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  • · Nachricht · Dissertation

    Zahnärzte mehr in die Erkennung von häuslicher Gewalt einbinden!

    | Dass häusliche Gewalt ein massives gesellschaftliches Problem ist, steht außer Frage. Ein Aspekt, der bislang wenig Aufmerksamkeit erfahren hat, ist die Bedeutung der Rolle von Zahnärztinnen und Zahnärzten bei der Erkennung von Opfern. Denn Verletzungen im Gesichtsbereich können auf häusliche Gewalt hinweisen. Charakteristische Verletzungen sind z. B. Zahnabsplitterungen, der Riss des Oberlippenbändchens, Verletzungen der Oberlippe oder Kieferfrakturen. Zahnärzte sind häufig die Ersten, manchmal auch die Einzigen, die die Betroffenen konsultieren. Zwar unterliegen sie einer gesetzlichen Schweigepflicht bei Verdacht auf Gewalttaten. Gleichwohl gibt es Möglichkeiten, aktiv zu werden. |

    Kaum Studien zum Thema

    Zahnärztin Dr. med. dent. Jana Bregulla von der Universität Münster fand in ihrer Dissertation heraus, dass trotz der Brisanz des Themas wissenschaftliche Studien, die den Zusammenhang zwischen der zahnmedizinischen Versorgung und häuslicher Gewalt untersuchen, rar sind ‒ im deutschsprachigen Raum sogar nicht existent. Eine zum ersten Mal durchgeführte qualitative Begutachtung der wenigen existierenden Studien zeigt auf, dass einige Länder bereits Maßnahmen zur Erkennung und Behandlung von Opfern häuslicher Gewalt umsetzen. „Empirische Studien an einer US-amerikanischen zahnmedizinischen Hochschule zeigen beispielsweise auf, dass gezielte Vorlesungsmodule das Wissen der Studierenden über die gesundheitsbezogenen traumatischen Ereignisse vergrößern und ihr Selbstvertrauen bei der Behandlung von Opfern verbessern“, sagt Jana Bregulla, die in der Poliklinik für Prothetische Zahnmedizin und Biomaterialien des Universitätsklinikums Münster als Zahnärztin arbeitet. „Für Deutschland sehe ich großen Aufholbedarf ‒ einige der Studien könnten daher als Best-Practice-Beispiele dienen.“

    Kommunikation mit den Patienten üben

    Dreh- und Angelpunkt sei die Kommunikation zwischen Arzt und Patient. Zahnärzte hätten oft falsche Vorstellungen von Opfern von Gewalttaten, die meisten hätten keine formale Aus- oder Weiterbildung mit Blick auf häusliche Gewalt erhalten. Das führe oftmals zur Zurückhaltung, Patienten auf ihre Verletzungen anzusprechen. „Es fehlt den Zahnärzten an grundlegenden Kenntnissen über die Anzeichen häuslicher Gewalt, wie sie entsprechende Fälle richtig dokumentieren, wie sie mit den Opfern kommunizieren und ihnen professionell helfen können“, erklärt die Medizinerin. „Um diese Hemmungen abzubauen, wäre es sinnvoll, Rollenspiele, Kommunikations- und Simulationstrainings rund um das Thema häusliche Gewalt im Medizinstudium regelmäßig einzubauen. Das Studienhospital der Universität Münster bietet dazu optimale Lehr- und Lernbedingungen“, findet die 27-jährige Medizinerin und Wissenschaftlerin.

    Forensischer Fragebogen als Unterstützung

    Die Zahnärztekammern und die kassenzahnärztlichen Vereinigungen Nordrhein und Westfalen-Lippe haben einen forensischen Befundbogen entwickelt, der zur fachgerechten und rechtssicheren Dokumentation gewaltbedingter Verletzungen verhilft: https://voge.ly/vglyPoQ/. „Eine detaillierte Dokumentation kann für die Beweissicherung in einer Gerichtsverhandlung eine entscheidende Bedeutung haben“, betont Prof. Dr. Dr. Bettina Pfleiderer, die die Dissertation betreut hat und schon seit vielen Jahren Projekte und Seminare zum Thema häusliche Gewalt leitet. „Nichts tun sollte niemals eine Option sein.“

    Europaweites Forschungsprojekt

    Die Forschungslücken, die durch die Dissertation von Jana Bregulla offengelegt wurden, gaben Anlass, die Zahnmedizin in ein neues europaweites Forschungsprojekt mit dem Titel „Victim Protection in Medicine“ (Opferschutz in der Medizin) aufzunehmen. In den kommenden drei Jahren entwickelt ein Forschungsteam unter der Leitung von Bettina Pfleiderer konkrete Lehrpläne, in denen der Umgang mit häuslicher Gewalt sowohl in die universitäre Lehre für angehende Human- und Zahnmediziner als auch in Fort- und Weiterbildungsprogramme für Ärzte und medizinisches Fachpersonal verankert wird.

    Hintergrund

    Die Zahlen sind alarmierend: Nach Angaben des Bundeskriminalamts gab es im vergangenen Jahr mehr als 143.000 Opfer von häuslicher Gewalt. In den vergangenen fünf Jahren sind die Opferzahlen um insgesamt 3,4 Prozent gestiegen. Die Dunkelziffer stufen Expertinnen und Experten weitaus höher ein.

     

    Weiterführender Link

    Quelle: ID 49619398