07.02.2012 · IWW-Abrufnummer 120314
Oberlandesgericht Hamm: Beschluss vom 27.09.2011 – I-27 W 106/11
Ein Verein kann durch Sitzung regeln, dass eine Mitgliederversammlung auch virtuell (online) durchgeführt werden kann.
Oberlandesgericht Hamm
I-27 W 106/11
Tenor: Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Gründe:
I.
Der Verein "B" wurde am 21.2.2001 gegründet. Zweck des Vereins ist nach § 2 Abs. 1 der Satzung die Selbsthilfe und Hilfestellung für Menschen mit Alkoholproblemen und deren Angehörigen bundesweit über das Medium Internet. Dabei soll der Satzungszweck insbesondere über seine Präsenz im Internet verwirklicht werden. Dazu bietet der Verein Informationen auf einer dafür eingerichteten Internetseite zur Verfügung. Eine Kontaktaufnahme zum Verein kann auch über das Internet erfolgen.
Am 12.3.2011 fand in N-Heed eine Mitgliederversammlung statt. Unter Top 5 wurde einstimmig beschlossen, dass die §§ 4, 5, 8, 9, 11,12, 13, 14 und 15 der Satzung geändert werden.
In § 11 der Neufassung heißt es wie folgt:
(1) Der Vorstand lädt, unter Angabe der vorläufigen Tagesordnung, mit einer Frist von vier Wochen zu Mitgliederversammlung per Email an die letzte vom Mitglied dem Vorstand mitgeteilte Email-Adresse bzw. auf ausdrücklichen Wunsch des Mitglieds, das über keinen eigenen Internetzugang verfügt, per einfachem Brief postalisch. Für die ordnungsgemäße Einladung genügt jeweils die Absendung der Email bzw. des Briefes. Die Mitglieder können binnen zwei Wochen die Aufnahme weiterer Punkte beantragen; in eiligen Fällen kann der Vorstand eine Tagesordnung festsetzen, ohne Gelegenheit zur Aufnahme weiterer Punkte zu geben. Verspätet eingegangene Anträge finden keine Berücksichtigung. Der Vorstand kann hiervon Ausnahmen machen, wenn die Verspätung genügend entschuldigt wird oder andere Gründe, insbesondere die Verfahrensökonomie die Aufnahme des Punkts rechtfertigen. Der Vorstand entscheidet nach billigem Ermessen.
(2) Die Mitgliederversammlung erfolgt entweder real oder virtuell (Onlineverfahren) in einem nur für Mitglieder mit ihren Legitimationsdaten und einem gesonderten Zugangswort zugänglichen Chat-Raum.
(3) Im Onlineverfahren wird das jeweils nur für die aktuelle Versammlung gültige Zugangswort mit einer gesonderten Email unmittelbar vor der Versammlung, maximal 3 Stunden davor, bekannt gegeben. Ausreichend ist dabei die ordnungsgemäße Absendung der Email an die letzte dem Vorstand bekannt gegeben Email-Adresse des jeweiligen Mitglieds. Mitglieder, die über keine Email-Adresse verfügen, erhalten das Zugangswort per Post an die letzte dem Vorstand bekannt gegebene Adresse. Ausreichend ist die ordnungsgemäße Absendung des Briefes zwei Tage vor der Mitgliederversammlung. Sämtliche Mitglieder sind verpflichtet, ihre Legitimationsdaten und das Zugangswort keinem Dritten zugänglich zu machen und unter strengem Verschluss zu halten.
(4) Vorstandsversammlungen und Versammlungen der ordentlichen Mitglieder können ebenfalls online oder in Schriftform erfolgen.
Durch Beschluss vom 17.6.2011 wies das Registergericht den Antrag auf Eintragung in das Handelsregister zurück.
Das Amtsgericht vertritt die Auffassung, dass eine Eintragung der Mitglieder des erweiterten Vorstandes unzulässig sei, da dies der Satzung widerspreche. Zu beanstanden sei auch die Form der Einberufung der Mitgliederversammlung. Es fehle eine klare Bestimmung, da reale und virtuelle Versammlungen möglich seien. Ferner bestünden auch Bedenken gegen die vorgesehene Form der "Onlineversammlung". Auch wenn ein spezieller Chat-Raum verwendet werde, bestehe die Gefahr, dass sich eine fremde Person Zugang verschafft und sich als Mitglied ausgibt. Des Weiteren könne auch nicht festgestellt werden, ob die anwesenden Mitglieder geschäftsfähig sind. Der Gesetzgeber habe der Versammlung der Mitglieder als Hauptentscheidungsorgan eine besondere Stellung im Vereinsleben zugedacht, der auch durch das physische Zusammenkommen Rechnung getragen werde. Allein wegen § 13 Abs. 1 S. 2 UmwG könne auf eine physische Präsens nicht verzichtet werden. Ferner sei zu beanstanden, dass nicht mehr geregelt werde, wer ordentliches Mitglied des Vereins sei. Auch sei eine Eintragung der Mitglieder des erweiterten Vorstandes unzulässig, da dies der Satzung widerspreche.
Gegen diese Entscheidung wendet sich der Verein mit seiner Beschwerde. Die Form der Mitgliederversammlung sei durch § 11 der Satzung ausreichend klar bestimmt. Vor Abhaltung einer Mitgliederversammlung würden die Mitglieder in der Einladung jeweils darauf hingewiesen, ob die Versammlung real oder virtuell durchgeführt werde. Des Weiteren sei auch die Sicherheit der Onlineversammlungen gewährleistet. Durch die Verwendung eines speziellen Chat-Raums mit Passwörtern sei das Risiko, dass sich eine vereinsfremde Person Zugang zu den Räumen verschafft, auf ein Minimum reduziert.
Schließlich sei auch § 4 der Satzung nicht zu beanstanden. Bei der Abänderung handele es sich lediglich um eine redaktionelle Bearbeitung. Die Gründungsmitglieder des Vereins seien im Laufe der Zeit alle aus dem Verein ausgeschieden. Eine Unterscheidung zwischen ordentlichen und außerordentlichen Mitgliedern mache deshalb keinen Sinn mehr.
II.
Die gemäß § 58 Abs. 1 FamFG zulässige Beschwerde ist begründet.
1.
Dass § 11 der Satzung eine virtuelle Mitgliederversammlung im Onlineverfahren vorsieht, ist nicht zu beanstanden.
Nach § 32 Abs. 1 Satz 1 BGB werden die Angelegenheit des Vereins grundsätzlich durch Beschlussfassung in einer Versammlung der Mitglieder geordnet. Allerdings sind nach § 32 Abs. 2 BGB Beschlüsse auch dann gültig, wenn alle Mitglieder schriftlich zustimmen. Darüber hinaus kann nach § 40 BGB in der Satzung eine von § 32 BGB abweichende Regelung getroffen werden.
a)
Nach der herrschenden Auffassung in der Literatur (Palandt-Ellenberger, BGB, 70. Auflage 2011, § 32 Rn 1; Erman-Westermann, BGB, 11. Auflage 2004, § 32 Rn. 3; Reichert, Vereins- und Verbandsrecht, 12. Auflage 2010, Rn., 1961 ff.; BeckOK BGB – Schöpflin, Stand 1.3.2011, § 32 Rn. 44 a; Fleck DNotZ 2008, 245; Erdmann MMR 2000, 526; Sauter/Schweyer/Waldner, Der eingetragene Verein, 18. Auflage 2006, Rn. 155; Burhoff, Vereinsrecht, 8. Auflage 2011, Rn. 154 a) sind grundsätzlich auch virtuelle Mitgliederversammlung zulässig. Der Senat schließt sich dieser Auffassung an.
Es folgt aus § 40 BGB, dass der Verein bei der Ausgestaltung seiner Binnenstruktur grundsätzlich frei ist (vgl. Erdmann DNotZ 2008, 245). Zwar ist es nicht möglich, etwa die Mitgliederversammlung, die das oberste Organ des Vereins ist, abzuschaffen. Das Organ der Mitgliederversammlung wird durch die Schaffung eines virtuellen Verfahrens aber nicht aufgegeben. Es wird lediglich ein bestimmter Modus der Willensbildung geregelt, der von § 32 BGB abweicht.
Für die Zulässigkeit einer virtuellen Mitgliederversammlung spricht auch, dass nach dem neu gefassten § 118 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 AktG Aktionäre auch ohne Anwesenheit am Ort der Hauptversammlung im Wege elektronischer Form ihre Rechte wahrnehmen und ihre Stimme abgegeben können. Des Weiteren bestimmt § 43 Abs. 7 GenG, dass Beschlüsse – sofern die Satzung dies vorsieht – auch in elektronischer Form gefasst werden können.
Soweit davon abweichend die Ansicht vertreten wird, dass eine Versammlung eine räumliche Zusammenkunft erfordert (Stöber, Handbuch zum Vereinsrecht, 9. Auflage 2004, Rn. 409 a), überzeugt dies nicht. Dies ergibt sich weder aus dem Wortlaut noch der Systematik des Gesetzes. In den §§ 27, 36, 37, 41 BGB einerseits und dem § 32 BGB andererseits wird zwischen dem Organ der Mitgliederversammlung und dem Verfahrensmodus unterschieden (vgl. Fleck DNotZ 2008, 245, 247). Da § 32 BGB den Verfahrensmodus regelt, unterliegt er nach § 40 BGB der Disposition des Satzungsgebers.
Dagegen spricht auch nicht, dass im Falle einer Onlineversammlung die Geschäftsfähigkeit Mitglieder nicht eindeutig festgestellt werden kann. Soweit es keine entgegenstehenden Anhaltspunkte gibt, kann der Versammlungsleiter von der Geschäftsfähigkeit der Vereinsmitglieder ausgehen. Es ist nicht erforderlich, dass diese vor jeder Versammlung erneut geprüft wird. Auch im Falle einer schriftlichen Zustimmung § 32 Abs. 2 BGB hat der Versammlungsleiter keinen persönlichen Eindruck vom Vereinsmitglied.
Soweit das Amtsgericht auf § 13 Abs. 1 S. 2 UmwG verweist, der eine physische Präsens verlangt (vgl. Reichert, Vereins- und Verbandsrecht, 12. Auflage 2010, Rn. 1961), überzeugt das nicht. Die Satzung sieht die Möglichkeit einer realen Mitgliederversammlung weiterhin vor, die im Falle einer Verschmelzung des Vereins einberufen werden könnte.
b)
Auch die konkrete Ausgestaltung ist im vorliegenden Fall wirksam.
aa)
Die Satzung sieht vor, dass die Mitgliederversammlung in einem nur für Mitglieder mit ihren Legitimationsdaten und einem gesonderten Zugang das Wort zugänglichen Chat-Raum durchgeführt werden. Das nur für die aktuelle Versammlung gültige Zugangswort wird erst mit einer gesonderten E-Mail unmittelbar vor der Versammlung bekannt gegeben. Allen Mitgliedern wird die Verpflichtung auf erledigt, ihre Legitimationsdaten und das Zugangswort keinem Dritten zugänglich zu machen und unter strengem Verschluss halten.
Durch die Zugangsbeschränkungen mittels Passwort wird gewährleistet, dass nur Vereinsmitglieder an der Versammlung teilnehmen.
bb)
Es liegt auch keine unangemessene Benachteiligung der Vereinsmitglieder vor, die über keinen eigenen Computer verfügen. Abgesehen davon, dass der Verein seinen Satzungszweck insbesondere durch die Präsenz im Internet verwirklicht, muss ein Verein nicht einem beliebigen Personenkreis offen stehen. Er muss daher auch nicht Kommunikation auf jede erdenkliche Weise anbieten (vgl. Fleck DNotZ 2008, 245, 251). Darüber hinaus gibt es auch öffentliche Internetzugänge, auf die die Vereinsmitglieder zumutbar zurückgreifen können.
c)
Soweit in § 11 Abs. 2 der Satzung alternativ eine reale oder eine virtuelle Mitgliederversammlung vorgesehen ist, unterliegt dies keine Bedenken (vgl. auch Fleck DNotZ 2008, 245, 248: "als zusätzliche Option"). Auch dies wird von der Vereinsautonomie gedeckt. Selbst wenn die Mitgliederversammlungen im Regelfall virtuell stattfinden, kann es im Einzelfall sinnvoll oder in den Fällen des § 13 Abs. 1 S. 2 UmwG sogar notwendig sein, auf eine physische Präsenz bei der Versammlung oder Abstimmung zu bestehen. Erforderlich ist lediglich, dass die Vereinsmitglieder rechtzeitig über den Modus der Versammlung informiert werden, was im vorliegenden Fall mit der Einladung erfolgt.
2.
Schließlich ist auch § 4 der Satzung nicht zu beanstanden. Der Verein hat klargestellt, dass die Gründungsmitglieder des Vereins im Laufe der Zeit alle aus dem Verein ausgeschieden sind. Eine ordentliche Mitgliedschaft kann deshalb nur noch durch Beschluss der ordentlichen Mitglieder begründet werden (§ 4 Abs. 6 der Satzung).
3.
Soweit der Verein eine Eintragung des erweiterten Vorstandes begehrt, hält er daran offenbar nicht mehr fest.