11.11.2014 · IWW-Abrufnummer 143221
Oberlandesgericht Hamm: Urteil vom 12.09.2014 – 26 U 56/13
Abstehende Kronenränder (eine Stufe zwischen den natürlichen Zähnen und der künstlichen Krone) entsprechen nicht dem zahnärztlichen Standard. Ein Zahnarzt handelt grob behandlungsfehlerhaft, wenn er einen Patienten ohne ausdrücklichen Hinweis darauf entlässt, dass eine von ihm eingegliederte Brücke nachbesserungsbedürftig ist.
Oberlandesgericht Hamm
26 U 56/13
Tenor:
Auf die Berufung des Beklagten wird das am 12. Februar 2013 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld abgeändert.
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kl äger 1.000 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26. Oktober 2010 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten der ersten Instanz tragen der Kläger zu 5/6 und der Beklagte zu 1/6. Die Kosten der zweiten Instanz tragen der Kläger zu 2/3 und der Beklagte zu 1/3.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Parteien streiten um Schmerzensgeldansprüche aus einer fehlerhaften zahnärztlichen Behandlung.
Der Kläger ließ sich vom Beklagten im Dezember 2007 im Oberkiefer mit einer Brücke versorgen. Die Eingliederung des Zahnersatzes erfolgte am 18.12.2007. Am 16.1.2008 wurde noch eine Schiene eingesetzt. Danach suchte der Kläger die Praxis des Beklagten erst wieder am 16.12.2008 auf und wies auf Beschwerden wegen der Brückenkonstruktion hin. Am 28.5.2009 erschien der Kläger erneut in der Praxis und erklärte, dass er sich nicht mehr von dem Beklagten behandeln lassen wolle. Dieser fertigte am 4.6.2009 noch eine Röntgenaufnahme der Zähne und einen Abdruck des Oberkiefers an und stimmte im Übrigen schriftlich einer Beendigung der Behandlung zu. Der Kläger ließ sodann einen neuen Zahnersatz durch einen anderen Zahnarzt anfertigen. Im Auftrag der Krankenkasse erstellte der Zahnarzt Dr. T ein Gutachten an, in dem es heißt, dass die Kronen 12, 14 und 16 zum Teil stark stehende Kronenränder aufweisen. Der Zahnersatz sei dringend zu erneuern.
Der Kläger hat ein Schmerzensgeld i.H.v. 6000 € mit der Begründung geltend gemacht, die zahnprothetische Versorgung sei wegen fehlerhaft gestalteter Kronenränder mangelhaft. Es sei nicht zumutbar gewesen, dem Beklagten eine weitere Nachbesserung des Zahnersatzes zu ermöglichen.
Das Landgericht hat sachverständig beraten den Beklagten unter Abweisung der Klage im Übrigen verurteilt, an den Kläger 3.000 EUR nebst Zinsen zu zahlen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dem Kläger stehe aufgrund eines ärztlichen Behandlungsfehlers ein Schmerzensgeld in der ausgeurteilten Höhe zu. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei davon auszugehen, dass die Kronenränder der prothetischen Versorgung grob behandlungsfehlerhaft gestaltet worden seien. Der Sachverständige habe überzeugend ausgeführt, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen sei, dass die vom Kläger geäußerten Beschwerden auf den fehlerhaft gestalteten Zahnersatz zurückzuführen seien. Nach Auffassung der Kammer sei ein Schmerzensgeld i.H.v. 3000 EUR angemessen.
Hiergegen richtet sich die zulässige Berufung des Beklagten, der sein erstinstanzliches Begehren auf Klageabweisung weiterverfolgt. Zur Begründung trägt er vor, das Landgericht habe fehlerhaft angenommen, er hätte die auf dem Röntgenbild sichtbare Stufenbildung vor Eingliederung des Zahnersatzes erkennen können. Da der Sachverständige die nicht mehr vorhandene Brücke nicht klinisch habe beurteilen können, sei er aber lediglich davon ausgegangen, dass der Beklagte die Stufe in jedem Fall hätte erkennen können. Die Schlussfolgerung, es habe sich dabei um einen groben Behandlungsfehler gehandelt, sei nicht gerechtfertigt. Der Schaden sei fehlerhaft vom Gericht bemessen worden. Feststellungen dazu, wo Entzündungen vorhanden gewesen seien, habe der Sachverständige nicht getroffen. Selbst wenn Entzündungen vorgelegen haben sollten, stehe nicht fest, dass diese auf die abstehenden Kronenränder zurückzuführen gewesen seien. Hätte der Kläger tatsächlich deswegen Schmerzen gehabt, hätte er den Beklagten sicherlich früher aufgesucht.
Der Beklagte beantragt abändernd,
die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt die landgerichtliche Entscheidung.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Der Senat hat die Parteien persönlich gem. § 141 ZPO angehört. Der Sachverständige hat sein Gutachten erneut mündlich erläutert und ergänzt. Wegen des Ergebnisses der Anhörung und Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 12.09.2014 nebst Berichterstattervermerk Bezug genommen.
II.
Die zulässige Berufung des Klägers ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
Der Kläger hat gem. §§ 611, 280, 823, 253 Abs. 2 BGB gegen den Kläger einen Anspruch auf Schmerzensgeld wegen einer fehlerhaften zahnärztlichen Behandlung in Höhe von 1.000 EUR.
Der Beklagte hat den Kläger bei der Anfertigung der zahnprothetischen Versorgung fehlerhaft behandelt. Der Senat folgt der Beurteilung durch den Sachverständigen, der nachvollziehbar dargelegt hat, dass die Brückenkonstruktion mangelhaft gewesen sei, ohne dass der Beklagten den Kläger darauf hingewiesen und zur Nachbehandlung in seine Praxis wieder einbestellt hat.
Der Sachverständige hat bereits in seinem schriftlichen Gutachten festgestellt, dass die von dem Beklagten gefertigte Brücke nicht den normalen Qualitätsanforderungen entsprach und zu erneuern gewesen ist. Zu bemängeln sei nach den gutachterlichen Ausführungen, dass die Kronenränder aufgrund von Ungenauigkeiten bei der Herstellung zu weit abstehen. Abstehende Kronenränder seien auf den vorhandenen Röntgenbildern an den Zähnen 16, 15, 14, 13 und 12 zu sehen. Die Stufe zwischen den natürlichen Zähnen und der künstlichen Krone sei für den Behandler vor der Eingliederung der prothetischen Versorgung erkennbar gewesen. Die gleichwohl vorgenommene Eingliederung entspreche nicht dem zahnärztlichen Standard. Demgegenüber könne dem Beklagten aber nicht angelastet werden, dass sich an dem Zahn 12 auch noch Reste von Klebstoff befunden haben, da nicht auszuschließen sei, dass diese von einer nachträglichen Behandlung stammen.
Die gegen diese Feststellungen vorgebrachten Einwendungen des Beklagten sind unbegründet. Es kommt nicht darauf an, dass der Sachverständige bei der Begutachtung nicht die Originalbrücke klinisch beurteilen konnte, sondern allein auf die vorliegenden Röntgenbilder angewiesen war. Der Senat folgt insoweit den Ausführungen des Sachverständigen, die dieser im Rahmen der mündlichen Erläuterung seines Gutachtens im Senatstermin gemacht hat. Der Sachverständige hat dazu erklärt, dass eine Beurteilung allein anhand der Röntgenbilder sicher möglich sei, weil die abstehenden Kronenränder darauf zweifelsfrei erkennbar gewesen seien. Eine zwischenzeitliche Veränderung der Kronenränder bis zur Anfertigung der Röntgenbilder sei, so der Sachverständige, technisch nicht möglich. Im Übrigen spricht für die Richtigkeit dieser Beurteilung, dass der von der Krankenkasse beauftragte Gutachter Dr. T aufgrund der seinerzeit noch möglichen klinischen Untersuchung den gleichen Befund erhoben hatte.
Der Beklagte kann sich nicht darauf berufen, dass ihm keine ausreichende Möglichkeit für die Nachbesserung des Zahnersatzes gegeben worden sei, weil der Kläger sich erst wieder Ende des Jahres 2008 in seiner Praxis vorgestellt habe. Zwar kam nach der Einschätzung des Sachverständigen die Nachbesserung der Brückenkonstruktion durchaus in Betracht, so dass der Beklagte den fehlerhaften Kronenrand hätte noch korrigieren oder ggf. auch eine Neuherstellung durchführen können. Der Senat ist jedoch der Auffassung, dass der Beklagte den Kläger ausdrücklich darauf hätte hinweisen müssen, dass die Arbeiten zur prothetischen Versorgung noch nicht abgeschlossen waren. Wie der Sachverständige nachvollziehbar erklärt hat, waren die abstehenden Kronenränder für den Beklagten bei der Vornahme der Eingliederung erkennbar. Dann hätte er den Kläger alsbald wieder einbestellen müssen, um diesen Mangel zu beseitigen. Darauf, dass der Kläger ihn selbständig wieder aufsuchen würde, konnte und durfte sich der Beklagte nicht verlassen. Die Vorgehensweise des Beklagten im Streitfall hält der Senat deshalb für grob fehlerhaft. Dies entspricht auch der Einschätzung des Sachverständigen, der eine Entlassung eines Patienten ohne den ausdrücklichen Hinweis auf die Notwendigkeit der Nachbesserung des Zahnersatzes für medizinisch nicht in Ordnung gehalten hat.
Die fehlerhafte Behandlung hat zu einer Gesundheitsbeeinträchtigung bei dem Kläger geführt. Der Kläger hat angegeben, er habe Schmerzen und Beeinträchtigungen beim Essen und Trinken gehabt. Diese Beschwerden sind nach den Ausführungen des Sachverständigen im schriftlichen Gutachten als glaubhaft anzusehen. Wie der Sachverständige ausgeführt hat, sei mit hoher Wahrscheinlichkeit zu vermuten und zahnmedizinisch plausibel, dass die Brücke die geäußerten Beschwerden verursacht habe. Im Rahmen der mündlichen Erl äuterung hat der Sachverständige im Senatstermin darauf hingewiesen, dass der abstehende Kronenrand dazu führe, dass das Zahnfleisch gegen die Kante des Zahnersatzes stoße, was Reizungen, Blutungen, Rötungen und Schwellungen hervorrufe. Daraus ergibt sich nach den Feststellungen im Sachverständigengutachten zwangsläufig die Unfähigkeit schmerzfrei und kräftig zuzubeißen.
Es ist auch davon auszugehen, dass durch den Behandlungsfehler kurzfristig Entzündungen im Mundraum aufgetreten sind. Der Sachverständige hat dazu bereits im Kammertermin beim Landgericht ausgeführt, dass die Beschwerden des Klägers darauf zurückzuführen seien, dass es wegen der Stufenbildung zu einer Reizung und sich daran anschließenden Entzündung gekommen ist. Zwar könne die Entzündung auch auf mangelnder Mundhygiene oder einer Paradontitis beruhen. Die Paradontitis werde aber durch die fehlerhaft ausgebildeten Kronenränder begünstigt. Bei dieser Einschätzung ist der Sachverständige auch im Rahmen der mündlichen Erläuterung seines Gutachtens geblieben. Soweit der Sachverständige zugleich darauf hingewiesen hat, dass eine lokale Entzündung wohl nicht durch die fehlerhafte Brücke, sondern durch den angehängten Zahn verursacht worden sein könne, führt dies nicht zu einer anderen rechtlichen Beurteilung. Da dem Beklagten ein grober Behandlungsfehler vorzuwerfen ist, obliegt es ihm, sich diesbezüglich zu entlasten.
Der Senat hält ein Schmerzensgeld in Höhe von 1.000 EUR für angemessen. Bei der Bemessung ist maßgeblich darauf abzustellen, dass der Kläger unangenehme Beeinträchtigungen beim Essen gehabt hat, weil er nicht schmerzfrei hat kräftig zubeißen können. Hinzu kommen die durch die Entzündung hervorgerufenen Schmerzen, Rötungen, Reizungen und Schwellungen, die behandelt werden mussten. Schließlich sind die Unannehmlichkeiten im Zusammenhang mit der Anfertigung der prothetischen Versorgung zu berücksichtigen. Andererseits ist nach Auffassung des Senats keinesfalls ein höheres Schmerzensgeld gerechtfertigt. Nach Einschätzung des Sachverständigen ist nicht davon auszugehen, dass die Beschwerden dazu geführt haben, dass die Nachtruhe des Klägers gestört war. Weiterhin spricht gegen das Vorhandensein besonders starker Schmerzen der Umstand, dass der Kläger erst ca. ein Jahr nach der Versorgung sich erneut beim Beklagten wieder vorgestellt hat. Wären die Schmerzen heftiger oder gar unerträglich gewesen, hätte der Kläger den Beklagten sicherlich schon früher wieder aufgesucht. Schließlich ist nicht anzunehmen, dass der Kläger dauerhaft unter Schmerzen gelitten hat. Der Sachverständige hat es für möglich gehalten, dass die Schmerzen wellenförmig aufgetreten sind und der Kläger die Beeinträchtigungen zeitweise nicht als schmerzhaft empfunden hat.
Der Zinsanspruch ist aus §§ 291, 288 BGB begründet.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92, 97 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern, § 543 Abs. 2 ZPO. Die für die Entscheidung maßgeblichen Rechtsfragen sind solche des Einzelfalls.