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  • 11.02.2009 · IWW-Abrufnummer 97062

    Bundesfinanzhof: Urteil vom 13.11.1996 – I R 152/93

    1. Ein Sportverein fördert nicht die Allgemeinheit, wenn aufgrund der Höhe der Beiträge anzunehmen ist, daß nur Angehörige eines exklusiven Personenkreises Mitglieder werden sollen. Macht der Verein die Mitgliedschaft nicht nur von der Zahlung laufender Beiträge, sondern auch von der Entrichtung eines Aufnahmebeitrags oder von Sonderbeiträgen abhängig, kommt es auf die Wirkung der Gesamtbeitragsbelastung an. Die finanzielle Belastung eines Mitglieds durch die Gewährung eines zinslosen Aufnahmedarlehens besteht in dem Zinsverlust oder --falls sich das Mitglied die Darlehensmittel durch Aufnahme eines Kredits verschafft hat-- in den Refinanzierungskosten.



    2. Ein Ausgleich eines Verlustes eines Nicht-Zweckbetriebes mit Mitteln des ideellen Tätigkeitsbereichs ist nur dann kein Verstoß gegen das Mittelverwendungsgebot des § 55 Abs.1 Nr.1 Satz 1 AO 1977, wenn der Verlust auf einer Fehlkalkulation beruht und die Körperschaft bis zum Ende des dem Verlustentstehungsjahr folgenden Wirtschaftsjahrs dem ideellen Tätigkeitsbereich wieder Mittel in entsprechender Höhe zuführt (Änderung der Rechtsprechung).



    3. Ein wegen Verfolgung gemeinnütziger Zwecke erlassener Körperschaftsteuer-Freistellungsbescheid darf in entsprechender Anwendung des § 173 Abs.1 Satz 1 Nr.1 AO 1977 aufgehoben werden, wenn Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekanntwerden, die zur Versagung der Gemeinnützigkeit führen. Das gilt auch dann, wenn die Körperschaftsteuer auf 0 DM festzusetzen ist.


    BFH

    Urteil vom 13.11.1996

    Az: I R 152/93

    Tatbestand

    I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) --ein in das Vereinsregister eingetragener Verein-- fördert den Golfsport (ideeller Tätigkeitsbereich). Außerdem unterhielt er u.a. in den Jahren 1982 bis 1984 mehrere wirtschaftliche Geschäftsbetriebe i.S. des § 14 der Abgabenordnung (AO 1977), darunter eine Gaststätte (wirtschaftlicher Tätigkeitsbereich). Am 16. Oktober 1984 erteilte ihm der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) einen Körperschaftsteuer-Freistellungsbescheid für das Jahr 1982 (Streitjahr). Zur Begründung gab das FA an, der Kläger habe im Streitjahr ausschließlich und unmittelbar steuerbegünstigten gemeinnützigen Zwecken i.S. der §§ 51 f. AO 1977 gedient.

    Durch Bescheid vom 30. Oktober 1989 hob das FA gemäß § 173 Abs.1 Satz 1 Nr.1, § 61 Abs.3 und § 175 Abs.1 Nr.2 AO 1977 den Freistellungsbescheid auf, da eine Außenprüfung ergeben habe, daß der Kläger aus mehreren Gründen --wegen der Höhe der von den Mitgliedern geforderten Aufnahmebeiträge und der Verwendung von Mitteln des ideellen Tätigkeitsbereichs zum Ausgleich der durch den Gaststättenbetrieb entstandenen Verluste-- im Streitjahr nicht die Voraussetzungen für die Anerkennung als gemeinnützige von der Körperschaftsteuer befreite Körperschaft erfüllt habe. Der Bescheid enthält u.a. den Satz: "Unter Berücksichtigung des Freibetrages gemäß § 24 KStG ergibt sich für die Jahre 1982, 1983 und 1984 keine Körperschaftsteuerschuld."

    Der Einspruch des Klägers war erfolglos (Einspruchsentscheidung vom 8. Januar 1991). Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Es hielt zwar den Bescheid vom 16. Oktober 1984 für rechtswidrig, da der Kläger in den Jahren 1982 bis 1984 Verluste des Gaststättenbetriebes aus Spenden- und Beitragsmitteln abgedeckt und somit seine Mittel nicht ausschließlich für ideelle Zwecke verwendet habe. Das FG verneinte aber die Befugnis des FA, den Bescheid gemäß § 173 Abs.1 Satz 1 Nr.1 AO 1977 aufzuheben, da auch bei Berücksichtigung der dem FA nachträglich bekanntgewordenen Tatsachen die Körperschaftsteuer für das Streitjahr 0 DM betrage.

    Mit der Revision macht das FA geltend, das FG-Urteil beruhe auf einer Verletzung des § 173 Abs.1 Satz 1 Nr.1 AO 1977.

    Es beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

    Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise, das Urteil des FG aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen.
    Entscheidungsgründe

    II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs.3 Nr.2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

    Die tatsächlichen Feststellungen des FG reichen nicht aus, um über die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides entscheiden zu können. Sollte sich aufgrund der noch erforderlichen weiteren Aufklärung des Sachverhaltes durch das FG ergeben, daß der Kläger im Streitjahr nicht die Voraussetzungen für die Steuerbefreiung gemäß § 5 Abs.1 Nr.9 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) 1977 erfüllte, ist der Bescheid rechtmäßig. Denn dann war das FA entgegen der vom FG vertretenen Rechtsauffassung berechtigt, den Bescheid vom 16. Oktober 1984 in entsprechender Anwendung des § 173 Abs.1 Satz 1 Nr.1 AO 1977 wie geschehen aufzuheben und den angefochtenen Bescheid zu erlassen.

    A. Die Steuerbefreiung gemäß § 5 Abs.1 Nr.9 KStG 1977 setzt voraus, daß die Körperschaft nach ihrer tatsächlichen Geschäftsführung ausschließlich und unmittelbar gemeinnützigen oder --was im Streitfall nicht in Betracht kommt-- mildtätigen oder kirchlichen Zwecken dient. Gemäß § 52 Abs.1 Satz 1 AO 1977 verfolgt (= synonym für dient) eine Körperschaft gemeinnützige Zwecke, wenn ihre Tätigkeit darauf gerichtet ist, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet - -hier: durch Förderung des Sports (§ 52 Abs.2 Nr.2 AO 1977)-- selbstlos zu fördern.

    1. Die Allgemeinheit wird nicht gefördert, wenn der Kreis der Personen, dem die Förderung zugute kommt, fest abgeschlossen ist oder infolge seiner Abgrenzung dauernd nur klein sein kann (§ 52 Abs.1 Satz 2 AO 1977). Dies ist bei Sportvereinen der Fall, wenn aufgrund der Höhe der Beiträge anzunehmen ist, daß nur Angehörige eines exklusiven Personenkreises --z.B. nur Personen mit hohem Einkommen und/ oder größerem Vermögen-- Mitglieder werden sollen (s. Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 13. Dezember 1978 I R 64/77, BFHE 127, 342, BStBl II 1979, 488; vom 20. Januar 1982 I R 256/78, BFHE 135, 197, BStBl II 1982, 336).

    Macht ein Verein die Mitgliedschaft nicht nur von der Zahlung laufender --z.B. jährlicher oder monatlicher-- Mitgliedsbeiträge, sondern auch von der Entrichtung eines Aufnahmebeitrags oder von Sonderbeiträgen (z.B. Umlagen zum Ausgleich entstandener Defizite) abhängig, kommt es auf die Wirkung der Gesamtbeitragsbelastung an.

    Aus den tatsächlichen und vom FA nicht angegriffenen Feststellungen des FG und dem unstreitigen Vortrag des Klägers im Revisionsverfahren ergibt sich, daß die im Streitjahr vom Kläger geforderten Mitgliedsbeiträge auch von Personen gezahlt werden konnten, die nicht über ein hohes Einkommen oder ein größeres Vermögen verfügten.

    a) Nach der Finanz- und Beitragsordnung des Klägers vom 18. März 1980, die das FG im Urteil erwähnt und deren Inhalt es damit festgestellt hat (s. BFH-Beschluß vom 17. Juli 1967 GrS 3/66, BFHE 91, 213, BStBl II 1968, 285), hatten Vollmitglieder des Klägers im Streitjahr einen Jahresbeitrag von 1 000 DM zu leisten. Außerdem forderte der Kläger nach der Finanz- und Beitragsordnung von den Vollmitgliedern aus Anlaß des Eintritts in den Verein ein unverzinsliches Darlehen (sog. Aufnahmedarlehen), das bei Beendigung der Mitgliedschaft zurückzuzahlen war. Nach den vom FG erwähnten und unstreitigen Feststellungen im Betriebsprüfungsbericht vom 19. September 1989 wurde von den im Streitjahr neu in den Verein eintretenden Vollmitgliedern ein Aufnahmedarlehen in Höhe von 6 500 DM gefordert. Aus dem Betriebsprüfungsbericht und den unstreitigen Angaben des Klägers im Revisionsverfahren ergibt sich, daß im Streitjahr keine nach der Finanz- und Beitragsordnung zulässige Umlage zum Ausgleich eines Defizits aus dem Vorjahr erhoben wurde.

    b) Das FA hat die mit der Gewährung des zinslosen Aufnahmedarlehens verbundene finanzielle Belastung des einzelnen Vollmitglieds auf 3 282,50 DM geschätzt (= Differenz zwischen dem Nennwert des Darlehens und dem nach § 13 Abs.2 des Bewertungsgesetzes --BewG-- a.F. ermittelten Gegenwartswert). Der erkennende Senat hält diese Schätzung für nicht sachgerecht. Er schätzt die Beitragsbelastung durch das Aufnahmedarlehen typisierend auf etwa 360 DM (5,5 % von 6 500 DM) pro Jahr und Vollmitglied.

    Dabei hat er berücksichtigt, daß die finanzielle Belastung eines Mitglieds durch die Gewährung eines zinslosen Darlehens in dem Zinsverlust oder --falls sich das Mitglied die Darlehensmittel durch Aufnahme eines Kredits verschafft hat-- in den Refinanzierungskosten besteht. Diese Belastung entsteht dem Mitglied in jedem Jahr der Mitgliedschaft. Sie endet mit dem Austritt und der Rückzahlung des Darlehens oder, falls dem Kläger die Rückzahlung des Darlehens bei Fälligkeit nicht möglich sein sollte, mit der dann nach der Finanz- und Beitragsordnung in Verbindung mit dem "Statut über das Mitgliedschaftszertifikat" einsetzenden Verzinsung des Darlehens. Daß die Schätzung des FA nicht sachgerecht ist, zeigt sich deutlich in den Fällen, in denen ein Mitglied bereits zwei oder drei Jahre nach Gewährung des Aufnahmedarlehens aus dem Verein austritt, z.B. weil es den Wohnort wechselt.

    c) Eine jährliche Gesamtbeitragsbelastung von etwa 1 360 DM konnten im Streitjahr (1982) auch Personen tragen, die über kein hohes Einkommen oder größeres Vermögen, sondern nur über Erwerbseinkünfte in durchschnittlicher Höhe verfügten. Das im Streitjahr geforderte Aufnahmedarlehen war auch nicht so hoch, daß es einer Person mit durchschnittlichem Erwerbseinkommen und ohne Vermögen schwer gefallen wäre, sich die Darlehensmittel durch Aufnahme eines Kredits zu beschaffen.

    Ob auch ein erheblich höherer Gesamtbeitrag pro Jahr und Vollmitglied die Förderung der Allgemeinheit nicht ausgeschlossen hätte, weil der Kläger im Streitjahr Minderjährigen und in der Berufsausbildung befindlichen Mitgliedern bis zum vollendeten 27.Lebensjahr Beitragsermäßigungen gewährte und von ihnen keine Aufnahmedarlehen forderte, kann ungeklärt bleiben.

    Daß einige Mitglieder statt eines Aufnahmedarlehens Spenden bis zur Höhe der Aufnahmedarlehen leisteten, ist nicht entscheidungserheblich. Das FG hat nicht festgestellt, daß der Kläger im Streitjahr Aufnahmebeiträge von bis zu 6 500 DM forderte. Das FA hat dies auch nicht behauptet.

    2. Selbstlosigkeit setzt u.a. voraus, daß die Mittel der Körperschaft (s. dazu Senatsurteil vom 23. Oktober 1991 I R 19/91, BFHE 165, 484, BStBl II 1992, 62) nur für die satzungsmäßigen Zwecke --d.h. für die in der Satzung festgelegten gemeinnützigen, mildtätigen oder kirchlichen Zwecke-- verwendet werden (§ 55 Abs.1 Nr. 1 Satz 1 AO 1977). Ausnahmen von diesem Mittelverwendungsgebot enthält § 58 AO 1977. Im Streitfall kommen sie nicht in Betracht.

    a) Umstritten ist, ob stets gegen das Mittelverwendungsgebot verstoßen wird, wenn die Körperschaft Verluste, die sie in einem nicht als Zweckbetrieb (§§ 65 bis 68 AO 1977) zu qualifizierenden wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb (sog. Nicht-Zweckbetrieb) erlitten hat, mit Mitteln ausgleicht, die ihr zur Erfüllung ihrer gemeinnützigen Zwecke zur Verfügung stehen. Im Urteil vom 2. Oktober 1968 I R 40/68 (BFHE 93, 522, BStBl II 1969, 43) hat der erkennende Senat eine derartige Mittelverwendung nicht als Verstoß gegen § 4 Abs.2 Nr.1 der Gemeinnützigkeitsverordnung (GemV) vom 24. Dezember 1953 --der Vorgängervorschrift des § 55 Abs.1 Nr.1 AO 1977-- gewertet, wenn die Verluste relativ geringfügig waren, sie auf einer Fehlkalkulation beruhten und die Körperschaft sich erkennbar bemüht hatte, für die durch den Nicht-Zweckbetrieb den Mitgliedern erbrachten Leistungen ein kostendeckendes Entgelt zu erhalten. Die Finanzverwaltung ist dem bei Auslegung des § 55 Abs.1 Nr.1 AO 1977 gefolgt. Sie beurteilt es nicht als Verstoß gegen das Mittelverwendungsgebot, wenn die Körperschaft nur gelegentlich Verluste aus Nicht-Zweckbetrieben mit Mitteln des ideellen Tätigkeitsbereichs ausgleicht und ernsthaft einen Verlustausgleich auf andere Weise versucht hat, z.B. durch Erhöhung der Entgelte für die Leistungen des Nicht-Zweckbetriebes (s. Bundesminister der Finanzen, Schreiben vom 24. September 1987 IV A 5 -S 0062- 38/87, BStBl I 1987, 664 --zu § 55 AO 1977 Tz.3--; gl.A. z.B. Scholtz in Koch/Scholtz, Abgabenordnung, Kommentar, 5.Aufl., 1996, § 55 Rdnr.5; Klein/Orlopp, Abgabenordnung, 5.Aufl., 1995, § 55 Anm. 3; Frotscher in Schwarz, Abgabenordnung, § 55 Rdnr.7; Hüttemann, Wirtschaftliche Betätigung und steuerliche Gemeinnützigkeit, 1991, S.85 f.; Viehbeck, Betriebs-Berater 1985, 2038, 2040).

    Anderer Ansicht ist Tipke (in Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 15.Aufl., 1965/1996, § 55 AO 1977 Rdnr.3). Er sieht auch einen Ausgleich geringfügiger Verluste aus Nicht-Zweckbetrieben mit Mitteln des ideellen Tätigkeitsbereichs als einen Verstoß gegen § 55 Abs.1 Nr.1 AO 1977 an und meint, das Urteil in BFHE 93, 522, BStBl II 1969, 43 könne nur als Billigkeitsentscheidung verstanden werden (ebenso Fischer in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 9.Aufl., § 55 AO 1977 Rdnr.125; ähnlich Herbert, Der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb des gemeinnützigen Vereins, 1988, S.121).

    b) Der erkennende Senat hält an seiner im Urteil in BFHE 93, 522, BStBl II 1969, 43 vertretenen Ansicht nicht mehr uneingeschränkt fest. Er ist nunmehr der Auffassung, daß ein Ausgleich von Verlusten eines Nicht-Zweckbetriebes mit Mitteln des ideellen Tätigkeitsbereichs nur dann kein Verstoß gegen das Mittelverwendungsgebot ist, wenn die Verluste auf einer Fehlkalkulation beruhen und die Körperschaft bis zum Ende des dem Verlustentstehungsjahr folgenden Wirtschaftsjahrs --bei Rumpfwirtschaftsjahren: innerhalb von zwölf Monaten nach Ende des Wirtschaftsjahrs, in dem der Verlust entstanden ist-- dem ideellen Tätigkeitsbereich wieder Mittel in entsprechender Höhe zuführt. Die wieder zugeführten Mittel dürfen weder aus Zweckbetrieben oder dem Bereich der steuerbegünstigten vermögensverwaltenden Tätigkeiten noch aus Beiträgen oder anderen Zuwendungen stammen, die zur Förderung der steuerbegünstigten Zwecke der Körperschaft bestimmt sind.

    Bei der Änderung der Rechtsprechung hat sich der Senat von folgenden Erwägungen leiten lassen:

    Gemäß § 55 Abs.1 Nr.1 Satz 1 AO 1977 dürfen Mittel der Körperschaft nur --also ausschließlich-- für die satzungsmäßigen Zwecke verwendet werden. Dies schließt die Auslegung aus, eine Körperschaft erfülle auch dann noch die Voraussetzungen des § 55 Abs.1 Nr.1 Satz 1 AO 1977, wenn sie lediglich im geringfügigen Umfang ihre Mittel zum Ausgleich von Verlusten aus Nicht-Zweckbetrieben verwendet. Auch der Zweck des § 55 Abs.1 Nr.1 Satz 1 AO 1977 steht einer derartigen Auslegung entgegen. Das Mittelverwendungsgebot dient u.a. dazu, die Wettbewerbsneutralität des Steuerrechts zu wahren (s. Hüttemann, a.a.O., S.78 f., 87). Sie würde verletzt, wenn es einer wegen Verfolgung gemeinnütziger, mildtätiger oder kirchlicher Zwecke steuerbefreiten Körperschaft erlaubt wäre, ihre Nicht-Zweckbetriebe mit Mitteln aus steuerbegünstigten Beiträgen oder Spenden und Erträgen ihrer steuerbegünstigten Zweckbetriebe oder Vermögensverwaltung zu alimentieren.

    Es ist jedoch auch zu berücksichtigen, daß die Geschäftsführer von Körperschaften, die gemeinnützige oder mildtätige Zwecke verfolgen, sehr oft Personen sind, die über keine betriebswirtschaftlichen Kenntnisse verfügen und ihre Tätigkeit für die Körperschaft ehrenamtlich ausüben. Verluste aufgrund von Fehlkalkulationen sind daher häufig nicht zu vermeiden. Sie müssen, da die Gläubiger der Körperschaft in deren gesamtes Vermögen vollstrecken können, notfalls auch mit Mitteln des ideellen Tätigkeitsbereichs abgedeckt werden, um Vollstreckungsmaßnahmen zu vermeiden und die Fortführung der steuerbegünstigten Tätigkeiten nicht zu gefährden.

    In Fällen, in denen die für den Verlustausgleich eingesetzten Mittel nur zeitweilig dem ideellen Tätigkeitsbereich entzogen werden, kommt es zu keiner den Wettbewerb nachhaltig beeinflussenden Daueralimentation des Nicht-Zweckbetriebes.

    Eine Frist von mindestens zwölf Monaten für die Zurückführung der Mittel verschafft den Körperschaften ausreichend Zeit, um in einer ordentlichen Mitgliederversammlung die erforderlichen Maßnahmen zu beschließen und sich die benötigten Mittel zu beschaffen.

    c) Das FG hat --von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig-- nicht geklärt, welche Ursachen der im Streitjahr im Gaststättenbetrieb des Klägers entstandene Verlust von 14 615,05 DM hatte, ob die zur Abdeckung dieses Verlustes dem ideellen Tätigkeitsbereich entzogenen Mittel bis spätestens 31. Dezember 1983 wieder dem ideellen Tätigkeitsbereich zugeführt wurden und woher ggf. diese wieder zugeführten Mittel stammten. Die Sache wird deshalb zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts an das FG zurückverwiesen.

    Der Kläger hat dazu im Revisionsverfahren vorgetragen, zur Abdeckung u.a. des im Streitjahr durch den Gaststättenbetrieb entstandenen Verlustes sei im Jahr 1983 eine Umlage von insgesamt 82 500 DM erhoben worden.

    B. Sollte der Kläger gegen das Mittelverwendungsgebot verstoßen haben, war das FA in sinngemäßer Anwendung des § 173 Abs.1 Satz 1 Nr.1 AO 1977 verpflichtet, den dann rechtswidrigen Freistellungsbescheid vom 16. Oktober 1984 durch Erlaß eines Körperschaftsteuerbescheides aufzuheben.

    1. Für die Aufhebung und Änderung eines Freistellungsbescheides gelten die Vorschriften über die Aufhebung und Änderung von Steuerbescheiden entsprechend. Ein Freistellungsbescheid ist zwar kein Bescheid, durch den --wie dies § 157 Abs.1 Satz 2 AO 1977 für schriftliche Steuerbescheide vorschreibt-- eine festgesetzte Steuer nach Art und Betrag bezeichnet und angegeben wird, wer die Steuer schuldet. Durch einen Freistellungsbescheid wird vielmehr verbindlich festgestellt, daß eine bestimmte Person aufgrund des vom Finanzamt geprüften Sachverhalts eine bestimmte Steuer dem Grunde nach überhaupt nicht oder für einen bestimmten Veranlagungs- bzw. Erhebungszeitraum nicht schuldet (Senatsurteil vom 16. Oktober 1991 I R 65/90, BFHE 166, 142, BStBl II 1992, 322, m.w.N.). Nach § 155 Abs.1 Satz 3 AO 1977 ist ein Freistellungsbescheid aber wie ein Steuerbescheid zu behandeln (s. Tipke/Kruse, a.a.O., § 155 Rdnr.3; Klein/Orlopp, a.a.O., § 155 Anm.1).

    Der Bescheid vom 16. Oktober 1984 war ein Freistellungsbescheid. Er erging aufgrund der vom Kläger im September 1983 eingereichten Erklärung zur Überprüfung von gemeinnützigen Körperschaften und enthielt die verbindliche Feststellung, der Kläger schulde für das Streitjahr aufgrund der sachlichen Steuerbefreiung des § 5 Abs.1 Nr.9 KStG 1977 keine Körperschaftsteuer. Ausgenommen von der Steuerbefreiung wurde gemäß § 5 Abs.1 Nr.9 Satz 2 KStG 1977 lediglich der Gaststättenbetrieb.

    2. Gemäß § 173 Abs.1 Satz 1 Nr.1 AO 1977 ist ein Steuerbescheid aufzuheben oder zu ändern, soweit neue Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen. Bei wortgetreuer Anwendung der Vorschrift ist sie im Streitfall keine Rechtsgrundlage für die Aufhebung des Freistellungsbescheides. Die dem FA durch die Außenprüfung nachträglich bekanntgewordene Tatsache --die Verwendung von Mitteln des ideellen Tätigkeitsbereichs zum Ausgleich eines Verlustes des Gaststättenbetriebes-- hat zwar den Verlust der sachlichen Steuerbefreiung gemäß § 5 Abs.1 Nr.9 KStG 1977 zur Folge, falls nicht die oben (II. A. 2. b) genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Sie führt aber nicht zu einer "höheren Steuer", da das Einkommen des Klägers im Streitjahr den Freibetrag gemäß § 24 KStG 1977 nicht überschreitet und somit auch bei Bejahung der Körperschaftsteuerpflicht hinsichtlich der gesamten Tätigkeitsbereiche des Klägers die Körperschaftsteuer 0 DM beträgt.

    3. § 173 Abs.1 Nr.1 AO 1977 ist im Streitfall jedoch sinngemäß anzuwenden. Das ergibt sich aus den verfahrensrechtlichen Besonderheiten, die bei der Anerkennung oder Versagung der Gemeinnützigkeit zu beachten sind.

    a) Sinn des § 173 Abs.1 AO 1977 ist es, einen Steuerbescheid, der nicht vorläufig oder mit dem Vorbehalt der Nachprüfung versehen ist, auch nach Eintritt der Bestandskraft innerhalb der Festsetzungsfrist aufheben oder ändern zu können, wenn dem Finanzamt nach Erlaß des Bescheides Tatsachen oder Beweismittel bekanntgeworden sind, aus denen sich eine Rechtswidrigkeit des Bescheides mit steuerrechtlicher Auswirkung ergibt. Die Vorschrift unterscheidet zwischen Tatsachen und Beweismitteln, die zu einer höheren Steuer führen (§ 173 Abs.1 Nr.1 AO 1977), und denen, die eine niedrigere Steuer zur Folge haben (§ 173 Abs.1 Nr.2 AO 1977). Die Tatbestandsmerkmale "höhere Steuer" und "niedrigere Steuer" kennzeichnen die Tatsachen oder Beweismittel danach, ob sie sich im Fall einer Aufhebung oder Änderung des Bescheides steuerrechtlich zu Lasten oder zugunsten des Steuerpflichtigen auswirken. Für Bescheide, durch die ein Steuerbetrag festgesetzt wird, sind die Begriffe "höhere Steuer" und "niedrigere Steuer" für diese Kennzeichnung geeignet. Bei diesen Steuerbescheiden läßt sich in der Regel aus der Erhöhung oder Minderung der Steuer schließen, ob sich die Tatsachen oder Beweismittel zu Lasten oder zugunsten des Steuerpflichtigen auswirken.

    b) In Verfahren, in denen über die Gemeinnützigkeit entschieden wird, sind die Begriffe jedoch als Kennzeichnung ungeeignet. In diesen Verfahren ist dem Sinn des § 173 Abs.1 AO 1977 entsprechend darauf abzustellen, ob und welche Auswirkungen die Tatsachen oder Beweismittel auf die Gemeinnützigkeit haben.

    Das Steuerrecht kennt kein besonderes Verfahren, in dem eine Körperschaft generell als gemeinnützig und steuerbegünstigt anerkannt wird. Vielmehr ist im Veranlagungs- bzw. Festsetzungsverfahren für die jeweilige Steuer und den jeweiligen Steuerabschnitt darüber zu entscheiden, ob eine Körperschaft nach ihrer Satzung und tatsächlichen Geschäftsführung ausschließlich und unmittelbar gemeinnützigen Zwecken dient und deshalb steuerbegünstigt ist (s. BFH-Entscheidungen vom 13. Dezember 1978 I R 77/76, BFHE 127, 327, BStBl II 1979, 481; vom 7. Mai 1986 I B 58/85, BFHE 146, 392, BStBl II 1986, 677; vom 10. Januar 1992 III R 201/90, BFHE 167, 470, BStBl II 1992, 684; Scholtz in Koch/Scholtz, a.a.O., § 51 Rdnr.9, m.w.N.). Ergibt die Prüfung im Körperschaftsteuer-Veranlagungsverfahren, daß die Körperschaft die Voraussetzungen der sachlichen Steuerbefreiung gemäß § 5 Abs.1 Nr.9 KStG 1977 erfüllt, so hat das Finanzamt hinsichtlich des steuerbefreiten Tätigkeitsbereichs der Körperschaft einen Körperschaftsteuer-Freistellungsbescheid für den betreffenden Veranlagungszeitraum zu erlassen. Verneint das Finanzamt die sachliche Steuerbefreiung, so muß es auch dann einen Körperschaftsteuerbescheid erlassen, wenn die festzusetzende Steuer aus anderen Gründen 0 DM beträgt. Ein Widerruf der Anerkennung der Gemeinnützigkeit in einer Verfügung unabhängig von einem Veranlagungs- bzw. Steuerfestsetzungsverfahren ist nicht zulässig (Senatsurteil in BFHE 127, 327, BStBl II 1979, 481). Auch ein auf 0 DM lautender Körperschaftsteuerbescheid, durch den das Finanzamt der Körperschaft die Gemeinnützigkeit abspricht, beschwert die Körperschaft und kann von ihr zulässigerweise mit Rechtsbehelfen angefochten werden (Senatsurteil vom 13. Juli 1994 I R 5/93, BFHE 175, 484, BStBl II 1995, 134).

    Dies zeigt, daß die zur Versagung der Gemeinnützigkeit führenden Tatsachen und Beweismittel als solche beurteilt werden, die sich steuerrechtlich zu Lasten des Steuerpflichtigen auswirken. Dies gilt unabhängig davon, ob sie auch zu einer "höheren Steuer" führen. Es gilt selbst dann, wenn sie zu einer niedrigeren Körperschaftsteuer führen, z.B. weil die Körperschaft in dem von ihr als gemeinnützig angesehenen Tätigkeitsbereich einen Verlust erlitten hat, der bei Versagung der Gemeinnützigkeit mit positiven Einkünften aus Nicht-Zweckbetrieben zu verrechnen ist.

    Tatsachen und Beweismittel, die zur Anerkennung der Gemeinnützigkeit führen, sind in diesem Zusammenhang solche, die sich steuerrechtlich zugunsten des Steuerpflichtigen auswirken. Daher ist ein auf 0 DM lautender Körperschaftsteuerbescheid in sinngemäßer Anwendung des § 173 Abs.1 Satz 1 Nr.2 AO 1977 aufzuheben und ein Freistellungsbescheid zu erlassen, wenn dem Finanzamt nachträglich Tatsachen oder Beweismittel bekannt werden, die zur Bejahung der Gemeinnützigkeit der Körperschaft führen, sofern den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, daß die Tatsachen oder Beweismittel dem Finanzamt erst nachträglich bekanntgeworden sind.

    4. Der Bescheid vom 30. Oktober 1989 war ein Körperschaftsteuerbescheid und kein --wie der Kläger meint-- Widerruf der Anerkennung der Gemeinnützigkeit außerhalb eines Veranlagungsverfahrens oder Freistellungsbescheid mit anderer Begründung. Der Bescheid bezeichnet die festgesetzte Steuer nach Art, Betrag und Veranlagungszeitraum. Zwar entspricht er in seiner äußeren Form nicht den Steuerbescheidformularen und bezeichnet die für das Streitjahr festgesetzte Körperschaftsteuer auch nicht mit der Ziffer 0. Daß das FA die Körperschaftsteuer 1982 auf Null DM festgesetzt hat, ergibt sich aber aus dem im Bescheid enthaltenen Satz, aufgrund des Freibetrages gemäß § 24 KStG 1977 ergebe sich für das Streitjahr keine Körperschaftsteuerschuld. Der Bescheid erging nicht außerhalb des Veranlagungsverfahrens. Zum Veranlagungsverfahren gehören auch Bescheide, die im Veranlagungsverfahren ergangene Bescheide --hier den Freistellungsbescheid vom 16. Oktober 1984-- aufheben oder ändern.

    RechtsgebieteAO, KStGVorschriftenAO 1977 § 155 Abs. 1 S. 3, § 173 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 52 Abs. 1 Sätze 1-2, § 55 Abs. 1 Nr. 1 S. 1; KStG 1977 § 5 Abs. 1 Nr. 9