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  • · Arbeitsrecht

    Dürfen Arbeitgeber das Tragen von Kopftüchern verbieten?

    Bild: Eid London 2014 - 05 / Garry Knight / CC CC BY 2.0

    | Das Verbot des Tragens jeder sichtbaren Ausdrucksform politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen kann nach Ansicht des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) durch das Bedürfnis des Praxisinhabers gerechtfertigt sein, gegenüber den Patienten ein Bild der Neutralität zu vermitteln oder soziale Konflikte zu vermeiden. Diese Rechtfertigung muss jedoch einem wirklichen Bedürfnis des Arbeitgebers entsprechen, und die nationalen Gerichte können im Rahmen des Ausgleichs der in Rede stehenden Rechte und Interessen, dem Kontext ihres jeweiligen Mitgliedstaats sowie insbesondere den in Bezug auf den Schutz der Religionsfreiheit günstigeren nationalen Vorschriften, Rechnung tragen (Urteil vom 15.07.2021, Rechtssache C-341/19 und C-804/18). |

    Die Fälle

    Eine Heilerziehungspflegerin und eine Drogeriemitarbeiterin trugen an ihrem jeweiligen Arbeitsplatz ein islamisches Kopftuch. Beide wurden von ihren Arebitgebern aufgefordert, das Kopftuch abzulegen und zukünftig ohne auffällige Zeichen religiöser, politischer oder weltanschaulicher Überzeugungen an ihrem Arbeitsplatz zu erscheinen. Beide Frauen erhoben Klage und die befassten Gerichte legten die Fälle dem EuGH vor und baten ihn um Auslegung der Richtlinie 2000/78 (online unter ogy.de/7sae) zu ersuchen. Insbesondere ist der EuGH gefragt worden,

     

    • ob (1) eine interne Regel eines Unternehmens, die den Arbeitnehmern das Tragen sichtbarer Zeichen politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen am Arbeitsplatz verbietet, gegenüber Arbeitnehmern, die aufgrund religiöser Gebote bestimmte Bekleidungsregeln befolgen, eine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung darstellt,

     

    • (2) unter welchen Voraussetzungen die etwaige mittelbare Ungleichbehandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung, die sich aus dieser Regel ergibt, gerechtfertigt sein kann,

     

    • und (3) welche Gesichtspunkte bei der Prüfung der Angemessenheit einer solchen Ungleichbehandlung zu berücksichtigen sind.

    Das Tragen sichtbarer Zeichen kann für alle verboten werden

    In Bezug auf Punkt (1) stellt der EuGH fest, dass das Tragen von Zeichen oder Kleidung zur Bekundung der eigenen Religion oder Überzeugung unter die „Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit“ fällt. Für die Zwecke der Anwendung der Richtlinie 2000/78 sind die Begriffe „Religion“ und „Weltanschauung“ die zwei Seiten ein und desselben Diskriminierungsgrundes.

     

    Außerdem erinnert der Gerichtshof an seine Rechtsprechung, wonach eine solche Regel keine unmittelbare Diskriminierung darstellt, da sie unterschiedslos für jede Bekundung solcher Überzeugungen gilt und alle Arbeitnehmer des Unternehmens gleichbehandelt, indem ihnen allgemein und undifferenziert vorgeschrieben wird, sich neutral zu kleiden, was das Tragen solcher Zeichen ausschließt.

     

    Der Gerichtshof ist der Auffassung, dass diese Feststellung nicht durch die Erwägung in Frage gestellt wird, dass einige Arbeitnehmer religiöse Gebote befolgen, die eine bestimmte Bekleidung vorschreiben. Die Anwendung einer internen Regel wie der oben genannten kann zwar solchen Arbeitnehmern besondere Unannehmlichkeiten bereiten, doch ändert dies nichts an der Feststellung, dass diese Regel, die Ausdruck einer Politik der Neutralität des Unternehmens ist, grundsätzlich keine Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern einführt, die auf einem untrennbar mit der Religion oder der Weltanschauung verbundenen Kriterium beruht.

     

    Im vorliegenden Fall scheint die in Rede stehende Regel allgemein und ohne jede Differenzierung angewandt worden zu sein, da der betreffende Arbeitgeber auch im Fall einer Arbeitnehmerin, die ein religiöses Kreuz trug, verlangt und erwirkt hat, dass sie dieses Zeichen ablegt.

     

    Der Gerichtshof gelangt zu dem Ergebnis, dass unter diesen Umständen eine Regel wie die im Verfahren der Heilerziehungspflegerin in Rede stehende keine unmittelbare Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung gegenüber Arbeitnehmern darstellt, die in Anwendung religiöser Gebote bestimmte Bekleidungsregeln befolgen.

    Neutralität kann ein rechtmäßiges Ziel der Praxis darstellen

    In Bezug auf Ausgangsfrage (2) kommt der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass eine sich aus einer solchen internen Regel ergebende mittelbare Ungleichbehandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung mit dem Willen des Arbeitgebers gerechtfertigt werden kann, eine Politik politischer, weltanschaulicher und religiöser Neutralität gegenüber seinen Kunden oder Nutzern zu verfolgen, um deren berechtigten Erwartungen Rechnung zu tragen.

     

    Hierzu stellt der Gerichtshof zunächst fest, dass der Wille eines Arbeitgebers, im Verhältnis zu den Kunden eine Politik der politischen, weltanschaulichen oder religiösen Neutralität zum Ausdruck zu bringen, ein rechtmäßiges Ziel darstellen kann.

    Wann ist eine Ungleichbehandlung ggf. angemessen?

    Aber: Der bloße Wille reicht für sich genommen nicht aus, um eine mittelbare Ungleichbehandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung sachlich zu rechtfertigen, da eine sachliche Rechtfertigung nur bei Vorliegen eines wirklichen Bedürfnisses dieses Arbeitgebers festgestellt werden kann. Die für die Feststellung eines solchen Bedürfnisses maßgeblichen Gesichtspunkte (Ausgangsfrage (3) von oben) sind

    • insbesondere die Rechte und berechtigten Erwartungen der Patienten
    • sowie der Nachweis des Arbeitgebers, dass ohne eine solche Politik der Neutralität seine unternehmerische Freiheit beeinträchtigt würde, da er angesichts der Art seiner Tätigkeit oder des Umfelds, in dem diese ausgeübt wird, nachteilige Konsequenzen zu tragen hätte.
    • Sodann stellt der Gerichtshof klar, dass die Ungleichbehandlung geeignet sein muss, die ordnungsgemäße Anwendung dieser Neutralitätspolitik zu gewährleisten, was voraussetzt, dass diese Politik konsequent und systematisch befolgt wird.
    • Schließlich muss das Verbot, ein sichtbares Zeichen politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen am Arbeitsplatz zu tragen, auf das beschränkt sein, was im Hinblick auf den tatsächlichen Umfang und die tatsächliche Schwere der nachteiligen Konsequenzen, denen der Arbeitgeber durch ein solches Verbot zu entgehen sucht, unbedingt erforderlich ist.

     

    MERKE | Der EuGH hat nicht übersehen, dass ein Verbot, am Arbeitsplatz sichtbare Zeichen politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen zu tragen, um eine Neutralitätspolitik in diesem Unternehmen sicherzustellen, durchaus diskriminierend sein kann, auch, wenn es für alle Mitarbeiter gleichermaßen gilt. Wenn nämlich das Kriterium des Tragens auffälliger großflächiger Zeichen politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen mit einer oder mehreren bestimmten Religion(en) oder Weltanschauung(en) untrennbar verbunden ist und das von einem Arbeitgeber auferlegte Verbot, diese Zeichen zu tragen, zur Folge haben kann, dass einige Arbeitnehmer wegen ihrer Religion oder Weltanschauung weniger günstig behandelt werden als andere. Dies stellt eine unmittelbare Diskriminierung dar, die nicht gerechtfertigt werden kann.

     

     

    • Kopftücher in der Zahnarztpraxis und Hygiene

    Für die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH) e.V. „verursacht das Tragen von Kopftüchern und anderen Kopfbedeckungen auch bei der direkten Arbeit am Krankenbett grundsätzlich keine hygienischen Probleme“. Gleichzeitig gibt die DGKH Rahmenbedingungen an die Hand (Quelle: ogy.de/lndo), mit denen Kopftücher nicht zur Keimschleuder werden. „Sie müssen ...

     

    • frei von sichtbaren Beschmutzungen sein.
    • im Allgemeinen täglich gegen frisch gewaschene Kopfbedeckungen getauscht werden, bei Verschmutzung oder Kontamination sofort. Dies ist im Allgemeinen nur möglich, wenn sie wie Berufskleidung vom Ar beitgeber gestellt werden. Daher sollten Mitarbeiterinnen, die Kopfbedeckungen tragen wollen, neben der Berufskleidung auch Kopftücher gestellt werden (Anm. d. Red.: Vielleicht sogar mit Praxislogo?!). Merke | In medizinischen Bereichen mit hoher Kontaminationsmöglichkeit und einer antizipierbar häufigen Wechselfrequenz stehen auch Einwegkopftücher zur Verfügung, die für die Mitarbeiterinnen bereitgestellt werden können.
    • dicht anliegen und die Haare gut bedecken.
    • maschinell in definierten Reinigungs-Desinfektions‒Waschverfahren aufbereitet werden können. Maschinelle Verfahren mit Temperaturen von mindestens 60°C oder mindestens 40°C zuzüglich einem Desinfektionswaschmittel sind notwendig.“

     

    Die Kopfbedeckung muss so getragen werden, dass ein Verrutschen oder Herabfallen ausgeschlossen ist. Sehr große Kopftüchern können beispielsweise unter den Kragen des Oberteils gelegt werden, damit eine unbeabsichtigte Kontamination ausgeschlossen werden kann.

     

    Merke | Im OP (Anm. d. Red.: gemeint ist hier ein Krankenhaus-OP, in Zahnarztpraxen sollte vom Praxisinhaber entschieden werden) [...] sind Kopftücher nicht erlaubt und z. B. durch Einmalhauben zu ersetzen.

     

     

    Quelle: ID 47546345