· Kinderzahnheilkunde
BARMER versus KZBV: Wie viel Karies haben die Kinder denn nun?
| Der BARMER Zahnreport 2020 berichtet, dass etwa 67 % der zwölfjährigen Kinder in Deutschland keine Versorgungen aufweisen. Der Report setzt dies in eine Analogie zur Kariesfreiheit. Die 5. Deutsche Mundgesundheitsstudie (DMS V-2014) dagegen weist für zwölfjährige Kinder einen Anteil von 81 % karies-(erfahrungs-)freien bleibenden Gebissen aus. Hier liegt auf den ersten Blick eine Differenz von 14 Prozentpunkten zwischen epidemiologischen und versorgungsbezogenen Daten vor, die erklärungsbedürftig ist. |
Karies bei Kindern unterschätzt?
„Ein Drittel der Zwölfjährigen in Deutschland hat bereits Karies im bleibenden Gebiss. Bislang war man davon ausgegangen, dass sie etwa jeden Fünften betrifft. Somit wurde Karies bei Kindern deutlich unterschätzt.“ Das ist eine Folgerung aus dem aktuellen BARMER Zahnreport. [1] Die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) widerspricht. [2]
Nach den Zahlen der BARMER wurden im Jahr 2018 bereits 33 % der Zwölfjährigen ‒ also rund 240.000 Kinder ‒ wegen Karies behandelt. Der Anteil der Kinder, die über einen Zeitraum von sechs Jahren überhaupt keinen Kontakt zu einem Zahnarzt gehabt hätten, sei erstaunlich hoch. Bei den Kindern unter sechs Jahren seien es sogar mehr als 15 Prozent. Von den 4,6 Mio. Kindern unter sechs Jahren seien also 720.000 nie beim Zahnarzt gewesen.
Das Problem: die Datenbasis der BARMER
Beim BARMER Zahnreport besteht die Datengrundlage in der Gesamtheit der versicherten Personen bei dieser Krankenkasse. Diese entspricht jedoch hinsichtlich ihrer soziodemografischen Merkmale i. d. R. nicht der allgemeinen Bevölkerung in Deutschland. Im Besonderen bilden sie nur versicherte Personen einer gesetzlichen Krankenversicherung ab, privat versicherte Personen bleiben gänzlich unbetrachtet.
Hinzu kommt: Daten der Krankenkassen können sich nur auf Personen beziehen, die auch zum Zahnarzt gegangen sind. I. d. R. werden Ärzte aufgesucht, wenn man erkrankt ist. In einer allgemeinen Bevölkerungsstichprobe werden hingegen auch solche Personen betrachtet, die nicht zum (Zahn-)Arzt gehen und möglicherweise ein anderes Gesundheitsniveau aufweisen.
Der BARMER Zahnreport setzt voraus, dass lediglich etwa 67 % der Kinder in Deutschland keine Versorgungen (Füllungen, Wurzelbehandlungen, Extraktionen) aufweisen ‒ und dies wird als Kariesfreiheit ausgelegt. In einem Abrechnungsdatensatz, der lediglich den Zahn und die Abrechnungsleistung aufführt, ist aber nicht zu erkennen, ob eine Füllung aufgrund von Karies oder aufgrund anderer Erkrankungen angefertigt wurde. Dazu zählen traumatisch geschädigte Zähne, entwicklungsbedingte Zahnhartsubstanzdefekte (z. B. MIH) und erworbene Zahnhartsubstanzdefekte (z. B. Erosionen) sowie erweiterte Fissurenversiegelungen zur Vermeidung einer späteren Kariesentwicklung.
MERKE | Die Diskrepanz kariesfreier Kinder (81 %) und versorgungsfreier Kinder in Deutschland (67 %) kann also ‒ eingedenk der methodischen Einschränkungen der unterschiedlichen Studiendesigns ‒ durch Restaurationen erklärt werden, die nicht kariesbedingt sind, sowie durch erweiterte Fissurenversiegelungen. |
Fissurenversiegelungen: Weniger haltbar als vermutet?
Fissurenversiegelungen sind wohl weniger haltbar als erwartet, erklärt Studienautor Prof. Dr. Michael Walter (Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik an der TU Dresden): Nur 35,3 % der erstmaligen Versiegelungen bei Heranwachsenden hielten länger als neun Jahre. „Die Haltbarkeit von Fissurenversiegelungen ist geringer als erwartet und bedarf der regelmäßigen zahnärztlichen Kontrolle. Das eigentliche Ziel, eine Karies zu vermeiden, wird aber auf lange Sicht offensichtlich zumeist erreicht“, sagte Walter. So habe sich nur bei 15,7 % der erstversiegelten Fissuren innerhalb von neun Jahren Karies gebildet, sodass eine Füllung erfolgen musste. In über 80 % der Fälle habe eine Versiegelung eine Füllung aufgrund von Kariestherapie mindestens neun Jahre lang verhindern können.
Prävention stärker bei Karies-Risikogruppe ansetzen
Laut BARMER Zahnreport gibt es offenbar einen Zusammenhang zwischen dem Therapiebedarf der Heranwachsenden unter 18 Jahre und dem Einkommen von Vater oder Mutter. Dies lege eine Analyse von bei der BARMER versicherten Eltern nahe. Je geringer deren Einkommen sei, desto häufiger seien auch die Therapieleistungen bei Heranwachsenden. Dabei gebe es wie in vielen Industrie- und Schwellenländern auch in Deutschland eine zunehmende Polarisierung bei der Karies. „Wenige Kinder und Jugendliche haben besonders viel Karies. Wir müssen den Präventions-Fokus stärker auf diese Risikogruppe legen“, sagte Straub.
Dies zeige sich eindrucksvoll, wenn man in der Gruppe der unter 18-Jährigen die 10 % betrachte, die die meisten Therapiekosten benötigten: Im Jahr 2018 hätten sie bereits 85,2 % der Therapiekosten auf sich gezogen, während es im Jahr 2010 erst 78,7 % gewesen wären.
Quellen
- [1] BARMER Institut für Gesundheitsforschung BIfG. BARMER Zahnreport 2020. Zahngesundheit bei Kindern und Jugendlichen. Schriftenreihe zur Gesundheitsanalyse ‒ Band 22. Berlin, 2020.
- [2] Institut der deutschen Zahnärzte IdZ. Versorgungsfrei ≠ kariesfrei. Stellungnahme vom 28.05.2020.
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