· Arbeitsrecht
Arbeitsrechtliche Fragen nach der Hochwasserkatastrophe
von RA Michael Röcken, Bonn, ra-roecken.de
| Von den Nachwirkungen der Hochwasserkatastrophe im Juli 2021 sind noch immer weite Teile Deutschlands und damit auch viele Zahnarztpraxen betroffen. Selbst wenn die Praxis nicht zerstört wurde, ist ein ordnungsgemäßer Praxisbetrieb nicht möglich, z. B. weil Arbeitnehmer als Betroffene, aber auch als Helfende verhindert sind. Antworten auf die damit verbundenen arbeitsrechtlichen Fragen gibt dieser Beitrag. |
Arbeitnehmer verhindert
Selbst wenn Ihre Praxis nicht direkt betroffen ist, können beispielsweise Ihre Mitarbeiter nicht zum Dienst erscheinen.
Anzeige der Arbeitsverhinderung
Hier bleibt es bei der rechtzeitigen Anzeige der Arbeitsverhinderung durch Ihren Mitarbeiter. Da durch das Hochwasser nicht nur die Stromversorgung, sondern auch die Handynetze zusammenbrachen, waren Mitarbeiter nicht in der Lage, ihren Arbeitgeber rechtzeitig zu informieren. In diesem Fall muss die Meldung unverzüglich nachgeholt werden. Unterbleibt jedoch diese Meldung, können Sie eine Abmahnung erteilen. Eine Abmahnung wäre hingegen nicht möglich, wenn Ihr Mitarbeiter direkt nach der Flutkatastrophe zu spät zur Arbeit erscheint, da er dies nicht zu vertreten hatte.
Vergütungsanspruch des Mitarbeiters
Maßgebend für einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung gemäß § 616 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ist grundsätzlich ein subjektives Leistungshindernis. D. h., die Arbeitsverhinderung muss einen in seiner Person liegenden, nicht schuldhaften Grund haben. Dieser Fall ist abzugrenzen vom objektiven Leistungshindernis.
Gerade im Fall der Hochwasserkatastrophe greift diese Abgrenzung jedoch nicht. Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) sieht nämlich eine Ausnahme vor. Die Norm des § 616 Abs. 1 BGB ist danach ausnahmsweise auch bei einem objektiven Leistungshindernis anzuwenden, wenn
- das Hindernis den betroffenen Arbeitnehmer wegen seiner besonderen persönlichen Verhältnisse derart betrifft, dass es gerade auf seinen körperlichen oder seelischen Zustand zurückwirkt oder
- der Arbeitnehmer von einer Naturkatastrophe betroffen wird und ihm die Arbeitsleistung deshalb vorübergehend nicht zuzumuten ist, weil er erst seine eigenen Angelegenheiten ordnen muss.
Davon können wir in dieser sehr speziellen Situation ausgehen, sodass der Vergütungsanspruch weiter besteht.
Wie lange dieser Zeitraum der Entgeltfortzahlung besteht, ist gesetzlich nicht geregelt. Dort ist nur von einer „verhältnismäßig nicht erheblichen Zeit“ die Rede. Wie so oft, hängt es vom Einzelfall ab. Der Zeitraum wird nur wenige Tage umfassen. Als Obergrenze wird teilweise zehn Tage angesehen. Das Thema ist aber immer wieder Anlass für Rechtsstreitigkeiten.
PRAXISTIPP |
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Mitarbeiter als ehrenamtlicher Helfer
Mitarbeiter, die sich als freiwilliger Helfer engagieren, müssen Sie arbeitsrechtlich nur freistellen, wenn es sich um einen Einsatz für das THW (§ 3 THW-Gesetz) oder die freiwillige Feuerwehr handelt. Für diese sehen landesgesetzliche Regelungen Freistellungsansprüche der Mitarbeiter vor. So lobenswert ein ehrenamtliches Engagement auch ist, müssen Sie keine Freistellung gewähren, wenn eine solche gesetzliche Bindung fehlt. Diese Einsätze müssen in der Freizeit erfolgen.
MERKE | Wird Ihr Mitarbeiter während seines Urlaubs zu einem Einsatz herangezogen, hat er gegen Sie einen Anspruch auf erneute Gewährung des Urlaubs (Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 10.05.2005, Az. 9 AZR 251/04). |
Arbeitslohnspenden Ihrer Beschäftigten
Wie so oft in Katastrophenfällen sehen die Finanzministerien auch hier vor, dass Arbeitnehmer durch eine „Arbeitslohnspende“ helfen können. Hier können Sie eine Spendenaktion mit Ihren Angestellten organisieren. Die Mitarbeiter spenden Teile ihres Arbeitslohns oder verzichten auf Teile eines angesammelten Wertguthabens. Wenn Sie diese Beträge an eine steuerbegünstigte Organisation (wie z. B. Deutsches Rotes Kreuz) weiterleiten, bleiben diese Lohnteile bei der Feststellung des steuerpflichtigen Arbeitslohns außer Ansatz.
Den hier außer Ansatz bleibende Arbeitslohn müssen Sie im Lohnkonto aufzeichnen (§ 4 Abs. 2 Nr. 4 S. 1 Lohnsteuer-Durchführungsverordnung). Auf die Aufzeichnung können Sie verzichten, wenn stattdessen Ihr Mitarbeiter seinen Verzicht schriftlich erteilt hat und Sie diese Erklärung zum Lohnkonto nehmen.
Diese Beträge sind nicht in der Lohnsteuerbescheinigung (§ 41b Abs. 1 S. 2 Nr. 3 Einkommensteuergesetz) anzugeben. Die Kehrseite der Medaille ist, dass die steuerfrei belassenen Lohnteile im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung auch nicht als Spende berücksichtigt werden dürfen.
Praxis nicht zu nutzen
Viele Praxen sind auch direkt von der Flutkatastrophe betroffen, sodass derzeit an eine Behandlung von Patienten nicht zu denken ist. Die Folge ist, dass Sie derzeit keine Beschäftigungsmöglichkeiten bieten können, da Behandlungen aktuell nicht Betracht kommen. Hier stellen sich zwei arbeitsrechtliche Probleme.
Vergütungsanspruch bleibt bestehen
Der Arbeitgeber muss Beschäftigungsmöglichkeiten geben. Wie schon zu Lockdown-Zeiten, bleibt nach der Regelung des Betriebsrisikos (§ 615 BGB) der Vergütungsanspruch bestehen, wenn Sie die Praxis aufgrund der Verwüstung oder ausbleibenden Patienten nicht öffnen können.
PRAXISTIPP | Wenn Sie geringfügige Beschäftigte in der Praxis haben und zurzeit Steuern sowie Sozialversicherungsbeiträge nicht abführen können, hat die Minijob-Zentrale bereits signalisiert, dass Sie einen Stundungsantrag stellen können, welcher „unbürokratisch und schnell“ bearbeitet wird (Antragsformular finden Sie online unter iww.de/s5247). |
Flutschäden beseitigen
Der Verwüstung können Sie nicht allein Herr werden, d. h., dass Ihre Mitarbeiter helfen müssen. Da die Beseitigung von Schlamm und Müll selten in den Arbeitsverträgen als Tätigkeitsfeld aufgenommen wurde, stellt sich die Frage, ob das Anordnen von Aufräum- und Putzarbeiten im Rahmen des Direktionsrechts möglich ist.
MERKE | Das Arbeitsgericht (ArbG) Leipzig hat eine Verpflichtung des Arbeitnehmers zu Aufräumarbeiten beim „Jahrhunderthochwasser“ im Jahr 2002 bejaht. In Not- und Katastrophenfällen sei der Arbeitnehmer aufgrund vertraglicher Nebenpflicht zur Abwendung von Schaden vom Betrieb verpflichtet. Dazu gehöre es auch, andere Tätigkeiten als vereinbart oder Mehrarbeit zu leisten. Das Gericht wies aber auch darauf hin, dass Arbeitnehmern, die es ablehnen, eine vom Arbeitgeber unter Überschreitung seines Direktionsrechts zugewiesene Tätigkeit zu verrichten, nicht gekündigt werden darf (Urteil vom 04.02.2003, Az. 7 Ca 6866/02). |
Kurzarbeit
Bleibt die Praxis geschlossen und haben Sie keine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit, müssen Sie an die Kurzarbeit denken (ZP 04/2020, Seite 10). Eine „einseitige“ Anordnung ist hier jedoch nicht möglich. Sie müssen mit dem Mitarbeiter eine Vereinbarung schließen, sofern Sie dies nicht schon im Arbeitsvertrag geregelt haben.