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  • · Fachbeitrag · Umweltzahnmedizin

    Metall-Mix im Mund: Oraler Galvanismus trotz bescheinigter Biokompatibilität

    | Angesichts der steigenden Zahl von Patienten mit Unverträglichkeiten gegenüber Zahnersatz kommt der Auswahl von Materialien in der Prothetik und Zahntechnik eine bedeutende Rolle zu. Untersuchungen mit Befragung zahntechnischer Labors zeigen, dass bei der Anfertigung von Zahnersatz ein ­„Metallmix“ von zwei bis vier Legierungen pro Zahnersatzstück die Regel ist. Lötungen oder Laserschweißung erhöhen die Inhomogenität und damit korrosive Risiken. Berücksichtigt man, dass der neu geschaffene Zahnersatz in eine Mundhöhle eingegliedert wird, in der sich ohnehin schon verschiedene andere Legierungen befinden, wird der „orale Galvanismus“ exzessiv. |

     

    Im Speichel laufen zwischen den verschiedenen Legierungen im Mund elektrochemische Vorgänge ab, welche die Bioverträglichkeit im Verband stehender Legierungen relativieren, auch wenn Biokompatibilität für die einzelne Legierung gegeben sein mag. Auf diese Weise werden durch korrosive Prozesse der Anode (Legierung mit elektronegativem Charakter) Metallionen entzogen, die dann als Halballergene (Haptene) im Speichel, aber auch in anderen Körperflüssigkeiten nachweisbar sind und im ganzen Körper allergische Reaktionen hervorrufen können. So können durchaus auch Edel­metalle wie Gold oder Platinmetalle bei entsprechender Sensi­bilisierung allergische Reaktionen verursachen, sobald diese in Lösung ­gehen.

     

    Obgleich diese Ursache für eine Protheseninkompatibilität bereits lange bekannt ist, wird ihr bislang zu wenig Beachtung geschenkt. Im Gegenteil, sehr moderne Technologien wie beispielsweise Zahnersatz mit galvanisch hergestellten Außenteleskopen zeigen hohe Korrosionspotenziale, wenn die Feingoldteleskope mit anderen Legierungen kombiniert werden. Für eine leitende Verbindung im Elektrolyten reicht dabei schon ein durch mechanische Deformation des Zahnersatzes auftretender und damit unvermeidbarer ­Mikrospalt zwischen Außenteleskopen und Meso- bzw. Suprakonstruktion aus. Damit stellen diese technologisch hochwertigen Konstruktionen im Grunde einen biologischen Rückschritt dar.

    (Sekundär)Karies durch Galvanismus?

    CHASE bemerkte bereits 1879 (Dental Cosmos 21: 205‒ 207), dass durch die Einwirkung elektrischer Felder eine Demineralisation von Schmelz, Dentin und anorganischen Befestigungsmaterialien auftritt. Er wies Karies als ­galvanisch verursachten Prozess nach. Die sogenannte „Sekundärkaries“ an Füllungs- und Kronenrändern ist demnach ‒ und zahlreiche andere Autoren unterstützen diese These ‒ primär nicht die Folge eines zu großen Randspaltes oder bakteriellen Geschehens, sondern die einer falschen Materialwahl bei der Restauration von Zähnen.

     

    Weitgehend unbeachtet blieben auch zahlreiche Untersuchungen zu den Auswirkungen galvanischer Reaktionen auf die Mundschleimhaut, auf die erstmals im Jahre 1933 LAIN hinwies (Journ Am Med Assoc 1933; 100: 717‒ 720). Kürzlich wurde von einer internationalen Arbeitsgruppe darüber berichtet, dass permanent einwirkende elektrische Felder von 8 V/m oder mehr die Proliferation von Leukoplakie-Zellen signifikant erhöhen, Felder über 16 V/m Entartungserscheinungen der Zellen hervorrufen (KORRAAH A, Oral Surg Oral Med Oral Pathol Oral Radiol 2012; 113: 644‒ 654).

     

    Bemerkt sei hier, dass eine permanente Feldstärke von 16 V/m bereits zwischen zwei metallischen Werkstücken mit einer Potenzialdifferenz von 400 mV (Korrosionspotenzial zwischen Gold und Amalgam) auftritt, wenn diese einen Abstand von 25 mm im Mund haben. Eine Feldstärke von 40 V/m resultiert, wenn der Abstand der Werkstücke 10 mm beträgt. Hinzu kommt, dass durch die Wirkung elektrischer Felder auch Änderungen in der Homöostase der Mundhöhle auftreten, was zu bakteriellen Entzündungen der Mundschleimhaut führen kann.

     

    Bedeutung hat die elektrolytische Zersetzung von schwefel- oder ammoniumhaltigen Aminosäuren im Speichel unter anderem auch für das Auftreten einer Halitosis (Mundgeruch). Der sogenannte „metallische“ Geruch der Ausatemluft oder metallische Geschmack im Munde ist nur in sehr seltenen Fällen durch internistische Erkrankungen wie beispielsweise durch das Evaporieren von Keton-Körpern (schlecht eingestellter Diabetes mellitus, Kachexie o. ä.) verursacht, sondern schlichtweg durch oralen Galvanismus hervorgerufen.

    Wie soll die moderne restaurative und rekonstruktive Zahnmedizin diesen Erscheinungen begegnen?

    Bereits vor mehr als 30 Jahren hat der gemeinsame Bundesausschuss der Zahnärzte und Krankenkassen festgelegt, dass möglichst nur eine Legierung in der Mundhöhle verwendet wird. Diese Forderung wurde seither mehrfach wiederholt. Verwunderlich ist nur, dass sich nur wenige Zahnärzte daran halten.

     

    Dank neuerer Entwicklungen im Bereich der dentalen Keramikwerkstoffe können heute Kronen und kurze Brücken völlig metallfrei gestaltet werden. Somit gehört die Zukunft einer fortschrittlichen und „bioverträglichen“ Zahnheilkunde dem vermehrten Einsatz von Keramiken.

     

    Für die notwendige Konstruktion von metallisch armierten Zahnersatz­stücken sollte möglichst pro Patient eine Legierung zur Verfügung stehen, die universell anwendbar ist und damit auch alle Voraussetzungen für Bioverträglichkeit erfüllt. Dies kann heute auch unter Berücksichtigung wirtschaftlicher Aspekte insbesondere mittels NEM-Legierungen erfolgen, die dank verbesserter Materialeigenschaften und Maßhaltigkeit bei der Verarbeitung durchaus als metallischer Normwerkstoff bei metallarmiertem Zahnersatz anzusehen sind.

     

    Bei den werkstofftechnischen Forderungen an eine Ein-Werkstoff-Versorgung stehen an zweiter Stelle hochgoldhaltige Legierungen. Diese weisen bei entsprechender Verarbeitung ähnliche physikalische Eigenschaften wie NEM-Legierungen auf, allerdings bei etwas geringerer Dauerstabilität. Jedoch sind auch hochgoldhaltige Legierungen in der Mundhöhle nicht korrosionsstabil, vor allem dann nicht, wenn sie mit Kupfer legiert sind. Edelmetallreduzierte Legierungen sollten nach den Erfahrungen aus den letzten 60 Jahren ‒ wenn möglich ‒ vermieden werden.

     

    PRAXISHINWEIS |  Es liegt heute bereits eine Reihe von Werkstoffen vor, mit denen biokompatibler Zahnersatz auch unter den Vorgaben einer Regelversorgung hergestellt werden kann. Ausschlaggebend ist allerdings die individuelle Wahl der Werkstoffe und die Beschränkung auf die eine ‒ möglichst universell anwendbare ‒ Legierung, aus der lange Brücken und hochelastischfedernde Prothesenelemente wie Klammern konstruiert werden können. Für Kronen und kurze Brücken stellt sich dieses Problem nicht, da diese jetzt schon metallfrei hergestellt werden können. Mit dieser Zielsetzung sollen alle modernen Herstellungstechniken genutzt werden, um Zahnersatz in hohem Maße und anhaltend biokompatibel zu machen.

     

    Quelle

    • Niedermeier W. Regelversorgung im Spiegel der Biokompatibilität. 42. Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft Dentale Technologie 2013
    Quelle: Ausgabe 10 / 2013 | Seite 7 | ID 42323885