· Fachbeitrag · Interview
Die Integration von Fachkräften aus dem Ausland ist zugleich Führungs- und Teamaufgabe
| Der Beruf des Apothekers wird durch die Bundesagentur für Arbeit schon seit einiger Zeit als Mangelberuf eingestuft. PTA und PKA werden ebenfalls vielerorts händeringend gesucht. Gegen den Fachkräftemangel hilft es u. a., ausländische Fachkräfte zu integrieren. Wie Apothekeninhaber und -teams das Thema Integration offen und lösungsorientiert angehen können, erzählt Anna Schatz, Inhaberin der HealthCareComm GmbH sowie Trainerin und Coach im Gesundheitswesen, im Interview mit „AH Apotheke heute“. |
Frage: Frau Schatz, Sie sind PTA und kennen deshalb die Branche. Sie sind Coach und kennen deshalb viele Apotheken hinter dem HV-Tisch. Ihr Leitmotiv auf Ihrer Homepage lautet „Besonders in der Veränderung braucht jeder eine Hand, die ihn hält, und vor allem einen starken Charakter, der ihn aushält.“ Wer ist die Hand und wer der Charakter?
Antwort: Das Zitat spiegelt meine Philosophie als Coach wider. Die Hand steht für die Unterstützung und den Halt, den ich den Menschen und Teams, mit denen ich arbeite, gebe. Eine Hand, die nicht (be)wertet, auch wenn man sich mal nicht wohlfühlt, mit dem eigenen Verhalten hadert oder keine eigene Lösung findet. Sie repräsentiert den sicheren Ort, an den sich die Menschen und Teams wenden können, wenn sie Unterstützung benötigen. Der starke Charakter steht für die innere Stärke und Resilienz, die jeder Einzelne in sich trägt. Als Coach helfe ich den Menschen, diese Stärke zu erkennen und zu nutzen.
Frage: Sie haben das Thema Integration von Fachkräften mit Migrationshintergrund für sich entdeckt. Wann kam das und was war der Auslöser?
Antwort: Ich habe 2016 selbst eine Fachkraft im Ausland gesucht, als Au-pair für meine Familie. Unser Au-pair war eine junge Psychologin. Sie hat ein Jahr lang in meiner Familie gelebt und meinen Mann und mich bei der Familienbetreuung unterstützt. Ich habe in dieser Zeit erlebt, wie hoch die fachliche Qualifikation ist und wie schwierig es für sie war, sich im deutschen Bürokratiedschungel zurechtzufinden. Letztendlich habe ich ihr dabei geholfen, einen Studienplatz zu finden und ihre Qualifikation anerkennen zu lassen und die richtigen Stellen ausfindig zu machen, um die Integration zu schaffen. Für mich war es ein Schlüsselmoment, die Herausforderungen dieser jungen Frau hautnah mitzuerleben, denn natürlich habe ich in Apotheken und Arztpraxen immer wieder erlebt, wie solche Projekte auch gescheitert sind. Erst danach verstand ich wieso und konnte unterstützen.
Frage: Zu welchem Zeitpunkt ist es für das Apothekenteam am besten, sich mit dem Thema Integration einer ausländischen Fachkraft zu beschäftigen?
Antwort: Jetzt! Bis 2029 werden uns im Apothekenbereich 10.000 Fachkräfte fehlen und das ist eine der vorsichtigen Prognosen. Dieses Problem lässt sich mit deutschen Fachkräften allein nicht lösen. Doch viele Inhaber erwarten auf Stellenausschreibungen eine Sofortlösung, denn sie schreiben eine Stelle dann aus, wenn der Mangel groß ist. Die Zeitspanne, die bis zur Anerkennung der deutschen Approbation vergeht, beträgt jedoch 14 bis 18 Monate. Vorher gibt es viele spannende Möglichkeiten, wie z. B. die Anstellung im nicht pharmazeutischen Bereich. Doch zu Beginn stehen Fragen, die sich sowohl der Chef als auch das Team stellen sollten:
- Bin ich bereit, beim Erlernen einer neuen Sprache zu unterstützen?
- Kann ich kulturelle Unterschiede überbrücken?
- Gibt es im Team nicht ausgesprochene Abwehrhaltungen?
- In welchen Bereichen benötigen wir externe Unterstützung?
Frage: Was raten Sie, wenn es eine Person im Team gibt, die sich für das Thema Integration nicht erwärmen kann?
Antwort: Ich empfehle immer, die Erwartungen in alle Richtungen ganz klar zu kommunizieren. Das bedeutet, dass Inhaber mit ihren Werten und ganz konkreten Umgangsvorstellungen und Erwartungen für den Alltag zunächst an Führungskräfte, dann an das Team und auch an die zu integrierende Fachkraft herantreten ‒ und das, bevor diese im Team ist. Für die Zeit danach ist es wichtig, bei einer Abwehrhaltung im Gespräch zu bleiben, um eventuelle Ängste abzubauen und (negative) Erfahrungen einzuordnen.
Frage: Wie kann das Team konkret während der Integrationsphase der neuen Fachkraft die notwendige Unterstützung bieten?
Antwort: Das gelingt am besten ganz unbürokratisch auf Augenhöhe ‒ mit gemeinsamen Mahlzeiten, Feiern, einer helfenden Hand bei den ersten Behördengängen oder der Suche nach Freizeitaktivitäten. Oft fällt mir auf, wie streng im Alltag die Sprache korrigiert wird. Hier empfehle ich, korrigierendes Feedback anzuwenden, also nicht ständig auf Fehler hinzuweisen, sondern einfach sprachlich korrekt zu antworten. Besonders wichtig ist im Team der Aspekt des Hinschauens. Ein großer Teil der integrierten Fachkräfte wird im ersten Arbeitsjahr krank. Als Teammitglied bekommt man Veränderungen im Verhalten oft zeitnah mit. Daher empfehle ich jedem Teammitglied: Schauen Sie hin und nicht weg! Sprechen Sie Ihre neuen Kollegen an, bieten Sie Hilfe an oder machen Sie Führungskräfte aufmerksam. Diese können dann bei der Vermittlung von Facharztterminen helfen oder einfach einmal zuhören.
Frage: In größeren Apothekenteams finden sich häufiger auch Mitarbeiter, die aus dem gleichen Herkunftsland kommen. Welche Chancen, aber möglicherweise auch Probleme sind zu erwarten?
Antwort: Ich weiß, dass es oft die Angst vor Gleichsprachigkeit und somit der Grüppchenbildung in den Teams gibt. Diese Gefahr sehe ich bei einem gesund geführten Team nicht. Trifft jemand, der gerade aus dem Ausland kommt, jemanden aus seinem Herkunftsland, ist das ein Geschenk. Es vermittelt Sicherheit und gibt Perspektive, denn hier hat es jemand geschafft, kann vermitteln und versteht, wie es der neu zum Team gestoßenen Person geht. Alles andere lässt sich durch regelmäßige Gespräche und das Klären und Erklären gemeinsamer Bedürfnisse leicht regeln.
Frage: Gelegentlich kommt es zu Problemen im Rollenverständnis. Wie löst man diese?
Antwort: Diese Probleme können gelöst werden, indem man darüber spricht. Rollenmissverständnisse treten sowohl bei weiblichen als auch bei männlichen Mitarbeitern auf, wobei ich dieses Thema als rückläufig empfinde und andere Themen ‒ wie z. B. Generationenkonflikte ‒ in den Vordergrund rücken. Wichtig ist, dass Inhaber nicht nur Regeln festlegen oder kritisieren, sondern erklären, was genau sie meinen, wenn sie sagen „Bei uns läuft es so und so“. Mein Rat an Apothekeninhaber ist: Geben Sie unmittelbares Feedback im Alltag und in regelmäßigen Vieraugengesprächen, nennen Sie konkrete Beispiele aus dem Alltag. So hat Ihr neues Teammitglied eine echte Chance, sich umzuorientieren.
Frage: Es kommen nicht nur fertig ausgebildete Fachkräfte nach Deutschland. Viele junge Menschen, die derzeit in den Ausbildungsmarkt münden, haben ebenfalls einen Migrationshintergrund. Teilweise sind sie schon die zweite oder dritte Generation in Deutschland, z. T. sind sie aber auch erst als Kinder oder Jugendliche zu uns gekommen. Auch hier kommt es immer mal wieder zu Problemen. Was ist in diesen Fällen zu beachten?
Antwort: Wahrscheinlich gehöre ich an dieser Stelle zu den strengeren Beraterinnen. Ich glaube, dass es genau hier wichtig ist, klare Strukturen vorzugeben, um Orientierung zu bieten. Diese Leitlinie muss die Führungskraft vorgeben und vorleben. In der Praxis erlebe ich leider oft, wie auf jüngere Fachkräfte mit Migrationshintergrund mit dem Motto „andere Länder, andere Sitten“ reagiert wird, das sich in Gesprächen dann in einer unterschiedlichen Mimik, Gestik oder veränderten Sprache ausdrückt. Apothekenleiter sollten darauf achten, dass sie sich jedem Mitarbeiter gegenüber gleich verhalten ‒ auch gegenüber denen, die gerade neu dazugekommen sind.
Frage: Sie coachen Apothekenteams. Aber auch im Alltag spielt Integration eine große Rolle. Wie kann denn jeder Einzelne zur Integration von Menschen aus dem Ausland beitragen?
Antwort: Aus meiner Sicht ist der wichtigste Punkt, dass wir uns selbst im Alltag immer wieder hinterfragen, welche Gedanken uns durch den Kopf gehen, wenn wir an einer Flüchtlingsunterkunft vorbeigehen oder auf eine Gruppe junger Ausländer treffen. Ziehen wir nicht doch den Kontakt zu anderen Deutschen vor? Sind wir misstrauisch? Ich selbst hatte in diesem Jahr ein für mich prägendes Erlebnis. Nach einem gemeinsamen Training mit einem sehr guten griechisch-deutschen Coaching-Kollegen stand auf einem Feedbackbogen „eine blonde Frau und ein Grieche, was wollen die mir sagen“. Integration fängt im Alltag an, direkt neben uns, direkt jetzt nach diesem Interview, indem wir jeden Menschen gleichbehandeln, offen sind für dessen Erfahrungen und Meinungen und nachfragen, wenn wir etwas nicht verstehen.