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  • · Fachbeitrag · Patientenkommunikation

    Der Umgang mit aggressiven Patienten in der Zahnarztpraxis

    von Bernd Hein, Fachjournalist Gesundheitswesen, München

    | Die meisten Konflikte mit Patienten lassen sich durch ein Lächeln und freundliche Worte lösen. Sobald jedoch ernsthaftere Probleme auftreten oder eine Situation zu eskalieren droht, reichen die alltäglichen Regeln des zwischenmenschlichen Umgangs häufig nicht mehr aus, um bestehende Differenzen zur gegenseitigen Zufriedenheit beizulegen. In diesen Fällen können die Strategien professioneller Gesprächsführung zur Entspannung beitragen. ZP zeigt Ihnen, wie Sie im Praxisalltag aggressiven Patienten am besten begegnen können. |

    Ursachen für Konflikte

    Mitglieder von Praxisteams sollten sich stets bewusst sein, dass sie den Patienten nicht als Gegenüber auf gleicher Augenhöhe erscheinen, sondern mit der Institution identifiziert werden, für die sie tätig sind. Das heißt, der Patient richtet sein Missfallen über die gesamte Struktur bzw. über die Prozesse, denen er sich ausgeliefert sieht, auf sein jeweiliges Gegenüber ‒ ohne darüber zu reflektieren, dass der Gesprächspartner zwar leicht erreichbar ist, jedoch meist keine Verantwortung für die beanstandeten Gegebenheiten trägt.

     

    Zahnarztbesuche verursachen Stress

    Zahnarztpraxen sind Orte, an denen sich Ängste bündeln. Patienten fühlen sich oft in der Defensive, weil sie z. B. eine Behandlung zu erwarten haben, die mit Schmerzen, vermindertem Wohlbefinden oder anderen unerwünschten Wirkungen einhergeht. Erste Reaktionen der Abwehr treffen häufig direkt das Praxisteam.

     

    Äußere Umstände führen zu Konflikten

    Daneben können Umstände, die weder vom Patienten noch von den Mitarbeitern der Praxis zu beeinflussen sind, immer wieder Konfliktherde schaffen. Dazu zählen vor allem Vorgaben der Gesundheitspolitik, die am Empfang der Praxen umzusetzen sind, z. B. die Maskenpflicht.

     

    Lange Wartezeiten lösen Frustration aus

    Auch das Organisationsgefüge der Praxis selbst kann unangemessene Emotionen wecken. Längere Wartezeiten führen zu Frustration bei den Patienten, vor allem, wenn sie z. B. unter Schmerzen leiden oder aus anderen Gründen die Auffassung hegen, man müsse sich ihrer sofort und unter Umgehung der festgelegten Reihenfolge annehmen.

    Äußere Bedingungen optimieren

    Die erste Maßnahme zur Konfliktvermeidung besteht in der Optimierung der praxisinternen Strukturen. Entwickeln Sie einen Standard zur Begrüßung und Leitung des Patienten durch den Konsultationsprozess. Die wesentlichen Punkte, z. B. das Abfragen der Patientendaten, das Einlesen der Versichertenkarte, die Bereitstellung der Dokumentation oder die Vorbereitung auf die Untersuchung, sollten so aufeinander folgen, dass für den Patienten vom Eintritt in die Praxis bis zum ersten Kontakt mit dem Arzt kaum Leerlauf entsteht. Wenn es gelingt, Wartezeiten möglichst kurz zu halten, ist bereits ein wesentlicher Faktor zur Entspannung der zwischenmenschlichen Stimmung erfüllt.

     

    Darüber hinaus sollten Sie darauf Wert legen, dass den Patienten ein unaufdringliches Beschäftigungsangebot zur Verfügung steht. Jenseits des seit Jahrzehnten überstrapazierten „Lesezirkels“ lassen sich ohne großen Aufwand anspruchsvollere und ansprechendere Ideen umsetzen. Zum Zeitvertreib eignen sich z. B. Spiele besonders gut, mit denen sich eine Person allein beschäftigen kann. Legen Sie doch im Wartezimmer probehalber einmal Sudoku und Kreuzworträtsel oder einen Zauberwürfel und das Legespiel Tangram aus. Auch kostenloses WLAN (ZP 12/2021, Seite 1 und ZP 02/2021, Seite 5) wird heute als besonderer Service wertgeschätzt!

    Allgemeine Konfliktvermeidung

    Zur Beschwichtigung von Aggressionen, die sich in Gesprächen unmittelbar gegen das Praxisteam richten, sollte es eine gemeinsam festgelegte Strategie geben, die zunächst grundsätzlich zur Anwendung kommt. Dabei ist es wichtig, die Balance zwischen einem höflichen und zugewandten Umgangston sowie einer unmissverständlich professionellen Haltung zu wahren, die keinen Zweifel an der Gültigkeit der praxisinternen Bedingungen zulässt. Obwohl unter den einzelnen medizinischen Disziplinen große Unterschiede in der Stimmung sowie den Reaktionen der Patienten bestehen, können folgende allgemeine Regeln hilfreich sein:

     

    • Beobachten Sie fortlaufend die Stimmung der eintreffenden bzw. anwesenden Patienten, um schon den Beginn von Unzufriedenheit und/oder Aggression bemerken zu können. Ggf. sollten Sie durch eine Nachfrage oder ein Angebot den Druck aus der sich zuspitzenden Situation nehmen.
    • Lassen Sie Patienten immer ausreden.
    • Wenn der Patient die Lautstärke der Stimme erhöht, weisen Sie ihn darauf hin, dass sich andere Menschen in der unmittelbaren Umgebung befinden, die nicht belästigt werden sollten und dass man das Problem sicher in einem ruhigen Gespräch besser lösen könne.
    • Bitten Sie Patienten, Äußerungen zu wiederholen. Dies setzt oft ein Nachdenken und damit eine Abschwächung der vorgebrachten Bemerkungen in Gang.
    • Lassen Sie vor der Antwort bewusst einige Sekunden verstreichen, um die eigenen Emotionen in den Griff zu bekommen und auf eine sachliche Ebene zurückzufinden.
    • Beziehen Sie Aggressionen nicht auf sich, selbst wenn sie persönlich beleidigende Aussagen enthalten (z. B. Bemerkungen über das Aussehen).
    • Signalisieren Sie Verständnis. Fordern Sie dieses aber auch ein, z. B. durch Hinweise auf die begrenzten eigenen Handlungsspielräume.
    • Bieten Sie Kompromisse an, sofern der Praxisbetrieb dies zulässt.

     

    • Beleidigungen nicht stehen lassen und Hausrecht nutzen

    Mitarbeiter von Praxisteams sollten sich unter keinen Umständen beleidigen lassen, ohne klar darauf hinzuweisen, dass dieser Umgangston nicht geduldet wird. In extremen Fällen kann der Inhaber der Praxis als Hausherr von seinem Recht Gebrauch machen, einen Besucher aus den Räumen zu verweisen.

     

    Deeskalierend wirkende Gesprächstechniken

    In der Psychologie wurden zahlreiche Gesprächstechniken entwickelt, die sich zum Konfliktmanagement eignen. Da die darin propagierten Verhaltensmuster nicht selten stark von den alltäglichen Gewohnheiten abweichen, fühlen sich viele Anwender bei der Umsetzung zunächst sehr unwohl. Sie empfinden die Ratschläge als Aufforderung zur Schauspielerei und glauben, dass Sie nicht in der Lage sind, anders zu reden, als es ihrem Selbstbild entspricht. Diese Vorbehalte sind verständlich, beruhen jedoch auf einem Missverständnis: Es geht gar nicht um die Forderung, ein automatisiertes und persönlichkeitsfremdes Verhalten anzunehmen, sondern vielmehr um die Fähigkeit, Kommunikationsprozesse zu durchschauen. Wer versteht, welche Reaktionen und Gegenreaktionen durch Sprache zu erzeugen sind, wird zwangsläufig sein Verhalten auf diesen Erkenntnissen aufbauen. Besonders geeignet sind die Grundregeln der gewaltfreien Kommunikation nach Marshall B. Rosenberg. Er schlägt vor, verbale Konflikte in vier Stufen einzuteilen.

     

    • Die vier Stufen der gewaltfreien Kommunikation
    • Stufe 1: Beobachtung. Dieser Schritt erfordert eine möglichst wertfreie Analyse der aufgetretenen Dissonanzen: Welcher Umstand hat zu dem Konflikt geführt? Dabei sollte nicht nach der auslösenden Person im Sinne einer Schuldzuweisung gefragt werden. Im Mittelpunkt der Betrachtung steht vielmehr das Thema, das zum Konflikt führte: „Sie mussten sehr lange warten, oder?“
    • Stufe 2: Gefühl. Hierbei geht es um die Klärung der Gefühle, die eine Situation ausgelöst hat. Die korrekte Benennung der Gefühle eröffnet die Möglichkeit, Emotionen vom Sachthema zu trennen und sich dann unbeschwerter einer Lösung zuzuwenden: „Die lange Wartezeit hat Sie wütend gemacht. Verstehe ich das richtig?“
    • Stufe 3: Bedürfnis. Bei Konflikten hat mindestens einer der Partner das Gefühl, seine Bedürfnisse seien missachtet worden. Wenn es klar ist, welches dieser Bedürfnisse verletzt worden ist, kann eine Kompensation gelingen: „Sie haben das Gefühl, dass wir Sie übersehen und andere Patienten bevorzugt haben?“
    • Stufe 4: Handlung. Der Konflikt soll nicht ergebnislos versanden, sondern in einen konstruktiven Prozess münden ‒ selbst wenn er zu Beginn mit unfairen Mitteln geführt worden ist. Deshalb schließt sich an die ersten drei Schritte eine Zielvereinbarung an. Sie kann als Wunsch oder Bitte formuliert sein und sollte den Bedürfnissen beider Konfliktparteien entsprechen. Je konkreter sie gefasst ist, desto größer ist die Chance, dass sie befriedigend und dauerhaft umgesetzt werden kann: „Beim nächsten Termin kommen Sie bitte sofort zu mir, wenn Sie das Gefühl haben, dass andere Patienten bevorzugt werden.“
     

     

    PRAXISTIPP | Um einem Konfliktgespräch mit Patienten eine konstruktive Wendung zu geben, sollte sich der stärkere Kommunikationspartner (meist also Sie, da Sie lediglich auf professioneller Ebene an dem Konflikt beteiligt sind) bemühen, Anschuldigungen zu unterlassen. Das gelingt am besten durch eine rhetorische Strategie, die als „Ich-Botschaft“ bezeichnet wird. Damit beschreibt der Sprechende seine eigene Einstellung, seine Gefühle und seine Wünsche, ohne dem anderen eine Wertung überzustülpen.

     
    Quelle: Ausgabe 05 / 2022 | Seite 10 | ID 48155528