitgegenständliche Beschluss ist nicht aus materiellen Gründen wegen Verstoßes gegen den Vereinszweck nichtig.
a) Allerdings liegt die im Beschluss vorgesehene Nutzung außerhalb des Vereinszwecks, der sich auf den Betrieb von Alters- und Pflegeheimen beschränkt. Darunter fällt weder die Vermietung eines Gebäudes als solche noch der konkrete Mietzweck, nämlich die Nutzung als Flüchtlingsunterkunft. Dementsprechend dürfte die "Umwidmung" eines laufenden und funktionsfähigen Altersheim-Betriebs zu einer Flüchtlingsunterkunft grundsätzlich gegen den Vereinszweck verstoßen.
b) Ob und inwieweit vorliegend die - grundsätzlich zulässige - Verfolgung bloßer Nebenzwecke in Betracht kommt (vgl. dazu - speziell zur gemeinnützigen Flüchtlingshilfe - Hüttemann DB 2016, 429, insb. 430 f. m.w.N.; allgemein Sauter/Schweyer/Neudert/Waldner, Der eingetragene Verein, 21. Aufl., Rn. 47), kann letztlich dahinstehen.
Denn hier besteht die Besonderheit, dass das A-Stift unstreitig seit mehr als 10 Jahren nicht mehr als Alters- oder Pflegeheim genutzt worden war, sondern leerstand und verschiedene Versuche zur Wiederinbetriebnahme insbesondere an der Finanzierung gescheitert waren. In dieser Situation durfte der Beklagte vertretbar zu der Einschätzung gelangen, dass eine Nutzung des Gebäudes zum eigentlichen Vereinszweck - als Alters- oder Pflegeheim - in näherer Zukunft nicht zu realisieren sein würde. Danach stand der Beklagte bei der streitgegenständlichen Beschlussfassung nicht vor der Auswahl zwischen den Alternativen "Nutzung des A-Stifts als Alters- oder Pflegeheim" einerseits und "Nutzung als Flüchtlingsunterkunft" andererseits. Die Alternative zu der beschlossenen Nutzung als Flüchtlingsunterkunft wäre vielmehr der weitere Leerstand (oder Verkauf) des Gebäudes gewesen.
Unter diesen besonderen Prämissen kommt die vorübergehende Vermietung zum Zweck der Flüchtlingsunterbringung, der ebenfalls gemeinnützig ist und die angemessene Wohnunterbringung von Menschen verfolgt, letztlich dem Vereinszweck näher als die einzig realistische Alternative eines weiter andauernden Leerstands (vgl. zu einem ähnlichen Gesichtspunkt auf verfassungsrechtlicher Ebene BVerfGE 4, 157 [BVerfG 04.05.1955 - 1 BvF 1/55]; BVerfGE 95, 39 [BVerfG 08.10.1996 - 1 BvL 15/91]: keine Verfassungswidrigkeit eines völkerrechtlichen Vertrags, wenn der dadurch geschaffene Zustand "näher beim Grundgesetz steht" als der vorher bestehende). Das gilt umso mehr, als dem Beklagten dadurch laufende Mieteinnahmen zukommen und er auch von der vom Landkreis auf eigene Kosten vorgenommenen Renovierung des Gebäudes profitieren dürfte. Beides ist zumindest mittelbar auch zur Förderung des Vereinszwecks geeignet, da der Beklagte die Mieteinnahmen für Vereinszwecke, insbesondere die bislang gescheiterte Finanzierung einer Wiederinbetriebnahme des Alters- und Pflegeheims, verwenden und auch die für ihn kostenlose Renovierung des Gebäudes eine solche anschließende Wiederinbetriebnahme erleichtern kann.
Entscheidend ist dabei insbesondere auch die ausdrückliche Beschränkung auf eine nur vorübergehende Nutzung als Flüchtlingsunterkunft. Dadurch ist gewährleistet, dass eine zukünftige Nutzung des A-Stifts zum eigentlichen Vereinszweck - als Alters- oder Pflegeheim - möglich bleibt. Ein Vorgehen des Vereins, das zu einem dauerhaften Ausschluss dieser satzungsgemäßen Nutzung führen würde, dürfte hingegen grundsätzlich unzulässig sein.
4. Auf eine etwaige Verwirkung des Klagerechts kommt es nach allem nicht mehr an.
5. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 709 ZPO.