18.04.2024 · IWW-Abrufnummer 241022
Landesarbeitsgericht Thüringen: Urteil vom 28.02.2024 – 4 Sa 166/23
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Gera vom 05.07.2023 - 4 Ca 73/23 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten im Berufungsrechtszug noch über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.
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Die Beklagte betrieb eine Arztpraxis, in welcher sie außer der Klägerin noch zwei weitere Mitarbeitende beschäftigte. Die Patient*innenakten führte sie ausschließlich elektronisch.
3
Die zum Kündigungszeitpunkt 35-jährige Klägerin war verheiratet und einem Kind gegenüber zum Unterhalt verpflichtet. Sie war staatlich geprüfte medizinische Dokumentationsassistentin. Seit dem 06.12.2005 war sie bei der Beklagten beschäftigt. Bis ins Jahr 2020 verlief das Arbeitsverhältnis beanstandungsfrei. Aus Sicht der Beklagten änderte sich dies im zeitlichen Zusammenhang mit Änderungen in den persönlichen Verhältnissen der Klägerin. Die Probleme eskalierten bis hin zur Erteilung von zwei Abmahnungen unter dem 28.11.2022 sowie 19.12.2022, wegen deren Inhaltes im Einzelnen auf die zu den Akten gereichten Kopien hiervon (Bl. 10 - 12 der Akte) Bezug genommen wird. Im Ergebnis ging es darum, dass die Beklagte der Klägerin vorwarf, während der Arbeitszeit private Dinge erledigt zu haben und auch die Praxis ohne Absprache mit Ihren Kolleginnen verlassen zu haben.
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Am 14.12.2022 stellte die Beklagte einer Patientin eine Heilmittelverordnung (Lymphdrainage - fortan: Heilmittelverordnung) aus. Ob, wann und auf welchem Weg dieser Heilmittelverordnung die Physiotherapiepraxis, in der diese umgesetzt werden sollte, oder die Patientin erreichte, ist zwischen den Parteien streitig. Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Sachvortrags der Parteien hierzu wird auf die tatbestandlichen Feststellungen des Arbeitsgerichts im angefochtenen Urteil auf S. 3 des Entscheidungsabdrucks (Bl. 81 der Akte) Bezug genommen. Die Beklagte machte der Klägerin im Zusammenhang um die Vorkommnisse der Heilmittelverordnung Vorhaltungen dahingehend, dass sie diese entgegen ihrer Verpflichtungen nicht zur Post gebracht habe und hierüber sie, die Beklagte, noch angelogen habe. Im Zusammenhang mit diesen Ereignissen änderte die Klägerin in der elektronischen Patient*innenakte der betroffenen Patientin das Ausstellungsdatum der Heilmittelverordnung vom 14.12.2022 auf den 12.12.2022. Die elektronische Patient*innenakte funktioniert so, dass bei einer solchen Änderung das ursprüngliche Ausstellungsdatum nicht mehr erkennbar ist und auch nicht, jedenfalls nicht ohne großen technischen Aufwand, erkennbar ist, dass eine Veränderung der Daten in der Patient*innenakte stattgefunden hat.
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Am 19.12.2022 war diese Änderung noch nicht vorgenommen. Die Beklagte stellte sie am Morgen des 20.12.2022 fest. Am selben Morgen versuchte sie im Gespräch mit allen Mitarbeitenden herauszufinden, wer die Änderung in der Patient*innenakte vorgenommen hat. Die Klägerin gab ihre Handlung nicht zu und hat im ersten Rechtszug auch durchgängig bestritten, die Änderung vorgenommen zu haben. Dies hat sie erst im Berufungsrechtzug unstreitig gestellt.
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Mit Schreiben vom 20.12.2022, der Klägerin zugegangen am 22.12.2022 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich mit Auslauffrist zum 31.12.2022. Wegen des Weiteren Inhalts des Kündigungsschreibens im Einzelnen wird auf die zu den Akten gereichte Kopie hiervon (Bl. 8 und 9 der Akte) Bezug genommen.
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Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer am 10.01.2023 beim Arbeitsgericht eingegangenen und der Beklagten aufgrund der richterlichen Verfügung vom 12.01.2023 am 17.01.2023 zugestellten Klage.
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Wegen des Weiteren unstreitigen und streitigen Vortrags der Parteien im ersten Rechtszug sowie der dort gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (S. 2 - 5 des Entscheidungsabdrucks - Blatt 80 - 83 der Akte) Bezug genommen.
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Mit Urteil vom 05.07.2023 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Aufgrund der Anhörung beider Parteien in der mündlichen Verhandlung lege die Kammer die glaubhaften Ausführungen der Beklagten der Entscheidungsfindung zu Grunde, weil die Klägerin nicht glaubwürdig sei und Ihre Ausführungen nicht glaubhaft. Die Klägerin habe keine stringente Erklärung für ihr Verhalten gehabt. Damit liege eine schwere Pflichtverletzung vor, weil die Klägerin die elektronische Patient*innenakte nachträglich verändert und damit gefälscht habe. Die Interessenabwägung falle zu ihren Lasten aus, weil in einem kleinen Betrieb wie den der Beklagten alle miteinander Hand in Hand arbeiten müssten, die Chemie zwischen den Mitarbeiter*innen müsste stimmen und man müsse jedem Mitarbeitenden vertrauen können. Dies werde durch die lange Betriebszugehörigkeit der Klägerin nicht aufgewogen.
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Gegen dieses ihr am 21.07.2023 zugestellte Urteil hat die Klägerin mit am 21.08.2023 beim Thüringer Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt. Nachdem das Gericht auf den am 21.09.2023 eingegangenen Antrag hin mit Beschluss vom 25.09.2023 die Berufungsbegründungsfrist bis zum 19.10.2023 verlängert hatte, ist diese an diesem Tag eingegangen.
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Das Arbeitsgericht habe den Sachverhalt nicht vollständig aufgeklärt und sei deshalb im Rahmen der Interessenabwägung zu einem unzutreffenden Ergebnis gekommen. Nach ihrer, der Klägerin, Erinnerung sei das Ausstellungsdatum der Heilmittelverordnung mit Wissen und Wollen der Beklagten geändert worden und entsprechend habe sie die Änderung in der Patientenakte vorgenommen. Es sei in der Urteilsfindung unberücksichtigt geblieben, dass die Veranlassung, die Heilmittelverordnung abzuändern, von außen gekommen sei entweder von der Physiotherapie oder von der Patientin. Sie, die Klägerin, habe Briefe zur Post gebracht und es habe zwar auch am Montag den 19.12.2022 ein Brief auf ihrem Einkaufskorb gelegen. Da Sie aber den Inhalt dieser Briefe nicht gekannt habe, die verschlossen gewesen seien, könne sie nicht sagen, ob tatsächlich darin eine Heilmittelverordnung und wenn ja welche gewesen sei. Offensichtlich sei ein großes Interesse daran da gewesen, ihr, der Klägerin, Arbeitspflichtverstöße nachzuweisen. Es sei sehr außergewöhnlich, dass die beiden weiteren Mitarbeiterinnen die Abmahnungen vom 28.11. und 19.12.2022 und auch das Kündigungsschreiben mitunterschrieben hätten. Die Vorwürfe, die letztlich Grundlage von Abmahnung und Kündigung gewesen seien, seien auch von den Mitarbeiterinnen an die Beklagte herangetragen worden.
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Soweit das Arbeitsgericht ihre, der Klägerin, Ausführungen in der Anhörung in der mündlichen Verhandlung deshalb für unglaubwürdig gehalten habe, weil sie selbstbewusst und nicht aufgeregt gewesen sei, sei dies darauf zurückzuführen, dass ihr Prozessbevollmächtigter ihr geraten habe, bei Fragen des Gerichtes sachlich zu bleiben und zu antworten. Dies könne nun nicht zu Ihrem Nachteil gewertet werden.
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Schließlich seien die ausgesprochenen Abmahnungen nicht einschlägig und auch unbegründet.
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Die Klägerin beantragt,
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unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Gera vom 05.07.2023, 4 Ca 73/23, festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung vom 20.12.2022 nicht aufgelöst worden ist, sondern bis zum 30.06.2023 fortbestand.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens.
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Die Klägerin habe sie, die Beklagte, im Zusammenhang mit den Geschehnissen um die Heilmittelverordnung mehrfach belogen. Sie habe gelogen dahingehend, dass Sie den entsprechenden Brief zur Post gebracht habe. Sodann habe sie behauptet, eine geänderte Heilmittelverordnung an die Patientin abgesandt zu haben. Die nunmehr unstreitige nachträgliche Veränderung der Daten in der elektronischen Patient*innenakte habe der Verschleierung dieser Lügen gedient. Auch die nachträgliche Veränderung der Daten der Patient*innenakte habe die Klägerin zunächst geleugnet und damit nochmals gelogen.
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Persönlich in der mündlichen Verhandlung vom 28.02.2024 gehört erklärte die Beklagte noch einmal, weshalb aus ihrer Sicht im Rahmen der medizinischen Versorgung von Patient*innen ein besonders hohes Maß an Vertrauen in die Mitarbeiter*innen bestehenden müsse.
Entscheidungsgründe
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Die Berufung ist unbegründet.
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Die Kündigung vom 20.12.2022 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Ablauf des 31.12.2022 beendet.
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Die Kündigung ist als außerordentliche Kündigung wirksam.
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Nach § 626 Abs. 1 BGB kann eine Arbeitsvertragspartei das Arbeitsverhältnis außerordentlich ohne Einhaltung einer Frist kündigen, wenn ein wichtiger Grund vorliegt, welcher unter Berücksichtigung der Interessen im Einzelfall dem*der Kündigenden die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses auch nur bis zum Ablauf der Kündigungsfrist unzumutbar mache. Die Kündigung muss innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis des wichtigen Grundes ausgesprochen werden ( § 626 Abs. 2 BGB ).
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Die Voraussetzungen liegen hier vor.
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Die nachträgliche Veränderung von Daten in der elektronischen Patient*innenakte durch die Klägerin ist eine schwerwiegende arbeitsvertragliche Pflichtverletzung. Diese ist an sich geeignet, einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung darzustellen.
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Die Patient*innenakte enthält die für die medizinische Behandlung eines Menschen wichtigen Informationen wie z.B. Anamneseergebnisse, frühere Diagnosen, bislang verschriebene Medikamente, ggf. Informationen über Unverträglichkeiten usw. Sie dient aber auch der Dokumentation von Behandlungsverläufen und ist ggf. als Nachweis im Rahmen von Haftungsfragen bedeutsam. Außerdem ist die Dokumentation bei einem Ärzt*innenwechsel von großer Wichtigkeit. Auch für Abrechnungsfragen kann die Patient*innenakte bedeutsame Informationen enthalten. Der Inhalt muss deshalb stimmen. Verantwortlich hierfür ist der*die Ärzt*in. Deshalb gehört es zu den arbeitsvertraglichen Pflichten des medizinischen Hilfspersonals, Eintragungen in die Patient*innenakte sorgfältig und anweisungs- sowie wahrheitsgemäß vorzunehmen und nachträgliche Änderungen, die nicht den Tatsachen entsprechen zu unterlassen.
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Dies hat die Beklagte im Wesentlichen inhaltlich unwidersprochen vorgetragen, weshalb es gem. § 138 Abs. 3 ZPO schon der Entscheidungsfindung zugrunde zu legen ist. Abgesehen davon ergibt sich Dokumentationspflicht und wesentlicher Inhalt aus § 630 f BGB . Schließlich dürfte es sich auch um eine offenkundige Tatsache im Sinne von § 291 ZPO handeln.
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Im Berufungsrechtszug ist unstreitig geworden, dass die Klägerin das Ausstellungsdatum der Heilmittelverordnung vom 14.12. auf den 12.12.2022 in der elektronischen Patient*innenakte geändert hat. Ebenso nicht bestritten sind die technischen Gegebenheiten, dass diese nachträgliche Änderung in der Patient*innenakte nicht sichtbar ist. Ob mit hohem technischem Aufwand durch IT-Spezialisten die Änderung sichtbar gemacht werden könnte, ist für die Kammer nicht entscheidungserheblich. Wesentlich ist, dass die Klägerin - nunmehr unstreitig - eine Änderung vorgenommen hat, die so nicht in der Patient*innenakte erkennbar ist. Damit liegt ein Verstoß gegen § 630 f Abs. 1 Satz 3 BGB vor. Die Patient*innenakte ist inhaltlich falsch.
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Im Ergebnis gelangt die Kammer zur Überzeugung, dass hier auch bei Berücksichtigung aller erkennbaren Interessen der Parteien es der Beklagten nicht zumutbar war, das Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der Kündigungsfrist fortzusetzen.
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Zu Lasten der Klägerin ist zu berücksichtigen, dass sie als ausgebildete, staatlich geprüfte medizinische Dokumentationsassistentin wusste, wie mit der Patient*innenakte umzugehen ist. Ferner hat sie die Manipulation der Akte vorgenommen, um den Vorhaltungen der Beklagten zu entgehen und damit, um den Vorgang um die Heilmittelverordnung zu verschleiern. Sie hat beim Versuch der Beklagten, am 20.12.2022 den Sachverhalt aufzuklären, ihre Pflichtverletzung wahrheitswidrig geleugnet.
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Sie konnte nicht substantiiert ihren Einwand untermauern, sie habe diese Änderung anweisungsgemäß vorgenommen. Soweit sie meint, sie habe die Veränderung auf Anweisung der Beklagten vorgenommen, ist ihr Vorbringen und Prozessverhalten widersprüchlich. In dem Falle wäre ihr Leugnen im ersten Rechtszug und zuvor am 20.12.2022 nicht nachvollziehbar. Gemäß § 286 Abs. 1 ZPO ist die Kammer davon überzeugt, dass die Beklagte die Änderung nicht angewiesen hat. Soweit sie meint, die Physiotherapiepraxis habe die Änderung veranlasst, entlastet das die Klägerin nicht. Als staatlich geprüfte medizinische Dokumentationsassistentin weiß sie, dass einer solchen Anweisung/Veranlassung nicht nachgegeben werden darf.
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Mit dem Verhalten hat sie das in sie gesetzte Vertrauen zerstört. Die Beklagte kann sich nicht darauf verlassen, dass die Klägerin die Behandlungsdokumentation den Vorschriften entsprechend vornimmt, das hat, nach glaubhaften Bekunden der Beklagten dazu geführt, dass sie auch im Übrigen nicht mehr darauf vertrauen kann, dass die Klägerin ihren Anweisungen folgt.
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Damit fehlt in der Tat eine Voraussetzung das Arbeitsverhältnis im besonders sensiblen Bereich der Patient*innenversorgung fortzuführen. Die Risiken hieraus für die Patient*innen aber auch für die für Fehler haftende Beklagte sind zu hoch.
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Dem gegenüber können die Interessen der Klägerin den schwerwiegenden Umstand des Vertrauensverlustes nicht kompensieren. Zugunsten der Klägerin war die lange Betriebszugehörigkeit von 17 Jahren zu berücksichtigen und vor allem, dass das Arbeitsverhältnis 15 Jahre lang beanstandungsfrei verlief. Die Kammer hat auch gründlich erwogen, welche Auswirkungen es haben könnte, dass die Beklagte, obschon sie seit 2020 Störungen im Arbeitsverhältnis wahrgenommen hatte, hierauf nicht zielführender reagiert hat. Ihrer Darstellung nach hätten lediglich Gespräche stattgefunden und die Klägerin sei wohl ermahnt worden. Erst kurz vor Ausspruch der Kündigung sind tatsächlich Abmahnungen ausgesprochen worden. Dies verstand die Beklagte als Kollegialität und Gutmütigkeit. Auf der anderen Seite führt dieses Verhalten aber dazu, dass ein*e Arbeitnehmer*in auch keine Veranlassung hat ihr Verhalten zu überdenken und zu ändern, wenn nie ernsthaft Konsequenzen angedroht werden. Die Abmahnung ist durchaus ein angemessenes Instrument der Personalführung insoweit, als dass damit nicht nur eine Gefährdung des Arbeitsverhältnisses entsteht, sondern auch den betreffenden Arbeitnehmer eine Chance gegeben wird, verlorenes Vertrauen z. B. wiederherzustellen. Die Abmahnungen vom 28.11.2022 und 19.12.2022 waren so kurz vor Ausspruch der Kündigung erteilt, dass die Klägerin keinerlei Gelegenheit hatte darauf zu reagieren, indem sie ihr Verhalten verbessert.
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Allerdings kann dies dann letztendlich doch nicht im Ergebnis zu ihren Gunsten durchschlagen, um der Beklagten das Arbeitsverhältnis weiter zuzumuten. Die Abmahnungen waren nicht einschlägig in Bezug auf die nunmehr zur Kündigung führende Pflichtverletzung. Diese Pflichtverletzung hat eine neue und andere Qualität. Aus dem Grunde hätte ein Abwarten, wie die Klägerin auf die Abmahnungen reagiert, nicht zu einer Veränderung der Lage geführt.
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Auch die soziale Situation der Klägerin war zu berücksichtigen. Sie war für ein Kind unterhaltspflichtig. Allerdings kann dies auch nicht dahingehend durchschlagen und dazu beitragen, dass die Beklagte mit Rücksicht darauf mehrere Monate mit der Klägerin zusammenarbeiten müsste ohne sich dabei sicher sein zu können, dass sie der Klägerin auch hinreichend vertrauen kann.
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Der Umstand, dass die beiden weiteren Mitarbeiterinnen Fehlleistungen der Klägerin oder vermeintliche Fehlleistungen der Klägerin sofort an die Beklagte weitergaben und sowohl die Abmahnungen als auch die Kündigung mitunterschrieben haben, sind in der Tat außergewöhnliche Umstände, deren Sinngehalt zu hinterfragen ist. Die Beklagte erklärte das in der mündlichen Verhandlung damit, dass sie in dem kleinen Team die anderen darüber zu informieren habe, was vorfällt in der Praxis. Dieses Vorgehen mag professionell mit dem Arbeitsrecht befasste Personen oder auch professionell mit Personalführung befassten Personen oder auch Datenschützern - zurückhaltend ausgedrückt - ungewöhnlich erscheinen. Die Beklagte ist allerdings Ärztin und führt ein kleines Unternehmen und ihre Art und Weise, Personalprobleme und die Führung der Praxis im Team zu besprechen und zu regeln, ist grundsätzlich ein akzeptabler Ansatz und kann ihr nicht zum Nachteil gereichen. In Bezug auf den konkret zur Kündigung führenden Vorfall, nämlich die Veränderung der Daten der Patient*innenakte, kann auch nicht festgestellt werden, dass die Kolleginnen der Klägerin diesbezüglich gleichsam nach einem Kündigungsgrund gesucht hätten. Die Vornahme der Veränderung der Daten der Patient*innenakte hat allein die Klägerin zu vertreten und sie ist hierzu nicht veranlasst oder provoziert worden.
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Die Kammer hat erwogen, ob die Veränderungen in den persönlichen Verhältnissen der Klägerin zu ihren Gunsten zu bewerten wären, weil sie immerhin 15 Jahre beanstandungsfrei gearbeitet hatte. Allerdings hat die Beklagte auf diese außerhalb des Arbeitsverhältnisses liegenden Umstände keinerlei Einfluss und besondere ungünstige Umstände, welche die Klägerin z. B. unter Druck gesetzt hätten oder ihr die Einsicht in ihr Verhalten hätten vernebeln können, sind nicht konkret genug vorgetragen.
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Der Ausspruch der außerordentlichen Kündigung ist hier auch verhältnismäßig und es kann auf den vorherigen Ausspruch einer Abmahnung verzichtet werden. Das Vertrauen der Beklagten in die Klägerin war unwiederbringlich verloren. Die Beklagte hat hinreichend deutlich gemacht, dass im Arbeitsverhältnis im Rahmen der Patient*innenversorgung ein besonders hohes Vertrauen untereinander und vor allem von ihr in das medizinische Hilfspersonal erforderlich ist. Dieses Vertrauen wäre durch den Ausspruch einer Abmahnung nicht wieder herstellbar gewesen. Hierfür spricht vor allem auch der Umstand, dass die Klägerin zunächst diese Pflichtverletzung nicht zugegeben hat. Ferner kommt hier noch einmal zum Tragen, dass die Klägerin ausgebildete staatlich geprüfte medizinische Dokumentationsassistentin war. Sie wusste also was sie tat, sie wusste von der Bedeutung dessen und hat trotzdem diese Handlung vorgenommen.
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Die Beklagte hat mit der außerordentlichen Kündigung der Klägerin eine soziale Auslauffrist gewährt, sodass die Beendigung des Arbeitsverhältnisses von den Daten hin nach außen nicht sofort den Eindruck entstehen lässt, es handele sich um eine außerordentliche Kündigung. Schon damit hat sie die weiteren Folgen einer außerordentlichen Kündigung für das Berufsleben der Klägerin etwas abgemildert, was im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsabwägung auch zu berücksichtigen war.
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Die Beklagte hat die Kündigung innerhalb der Kündigungserklärungsfrist ausgesprochen. Der Vorfall mit der Manipulation der Patient*innenakte war erst am 20.12.2022 bekannt, weil am 19.12.2022 diese Manipulation noch nicht vorgenommen worden war. Die Kündigung ist der Klägerin am 22.12.2022 zugegangen.
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Auch die weiteren Einwendungen der Klägerin dahingehend, wie das Arbeitsgericht ihr Verhalten und ihre Bekundungen im Rahmen der Anhörung im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht bewertet hat, kommt es daher nicht mehr an, weil schließlich der hier maßgebliche Umstand, auf dem die Kündigung und die Entscheidungsfindung der Kammer gestützt ist, die Veränderung von Daten in der Patient*innenakte, im Berufungsrechtszug nicht mehr streitig war.
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Die Klägerin trägt gemäß § 97 Abs. 2 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Berufung.
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Anlass für die Zulassung der Revision bestand nicht.