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  • · Gesetzgebung

    Endlich Rechtssicherheit: Neues Gesetz erlaubt es Zahnärzten, bei Kindeswohlgefährdungen das Jugendamt zu informieren

    Bild: ©srisakorn - stock.adobe.com

    | Zahnärztinnen und Zahnärzten kommt eine entscheidende Rolle beim Erkennen häuslicher Gewalt zu, denn Verletzungen im Bereich von Mund, Kiefer und Gesicht gehören zu den häufigsten Folgen häuslicher Gewalt. Auch Vernachlässigung und eine Kindeswohlgefährdung lassen sich häufig im Mundbereich, z. B. am Mundhygienezustand, ablesen. Zahnarztpraxen werden oft als erste aufgesucht, weil Schäden im Kiefer- und Zahnbereich häufig unbehandelt nicht ausheilen. Deshalb begrüßt die Bundeszahnärztekammer (BZÄK) das heute verabschiedete „Gesetz zur Stärkung von Kindern und Jugendlichen (Kinder- und Jugendstärkungsgesetz, KJSG)“, das nun die Rolle der Zahnmedizin deutlich herausstellt. |

    Rechtssicherheit für alle Praxen

    Das KJSG soll die mit dem Bundeskinderschutzgesetz (BKiSchG) von 2012 geschaffenen rechtlichen Grundlagen zur Abwehr von Kindeswohlgefährdungen weiterentwickeln. Kern des BKiSchG ist das durch Artikel 1 neu geschaffene Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz (KKG). Mit dem KKG wurde Ärztinnen und Ärzten als Berufsgeheimnisträgern die Möglichkeit eingeräumt, bei gewichtigen Anhaltspunkten für eine Kindeswohlgefährdung unter bestimmten Voraussetzungen das Jugendamt zu informieren und diesem die für ein Tätigwerden erforderlichen Daten mitzuteilen. „Ab heute werden auch die Zahnärztinnen und Zahnärzte hinsichtlich der Meldebefugnisse berücksichtigt und können das Jugendamt einschalten, wenn ihnen Anhaltspunkte für die Gefährdung des Wohls eines Kindes oder eines Jugendlichen vorliegen“, so BZÄK-Vizepräsident Prof. Dr. Dietmar Oesterreich. § 4 Absatz 1 KKG wird wie folgt geändert: nach den Wörtern „Ärztinnen oder Ärzten“ werden die Wörter „Zahnärztinnen oder Zahnärzten“ eingefügt.

     

    „Die BZÄK hatte dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend die Bedeutung der Zahnmedizin in diesem Bereich und die bereits bestehenden Strukturen dargelegt. Denn der Zahnärzteschaft kommt eine entscheidende Rolle beim Erkennen, Dokumentieren und Melden von Anhaltspunkten für eine Vernachlässigung bzw. Kindeswohlgefährdung als auch von häuslicher Gewalt zu. Und: Die Zahnärzteschaft ist auf diesem Gebiet bereits seit Jahren aktiv. Es freut uns, dass diese Argumente angenommen wurden. Damit besteht Rechtssicherheit für alle Praxen.“

     

    Die Bundeszahnärztekammer informiert auf ihrer Website Praxen über den Umgang mit Opfern häuslicher Gewalt. Neben Hinweisen zum Umgang mit betroffenen Patienten sind auch juristische Einordnungen und verschiedene Unterlagen, die Dokumentation betreffend, (z.B. ein Dokumentationsbogen und ein Ablaufdiagramm für die Zahnarztpraxis) dort eingestellt.

    Hintergrund

    (Zahn-)Ärzte, die im Rahmen des Arzt-Patienten-Verhältnisses von Kindesmisshandlungen erfahren haben, standen oft vor der schwierigen Wahl, entweder zu schweigen oder die Behörden zu unterrichten. So konnten sie unter Umständen weiteren Schaden abwenden, mussten aber die ihnen auferlegte Schweigepflicht brechen und liefen so Gefahr, sich wegen Verletzung des Berufsgeheimnisses strafbar zu machen. Seit 01.01.2012 gilt das Gesetz zur Kooperation und Information im Kinderschutz (KKG), dessen § 4 Absatz 1 nun geändert wurde: nach den Wörtern „Ärztinnen oder Ärzten“ werden die Wörter „Zahnärztinnen oder Zahnärzten“ eingefügt. Die Vorschrift schützt nun auch Zahnärzte besser vor einer Strafverfolgung wegen Verletzung von Berufsgeheimnissen.

     

    Vor 2012 konnten sich (Zahn-)Ärzte bei der Information des Behörden lediglich auf zwei Rechtfertigungsgründe berufen, nämlich entweder auf die einzuholende Zustimmung bzw. Einwilligung des Kindes selbst (bzw. seiner Eltern) oder auf eine sog. Nothilfe gemäß § 34 StGB.

     

    § 4 KKG erlaubt die Weitergabe von Informationen an das Jugendamt sowohl bei einer tatsächlichen Gefährdung als auch bei einer zwar nicht existenten, jedoch wegen gewichtiger, für eine Gefährdung sprechender Anhaltspunkte irrtümlich angenommen Gefahr. Die „Gefährdung“, erfasst eine Zeitspanne von ein paar Monaten.

     

    Die alte Rechtslage sah als Voraussetzung eine „gegenwärtige Gefahr“ in einem Zeitrahmen von drei Tagen vor. Es mussten komplizierte gefahrenabwehrende familienrechtliche oder behördliche Maßnahmen nach den §§ 1666, 1684 BGB, § 8 a SGB VIII ergriffen werden.

     

    Im Gegensatz zu § 34 StGB muss der (Zahn-)Arzt nun auch keine Abwägung der widerstreitenden Interessen, also zwischen dem Datenschutz und den Gesundheitsinteressen des Kindes vornehmen. Im Falle von § 4 KKG hat das Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit stets Vorrang. Der (Zahn-)Arzt muss also nur prüfen, ob gewichtige Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung vorliegen. Eine weitere Erleichterung wurde bereits 2012 mit § 4 Abs. 2 KKG eingeführt: Der (Zahn-)Arzt kann sich beim Träger der öffentlichen Jugendhilfe an eine Fachkraft „zur Einschätzung der Kindeswohlgefährdung“ wenden und dorthin die erforderlichen Daten pseudonymisiert übermitteln.

     

    Merke | § 34 StGB bzw. § 4 KKG

    • normieren lediglich das Recht, die Verschwiegenheit zu brechen, keinesfalls die Pflicht.
    • gelten nur für zukünftige Kindeswohlgefährdungen. Sofern ein (Zahn-)Arzt einen misshandelten Patienten behandelt, dem eine Körperverletzung zugefügt worden ist, und er keine Anhaltspunkte für eine zukünftige Gefährdung hat, muss er weiterhin schweigen. Ansonsten kann er sich nach § 203 Abs. 1 StGB strafbar machen.

    Pflichtenkatalog

    Zwar erleichtert § 4 KKG dem (Zahn-)Arzt die Entscheidung, Daten an das Jugendamt weiterzuleiten, allerdings wird ihm auch ein weiter Pflichtenkatalog auferlegt, den dieser abzuarbeiten und insbesondere sorgfältig zu dokumentieren hat:

     

    • Der (Zahn-)Arzt muss die Sachlage vor der Mitteilung mit dem Kind und mit den Personensorgeberechtigten erörtern (§ 4 Abs. 1 KKG). Dies gilt jedenfalls dann, sofern es für den (Zahn-)Arzt tatsächlich zumutbar ist, die Personensorgeberechtigten und das Kind zu einem (separaten) Gespräch zu bitten. Lediglich dann, wenn die Eltern nicht erreichbar sind (Auslandsaufenthalt etc.), kann hiervon abgesehen werden. Der (Zahn-)Arzt muss daher mindestens einen Gesprächstermin bzw. die telefonische Rückrufmöglichkeit anbieten und dokumentieren.
    • Der (Zahn-)Arzt soll die Sorgeberechtigten auf die Inanspruchnahme von Hilfe (klassischerweise durch das Jugendamt) hinweisen und mit diesen mögliche Unterstützungsmaßnahmen besprechen. Die bloße Aushändigung eines Informationsblatts genügt nicht.
    • Der (Zahn-)Arzt muss ausdrücklich feststellen, dass das Erörterungs- und Hilfehinwirkungsgespräch erfolglos war und daher nur die Information an das Jugendamt als Abwendung der Gefahr bzw. Gefährdung bleibt.
    • Der (Zahn-)Arzt muss das Tätigwerden des Jugendamts für erforderlich halten, um die Gefährdung des Wohls des Minderjährigen abzuwenden, § 4 Abs. 3 S. 1 KKG.
    • Der (Zahn-)Arzt muss die Betroffenen, d. h., den Minderjährigen sowie die Sorgeberechtigten, vorab darauf hinweisen, dass er dazu befugt ist, das Jugendamt über die Situation zu informieren. Nur wenn dieser Hinweis kontraproduktiv wäre, darf der Arzt hiervon absehen (etwa wenn die Gefährdung von den Eltern selbst ausgeht).

    Fazit

    § 4 KKG erlaubt die Datenweitergabe an das Jugendamt sowohl bei einer tatsächlichen Gefährdung als auch bei einer zwar nicht existenten, jedoch wegen gewichtiger ‒ für eine Gefährdung sprechender ‒ Anhaltspunkte angenommenen Gefahr. § 4 KKG erweitert damit den Aktionsradius des (Zahn-)Arztes, aber durch den Pflichtenkatalog auch seine Dokumentationspflicht.

    Quelle: ID 47393239