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  • 06.05.2011 · IWW-Abrufnummer 111503

    Amtsgericht Nürtingen: Urteil vom 17.03.2011 – 16 Cs 115 Js 93733/08

    Die sog. professionelle Zahnreinigung im Airflow-Verfahren stellt eine Ausübung der Zahnheilkunde dar.


    Geschäftsnummer: 16 Cs 115 Js 93733/08
    Amtsgericht Nürtingen
    Im Namen des Volkes
    Urteil
    in der Strafsache
    T.
    Verteidiger:
    RA H.
    wegen unerlaubter Ausübung der Zahnheilkunde
    Das Amtsgericht Nürtingen - Strafrichter - hat in der Sitzung vom 17.03.2011, an der teilgenommen haben:
    XXX
    für Recht erkannt:
    Die Angeklagte wird wegen unerlaubter Ausübung der Zahnheilkunde in 3 Fällen zu der Gesamtgeldstrafe von 15 Tagessätzen zu je 20,- Euro verurteilt.
    Die Angeklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
    Angewandte Vorschriften: §§ 18 Nr. 1 ZHG, 53 StGB
    Gründe:
    I.
    Die 30-jährige Angeklagte ist gelernte zahnmedizinische Fachassistentin und arbeitet derzeit, nachdem sie etwa 10 Jahre lang bei einem Zahnarzt angestellt war, als selbstständige Zahnkosmetikerin. Zusätzlich arbeitet sie noch 2,5 Tage freiberuflich in einer Zahnarztpraxis und verdient insgesamt monatlich ca. 2.500,- Euro brutto (netto ca. 1.000,- Euro). Die Einnahmen teilen sich wie folgt auf: 60 % aus dem Zahnkosmetikstudio und 40 % aus der freiberuflichen Tätigkeit in der Zahnarztpraxis.
    Die Angeklagte ist verheiratet und hat eine Tochter im Alter von zehn Monaten.
    Das monatliche Kindergeld beträgt ca. 186,- Euro. Ihr Ehemann verdient monatlich circa 1.000,- Euro netto.
    Die monatliche Warmmiete beträgt 700,- Euro. Die Angeklagte hat aufgrund ihrer gewerblichen Tätigkeit Schulden in Höhe von circa 30.000,- Euro, welche sie mit monatlich 200,- Euro abbezahlt.
    Strafrechtlich ist die Angeklagte bislang nicht in Erscheinung getreten.
    II.
    Die Angeklagte führte in ihrem Zahnkosmetikstudio in F., Behandlungsmaßnahmen der ästhetischen Zahnheilkunde durch, namentlich Behandlungen mit einem sog. „Airflow“-Pulverstrahlgerät, mit dem in Wasser gelöste Salze oder andere Pulver unter Druck auf die Zähne aufgebracht werden, ohne dass sie -wie sie wusste- die Zahnheilkunde ausüben durfte und ohne im Wege der Delegation auf Anordnung eines Berechtigten zu handeln, nämlich
    1. am 26.07.2008 bei J.,
    2. am 26.07.2008 bei T. und
    3. am 19.08.2008 bei E.
    III.
    Die Feststellungen zur Person beruhen auf den Angaben der Angeklagten.
    Die Feststellungen zur Sache beruhen auf der Einlassung der Angeklagten, den nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen Prof. Schulte und den in der Hauptverhandlung verlesenen Urkunden.
    Der vorgenannte Sachverhalt steht zur Überzeugung des Gerichts aufgrund des glaubhaften Geständnisses der Angeklagten fest.
    Die Angeklagte hat vollumfänglich eingeräumt, die vorgenannten Personen zu den vorbezeichneten Zeitpunkten mit dem sog. „Airflow“-Pulverstrahlgerät behandelt zu haben.
    Sie ist jedoch der Ansicht, dass die Behandlung mit dem sog. „Airflow“-Pulverstrahlgerät nicht unter das Zahnheilkundegesetz falle und somit nicht strafbar sei.
    Dem konnte jedoch nicht gefolgt werden.
    Die Entfernung von Zahnverfärbungen und Zahnbelag unter Verwendung von Pulver- Wasserstrahl-Geräten (Airflow-Geräten) erfüllt den Straftatbestand der §§ 18 Nr. 1, 1 Abs. 1, Abs. 3 ZHG. Es handelt sich hierbei um die Ausübung von Zahnheilkunde im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 ZHG.
    1.
    Bei der Verwendung von Luft-Pulver-Wasserstrahigeräten werden kleinste Pulverpartikel verschiedener Stoffe (Salze, Metalle) mit Wasser von einem starken Luftstrom transportiert und konstruktionsbedingt an der Austrittsdüse beschleunigt. Beim Auftreffen dieser Teilchen auf die Oberfläche des Zahnes führt diese Bewegungsenergie zu einem Substanzabtrag von Belägen auf dem Zahn oder von Zahnhartsubstanz. Haupteinsatzgebiet ist die professionelle Zahnreinigung zur Entfernung von Genuss- und Nahrungsmittelverfärbungen (Nikotin, Kaffee, Tee, Rotwein) und von sonstigen Belägen auf den sichtbaren Zahnflächen. Derartige Behandlungen hat die Angeklagte durchgeführt.
    2.
    Einer Straftat nach § 18 Nr. 1, 1 Abs. 1, Abs. 3 ZHG macht sich nur schuldig, wer im Geltungsbereich des ZHG die Zahnheilkunde dauernd ausübt ohne eine Approbation oder Erlaubnis als Zahnarzt zu besitzen oder gemäß § 1 Abs. 2, § 14 oder § 19 ZHG zur Ausübung der Zahnheilkunde berechtigt zu sein. Unter Ausübung der Zahnheilkunde ist gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 ZHG die berufsmäßige und auf zahnärztlich wissenschaftliche Erkenntnisse gegründete Feststellung und Behandlung von Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten zu verstehen. Gemäß § 1 Abs. 3 Satz 2 ZHG ist als Krankheit unter anderem jede von der Norm abweichende Erscheinung im Bereich der Zähne, des Mundes und der Kiefer anzusehen.
    Die Angeklagte verfügt unstreitig weder über eine entsprechende Approbation noch über eine entsprechende Erlaubnis. Sie führt die Zahnreinigung im Airflow-Verfahren berufsmäßig aus.
    Die Zahnreinigung im Airflow-Verfahren ist nach Ansicht des Gerichts Ausübung der Zahnheilkunde im Sinne von § 1 Abs. 3 Satz 1 ZHG und unterfällt damit dem normierten Zahnarztvorbehalt. Eine Auslegung der Tatbestandsvoraussetzungen der § 18 Nr. 1, 1 Abs. 1, Abs. 3 ZHG ergibt, dass das Verhalten der Angeklagten unter die Begriffe der „auf zahnärztlich wissenschaftliche Erkenntnisse gegründeten Feststellung und Behandlung von Zahnkrankheiten“ fällt.
    Bei der Auslegung der Tatbestandsvoraussetzungen der § 18 Nr. 1, 1 Abs. 1, Abs. 3 und Abs. 5 ZHG ist zunächst der Sinn und Zweck der in § 1 Abs. 1 ZHG getroffenen Regelung, dass Zahnheilkunde nur durch approbierte Zahnärzte ausgeübt werden darf, zu berücksichtigen (vgl. hierzu LG Stuttgart, Beschluss vom 19.08.2008, Az. 16 Qs 49/08):
    § 1 Abs. 1 ZHG in der geltenden Fassung ist auf die Richtlinie 78/687 EWG des Rates vom 25. Juli 1978 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Tätigkeit des Zahnarztes zurückzuführen. Die Richtlinie verlangt, um einen umfassenden Schutz des Patienten zu gewährleisten, zur Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit als Zahnarzt einen Befähigungsnachweis mit dem garantiert ist, dass der praktizierende Zahnarzt angemessene Kenntnisse der wissenschaftlichen Zahnheilkunde erworben hat. Die Ausbildung muss dem Zahnarzt insbesondere die erforderliche Kenntnis der Struktur und der Funktion der Zähne und des dazugehörigen Gewebes ebenso wie angemessene Kenntnisse der klinischen Disziplinen und Methoden, die ein zusammenhängendes Bild der Anomalien, Beschädigungen und Verletzungen sowie Krankheiten der Zähne, vermitteln. Ebenfalls erforderlich für die Ausübung der Tätigkeit als Zahnarzt sind ausreichende Kenntnisse der Zahnheilkunde unter dem Gesichtspunkt der Verhütung und Vorbeugung, Diagnose und der Therapie. Europarechtlich besteht zur Auslegung des nationalen Rechts damit bereits die Vorgabe, dass die Verhütung, Diagnose und Therapie aller im Mund- und Kieferbereich auftretenden Anomalien entsprechend ausgebildeten Zahnärzten zugewiesen werden muss.
    Der Grundsatz des umfassenden Patientenschutzes ergibt sich auch aus dem Verhältnis des § 1 Abs. 1 ZHG zu § 1 Abs. 5 ZHG, aufgrund welchem der Zahnarzt befugt ist, verschiedene Tätigkeiten an qualifiziertes Prophylaxe-Personal zu delegieren. § 1 Abs. 5 ZHG wurde durch das Gesetz zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankenversicherung (Gesundheitsstrukturgesetz) vom 21. Dezember 1992 eingefügt. Zielrichtung des Gesetzes war die Sicherung der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung. Als flankierende Maßnahme wurden in das ZHG daher Regelungen hinsichtlich der Delegationsfähigkeit verschiedener zahnmedizinischer Verrichtungen aufgenommen, um diesbezüglich nicht in jedem Fall eine unmittelbare Tätigkeit des Zahnarztes zu fordern, was mit einer höheren Vergütung für derartige Leistungen verbunden wäre. Der Gesetzgeber hat hierbei jedoch nicht beabsichtigt, durch die Einführung des § 1 Abs. 5 ZHG das zuvor bestehende Schutzniveau für den Patienten durch die Zuweisung aller individualprophylaktischer Tätigkeiten an den Zahnarzt abzusenken. Dies ergibt sich aus der amtlichen Begründung zur Einführung des § 1 Abs. 5 (dort noch § 1 Abs. 6) ZHG in welcher zwar davon ausgegangen wird, dass es unter fachlichen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht erforderlich ist, alle Leistungen an Patienten nur von approbierten Zahnärzten durchführen zu lassen, es jedoch erforderlich ist, dass die Tätigkeiten nicht approbierten Personals jederzeit vom Zahnarzt kontrolliert und überwacht werden (vgl. BT-Drucks. 12/3608). Als Grenze jeglicher Delegation hat der Gesetzgeber damit den umfassenden Patientenschutz gesehen. Hierzu gehört, dass der Zahnarzt die ursprünglich allein ihm zugewiesenen Tätigkeiten nur an berufsqualifizierte Mitarbeiter delegiert, was insbesondere die Fähigkeit der beauftragten Person beinhalten muss, sich einschleichende Fehler und damit auch Erkrankungen der Zähne verantwortungsvoll erkennen zu können. Ebenfalls gehört hierzu, dass der Zahnarzt während des Einsatzes nichtzahnärztlicher Mitarbeiter jederzeit für Rückfragen, Korrekturen oder bei Komplikationen zur Verfügung steht.
    Sinn und Zweck des § 1 Abs. 1 ZHG ist damit, die berufsmäßige Behandlung und Erkennung von Krankheiten im Mund und Kieferbereich sowie die dazugehörige Prophylaxe zum Schutz der Patienten vor Schäden durch fehlerhafte Beratung und Behandlung durch entsprechend qualifiziert ausgebildete Ärzte durchführen zu lassen. Die Normierung dieses strikten Zahnarztvorbehaltes dient darüber hinaus aber auch dem Schutz der Volksgesundheit und dem Schutz der Gesellschaft vor finanziellen und volkswirtschaftlichen Folgeschäden, welche durch unsachgemäße Behandlungen durch nicht entsprechend ausgebildete Personen entstehen können.
    Unter Berücksichtigung dieses Grundsatzes kann die rein mechanische Tätigkeit der Zahnreinigung von der diagnostischen Tätigkeit, welche allein dem Zahnarzt vorbehalten bleibt, nicht getrennt werden. Entscheidend in diesem Zusammenhang ist nicht, ob die rein mechanische Tätigkeit der Zahnreinigung ausschließlich kosmetische Zwecke verfolgt. Die kosmetische Zielsetzung eines Eingriffs kann die Bewertung nicht ausschließen, der Eingriff sei der Ausübung der Heilkunde zumindest gleichzustellen. Maßgeblich ist die Erkenntnis, dass auch Eingriffe, die zu ästhetischen Zwecken vorgenommen werden, gesundheitliche Schädigungen verursachen können und daher dem Schutzzweck des ZHG unterfallen. Die Beantwortung der Frage nach der Einordnung einer Tätigkeit als Ausübung der Heilkunde hängt damit im Wesentlichen von der Einschätzung der mit dieser Tätigkeit verbundenen Risiken ab (so auch BVerwG, Beschluss vom 25. Juni 2007, Az.: 3 B 82/06, zur Einstufung von kosmetischer und nicht medizinisch indizierter Faltenunterspritzung als Ausübung der Heilkunde im Sinne des § 1 Abs. 2 Heilpraktikergesetz).
    In verfassungskonformer Auslegung liegt damit stets dann eine Ausübung der Zahnheilkunde vor, wenn die Tätigkeit nach allgemeiner Auffassung medizinische Fachkenntnisse voraussetzt und wenn die Behandlung gesundheitliche Schädigungen verursachen kann. Die medizinischen Fähigkeiten können hierbei insbesondere im Hinblick auf die Art und Methode der Tätigkeit selbst, die, ohne Kenntnisse durchgeführt, den Patienten zu schädigen geeignet ist, sowie auch im Hinblick auf die Feststellung, ob im Einzelfall mit der Behandlung begonnen werden darf, erforderlich sein. Umso höher hierbei das Gefährdungspotential für den Patienten ist, umso strengere Maßstäbe sind anzulegen (so auch OVG Münster, Beschluss vom 28. April 2006, Az.: 13 A 2495/03). Das Erfordernis spezifischer medizinischer Kenntnisse ergibt sich im Übrigen bereits aus § 1 Abs. 3 ZHG, wonach die Ausübung von Zahnheilkunde eine auf zahnärztlich wissenschaftliche Erkenntnisse gestützte Tätigkeit ist.
    Die in Frage stehende Tätigkeit der Zahnreinigung im Wege des Airflow-Verfahrens erfordert nach Auffassung des Gerichts zahnärztliche Kenntnisse in diesem Sinne.
    Nach den anschaulichen und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen Professor Dr. Andreas Schulte führt zwar die Anwendung des Airflow-Verfahrens auf kariesfreiem Zahnschmelz zu keinen Beschädigungen der Schmelzoberfläche. Einschränkungen ergeben sich insoweit jedoch in Bezug auf Zahnschmelz mit einer initialen Demineralisation, welcher durch die Bearbeitung mit Wasser-Pulverstrahlgeräten so beschädigt werden kann, dass eine Remineralisation nicht mehr moglich ist. Bei Patienten mit hohem Plaqueaufkommen und erhöhtem Kariesrisiko dürfen Beläge auf den Zähnen nicht primär mit einem Wasser-Pulverstrahlgerät entfernt werden. Um dies zu erkennen sind medizinische Kenntnisse im oben genannten Sinne erforderlich. Darüber hinaus handelt es sich bei einer irreversiblen Demineralisation des Zahnschmelzes um einen erheblichen Eingriff in die körperliche Integrität des Patienten mit der Folge, dass die Tätigkeit grundsätzlich dem Zahnarztvorbehalt unterfällt. Problematisch stellt sich auch die Anwendung von Wasser-Pulverstrahlgeräten auf Dentin, dem Zahnbein, dar, da dieses wesentlich weicher als Zahnschmelz ist und eine erheblich geringere Resistenz gegen Abrasionsbeanspruchung aufweist. Dieser Umstand setzt, ebenso wie der weitere Umstand, dass die Anwendung von Wasser-Pulverstrahlgeräten auf Restaurationen zu Schäden führen kann, ein auf zahnärztlich wissenschaftliche Erkenntnisse gestütztes medizinisches Wissen voraus und unterliegt damit ebenfalls dem Zahnarztvorbehalt.
    Des Weiteren besteht nach den anschaulichen und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen auch bei Patienten mit z. B. Blutgerinnungsstörungen oder einem Endokarditisrisiko eine erhebliche Gefahr, dass es durch die Anwendung von Wasser-Pulverstrahlgeräten zu Mikroverletzungen des Zahnfleisches und zu Blutungen
    bzw. zu einer Herzentzündung kommen kann. Dasselbe gilt auch für Patienten mit Hepatitis oder HIV.
    Dass die Angeklagte vor Durchführung der Airflow-Behandlung gegebenenfalls verlangt hat, dass vor der Behandlung eine zahnärztliche Kontrolle stattgefunden hat, genügt nicht. Durch ein derartiges Vorgehen wäre nicht sichergestellt, dass eine umfassende Kontrolle durch einen Zahnarzt stattfindet. Am Anfang eines zu delegierenden Prophylaxefalles stehen immer Diagnose und Anordnung entsprechender Maßnahmen aufgrund einer allein dem Zahnarzt vorbehaltenen Ermessensentscheidung. Im Rahmen der Therapieplanung kann der Zahnarzt sodann prophylaktische Leistungen an entsprechend qualifiziertes Personal delegieren, wobei die jederzeitige Kontrolle durch den Zahnarzt gewährleistet sein muss. Zum Abschluss der delegierten Tätigkeit wird regelmäßig eine Berichtspflicht, welcher eine Dokumentationspflicht der ausführenden Person korreliert, zu fordern sein (vgl. Neumann-Wedekindt, MedR 1997, 397 ff.), so dass eine entsprechende Kontrolle und Aufsicht durch den Zahnarzt gewährleistet bleibt.
    Weder die rein optische Begutachtung der Zähne durch die Angeklagte noch das vorherige Ausfüllen des Anamnesebogens durch die Patienten/Kunden reicht aus, da immer noch die Gefahr besteht, dass die Angeklagte schadhafte Zähne nicht entdeckt bzw. nicht entdecken kann bzw. die Patienten/Kunden im Anamnesebogen unvollständige, falsche bzw. nicht wahrheitsgemäße Angaben machen.
    Soweit die Angeklagte meint das u. a. das Zähne putzen mittels einer Zahnbürste bei dieser Auslegung nach dem ZHG strafbar sein würde, kann dem ebenfalls nicht gefolgt werden. Der Eingriff in die körperliche Integrität des Patienten/Kunden, der hierbei droht, ist als äußerst gering anzusehen. Das Gefährdungspotential ist verschwindend gering. Die bei einer Behandlung der Zähne im Airflow-Verfahren potentiell möglichen Folgeschäden an den Zähnen der Patienten sind hiermit nicht vergleichbar, da nach den anschaulichen und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen Prof. Schulte beim Airflow-Verfahren ein vielfach höherer Druck auf die Zähne ausgeübt wird.
    Des Weiteren werden diese Tätigkeiten seltenst berufsmäßig vorgenommen werden wie von § 1 Abs. 3 ZHG gefordert.
    Dem steht auch nicht der Wortlaut des § 1 Abs. 3 Satz 2 ZHG entgegen, nachdem Krankheit jede von der Norm abweichende Erscheinung im Bereich der Zähne ist. Unter Berücksichtigung des genannten Sinn und Zweckes des § 1 Abs. 1 ZHG und seiner systematischen Stellung zu § 1 Abs. 5 ZHG lassen sich Verfärbungen der Zähne auch unter den Begriff der Zahnkrankheit im Sinne des § 1 Abs. 3 ZHG fassen. Die Wortlautgrenze wird hierbei nicht überschritten.
    Zahnverfärbungen können als eine von der Norm abweichende Erscheinung im Bereich der Zähne angesehen werden. Entscheidend ist hierbei nicht die Grundfärbung der Zähne im Gesamten. Jeder Mensch hat eine von der Natur festgelegte individuelle Zahnfarbe, die von der Dicke des Zahnschmelzes, die als harte Schutzschicht die sichtbaren Zahnanteile bedeckt, abhängig ist. Je dünner der Zahnschmelz, umso gelblicher erscheinen die Zähne, weil das unter dem Zahnschmelz befindliche Zahnbein (Dentin) dunkler ist. Wie Zahnschmelz, Zahnmark und Zahnbein zusammen erscheinen, so wird die entsprechende Farbe wahrgenommen. Strahlendes Weiß kann vorkommen, entspricht jedoch nicht der Norm. Das Farbspektrum liegt dabei zwischen weiß, beige und gelblich.
    Darüber hinausgehende Verfärbungen der Zähne im Gesamten, einzelner Zähne oder an lokal begrenzten Stellen können verschiedenste Ursachen haben. Die natürliche Zahnfarbe kann durch äußere Einflüsse beeinträchtigt sein. Auf der Zahnoberfläche haftende Beläge können die Zahnfarbe erheblich verändern. Gründe für Zahnbeläge können starker Rauch-, Tee- oder Rotweingenuss sein. Ebenso führen Speisereste, die in den Zahnzwischenräumen verbleiben, zur Veränderung der Farbe. Mitunter erscheinen einzelne Zähne auch dunkler als andere. Der Grund dafür kann ein Zahn sein, der nicht ganz in der Zahnreihe steht und dadurch von den Borsten der Zahnbürste nicht richtig erfasst wird. Weiterhin können Verfärbungen durch Nachdunkeln im Laufe des Lebens entstehen. Bestimmte Medikamente können ebenfalls die Ursache für Zahnverfärbungen sein, Insbesondere Psychopharmaka, Appetitzügler, Antihypertonika, Antihystaminika und Entwässerungsmittel greifen Zähne an und führen zum Nachdunkeln der Zahnoberfläche. Dasselbe kann für Mundspüllösungen gelten. Farbliche Veränderungen der Zähne können aber auch durch Beschädigungen an der Zahnoberfläche sowie durch Ablagerungen von farblich dunkleren Fremdstoffen unter dem Zahnschmelz entstehen oder Folge einer Zahnwurzelbehandlung oder von Karies sein. Verfärbungen und sonstige Veränderungen der Zähne können aber auch sonstige, pathologische Gründe haben. So kann der Zahnschmelz mit entsprechenden Veränderungen auch der farblichen Zahnoberfläche beispielsweise bei Bulimiekranken geschädigt werden (vgl. z. B.: www.uniklinikum-giessen.de/zmklzahnaufhellung.html). Jedenfalls können Zahnverfärbungen von nicht gänzlich unerheblichem Ausmaß daher nicht von vorne herein und grundsätzlich aus dem Bereich der medizinischen Indikation ausgeschlossen werden, auch wenn sie von Ablagerungen von Nahrungsmitteln, Getränken oder Tabak herrühren. Dies widerspräche der Wertung des § 1 Abs. 3 Satz 2 ZHG, wonach als Krankheit jede von der Norm abweichende Erscheinung im Bereich der Zähne, des Mundes und der Kiefer anzusehen ist (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 02. Oktober 2008, Az.: 9 S 2089/06). Entgegen der Ansicht des LG Frankfurt (Entscheidung vom 29. September 2006, Az.: 3-12 0 205/06), der Ansicht des LG Darmstadt (Urteil vom 02. Oktober 2001, Az.: 14 0 214/01) und der Ansicht des LG Stuttgart (Beschluss vom 03.04.2009, Az. 7 Qs 110/08) sind Zahnverfärbungen, welche über die genetisch bedingte Färbung der Zähne hinausgehen, nicht als die Norm anzusehen. Sonstige Verfärbungen der Zähne sind, soweit sie nicht auf pathologischen Gründen beruhen, abhängig von der individuellen Mundhygiene des Einzelnen, weshalb sich eine pauschalierte Behauptung dergestalt, Zahnverfärbungen entsprächen der Norm, verbietet. Die Entscheidung, ob es sich bei einer Veränderung der Zahnoberfläche um eine „Normverfärbung“ oder eine „krankhafte“ Verfärbung handelt und welche Ursache diese Verfärbung hat, muss unter Berücksichtigung des Schutzzwecks des § 1 Abs. 1 ZHG alleine dem Zahnarzt vorbehalten bleiben. Hierfür spricht auch, dass § 1 Abs. 3 ZHG nicht nur die Behandlung von Zahnkrankheiten, sondern bereits die Feststellung von Zahnkrankheiten dem Zahnarztvorbehalt unterstellt.
    Aus dem Wortlaut des § 1 Abs. 5 ZHG ergibt sich auch keine Wertung dergestalt, dass die Entfernung von Verfärbungen der Zähne, welche nichts anderes sind als Ablagerungen verschiedenster Substanzen auf dem sichtbaren Teil der Zähne, nicht als Ausübung der Zahnheilkunde zu sehen ist.
    § 1 Abs. 5 ZHG nennt ausdrücklich Tätigkeiten, welche der Zahnarzt an qualifiziertes Prophylaxe-Personal delegieren kann. Wie bereits angeführt, wurde § 1 Abs. 5 ZHG durch das Gesetz zur Sicherung und Strukturverbesserung der gesetzlichen Krankenversicherung (Gesundheitsstrukturgesetz) vom 21. Dezember 1992 in das ZHG eingefügt, um durch die Möglichkeit der Delegation bislang dem Zahnarzt vorbehaltene Tätigkeiten die finanzielle Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung zu sichern. Die Aufzählung der delegierbaren Tätigkeiten in § 1 Abs. 5 ZHG ist, wie sich aus der Verwendung des Wortes „insbesondere“ ergibt, nicht als abschließend anzusehen. Aus der expliziten Nennung der „Entfernung von weichen und harten sowie klinisch erreichbaren subgingivalen Belägen“ lässt sich daher nicht der Schluss ziehen, dass der Gesetzgeber hierdurch die Entfernung entsprechender supragingivaler Beläge vom Regelungsgehalt und damit vom Schutzzweck des ZHG ausnehmen wollte. Aus der weiteren Auflistung diverser prophylaktischer lnformationstätigkeiten wie z. B. die Erklärung der Ursachen von Karies und Parodontopathien, die Erteilung von Hinweisen zu zahngesunder Ernährung und die Motivation zur zweckmäßigen Mundhygiene als delegierbar, bringt der Gesetzgeber vielmehr zum Ausdruck, dass auch die Prophylaxe grundsätzlich Aufgabe des Zahnarztes ist (vgl. im Ergebnis auch Urteil des LG Verden vom 02. Juli 2007, Az.: 10 O 134/06).
    Im Übrigen lässt sich nach den nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen bei der Entfernung von supragingivalen Belägen mit dem Airflow-Gerät ein Kontakt mit dem Zahnfleisch kaum vermeiden.
    Das Gericht hat nicht verkannt, dass es bei dieser Auslegung der §§ 18 Nr. 1, 1 Abs. 1 und Abs. 3 ZHG zu einem erheblichen Eingriff in die verfassungsrechtlich gemäß Artikel 12 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz gewährte Berufsfreiheit der Angeklagten kommt.
    Die Einschränkung ist nach Ansicht des Gerichts jedoch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. §§ 18 Nr. 1, 1 Abs. 1 und Abs. 3 ZHG schränken das Grundrecht der Berufsfreiheit auf zulässige Weise ein. §§ 18 Nr. 1, 1 Abs. 1 und Abs. 3 ZHG dienen wie bereits oben erwähnt dem Schutz des einzelnen Patienten vor Schäden ebenso wie dem Schutz der Volksgesundheit als überragend wichtigem Gemeinschaftsgut (vgl. auch Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Juni 1958, Az.: 1 BvR 596/56).
    IV.
    Somit hat sich die Angeklagte dreier Vergehen der unerlaubten Ausübung der Zahnheilkunde gem. §§ 18 Nr. 1 ZHG, 53 StGB schuldig gemacht.
    V.
    § 18 Nr. 1 ZHG sieht Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu 1 Jahr vor.
    Zu Gunsten der Angeklagten war zu berücksichtigen, dass sie nicht vorbestraft ist.
    Des Weiteren war strafmildernd zu berücksichtigen, dass die Angeklagte den Sachverhalt vollumfänglich eingeräumt hat.
    Weiter war strafmildernd zu berücksichtigen, dass die Angeklagte eine einschlägige Berufsausbildung und langjährige Berufserfahrung hat, den Patienten/Kunden letztlich kein gesundheitlicher Schaden entstanden ist, die Angeklagte hohe Investitionen in das Zahnkosmetikstudio getätigt hat und das Strafverfahren für die Angeklagte weitreichende Folgen hatte, die insbesondere zu einer Fehlgeburt am Tage der Durchsuchung bei der Angeklagten geführt haben.
    Unter Berücksichtigung all dieser Umstände erschien dem Gericht für die Taten Ziff. 1 bis 3 jeweils eine Geldstrafe in Höhe von 10 Tagessätzen als tat- und schuldangemessen.
    Unter nochmaliger Berücksichtigung aller Umstände war hieraus eine Gesamtgeldstrafe von 15 Tagessätzen zu bilden.
    Die Höhe des Tagessatzes war in Anbetracht der Einkommensverhältnisse der Angeklagten auf 20,- Euro festzusetzen.
    VI.
    Die Kostenentscheidung folgt aus § 465 Abs. 1 StPO.

    RechtsgebietStGBVorschriften§§ 18 Nr. 1 ZHG, 53 StGB