Praxiswissen auf den Punkt gebracht.
logo
  • Meine Produkte
    Bitte melden Sie sich an, um Ihre Produkte zu sehen.
Menu Menu
MyIww MyIww
  • · Fachbeitrag · Praxiswertermittlung

    Studie: Ermittlung des immateriellen Praxiswerts mithilfe des modifizierten Ertragswertverfahrens

    von Prof. Dr. Thomas Sander, Lehrgebiet Praxisökonomie an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH), Öffentlich bestellter Sachverständiger für die Bewertung von Arzt- und Zahnarztpraxen & Dr. Maja Graeser, Zahnärztin

    | Wie viel ist meine Praxis wert? Diese Frage stellt sich Zahnärztinnen und Zahnärzten z. B. dann, wenn sie ihre Praxis abgeben oder einen neuen Partner aufnehmen wollen. Bei der Wertermittlung spielt neben dem Substanzwert (med. Geräte, Einrichtung usw.) auch der sog. „Goodwill“ eine Rolle, der sich aus immateriellen Faktoren (Mitarbeiterstamm, Standort, Patientenstammes, Konkurrenzsituation usw.) zusammensetzt. Doch wie präzise lässt sich der Goodwill überhaupt ermitteln? Und folgt die Ermittlung einem einheitlichen Muster? Eine wissenschaftliche Studie des Lehrgebietes Praxisökonomie der Medizinischen Hochschule Hannover erörtert Tendenzen. |

    Hintergrund

    An der Studie nahmen 10 Sachverständige für die Wertermittlung von Zahnarztpraxen teil sowie 23 Zahnärzte, die in den Jahren 2010 bis 2016 eine Praxis erworben hatten. Bei der überwiegenden Zahl der durchgeführten Transaktionen handelte es sich um Einzelpraxisübernahmen. Ziel war es, Zusammenhänge bei der Preisfindung für den immateriellen Teil einer Zahnarztpraxis aufzudecken.

     

    Die folgenden Ausführungen stellen zusammenfassend die Schlussfolgerungen aus einer wissenschaftlichen Studie des Lehrgebietes Praxisökonomie der Med. Hochschule Hannover (Prof. Dr. Thomas Sander) und der zugehörigen Dissertation von Dr. med. dent. Maja Graeser [1] dar.

    Das modifizierte Ertragswertverfahren

    Alle an der Studie teilnehmenden Sachverständigen wenden das sogenannte modifizierte Ertragswertverfahren (MEWV) zur Bestimmung des immateriellen Wertes an. Hier ist anzumerken, dass es kein verbindlich festgelegtes Verfahren gibt ‒ jeder ist in der Wahl der Bestimmungsmethodik grundsätzlich frei. Das MEWV ist ein Ertragswertverfahren, das die Besonderheit hat, die zukünftigen Erträge nur über einen begrenzten Ergebniszeitraum (EZR) zur Wertbestimmung zu addieren.

     

    Die Tatsache, dass in Fachkreisen überwiegend Ertragswertverfahren angewendet werden, beruht auf der schlüssigen Annahme, dass der zukünftige Ertrag den Wert maßgeblich bestimmt. Die Modifikation hingegen ist nur unzulänglich theoriebasiert. Argumentiert wird hier mit der

    • Verflüchtigungstheorie (der Einfluss des Abgebers verflüchtigt sich mit der Zeit) oder alternativ mit der
    • Rekonstruktionstheorie (so lange braucht man, um eine adäquate Alternative selbst zu errichten).

     

    Die Studie befasst sich nicht mit der theoretischen Betrachtung dieser Zusammenhänge.

    Ergebniszeitraum

    Gefragt wurde nach den Einflussfaktoren bei der Kaufpreisermittlung bzw. auf den immateriellen Wert. Alle befragten Sachverständigen wenden das MEWV an. Sie erfassen damit Einzeleinflüsse bzw. schließlich den Gesamteinfluss durch Multiplikation des Ertrages mit dem EZR. Insgesamt wurden für die Einzelpraxen EZR von 2 bis 5 Jahren (bzw. „gibt es nicht“) genannt. Eine hohe Übereinstimmung fand sich bei den Sachverständigen darin, dass die EZR bei Gemeinschaftspraxen höher anzusetzen sind. Allerdings wurden auch hier höchst unterschiedliche Werte genannt. Ein Sachverständiger setzt bei Gemeinschaftspraxen sogar niedrigere Werte an als bei Einzelpraxen. Allein dieses Ergebnis zeigt, dass der Unterschied in der Wertermittlung durch zwei Sachverständige mehrere 100 Prozent betragen kann, was wegen des Fehlens eines theoretischen Unterbaus auch nicht aufgeklärt werden kann. Im Zweifel sind alle Berechnungen „richtig“, solange sie widerspruchsfrei und in sich schlüssig sind.

     

    Insgesamt kann festgestellt werden, dass die Festlegung des EZR individuell und vor allem sachlich nur schwach begründet erfolgt. Hinweise über das Maß verschiedener Einflussgrößen liefert Sander [2].

    Bewertungsfunktionen

    Bemerkenswert ist, dass sich die Sachverständigen in den Interviews kaum mit den Bewertungsfunktionen bzw. den jeweiligen Wertarten auseinandergesetzt haben. Das kann daran liegen, dass der Fokus tatsächlich allein auf den Auswirkungen der isolierten Faktoren lag. Allerdings wurden auch die Begriffe „Wert“ und „Preis“ oft undifferenziert gebraucht. Hier zeigt sich noch einmal, dass der gesamte theoretische Unterbau zur funktionalen Unternehmensbewertung mehr als bisher in den Fokus bei der Weiterentwicklung der Bewertungslehre für ZAP gerückt werden sollte.

    Arzt-/Unternehmerlohn

    Neben dem EZR ist der Arzt-/Unternehmerlohn bedeutsamer Teil des Verfahrens. Auch hier zeigten sich gravierende Auffassungsunterschiede zwischen den Sachverständigen. Die Spannweite betrug 20.000 bis 160.000 Euro pro Jahr. Diese Nichteinheitlichkeit führt zu weiteren gravierenden Wertunterschieden ansonsten gleicher Zahnarztpraxen. Die Problematik der Wahl des angemessenen Arzt-/Unternehmerlohns wurde in der Studie nicht weiter behandelt.

    Beinflussende Faktoren

    Insgesamt wurde eine Vielzahl von Faktoren (35) identifiziert, die den EZR beeinflussen können, wie z. B. Praxislage, Mitarbeiter, Patientenstamm und viele mehr. Bemerkenswert ist, dass für die Sachverständigen, individuell verschieden, viele Faktoren auf den EZR und damit auf den Wert wirken, während es bei den Zahnärzten lediglich vier (überwiegend andere) waren. Bei den Sachverständigen ist anzumerken, dass sie den Punkten Zahnarztdichte vor Ort und Privatpatienten-Anteil unterschiedliche Bedeutung beimaßen. So bezogen einige Sachverständige eine hohe Zahnarztdichte oder einen hohen Privatpatienten-Anteil werterhöhend mit ein, während andere die Aspekte wertmindernd einfließen ließen. Große Übereinstimmung herrscht bei den Zahnärzten darin, dass die persönlichen Verhältnisse maßgeblich sind bei der Kaufpreisfindung.

     

    Bemerkenswert ist noch, dass die Zahnärzte bei ansonsten gleichen Faktoren eine Praxis niedriger bewerten, wenn sie eher unmodern ist. Ebenso wirkt die Lage auf den EZR, allerdings auch bei den Sachverständigen. Die Zahnarztdichte spielt im Gegensatz zu den Gutachtern bei den Zahnärzten keine große Rolle. Ein Zahnarzt äußerte sich dahingehend, dass in einer Großstadt der Faktor Konkurrenz nicht ausschlaggebend sei, weil die Kollegen eben auch sehr unterschiedlich seien. Vergleichbares gilt für die Arbeitsschwerpunkte der zu übernehmenden Zahnarztpraxen. Andere Aspekte überwiegen hier offensichtlich stark.

    Verkehrswert

    Die Frage nach dem Einfluss der persönlichen Verhältnisse führt zur ersten fundamentalen Erkenntnis hinsichtlich des Verkehrswertes. Der Verkehrswert (oder Marktwert), der Gegenstand häufiger Fragestellungen ist, bildet den Wert ab, der im üblichen Geschäftsverkehr zu erzielen wäre. Die Bewertung hat dann eine Informationsfunktion. Eine Vielzahl von realisierten Transaktionen bildet aus den tatsächlich gezahlten Preisen den Verkehrswert.

     

    Eine wesentliche und ausschließende Voraussetzung für die Verkehrswertermittlung ist die Unabhängigkeit von persönlichen Einflüssen. Weil diese aber für die Kaufpreisfindung maßgeblich sind, ist die Verkehrswertermittlung von Zahnarztpraxen im eigentlichen Sinne grundsätzlich nicht möglich. Da z. B. aber Gerichte von Sachverständigen die Ermittlung von Verkehrswerten verlangen, schlagen die Autoren den Begriff „(Am) Verkehrswert orientierter Wert“ (VOW) vor. Hat die Bewertung z. B. eine Entscheidungs- oder Vermittlungsfunktion, ist die Anwesenheit von persönlichen Präferenzen notwendig. Hier besteht die Aufgabe des Sachverständigen darin, diese Einflüsse monetär zu quantifizieren und somit in die Wertermittlung mit einzubeziehen.

    Multivariates Geschehen

    Die zweite Erkenntnis der Studie im Hinblick auf die Ermittlung des VOW besteht darin, dass es sich bei der Quantifizierung des verkehrswertorientierten EZR aus Vergangenheitswerten um den Versuch der Erfassung eines multivariaten Geschehens handelt. Das bedeutet, dass sich die einzelnen wertgebenden Faktoren gegenseitig beeinflussen (sie sind nicht unabhängig), von einigen Sachverständigen werterhöhend und von anderen werterniedrigend bewertet werden, oder der Einfluss wurde bereits bei der Ertragsberechnung berücksichtigt oder eben nicht (Gefahr der Doppelberücksichtigung).

     

    Um hier eine belastbare multivariate Regression zu bewerkstelligen, ist es erforderlich, sehr viele im Detail untersuchte Transaktionen einzubeziehen, was faktisch nicht möglich ist. Außerdem ist anzuzweifeln, ob eine Regression mit hinreichender Aussagekraft überhaupt grundsätzlich möglich ist, wenn doch die persönlichen Verhältnisse (auf den EZR bzw. Wert oder Preis) maßgeblich sind.

     

    Jedenfalls ist eine „Berechnung“ des EZR, die nur mit veröffentlichten Regressionsrechnungen zu rechtfertigen wäre, im Hinblick auf die Ermittlung des VOW nicht möglich. Der EZR kann nur auf Basis der individuellen Erfahrungen und Erkenntnisse des Sachverständigen hinsichtlich des VOW (und natürlich auch anderer Wertarten) in Form seines Fachurteils angegeben werden. Und genau so muss er dies auch in seinem Gutachten erklären. Eine „Berechnung“ würde eine Berechenbarkeit vortäuschen und wäre somit irreführend.

    Plausibilisierung

    Als Ausgangswert für den EZR können 3 Jahre angesetzt werden. Aus der Kenntnis des Gewinns und mit der Annahme eines Arztlohns wurden für die in der Studie betrachteten Transaktionen der teilnehmenden Zahnärzte „rückwärts“ die dazu schlüssigen EZR berechnet. Dabei ergaben sich EZR von 0,88 bis zu 10,77 Jahre über alle Zahnarztpraxen. Diese breite Spanne belegt ein weiteres Mal, dass die Wertermittlung grundlegend theoretisch hinterfragt werden muss.

     

    In der Studie wurde unter Einbeziehung eines modifizierten Arzt-/Unternehmerlohns versucht, einen grafisch darstellbaren Zusammenhang zwischen dem Ertrag und dem Wert zu identifizieren. Bemerkenswert ist die Erkenntnis, dass es positive Praxiswerte gibt, auch wenn die Erträge kleiner sind als der Arzt-/Unternehmerlohn (das würde im klassischen Verfahren zu negativen Praxiswerten führen). Auch gibt es Hinweise darauf, dass die Wertkurve mit steigenden Erträgen abflacht. Die besten Übereinstimmungen lassen sich dabei mit einem weiter modifizierten AUL nach Sander erzielen [3]. Als Erklärungsmodell kann angenommen werden, dass Praxisübernehmer bei kleinen zu erwartenden Erträgen bereit sind, im Hinblick auf die Zukunft überhöhte Praxispreise zu akzeptieren. Jedenfalls muss diese Erkenntnis zumindest bei der Berechnung des VOW berücksichtigt werden.

    Ausblick

    Durch die Studie ist noch einmal klar geworden, dass es ein einheitliches Verfahren zur Wertbestimmung von Zahnarztpraxen nicht gibt (bzw. nicht geben kann). Für die betroffenen Zahnärztinnen und Zahnärzte sind andere Faktoren wertbeeinflussend als für Sachverständige. Die Dominanz des Einflusses der persönlichen Verhältnisse hat zur Folge, dass der Begriff „Verkehrswert“ für Zahnarztpraxen weiter erörtert werden muss. Das theoretische Modell eines EZR muss ebenso weiter diskutiert werden. Aus Sicht der Verfasser müssen der Reproduktions- und/oder der Verflüchtigungsansatz kritisch infrage gestellt werden. Die Vielfalt der praktisch angewandten EZR sorgt dafür, dass ‒ ebenso wie beim Arzt-/Unternehmerlohn ‒ sehr große Unterschiede bei der Bewertung zweier ansonsten gleicher Praxen auftreten können, was nicht hinreichend begründet werden kann. Trotzdem wurde ein erster Anhaltswert für einen „Ausgangs-EZR“ gefunden.

     

    Weiteführende Hinweise

    • [1] Graeser, Maja (2018) Zur Ermittlung des immateriellen Wertes von Zahnarztpraxen, Dissertation an der Medizinischen Hoch-schule Hannover
    • [2] Sander, TH (2015) Zur Entwicklung des modifizierten Ertragswertverfahrens bei der Bewertung von Arzt- und Zahnarztpraxen, Betriebswirtschaftliche Forschung und Praxis, Heft 3/2015, nwb Verlag
    • [3] Sander, TH (2014) Grundlagen der Praxiswertermittlung, SpringerGabler
    Quelle: ID 48760348