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  • 01.11.2007 | Allgemeine Zahnheilkunde

    Prioritätenumkehr in der Zahntraumatologie (Teil 1)

    von Prof. Dr. Kurt Ebeleseder, Graz

    Zahnmedizinische Meinungen – die früher vielleicht ihre Gültigkeit hatten – sind heute obsolet oder falsch. Nachfolgend haben wir für Sie die wichtigsten veralteten Leitsätze zusammengefasst und den neuen Leitsätzen gegenübergestellt.  

    Alter Leitsatz  

    Neuer Leitsatz  

    „Die erste Maßnahme nach einem Zahntrauma ist das chirurgische Debridement.“  

    „Ziel der Erstversorgung ist die möglichst umfassende anatomische Wiederherstellung des Patienten.“  

     

    Verletzte Zähne, gerissene Papillen, verschobene Alveolarsepten sind lebendes Gewebe, das ärztliche fachgerechte Hilfe benötigt! Die Erstversorgung soll doch kein zusätzliches Trauma sein!  

    „Die Gingiva braucht keine Nähte, sie heilt von allein.“  

    Das tut sie zwar, aber verzögert und anatomisch unkorrekt. Deshalb lautet ein neuer Leitsatz:  

     

    „Jede gerissene Papille gehört genäht.“  

    „Selbstauflösende Nähte schonen den Patienten.“  

    „Nicht auflösbare, monofilamentäre, atraumatische Nähte für fünf bis sieben Tage.“  

     

    Werden sie mit einer Spannung nach inzisal versehen (zum Beispiel durch Knüpfen über der Schiene), können sie stets schmerzfrei entfernt werden.  

     

    Leider lösen sich die Nähte immer nur dort auf, wo starkes bakterielles Wachstum vorliegt. Hat der Patient eine gute postoperative Oralhygiene, können sie noch bis vier Wochen nach der Versorgung im Mund vorgefunden werden und verursachen eine granulierende Fremdkörperreaktion.  

    „Die Schiene ist der Gipsverband des Zahnes.“  

    „Die Schiene ist das Trainingsgerät des Zahnes. Sie soll lediglich den Zahn in Position halten und eine frühe Reinigung erleichtern.“  

     

    Zähne dürfen nicht immobilisiert werden, da dann ihr Faserapparat sofort atrophiert. Die Sharpey’schen Fasern sind das am schnellsten regenerierende Bindegewebe des Körpers, der routinemäßige vollständige Ersatz aller Fasern liegt bei 28 Tagen.  

    „Abnehmbare Schienen sind hygienischer als festsitzende.“  

    Falsch. Aus Angst um seine lockeren Zähne nimmt der Patient die Schiene nur selten aus dem Mund, und hoch mobile Zähne werden weniger intensiv gereinigt als geschiente. Als Drahtmaterial verwendet man kieferorthopädische Drähte oder Titanschienen (TTS-Schiene, 3-D-Ringklebeschiene) in Verbindung mit Flowable-Komposits. Draht-Ligatur-Schienen sind parodontaldestruktiv und daher obsolet! Deshalb lautet ein neuer Leitsatz:  

     

    „Metallbogen-Komposit-Schienen erfüllen von allen Schienungsarten die meisten Anforderungen.“  

    „Breiige Kost nach einem Zahntrauma ist obligat.“  

    „Der Patient soll das essen, was er sonst auch gegessen hätte.“ Breiige Kost hat zahlreiche Nachteile:  

    (a) sie signalisiert dem Patienten eine Behinderung, verzögert dadurch die Wiederaufnahme der Funktionen und die Abschwellung verletzter Gesichtsweichteile,
    (b) sie kontaminiert alle Wundränder und promoviert die Wundinfektion,
    (c) sie kann – da ungewohnt – ungewohnte Bakterien im Mund zum Wachstum anregen,
    (d) sie animiert den Patienten – statt einer Zahnreinigung mit der Bürste – nur zu spülen.

    „Bewegliche, noch an der Gingiva hängende Fragmente gehören entfernt.“  

    Das zieht leider oft Probleme bei der folgenden endodontischen Behandlung nach sich (dichte Einlage wird unmöglich, Kofferdam nur schwer applizierbar). Deshalb lautet ein neuer Leitsatz:  

     

    „Bewegliche Fragmente mit Hilfe einer Schiene refixieren, erst nach der Endo entfernen.“  

    „Eröffnete Pulpen sind verloren, bei offenem Apex kann eine Pulpotomie (WB nach Amputationsmethode) versucht werden.“  

    „Bei Pulpaeröffnung Desinfektion, Blutstillung mit NaCl 0,9 Prozent und dichter Verschluss.“  

     

    Nur wenn der Wurzelkanal zur Retention der Restauration benötigt wird, rechtfertigt sich eine primäre Pulpektomie. Jede Pulpa regeneriert mit Bildung eines neuen Dentin-daches, wenn sie nur bakteriendicht verschlossen wird. Es dürfen also auch die Zähne Erwachsener überkappt werden, eine Pulpotomie ist nur bei deutlicher Kontamination der Pulpa indiziert.  

    Den zweiten Teil des Beitrages „Prioritätenumkehr in der Zahntraumatologie“ lesen Sie im „Zahnmedizin Report“ Nr. 12/2007.  

    Quelle: Ausgabe 11 / 2007 | Seite 10 | ID 114296