11.08.2023 · IWW-Abrufnummer 236811
Finanzgericht Münster: Urteil vom 13.06.2023 – 2 K 1045/22 E
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Finanzgericht Münster
Tenor:
Der Einkommensteuerbescheid 2019 vom 20.10.2021 in Form des Änderungsbescheides vom 30.11.2022 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28.03.2022 wird dahingehend geändert, dass die Aufwendungen für Heileurythmie i.H.v. 360€ als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt werden;
im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Berechnung der festzusetzenden Steuer wird dem Beklagten übertragen.
Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
1
Die Beteiligten streiten über die Berücksichtigung von Aufwendungen für den Besuch des staatlich anerkannten privaten Internatsgymnasiums U KG (U) und Aufwendungen für Heileurythmie als Krankheitskosten bei den außergewöhnlichen Belastungen (agB) i.S.d. § 33 Einkommensteuergesetz (EStG) bei der Einkommensteuer 2018 und 2019 (Streitjahre).2
Die Kläger sind verheiratet und Eltern von drei Kindern, N, T und V .3
Nach den Ausführungen der Kläger litt N vor ihrem Internatsbesuch an einer schweren und zunehmend psychisch-somatischen Erkrankung, in deren Rahmen sie multipel somatisch, psychotherapeutisch, kinder- und jugendpsychiatrisch untersucht und therapiert wurde; auf Anraten des Kinder- und Jugendpsychiaters wurde eine Intelligenztestung durchgeführt und hierbei eine explizite Hochbegabung festgestellt; auf Empfehlung des N behandelnden Therapeuten wurde schließlich Kontakt mit U aufgenommen.4
Am 23.08.2018 wurde N ausweislich des Schreibens („Stellungnahme zur Notwendigkeit einer Beschulung im U “) des Amtsärztlichen Dienstes des Kreises … vom 24.08.2018 amtsärztlich untersucht. Die Amtsärztin traf dabei folgende Feststellungen: N hat eine besondere Lernbegabung, das Gesamtergebnis einer erfolgten IQ-Testung liegt im Bereich einer sehr hohen Intelligenz. Die außerordentlichen intellektuellen Fähigkeiten erhielten in der Schule keine entsprechende Förderung. Durch die ständige schulische Unterforderung traten behandlungsbedürftige psychosomatische Beschwerden auf, die sich innerhalb eines Jahres zu einem Besorgnis erregenden gesundheitlichen Gesamtzustand entwickelten. Diese Beschwerden stehen im direkten Zusammenhang zur besonderen Lernbegabung. Es ist daher dringend erforderlich, an eine Schule mit individuellen, an die Hochbegabung angepassten Fördermöglichkeiten zu wechseln. Dies stellt eine adäquate Behandlung der vorliegenden Beschwerden dar. U bietet mit dem speziellen Angebot eine hervorragende Lernumgebung und die Möglichkeit zur gesundheitlichen Stabilisierung. Daher ist der Besuch des U aus gesundheitlichen Gründen amtsärztlicherseits dringend zu befürworten.5
Seit September 2018 besuchte N auf Grundlage des Schul- und Internatsvertrages vom 28.08.2018 das U. Ausweislich § 1 des Vertrages, auf den wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen wird, schuldete U folgende Leistungen: Unterricht in Klassen von höchstens zwölf Schülern in allgemeinbildenden Fächern des Gymnasiums (…), umfangreiches Freizeitprogramm (Projekte), Erziehung und Betreuung durch Internatsmentoren bzw. ‒lehrer, Unterbringung in modern ausgestatteten Zimmern (Einzel- oder Doppelzimmer), Verpflegung durch die Internatsküche, Bereitstellung der Sport- und Freizeitanlagen zur freien Nutzung im Rahmen der Schul- und Internatsordnung.6
U ist ein staatlich anerkanntes Gymnasium mit Internat. Ausweislich des Internetauftritts von U würden die Schülerinnen und Schüler (SuS) in Klassen mit höchstens zwölf eine leistungsorientierte Förderung erhalten, nach nur zwölf Schuljahren ein Abitur auf hohem Niveau erwerben, Erfahrungen im Ausland sammeln, sich im Team engagieren und Freunde fürs Leben finden. Im Unterricht hätten die SuS und Lehrer mehr Zeit; es werde jeder Einzelne nicht nur gefordert, sondern auch ganz individuell gefördert. Auch hochbegabte SuS würden in U ihren Platz finden; sie könnten flexibel Klassen überspringen, sich in außerschulischen Projekten profilieren oder als Projektleiter mit den Mitschülern zusammenarbeiten; Workshops, Vorträge, wissenschaftliche Projekte würden zusätzliche Herausforderungen bieten. Interessierte SuS der Mittel- und Oberstufe hätten die Möglichkeit, an den Juniorstudiengängen der Universität …oder am Programm der Z- Schule in … teilzunehmen. Im Rahmen der „… Science Academy” laden Wissenschaftler ein, die bereits die Jüngsten für die Wissenschaft zu begeistern wüssten. Bei der Auswahl der Themen könnten die SuS mitbestimmen, welche Bereiche sie besonders interessieren. Teilnahmen an Wettbewerben wie „business@school”, „Jugend forscht” und „Jugend musiziert” seien Teil des schulischen Konzepts. Besonderes Augenmerk werde auf die Entwicklung einer beruflichen Perspektive gelegt. Um den SuS einen Eindruck von dem zu vermitteln, was sie in Studium oder Beruf erwarte, gehörten Praktika und Berufsinformationsveranstaltungen zum Oberstufenprogramm. In Zusammenarbeit mit Professoren und erfahrenen Praktikern erhielten die SuS einen detaillierten Einblick in die Inhalte der wichtigsten Studiengänge und die Aufgaben und Anforderungen einzelner Berufsbilder. Am Career Day würde privaten und öffentlichen Hochschulen ein Podium geboten, um sich und ihre Studiengänge vorzustellen. So könnten sich die SuS frühzeitig entscheiden, welche Wahl für sie die geeignete sei. Zusätzliche Workshops oder wöchentlich stattfindende Abiturprojekte würde den Oberstufenschülern die Möglichkeit bieten, Zusatzqualifikationen in BWL, Jura, Gedächtnistechniken, Biologie oder Rhetorik zu erwerben. In Zusammenarbeit mit externen Instituten würden zudem Seminare zu den Themen Präsentationstechniken, Zeit- und Lernmanagement, effektive Kommunikation sowie ein gezieltes Bewerbungstraining für Auswahlgespräche an Universitäten angeboten. Heilmaßnahmen, ärztliche oder medizinische Maßnahmen werden im Internetauftritt nicht erwähnt.7
Im März 2020 gaben die Kläger ihre Einkommensteuererklärung 2018 ab. Dabei erklärten sie u.a. Krankheitskosten für N als agB i.H.v. 37.713€.8
Mit Einkommensteuerbescheid 2018 vom 15.09.2020 wurden die Kläger erklärungsgemäß veranlagt und u.a. aufgefordert, eine detaillierte Begründung und Nachweise zu den geltend gemachten Krankheitskosten für N i.H.v. 37.713€ sowie eine Bescheinigung des U über das Schulgeld i.H.v. 16.627€ mit Aufteilung in abzugsfähige Schulkosten und nicht abzugsfähige Kosten für Unterkunft, Verpflegung und Betreuung einzureichen. Die Festsetzung stand unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 Abs. 1 Abgabenordnung (AO).9
Mit tabellarischer Aufstellung vom 18.09.2020 machten die Kläger folgende Angaben hinsichtlich der Krankheitskosten für N: 16.626,64€ Schulgeldanteil abzgl. 4.987,99€ als Sonderausgaben abzugsfähiger Anteil, 14.601,60€ Betreuungskosten, 350€ Aufnahmegebühr, 4.298,77€ Verpflegung/Projekte, 1.175€ Fahrkosten Bahn N, 1.449,60€ Fahrtkosten zu N, 939€ Übernachtungskosten, 1.159,52€ sonstige Kosten: Intelligenztest, psychologische Beratung, amtsärztliche Bescheinigung, 2.100€ Eigenbeteiligung.10
Zudem legten die Kläger das Schreiben des Amtsärztlichen Dienstes des Kreises … vom 24.08.2018 vor.11
Mit Schreiben vom 22.07.2021 teilten die Kläger mit, dass sie keine weiteren ärztlichen Unterlagen betreffend N einreichen würden, damit die Persönlichkeitsrechte von N nicht verletzt würden.12
In der Einkommensteuererklärung 2019 erklärten die Kläger u.a. Krankheitskosten für N i.H.v. 40.159€. Mit tabellarischer Aufstellung vom 08.12.2021 machten die Kläger folgende Angaben hinsichtlich der Krankheitskosten: 18.171,31€ Schulgeldanteil abzgl. 5.000€ als Sonderausgaben abzugsfähiger Anteil, 14.332,30€ Betreuungskosten, 670,86€ Steuerberatungskosten, 2.017,02€ Verpflegung/Projekte, 2.165,60€ Fahrkosten Bahn N, 1.087,20€ Fahrtkosten zu N, 902€ Übernachtungskosten, 3.712,46€ sonstige Arzt- und Apothekenkosten (u.a. Aufwendungen für Heileurythmie der V i.H.v. 360€ und Aufwendungen für eine Augen-LASIK-OP bei N i.H.v. 1.259€, 2.100€ Eigenbeteiligung.13
Am 20.10.2021 erließ der Beklagte einen nach § 164 Abs. 2 AO geänderten Einkommensteuerbescheid 2018, mit dem er Krankheitskosten für N als agB i.H.v. 3.259€ berücksichtigte und Aufwendungen i.H.v. insgesamt 34.452,62€ (11.638,65€ Schulgeld-Anteil, der nicht als Sonderausgaben abziehbar sei, 14.601,60€ Betreuungskosten, 350€ Aufnahmegebühr, 4.298,77€ Verpflegung/Projekte, 69€ Bahncard 50 Abo, 1.106€ Kosten für Bahnfahrten, 1.449,60€ Fahrtkosten der Eltern für Besuche bei N und 939€ Summe der Hotelkosten) nicht berücksichtigte. Zur Begründung führte der Beklagte im Wesentlichen aus, laut § 64 Einkommensteuer-Durchführungsverordnung (EStDV) sei ein amtsärztliches Gutachten vorzulegen. Die Stellungnahme der Amtsärztin des Kreises … sei nicht mit einem Gutachten vergleichbar. Die Zwangsläufigkeit der Aufwendungen sei nicht nachgewiesen. Internatskosten seien auch keine unmittelbaren Krankheitskosten.14
Ebenfalls am 20.10.2021 erließ der Beklagte den Einkommensteuerbescheid 2019, in dem er die für N geltend gemachten (sonstigen) Krankheitskosten i.H.v. 1.322€ berücksichtigte und hinsichtlich des Schulbesuches Kosten i.H.v. 40.159€ mitsamt der Aufwendungen für Heileurythmie der V i.H.v. 360 € nicht als agB berücksichtigte.15
Gegen die Bescheide vom 20.10.2021 legten die Kläger am 05.11.2021 Einspruch ein. Zur Begründung waren sie im Wesentlichen der Auffassung, die geltend gemachten Krankheitskosten für N seien als agB zu berücksichtigen. Sie hätten ein amtsärztliches Gutachten vorgelegt, das den Anforderungen des § 64 Abs. 1 Satz 2 EStDV genüge. Zudem sei das Urteil des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz vom 04.07.2018, 1 K 1480/16, zu berücksichtigen. Der Kläger als koordinierender Arzt sehe sich nicht im Stande, sämtliche Arzt- und Psychotherapeutenberichte N betreffend vorzulegen. Das Aushändigen von Arztberichten seiner volljährigen Patientin stelle eine Straftat im Sinne der Verletzung seiner ärztlichen Schweigepflicht dar. Der Betrag der sonstige Arzt- und Apothekenkosten sei auf 3.188,41€ und der Betrag der Eigenbeteiligung auf 1.823,06€ zu reduzieren.16
Mit Einspruchsentscheidung vom 28.03.2022 wies der Beklagte die Einsprüche als unbegründet zurück. Zur Begründung war er im Wesentlichen der Auffassung, die Krankheitskosten für N seien keine agB. Es lasse sich nicht feststellen, dass die Kosten für den Schulbesuch der N zwangsläufig entstanden seien. Aufwendungen für den Privatschulbesuch eines Kindes seien grundsätzlich auch dann nicht außergewöhnlich, wenn das Kind infolge Krankheit lernbehindert sei. Ein Abzug als agB sei nur möglich, wenn es sich bei den Aufwendungen um unmittelbare Krankheitskosten handele; erforderlich wäre danach, dass der Privatschulbesuch zum Zwecke der Heilbehandlung erfolge und dort eine spezielle, unter der Aufsicht medizinisch geschulten Fachpersonals durchgeführte Heilbehandlung stattfinde. Die Kläger hätten keine Unterlagen eingereicht, aus denen eine Diagnose hervorgehe. Es sei keine Krankheit ersichtlich, die geheilt oder gelindert werden müsse. Auch die amtsärztliche Bescheinigung genüge nicht den Anforderungen des § 64 EStDV. Es handele sich hierbei nicht um ein Gutachten. Die Amtsärztin selbst bezeichne ihr Schreiben als „Stellungnahme". Als Krankheitskosten seien die Eigenbeteiligung i.H.v. 1.823,06€ und 248€ anzuerkennen; die Aufwendungen für Heileurythmie der V i.H.v. 360€ und Aufwendungen für eine Augen-LASIK-OP bei N i.H.v. 1.259€ seien nicht zu berücksichtigen.
17
Die Kläger haben am 28.04.2022 Klage erhoben, mit der sie die Berücksichtigung von Krankheitskosten als agB i.H.v. 34.453€ (2018) und 34.706€ (2019) begehren.18
Die Kläger sind im Wesentlichen der Auffassung, die geltend gemachten Kosten für den Internatsbesuch der N in U seien als agB berücksichtigungsfähig; insbesondere habe vor Beginn der Heilmaßnahme eine diesbezügliche amtsärztliche Bescheinigung betreffend die Notwendigkeit des Internatsbesuchs vorgelegen. Die „Stellungnahme“ des amtsärztlichen Dienstes des Kreises… vom 24.08.2018 stelle ein amtsärztliches Gutachten i.S.v. § 64 EStDV dar. Hierbei seien die Ausführungen in dem Urteil des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz vom 04.07.2018, 1 K 1480/16, zu berücksichtigen.19
Mit geänderten Einkommensteuerbescheid 2019 vom 30.11.2022 hat der Beklagte die Aufwendungen für die Augen-LASIK-OP bei N i.H.v. 1.259€ als agB berücksichtigt.20
Mit Schriftsatz vom 09.06.2023 hat der Beklagte hinsichtlich der Aufwendungen für Heileurythmie im Jahr 2019 i.H.v. 360€, nachdem die Kläger diesbezüglich mit Schriftsatz vom 07.06.2023 Unterlagen eingereicht hatten, verbindlich erklärt, diese Aufwendungen als agB zu berücksichtigen.21
Die Kläger beantragen,22
den Einkommensteuerbescheid 2018 vom 15.09.2020 in Form des Änderungsbescheides vom 20.10.2021 und den Einkommensteuerbescheid 2019 vom 20.10.2021 in Form des Änderungsbescheides vom 30.11.2022 jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28.03.2022 nach Maßgabe der Klagebegründung zu ändern.23
Der Beklagte beantragt,24
die Klage abzuweisen.25
Der Beklagte ist im Wesentlichen der Auffassung, die Aufwendungen im Zusammenhang mit dem Schulbesuch der N bei U seien nicht zu berücksichtigen. Es liege bereits keine Erkrankung der N vor. Die angeführten psychosomatischen Beschwerden könnten zwar eine Krankheit darstellen, Nachweise hierzu seien jedoch nicht vorgelegt worden. Unabhängig davon lägen jedoch keine unmittelbaren Krankheitskosten vor. Die Unterbringung von N in U dürfte nicht wesentlich durch schulische Zwecke veranlasst gewesen sein, sondern müsste hauptsächlich der Behandlung oder Linderung einer Krankheit der N gedient haben. Mangels Nachweisen bezüglich einer Behandlung vor Ort, sei davon auszugehen, dass die schulische Bildung im Vordergrund gestanden habe. Ach sei das benannte Urteil des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz nicht auf den Streitfall anzuwenden.26
Für die weiteren Einzelheiten wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und die Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.27
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.Entscheidungsgründe
28
Die Klage, über die aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) entschieden werden konnte, hat teilwiese Erfolg.29
Soweit die Kläger im Jahr 2019 die Berücksichtigung von Aufwendungen für Heileurythmie als agB begehren, hat die Klage Erfolg insoweit ist der Einkommensteuerbescheid 2019 vom 20.10.2021 in Form des Änderungsbescheides vom 30.11.2022 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28.03.2022 rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Die Aufwendungen für Heileurythmie sind agB.30
Im Übrigen, d.h. soweit die Kläger die Berücksichtigung von Aufwendungen für den Privatschulbesuch als agB begehren, hat die Klage keinen Erfolg; insoweit sind der Einkommensteuerbescheid 2018 vom 15.09.2020 in Form des Änderungsbescheides vom 20.10.2021 und der Einkommensteuerbescheid 2019 vom 20.10.2021 in Form des Änderungsbescheides vom 30.11.2022 jeweils in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 28.03.2022 rechtmäßig und verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Die Aufwendungen für den Privatschulbesuch sind keine agB.31
I. Bei den im Jahr 2019 geltend gemachten Aufwendungen für Heileurythmie handelt es sich um agB. Vor dem Hintergrund der verbindlichen Zusicherung des Beklagten mit Schriftsatz vom 09.06.2023, diese Aufwendungen aus prozessökonomischen Gründen als agB zu berücksichtigen, sieht der Senat von weitergehenden Ausführungen ab.32
II. Die Aufwendungen für den Privatschulbesuch der N in U sind keine zu berücksichtigenden unmittelbaren Krankheitskosten; es handelt sich vielmehr um Kosten der Lebensführung.33
1. Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstands (außergewöhnliche Belastung), wird gemäß § 33 Abs. 1 Satz 1 EStG auf Antrag die Einkommensteuer dadurch ermäßigt, dass der Teil der Aufwendungen, der die dem Steuerpflichtigen zumutbare Belastung übersteigt, vom Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen wird. Gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG erwachsen Aufwendungen dem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann und soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen.34
Krankheitskosten erwachsen ohne Rücksicht auf die Art und die Ursache der Erkrankung dem Steuerpflichtigen aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig (dazu und zum Folgenden BFH, Urteil vom 11.11.2010 VI R 17/09, juris). Sie sind auch dann zwangsläufig, wenn sie der Heilung oder Linderung einer Krankheit dienen, unter der ein unterhaltsberechtigtes minderjähriges Kind des Steuerpflichtigen leidet. Allerdings ist hinsichtlich des Abzugs von Krankheitskosten zu differenzieren. Aufwendungen für die eigentliche Heilbehandlung werden typisierend als agB berücksichtigt, ohne dass es im Einzelfall der nach § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG an sich gebotenen Prüfung der Zwangsläufigkeit des Grundes und der Höhe nach bedarf. Eine derart typisierende Behandlung von Krankheitskosten ist zur Vermeidung eines unzumutbaren Eindringens in die Privatsphäre geboten. Dies gilt aber nur dann, wenn die Aufwendungen nach den Erkenntnissen und Erfahrungen der Heilkunde und nach den Grundsätzen eines gewissenhaften Arztes zur Heilung oder Linderung der Krankheit angezeigt (vertretbar) sind und vorgenommen werden.35
Strengere Abzugsvoraussetzungen gelten dagegen für Aufwendungen, die den Bereich der Gesundheitsvorsorge bzw. Folgekosten von Krankheiten betreffen. Vorbeugende Aufwendungen, die der Gesundheit allgemein dienen, und solche, die auf einer medizinisch nicht indizierten Behandlung beruhen, zählen nicht zu den Krankheitskosten. Es handelt sich insoweit vielmehr um Aufwand, der nicht aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig i.S.d. § 33 Abs. 2 Satz 1 EStG entsteht, sondern auf einer freien Willensentschließung beruht und deshalb gemäß § 12 Nr. 1 EStG den nicht abzugsfähigen Kosten der Lebensführung zuzurechnen ist (BFH, Urteil vom 2.9.2010 VI R 11/09, juris). Der Steuerpflichtige hat die Zwangsläufigkeit von Aufwendungen im Krankheitsfall daher in einer Reihe von Fällen formalisiert nachzuweisen. Bei krankheitsbedingten Aufwendungen für Arznei-, Heil- und Hilfsmittel (§§ 2, 23, 31 bis 33 des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch -SGB V-) ist dieser Nachweis nach § 64 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStDV durch eine Verordnung eines Arztes oder Heilpraktikers zu führen. Durch amtsärztliches Gutachten oder eine ärztliche Bescheinigung eines Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (§ 275 SGB V) ist dagegen der Nachweis der Zwangsläufigkeit von Aufwendungen in den im § 64 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStDV aufgeführten Fällen zu führen. Zu diesen Aufwendungen gehören u.a. gemäß § 64 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b EStDV eine psychotherapeutische Behandlung sowie gemäß § 64 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c EStDV eine medizinisch erforderliche auswärtige Unterbringung eines an Legasthenie oder einer anderen Behinderung leidenden Kindes. Die amtsärztliche Bescheinigung oder die ärztliche Bescheinigung des medizinischen Dienstes der Krankenversicherung müssen dabei vor dem Beginn der Heilmaßnahme ausgestellt worden sein (§ 64 Abs. 1 Satz 2 EStDV).36
Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs im Kontext von § 33 EStG und Privatschulbesuchen können Aufwendungen für den Besuch einer solchen Schule, wie im Streitfall, nur unter ganz engen Voraussetzungen als (unmittelbare) Krankheitskosten angesehen werden. Erforderlich ist danach, dass der Privatschulbesuch zum Zwecke der Heilbehandlung erfolgt und dort eine spezielle, unter der Aufsicht medizinisch geschulten Fachpersonals durchgeführte Heilbehandlung stattfindet.37
Aufwendungen für den Privatschulbesuch eines Kindes sind grundsätzlich nicht außergewöhnlich, auch wenn das Kind infolge Krankheit lernbehindert ist; die Aufwendungen werden durch den Kinderfreibetrag, den Freibetrag für Betreuungs- und Erziehungs- oder Ausbildungsbedarf und das Kindergeld abgegolten (BFH Urteile vom 01.12.1978 VI R 149/75, juris; vom 09.10.1981 VI R 7/78, juris Beschluss vom 17.04.1997 III B 216/96, juris). Ein Abzug als agB ist nur dann möglich, wenn es sich bei den Aufwendungen um unmittelbare Krankheitskosten handelt, d.h. Kosten, die zum Zwecke der Heilung einer Krankheit oder (in der Person des Kranken selbst) mit dem Ziel aufgewendet werden, die Krankheit erträglich zu machen. Die Berücksichtigung weiterer Aufwendungen, die einem Steuerpflichtigen nur gelegentlich oder als Folge einer Krankheit entstehen, führen zu einer nicht vertretbaren steuerlichen Berücksichtigung von Kosten der allgemeinen Lebensführung, die mit dem Sinn und Zweck des § 33 EStG nicht vereinbar ist. Privatschulkosten gehören auch dann nicht zu den unmittelbaren Krankheitskosten, wenn der Besuch der Privatschule durch eine Krankheit des Kindes verursacht ist.38
Aufwendungen für eine auswärtige Unterbringung können den Charakter von durch die typisierende Regelung des § 33a Abs. 2 EStG nicht erfassten Krankheitskosten aufweisen, wenn die Behandlung der Krankheit im Vordergrund steht (dazu und zum Folgenden BFH, Urteile vom 28.2.1964 VI 314/63 U, juris; vom 01.12.1978 VI R 149/75, juris; vom 09.10.1981 VI R 7/78, juris; 18.04.1990 III R 160/86, juris; Beschluss vom 17.08.1998 III B 92/97, juris). Das ist der Fall, wenn ein krankes Kind in einem Krankenhaus, einem Sanatorium, einer Pflegeanstalt oder einem ähnlichen Heim untergebracht und damit ausschließlich das Ziel verfolgt wird, durch typische Maßnahmen der Heilbehandlung eine Krankheit zu heilen; erforderlich ist dabei, dass eine spezielle, unter der Aufsicht medizinisch geschulten Fachpersonals durchgeführte Heilbehandlung stattfindet. Das ist nicht der Fall bei der Unterbringung in einem Internat, in dem Kinder und Jugendliche zwar in ihrer Freizeit durch geeignete Mittel erzogen und seelisch beeinflusst werden, das aber im Übrigen eine Unterkunft für den Besuch einer öffentlichen Oberschule bietet.39
Auch Aufwendungen für den Privatschulbesuch eines Kindes, das an einer krankhaften Störung der Lese- und Rechtschreibfähigkeit leidet, sind typische Ausbildungsaufwendungen, die durch die Regelungen über den Kinderlastenausgleich abgegolten sind (dazu und zum Folgenden BFH, Urteile vom 18.04.1990 III R 160/86, juris; vom 26.06.1992 III R 8/91, juris; vom 11.11.2010 VI R 17/09, juris). Der Privatschulbesuch erfolgt dann nicht zum Zwecke der Heilbehandlung. Anders liegt es, wenn eine spezielle, unter der Aufsicht medizinisch geschulten Fachpersonals durchgeführte Heilbehandlung erfolgt, die Voraussetzung ist, um die Zwangsläufigkeit und die Notwendigkeit der damit im Zusammenhang stehenden Kosten des Privatschulbesuchs zu begründen. Unerheblich ist, wenn der Besuch der Privatschule lediglich aus sozialen und psychologischen Gründen erfolgt und der nicht wünschenswerte Übergang in die Hauptschule verhindert werden soll. Aufwendungen, die lediglich die sozialen Folgen einer Krankheit betreffen und durch die nur ganz allgemein einer psychischen Belastung vorgebeugt werden soll, erfüllen nicht den Tatbestand des § 33 EStG.40
Der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an. Hierfür spricht aus Sicht des Senats insbesondere der Umstand, dass sie im Einklang mit der Rechtsprechung zu sonstigen Formen einer krankheitsbedingten auswärtigen Unterbringung (vgl. etwa BFH, Urteile vom 09.10.1981 VI R 7/78, juris; vom 26.06.1992 III R 8/91, juris) und auch zu Krankheitskosten mit vergleichbaren Abgrenzungsproblemen, etwa zwischen Erholungsreisen und Kuren (vgl. zum Erfordernis der ärztlichen Kontrolle bei Kurmaßnahmen etwa BFH, Urteile vom 14.02.1980 VI R 218/77, juris; vom 17.12.1997 III R 32/97, juris), steht.41
2. Unter Berücksichtigung des aus der vorstehenden höchstrichterlichen Rechtsprechung durchgehend abzuleitenden und von dem erkennenden Senat gebilligten Erfordernis, dass für die Abziehbarkeit der Kosten eines Privatschulbesuchs als agB eine im Zusammenhang mit dem Privatschulbesuch stattfindenden Heilbehandlung erfolgt und die medizinische Indikation des Privatschulbesuchs vorliegen muss, sind die im Streitfall geltend gemachten Aufwendungen für den Privatschulbesuch der N in U nicht nach § 33 EStG berücksichtigungsfähig.42
Unabhängig davon, ob im Streitfall die Voraussetzungen des formalen Nachweises nach § 64 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStDV einzuhalten sind und ob das Schreiben („Stellungnahme zur Notwendigkeit einer Beschulung im U “) des Amtsärztlichen Dienstes des Kreises … vom 24.08.2018 ein amtsärztliches Gutachten i.S.d. vorgenannten Norm ist, liegen im Streitfall keine unmittelbaren Krankheitskosten vor. Die begehrten Aufwendungen in den Streitjahren für den Schulgeld-Anteil, der nicht als Sonderausgaben abziehbar ist, Betreuungskosten, Aufnahmegebühr, Verpflegung/Projekte, Bahncard 50 Abo, Kosten für Bahnfahrten, Fahrtkosten der Eltern für Besuche bei N, Summe der Hotelkosten und Steuerberatungskosten stellen keine solchen unmittelbaren Krankheitskosten dar.43
Im Streitfall sind die zuvor dargestellten engen Voraussetzungen für eine Anerkennung von Aufwendungen für einen Privatschulbesuch als unmittelbare Krankheitskosten i.S.d. § 33 EStG anzuwenden. N hat in U eine Privatschule besucht. Das ist zu Recht zwischen den Beteiligten unstreitig und folgt bereits aus dem Internetauftritt der U und dem Schul- und Internatsvertrag vom 28.08.2018.44
Im Streitfall ist nicht ersichtlich, dass der Privatschulbesuch der N auf U zum Zwecke der Heilbehandlung erfolgt ist und dort eine spezielle, unter der Aufsicht medizinisch geschulten Fachpersonals durchgeführte Heilbehandlung für N stattgefunden hat. Dass an der von N besuchten Privatschule U eine Therapie hinsichtlich der bei N vorhandenen Beschwerden durch medizinische und/oder psychotherapeutisches Personal stattgefunden hätte, haben die Kläger bereits nicht vorgetragen. Ebenso wenig kann diesem dem Internetauftritt der U entnommen werden. Danach ist U ein staatlich anerkanntes Gymnasium mit Internat, wo die SuS die dargelegten verschiedenen Förderungen erhalten. Heilmaßnahmen, ärztliche oder medizinische Maßnahmen werden nicht erwähnt.45
Etwas anderes folgt auch nicht unter Zugrundelegung des Schreibens des Amtsärztlichen Dienstes des Kreises …vom 24.08.2018. Danach ist zwar „dringend erforderlich, an eine Schule mit individuellen, an die Hochbegabung angepasste Fördermöglichkeiten zu wechseln“; „die Schule in U […] mit ihrem speziellen Angebot [bietet] eine hervorragende Lernumgebung und die Möglichkeit zur gesundheitlichen Stabilisierung“; „der Besuch des Internats [ist] aus gesundheitlichen Gründen amtsärztlicherseits dringend zu befürworten“. Jedoch folgt aus diesem Schreiben nicht, dass die Förderung der N in U zu erfolgen hat und (allein) dort die erforderlichen Heilbehandlungen vorgenommen werden können. Ebenso wenig kann dem Schreiben eine zwangsläufige medizinische Indikation des Schulbesuches der N in U entnommen werden. Auch enthält das Schreiben keine Ausführungen dazu, ob und welche Heilbehandlungen in U angeboten und hinsichtlich N durchgeführt werden können und auch tatsächlich durchgeführt worden sind.46
Zudem ist im Streitfall zu berücksichtigen, dass der Schulbesuch der N auch im Hinblick auf deren Hochbegabung erfolgt ist. Eine Hochbegabung als solche stellt aber keine Erkrankung dar (BFH, Urteil vom 19.11.2015 VI R 45/14, juris). Kosten, die um der schulischen Förderung des Kindes willen aufgewendet werden, sind nicht nach § 33 EStG anzuerkennen, auch wenn der Besuch der (auswärtigen) Schule aus sozialen, psychologischen oder pädagogischen Gründen erfolgt (BFH, Urteile vom 17.07.1981 VI R 105/78, juris; vom 01.12.1978 VI R 149/75, juris; vom 16.05.1975 VI R 132/72, juris).47
Auch ist gerade eine solche Hochbegabung die einzige im amtsärztlichen Schreiben vom 24.08.2018 erwähnte „Krankheit“, die jedoch im Rahmen des § 33 EStG als Krankheit unerheblich ist (BFH, Urteil vom 19.11.2015 VI R 45/14, juris). Eine andere Krankheit ist in dem amtsärztlichen Schreiben nicht diagnostiziert worden.48
Der erkennende Senat sieht es für die Annahme von Krankheitskosten auch nicht als ausreichend an, dass, wie von den Klägern jedenfalls implizit vorgetragen, schon der Besuch einer bestimmten Schule als die eigentliche Heilmaßnahme anzusehen sein soll, weil sich die dort herrschenden Bedingungen günstig auf die Krankheit auswirken. Übereinstimmend mit den Ausführungen des Bundesfinanzhofs in dessen Urteil vom 01.12.1978, VI R 149/75 juris, geht der Senat davon aus, dass es sich in diesem Fall nicht um unmittelbare Krankheitskosten, sondern um (nicht abziehbare) bloße Kosten der Vorbeugung bzw. Folge einer Krankheit handelt (ebenso FG Köln, Urteil vom 20.03.2019, 4 K 1961/16, juris, und FG Düsseldorf, Urteil vom 14.03.2017, 13 K 4009/15, juris).49
Ebenso wenig kommt eine Berücksichtigung unter dem Aspekt in Betracht, es handele sich um in Verbindung mit einer Lese- und Rechtschreibschwäche stehende unmittelbare Krankheitskosten. Die Kläger haben das Vorliegen einer solchen Legasthenie nicht vorgetragen, sondern im Gegenteil das Vorliegen einer Hochbegabung.50
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 (Aufwendungen für den Schulbesuch) und § 137 Satz 1 (Heileurythmie) FGO. Die von den Klägern hinsichtlich der Heileurythmie vorgelegten Unterlagen hätten bereits im Verwaltungs- oder Einspruchsverfahren vorgelegt werden können und sollen.51
IV. Die Übertragung der Berechnung der festzusetzenden Steuer auf den Beklagten beruht auf § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO.52
V. Die Revision war nicht zuzulassen. Zulassungsgründe nach § 115 Abs. 2 FGO liegen nicht vor.