· Fachbeitrag · GOÄ
Praxishinweise zur Begründungspflicht bei Schwellenwertüberschreitungen
von Dr. med. Bernhard Kleinken, Pulheim
| Das in AAA 04/2017, Seite 13 vorgestellte Urteil des Verwaltungsgerichts ( VG) Düsseldorf vom 13.12.2016 (Az. 26 K 4790/15 ) hat bei einigen Lesern für Beunruhigung gesorgt. Im Urteil heißt es (verkürzt dargestellt), dass sich aus der Begründung für einen höheren als den 2,3-fachen Satz ergeben müsse, welcher Schwierigkeitsgrad und Zeitaufwand bei der Leistung durchschnittlich vorläge und wie sich dies im konkreten Fall darstelle - und das dann bitte auch noch für Laien verständlich formuliert. Wie mit diesem Urteil in der Praxis umzugehen ist, erfahren Sie im folgenden Beitrag. |
Wie ausführlich muss die Begründung denn nun sein?
Unsere Leser weisen zu Recht darauf hin, dass sich der durchschnittliche Zeitaufwand oft nur schwierig darstellen lasse, da er eher auf Erfahrung und nicht auf (meist nicht vorhandenen) Statistiken beruhe. Unklar ist außerdem, wie einem Laien das Verhältnis des durchschnittlichen Schwierigkeitsgrads zum Aufwand im konkreten Fall verständlich dargestellt werden kann. Es kann ja kaum eine Option sein, dem Rechnungsempfänger ein medizinisches Lehrbuch zu leihen und in der Folge, wenn er dies nicht nachvollziehen kann, einen „Medizin-Schnellkurs“ anzubieten.
Vorbemerkung
Angesichts der wieder zunehmenden Streitigkeiten bei der Bemessung des Steigerungsfaktors oberhalb der Schwellenwerte (2,3- bzw. 1,8-fach) geben wir nachfolgend einige grundlegende Hinweise, die helfen, Streitigkeiten oft von vornherein zu vermeiden.
MERKE | Die folgenden Ausführungen stellen lediglich eine auf Praxis und Erfahrung beruhende „Expertensicht“ dar. Sie sind und ersetzen keine Rechtsberatung. |
Das VG-Urteil
Das besagte Urteil erging zur GOZ, ist aber auf die GOÄ übertragbar. Wenn auch nicht ausschlaggebend, so mag aber doch schon zu einer ersten Beruhigung beitragen, dass in dem Fall „unglückliche Umstände“ aufeinandertrafen: Ein Zahnarzt gab Begründungen für die Steigerungen an, die teils die Besonderheit nur pauschal beschrieben und teils sogar für den Verfasser in Bezug auf die Leistung nicht leicht nachvollziehbar waren.
Das VG führt in seiner Begründung mehrere BGH-Urteile an. So sagt es , dass „die von § 10 GOZ geforderte Verständlichkeit und Nachvollziehbarkeit der Begründung aus der Sicht eines medizinischen und gebührenrechtlichen Laien gegeben sein“ muss (Rz. 28) - dies unter Verweis auf das BGH-Urteil vom 21.12.2006 (Az. III ZR 117/06). Weiter heißt es: „Aus der Rechtsprechung des BGH ist der weitere Schluss zu ziehen, dass der erbrachten Leistung eine überdurchschnittliche Schwierigkeit und/oder überdurchschnittlicher Zeitaufwand zugrunde lag, wobei beides - Schwierigkeit und Zeitaufwand - häufig in einer Wechselwirkung steht“ (BGH, Urteil vom 08.11.2007, Az. III ZR 54/07) (Rz 34, 35). Und im Anschluss daran: „Wird eine Schwellenwertüberschreitung mit einem überdurchschnittlichen Aufwand begründet, ist dies für den medizinischen Laien nur dann nachvollziehbar, wenn der Aufwand der erbrachten Leistung ins Verhältnis gesetzt wird zum durchschnittlichen Aufwand vergleichbarer Leistungen. Diesen minimalen Begründungsaufwand muss die Rechnungsbegründung leisten, um die Fälligkeit einer mit einem oberhalb des Schwellenwerts abgerechneten Leistung auszulösen.“ (Rz. 36)
Nachfolgend spricht das VG (zutreffend) davon, dass es durchaus vom Einzelfall abhängen könne, ob der Begründungsaufwand hoch oder niedrig sei. Dann jedoch heißt es: „Jedoch ist es durchaus möglich, dass der Spagat gelingt, indem etwa bei einer zeitaufwandsbezogenen Begründung zumindest stichwortartig der zeitliche Rahmen und der durchschnittliche Zeitaufwand in der Berufspraxis des behandelnden Zahnarztes einerseits und der konkrete Zeitaufwand im Einzelfall dargelegt werden.“ (Rz. 45)
Die BGH-Urteile
Im Folgenden soll betrachtet werde, was der BGH in den beiden vom VG genannten Urteilen gesagt hat:
- Im Urteil vom 21.12.2006 (Az III ZR 117/06) steht: „Zweck der komplexen Regelung über den notwendigen Inhalt einer Rechnung ist es, dem Zahlungspflichtigen, von dem weder medizinische noch gebührenrechtliche Kenntnisse erwartet werden können, eine Grundlage für eine Überprüfung der in Rechnung gestellten Leistungen zu geben“ (Rz. 13).
- Und im Urteil vom 08.11.2007 (Az. III ZR 54/07) „Dies entlastet ihn [den Arzt, Anm. d. Red.] nicht davon, [...] den Gebrauch seines Ermessens darzulegen, wenn der Zahlungspflichtige die Angemessenheit der Rechnung mit bestimmten Argumenten in Zweifel zieht [...]. Das darf aber nicht dazu führen, dass die Begründung der Ermessenentscheidung für jede einzelne Leistungsposition einen Raum einnimmt, hinter dem der Aufwand für die ärztliche Leistung in den Hintergrund tritt.“ (Rz. 20)
Schlussfolgerung: Im Urteil aus 2006 ist von einer „Grundlage“ an Inhalten die Rede, die eine Rechnung enthalten muss, damit auch ein Laie sie verstehen kann und im Urteil aus 2007 wird verdeutlicht, dass eine Begründung für eine Steigerung den Rahmen nicht sprengen darf. Beide Urteile berücksichtigen, dass der Aufwand nicht unnötig ausufern sollte.
Diese Tatsachen und die vom VG verwendeten Konjunktive lassen nur den Schluss zu, dass das VG Düsseldorf die BGH-Urteile „recht eigenwillig“ interpretiert hat. Will sagen: Die Relationen zum Durchschnittsfall bei der Überschreitung des Schwellenwerts zu beachten, ist Verpflichtung des Arztes. Ausufernde Begründungen hierfür aber auch noch in der Rechnung zu verschriftlichen, sprengt das angemessene Maß.
Grundlegende Hinweise zur Begründungspflicht
Wer die folgenden Hinweise beachtet und dann noch differenziert den Faktor bemisst, zeigt, dass er geradezu vorbildlich handelt.
Die Begründung muss patienten-, krankheits- oder umstandsbezogen sein
Nach den Kriterien von § 5 GOÄ ist allein die Angabe, dass ein bestimmtes Diagnose- oder Behandlungsverfahren angewandt wurde, nicht ausreichend. Denn auch wenn der Arzt durch diese Angabe erkennen kann, dass die Leistung aufwendiger oder mit besonders hohen Kosten verbunden war, ist dies dem Laien meist nicht klar. Man kann die Schwellenwertüberschreitung auch nicht einfach als „besonderen Umstand “ deklarieren, denn die in § 5 GOÄ genannten „Umstände bei der Ausführung“ beziehen sich auf äußere Umstände (die „berühmte“ Versorgung im Straßengraben oder sonstige widrige äußere Umstände). Die Anwendung besonders aufwendiger Verfahren hatte aber einen patienten- oder krankheitsbezogenen Grund. Mit etwas Nachdenken lässt sich das auch ausdrücken.
Die Begründung muss für die jeweils höher bemessene Leistung zutreffen
§ 5 fordert die Abwägung zur „einzelnen Leistung“. Das heißt, es kann (von Ausnahmen abgesehen) nicht einen Grund geben, der für die verschiedensten Leistungen zutrifft. Ein simples Beispiel: Die lange Krankheitsvorgeschichte und mitgebrachte Arztbriefe eines neuen Patienten machen zwar Beratungen aufwendiger, nicht aber eine Sonographie. Die kann aber aus anderen und entsprechend zu benennenden Gründen schwieriger/zeitaufwendiger sein. Eine Ausnahme kann z. B. sein, wenn bei einer Operation mehrere berechenbare Leistungen aufgrund erschwerter Sicht bei starker Blutung, vielleicht auch noch unter gerinnungshemmenden Substanzen, erfolgen.
Schreiben Sie die Rechnung so, dass klar erkennbar ist, zu welcher Leistung die Begründung gehört
Im ambulanten Bereich ist das i. d. R. einfach: Man schreibt die Begründung direkt unter die mit höherem Faktor abgerechnete Leistung. Eine Zusammenfassung für entsprechend gekennzeichnete Leistungen sollte man nur dann machen, wenn es angebracht und transparent ist. Beispiel: dreimal die Nr. 420 gesteigert und mit einem Sternchen versehen und als Begründung danach zusammenfassend das Sternchen und die zusätzlich untersuchten Organe anführen.
Fassen Sie die Begründung verständlich
Das hat zwar, wie vorangehend ausgeführt, seine Grenzen, aber Begründungen mit medizinischen Fachausdrücken, die selbst bei Kollegen anderer Fachgebiete Nachdenken verlangen oder gar die Verwendung kryptischer Abkürzungen, sind tabu.
Verwenden Sie keine Leerformeln
Manchmal trifft man auf Begründungen wie „hoher Zeitaufwand“ oder „schwierige Leistungserbringung“. Das reicht nicht. Die Begründung muss die Grundlage dafür bilden, dass zu erkennen ist, warum es schwieriger und/oder zeitaufwendiger war.
Fassen Sie die Begründung ggf. ausführlicher
I. d. R. reichen wenige Stichworte. Wenn es aber der Transparenz dient, sollte man nicht davor zurückschrecken, auch einen ganzen Satz zu schreiben.
Verwenden Sie „Zauberworte“
Oft steigt die Akzeptanz, wenn man schreibt „schwierig, weil …“ oder „zeitaufwendig wegen…“. Die Post B verlangt das sogar in ihren Hinweisen für ihre Versicherten.
Plausibilität mit den Diagnoseangaben
In vielen Fällen trägt zur Nachvollziehbarkeit bei, dass die Begründung sich auch in den Diagnoseangaben widerspiegelt. Zumindest sollte die Begründung im Zusammenhang mit den angeführten Diagnosen plausibel sein. Dafür kann dann auch sinnvoll sein, recht umfangreich Dauer- und Nebendiagnosen anzuführen.
Differenziert steigern
Zuletzt, aber sehr wichtig: Wenn 2,3-fach der angemessene Faktor für die durchschnittliche Leistung ist und die GOÄ als Höchstsatz 3,5-fach vorsieht, ist es doch schon sachlogisch, dass nicht nur 2,3- oder 3,5-fache Faktoren angemessen sein können. Häufig ist auch z. B. der 2,8- oder 3,3-fache Faktor angemessen. Wenn mehrere Leistungen mit höherem Faktor abgerechnet werden, kann es auch angemessen sein, diese mit unterschiedlichen Faktoren zu bemessen.
Manchmal gibt es vielleicht auch den Fall, dass eine Leistung besonders leicht oder schnell zu erbringen möglich war. Dann ist auch ein Faktor unterhalb von 2,3 bzw. 1,8 angemessen! Meistens handelt es sich dabei ohnehin um relativ gering bewertete Leistungen, sodass der „Verlust zur Standardabrechnung“ gering, der Gewinn an Glaubhaftigkeit aber groß ist.
Appendix: Entwicklung des Schwellenwerts
Nicht nur beim VG Düsseldorf wird über „Betrachtungen“ zum 2,3- und 3,5-fachen Faktor vergessen, dass der 3,5-fache Faktor ursprünglich ein Mittelwert war: In der GOÄ von 1965 war der Gebührenrahmen in § 2 vom Einfachen bis Sechsfachen bestimmt. 1983 wurde das dann in § 5 auf das Einfache bis Dreieinhalbfache reduziert, weil das Leistungsverzeichnis erheblich differenzierter war als zuvor. Das Dreieinhalbfache entsprach dabei dem vorherigen (auch meist angewandten) Durchschnitt der Gebührenspanne. Die gleiche Entwicklung nahm die GOZ. Viele Streitigkeiten führten jedoch dazu, dass der Verordnungsgeber in der GOZ von 2011 im § 5 klarstellte: „Der 2,3-fache Gebührensatz bildet die nach Schwierigkeit und Zeitaufwand durchschnittliche Leistung ab“. Auch das ist voll auf die GOÄ übertragbar.
Weiterführende Hinweise
- Für das Überschreiten des GOÄ-Schwellenwerts reicht eine pauschale Begründung nicht aus (AAA 04/2017, Seite 12)
- Wann ist ein privatärztliches Honorar angemessen? (AAA 09/2016, Seite 11)