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  • · Interview

    „Nachhaltigkeit in der Zahnarztpraxis ist inzwischen ein Marketingargument!“

    Bild: © Wim Lanclus - fotolia.de

    | In den USA wird der Begriff Green Dentistry bereits synonym zu High-Tech Dentistry verwendet. Nicht nur die Umwelt profitiert vom Ansatz der Nachhaltigkeit, sondern auch die Zahnarztpraxis und ihre Patienten. Auch in Deutschland bewegt sich was. Das Studierendenparlament des Freien Verbands Deutscher Zahnärzte e. V. plädiert für Green Dentistry For Future . Es müssten Anreize für Zahnarztpraxen geschaffen werden, um nachhaltig zu handeln und zu be handeln. Einige Praxen machen bereits gute Erfahrungen mit dem ökologisch nachhaltigen Ansatz. Dr. MSc. Christian Hartwig, Inhaber einer Zahnarztpraxis im brandenburgischen Rheinsberg, gehört dazu. Im Gespräch mit Ursula Katthöfer ( textwiese.com ) schildert er, dass die erste Idee zu mehr Nachhaltigkeit nicht immer die beste sein muss. |

     

    Frage: Was hat Sie dazu bewogen, in Ihrer Praxis umweltbewusster und ressourcenschonender zu arbeiten?

     

    Antwort: Die Müllberge gaben den Ausschlag. Wir hatten als relativ kleine Praxis täglich säckeweise Müll mit Einwegprodukten wie Mundschutze, Handschuhe, Servietten und Becher. Vieles wird in Fernost hergestellt, hat lange Transportwege und keine gute Qualität. Das wollten wir ändern.

     

    Frage: Welche Becher nutzen Sie jetzt?

     

    Antwort:

    Wir benutzen Edelstahlbecher, sie gehen nicht so schnell kaputt wie Glas und können in den Thermodesinfektor oder Steri. Falls die Becher in der Spülmaschine gereinigt werden, sollte man mit dem Salz sparsam sein, weil sie sonst Flugrost ansetzen. Man muss da etwas experimentieren.

     

    Frage: Welche Einwegartikel lassen sich nicht oder schwer durch Mehrwegprodukte ersetzen?

     

    Antwort: Zum Beispiel die kleinen Speichelzieher. Diese gibt es auch aus Edelstahl, wie sie in der Chirurgie verwendet werden. Sie sind aber sehr aufwendig zu reinigen. Mit einem größeren Durchlauf in der Praxis ist die aufwendige Reinigung nicht praktikabel. Um auf Kunststoff zu verzichten, könnten wir Speichelzieher aus Papier nehmen. Doch deren Umweltbilanz ist nicht wirklich besser.

     

    Handschuhe sind ebenfalls ein Thema. Wir nehmen Einmalhandschuhe aus Nitril als Alternative zu Latex/Kautschuk. Denn ähnlich wie beim Palmöl werden Wälder für Kautschukplantagen gerodet ‒ von den Arbeitsbedingungen auf den Plantagen mal ganz abgesehen. Das möchten wir nicht unterstützen. Nachhaltigkeit hat auch immer einen sozialen Aspekt.

     

    Frage: Sie nutzen Servietten und Toilettenpapier, dessen Zellulosefasern aus recycelten Getränkekartons stammen. Welche Erfahrungen machen Sie damit?

     

    Antwort: Sehr positive! Leider ist das Papier nicht so flauschig. Die Patientenservietten sind ohne Plastikfolie und somit durchlässig. Da muss man etwas vorsichtiger sein, dass man die Kleidung nicht ruiniert.

     

    Frage: Welche Rolle spielt der Oralscan, also die digitale Abformung?

     

    Antwort:

    Die Nachhaltigkeit war nicht das ausschlaggebende Argument für diese Investition. Ich finde die Technik cool und die vielen Möglichkeiten, die diese bietet. Man kann sauber arbeiten und Daten einfach speichern und versenden. Auch die Patienten profitieren, denn vielen ist die „normale“ Abformung ein Gräuel. Zudem sparen wir Zeit, Kosten für Material, Entsorgung und Transport. Gleiches gilt auch für das Labor. Grünes Arbeiten ist also auch wirtschaftlich sinnvoll. Übrigens röntgen wir auch digital.

     

    Frage: Wie gelingt es, das Praxisteam z. B. bei der Reduzierung des Materialverbrauchs mitzunehmen?

     

    Antwort:

    Wichtig ist, dem Team zu erklären, warum wir grün handeln. Dann kann es diese Haltung auch nach außen verkörpern. Man muss als Chef mit gutem Beispiel vorangehen: Wenn bei einer Behandlung mehrfach das Behandlungszimmer verlassen wird, weil z. B. Dinge fehlen, und dann neue Handschuhe angezogen werden müssen, ist das natürlich ungünstig. Auch beim Material gilt das Lean-&-Clean-Prinzip. Das spart Geld und schont die Umwelt.

     

    Frage: Messen die Patienten Ihre Praxis denn an der nachhaltigen Ausrichtung?

     

    Antwort:

    Das ist schwer zu sagen. Es gibt jedenfalls viel positives Feedback und es entstehen Synergieeffekte wie das Beispiel des Oralscanners zeigt. Zudem ist Nachhaltigkeit inzwischen ein Marketingargument. Green Dentistry zieht ein Publikum an, das auch bereit ist, dafür Zusatzkosten zu übernehmen.

     

    Frage: Was könnte für andere Praxen ein Anreiz sein, grüner zu handeln?

     

    Antwort:

    Wenn Zahnärzte nicht persönlich von mehr Nachhaltigkeit überzeugt sind, bringen Bonusprogramme wenig. Finanzielle Anreize von den Herstellern und z. B. der KfW für die Digitalisierung gibt es ja, aber dennoch sind die Kosten oft extrem hoch. Wie immer beginnt es bei den kleinen Dingen und einem generellen Umdenken. Ich habe das Gefühl, dass es in vielen Bereichen so langsam ins Rollen kommt.

    Quelle: Ausgabe 02 / 2021 | Seite 3 | ID 47059229