08.06.2011 · IWW-Abrufnummer 111892
Oberlandesgericht Hamburg: Urteil vom 24.02.2011 – 3 U 12/09
Das von einem Apotheker vorgenommene Abfüllen von Fertigspritzen aus einem unter Verwendung biotechnologischer Verfahren hergestellten, gemäß Art. 3 Abs. 1 VO (EG) 726/2004 zentral zugelassenen Präparat unterliegt als "Herstellung" eines Arzneimittels im Sinne der VO 726/2004 ebenfalls dem Erfordernis zentraler Zulassung. Die im nationalen Recht (hier: § 21 Abs. 2 AMG) vorgesehenen Einschränkungen der Zulassungspflicht für Rezepturarzneimittel sind auf ein solches Arzneimittel wegen des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts nicht anwendbar.
3 U 12/09
In dem Rechtsstreit
N. GmbH
- Klägerin und Berufungsklägerin -
Prozessbevollmächtigte/r: Rechtsanwalt
g e g e n
D.
- Beklagter und Berufungsbeklagter -
Prozessbevollmächtigte/r:
hat das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg, 3. Zivilsenat, durch die Richter
Gärtner, Feddersen, Hartmann
nach der am 13. Januar 2011 geschlossenen mündlichen Verhandlung für Recht erkannt:
Tenor:
I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Hamburg, Kammer 16 für Handelssachen, vom 16.12.2008, Az. 416 O 48/08, abgeändert. Der Beklagte wird verurteilt, es bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes, und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens € 250.000; Ordnungshaft insgesamt höchstens zwei Jahre) zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs
1. Fertigspritzen in den Verkehr zu bringen, die mit 0,05 ml des Arzneimittels L. (Wirkstoff: Ranibizumab) befüllt sind und als solche weder arzneimittelrechtlich zugelassen sind noch in Ausführung einer individuellen ärztlichen Verschreibung oder Bestellung im Einzelfall für einen bestimmten Patienten aus einer nur für diese Verschreibung oder Bestellung verwendeten Original-Durchstechflasche des Arzneimittels L. befüllt werden;
und/oder
2. die in Ziffer 1 genannten Fertigspritzen anzubieten und/oder anbieten zu lassen, insbesondere wenn dies wie aus Anlage 1 zu diesem Urteil ersichtlich geschieht;
und/oder
3. die in Ziffer 1 genannten Fertigspritzen zu bewerben und/oder bewerben zu lassen, insbesondere wenn dies wie aus Anlage 1 und/oder Anlage 2 zu diesem Urteil ersichtlich geschieht.
II. Die Kosten des Rechtsstreits hat der Beklagte zu tragen.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung hinsichtlich des Urteilstenors zu I.1 bis I.3 durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von jeweils € 500.000,00 abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Im Übrigen darf der Beklagte die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
IV. Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin, welche u.a. das Arzneimittel L. (Wirkstoff: Ranibizumab) vertreibt, wendet sich im vorliegenden Hauptsacheverfahren gegen die Herstellung und den Vertrieb von L. enthaltenden Fertigspritzen durch den Beklagten, der unter der Firma "B." eine bundesweit tätige öffentliche Apotheke betreibt.
L. wird zur Behandlung der feuchten altersbedingten Maculadegeneration eingesetzt, einer die Sehfähigkeit stark beeinträchtigenden Netzhauterkrankung, bei der es zum Wachstum krankhaft veränderter Blutgefäße im Bereich der Macula - derjenigen Stelle der Netzhaut, mit der der Mensch am schärfsten sehen kann - kommt, aus denen Blut und Flüssigkeit austreten und das umliegende Netzhautgewebe sowie die Sehzellen schädigen. Dieses Wachstum wird begünstigt durch den vaskulären endothelialen Wachstumsfaktor (VEGF), ein körpereigenes Eiweißmolekül, welches von Ranibizumab - einem sog. VEGF-Hemmer - gebunden wird. Hierdurch wird nicht nur der Degenerationsprozess gestoppt, sondern auch die bereits eingetretene Einschränkung der Sehkraft wieder gebessert. L. wird intravitreal, d.h. in das Auge, injiziert (Anlage K 1/K 23). Ranibizumab ist das Fragment eines humanisierten monoklonalen Antikörpers, das mit Hilfe rekombinanter DNA-Technologie in Escherichia coli hergestellt wurde (Fachinformation Anlage K 1, Ziff. 2.).
Die Klägerin vertrieb L. zunächst in Durchstechflaschen mit je 0,3 ml des Arzneimittels, deren Apothekenabgabepreis € 1.523,00 betrug. Mittlerweile hat die Klägerin den Inhalt der Flaschen auf je 0,23 ml des Arzneimittels reduziert (Anlage B 16). Die empfohlene Dosierung beträgt 0,05 ml L. (Anlage K 1, dort Ziff. 4.2, dritter Absatz). Die Anwendung erfolgt, indem der gesamte Inhalt der Durchstechflasche mittels einer Filterkanüle auf eine 1-ml- Spritze zu ziehen ist; vor der Injektion ist die Filterkanüle durch eine sterile Injektionskanüle auszutauschen und der überschüssige Inhalt bis zur 0,05-ml-Markierung zu verwerfen (Anlage K 1, dort Ziff. 4.2, achter Absatz). Die Durchstechflasche darf nur einmal verwendet werden (Anlage K 1, dort Ziff. 4.2, erster und achter Absatz, Ziff. 6.2, erster Absatz).
Der Beklagte füllt in seiner Apotheke aus den genannten Durchstechflaschen L. in Dosierungen zu 0,05 ml in Fertigspritzen ab und bietet diese zu je € 573,11 netto Ärzten zum Kauf an. Der Vertrieb und Bewerbung dieser Fertigspritzen erfolgen u.a. über die Internetseite "A.", auf der eine als "Bestellfax (...)" bezeichnete Liste abrufbar ist (Anlagen K 4a und K 4b), und Werbeschreiben nach Art der Anlage K 6.
Die Klägerin hat vorgetragen, dass die Behandlung der altersbedingten Maculadegeneration mittels intravitrealer Injektion besonders infektionsanfällig sei, weshalb strengste Anforderungen an die Sterilität gälten. Bereits geringste Verunreinigungen des Wirkstoffs, der Spritze oder Injektionsnadel könnten, ebenso wie die Durchführung des Eingriffs unter nicht aseptischen Bedingungen, zu schweren Nebenwirkungen bis hin zur Erblindung führen. Um die erforderliche Sterilität zu gewährleisten, werde L. äußerst aufwendig hergestellt. Ferner sei das Wirkstoffmolekül außerordentlich empfindlich. Aus diesen Gründen sei das von dem Beklagten praktizierte Umfüllen bedenklich. Das Bayerische Staatsministerium für Umwelt, Gesundheit und Verbraucherschutz habe sich insoweit besorgt geäußert (Anlage K 9). Entsprechende Bedenken hege - in Bezug auf das in der Krebstherapie eingesetzte Medikament A. - auch die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA geäußert (Anlage B 12). Die Abfüllmenge von 0,3 ml sei keine sinnlose Verschwendung des Produkts, sondern sei produktionstechnisch bedingt und diene zugleich dazu, die größtmögliche Reinheit des Produkts bei der Anwendung sicherzustellen.
Der Beklagte verstoße gegen § 4 Nr. 11 UWG in Verbindung mit § 21 Abs. 1 AMG und § 3a HWG. Die von dem Beklagten hergestellten Fertigspritzen seien mangels Zulassung gemäß § 21 Abs. 1 AMG nicht verkehrsfähig. Da es sich bei den Fertigspritzen um im Sinne des § 21 Abs. 1, § 4 Abs. 1 1. Alt. AMG zulassungspflichtige, jedoch nicht zugelassene Fertigarzneimittel handele, verstoße ihre Bewerbung auch gegen § 3a HWG. Die Fertigspritzen seien auch nicht gemäß § 21 Abs. 2 AMG von der Zulassungspflicht befreit. Die Fertigspritzen unterfielen auch nicht § 21 Abs. 2 Nr. 1b AMG. Die Fertigspritzen seien auch nicht von der L.-Zulassung umfasst. Der Beklagte stelle gemäß § 4 Abs. 14 AMG ein (anderes) Arzneimittel her.
Die Klägerin hat beantragt,
- wie nunmehr erkannt -
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat vorgetragen, mit seinen Apothekenlabors höchste Hygienestandards zu erfüllen und eine sterile Umgebung zu gewährleisten. Eine Entnahme von Teilmengen aus dem von der Klägerin vertriebenen Fertigarzneimittel sei ohne Qualitätsverlust möglich. Im Sterillabor werde in einem aseptischen Arbeitsprozess unter der Sicherheitswerkbank der Inhalt der L.-Originaldurchstechflasche in eine Spritze aufgezogen und aus der Spritzenöffnung das gewünschte Endvolumen über die vorfixierte Kanüle der Spritze entnommen. Die Fertigspritzen fertige der Beklagte nicht im Voraus, sondern ausschließlich nach Anforderung von Ärzten, wenn ihm ein entsprechendes Rezept übersandt werde. Aufgrund des regen Rezepteingangs sei es möglich, aus einer Durchstechflasche L. 0,3 ml mehrere Fertigspritzen, für die jeweils eine individuelle Verschreibung vorliege, zu fertigen. Die Teilmengen würden zeitlich so entnommen, dass die Spritzen unmittelbar vor dem Applikationstag dem Arzt zugestellt würden. Vorsorglich versehe er, der Beklagte, die Spritzen mit einer Mindesthaltbarkeit von acht Tagen. Durch die Entnahme verändere sich die pharmazeutische Qualität des Arzneimittels nicht; auch der Versand mittels gewährleisteter Kühlkette sei für den Patienten mit keinerlei Sicherheitsrisiken verbunden. Das Risiko einer Verunreinigung bei Entnahme des Arzneimittels aus der Durchstechflasche in der Arztpraxis sei wesentlich höher als in seinem, des Beklagten, Sterillabor.
Bei den streitgegenständlichen Fertigspritzen handele es sich um zulassungsfreie Rezepturarzneimittel im Sinne des § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG, nicht hingegen Fertigarzneimittel im Sinne des § 4 Abs. 1 AMG. Weder die Ausführung einer größeren Zahl von Rezepturen noch hohe Sicherheitsstandards, Fachkenntnisse und technische Anforderungen führten zwingend zur Annahme einer industriellen Herstellung im Sinne des § 4 Nr. 1 AMG. Diese Sichtweise werde durch die Norm des § 21 Abs. 2 Nr. 1b AMG bestätigt, welche eine Sonderregelung für andere Unternehmen als Apotheken enthalte. Die Einordung der Fertigspritzen als Rezepturarzneimittel werde auch durch § 2 Abs. 1 Nr. 4a der Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV) bestätigt durch die Änderung der Überschrift des § 10 AMG von "Kennzeichnung für Fertigarzneimittel" in "Kennzeichnung" und die Einfügung des § 10 Abs. 11 AMG. Hilfsweise stütze sie, die Beklagte, sich auch auf § 21 Abs. 2 Nr. 1 AMG, weil vorliegend die Teilmengen in den wesentlichen Herstellungsschritten in der Apotheke entnommen würden.
Das Landgericht Hamburg hat mit Urteil vom 16.12.2008, auf welches zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird, die Klage abgewiesen.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung. Die Klägerin wiederholt und vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag. Ergänzend macht sie geltend: Zu Unrecht habe das Landgericht eine Zulassungspflicht verneint. Das Inverkehrbringen der Fertigspritzen verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 der Verordnung (EG) 726/2004 vom 31.3.2004 (Anlage K 24), weil die Fertigspritzen keine nach dieser Vorschrift erforderliche EU-Zulassung hätten. Die Klägerin hält ferner umfangreichen Vortrag zur angeblichen Verschlechterung der Qualität des Arzneimittels durch das von dem Beklagten praktizierte Abfüllen.
Die Klägerin beantragt,
- wie nunmehr erkannt -
Der Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen,
Der Beklagte verteidigt das landgerichtliche Urteil, wiederholt und vertieft seinen erstinstanzlichen Vortrag und macht ergänzend geltend: Die Herstellung der Fertigspritzen widerspreche nicht der Verordnung (EG) 726/2004. Das Abfüllen einer Teilmenge eines Arzneimittels, bei deren Herstellung ein biotechnologisches Verfahren nach Anlage 1 der Verordnung 726/2004 zum Einsatz gekommen sei, sei gemeinschaftsrechtlich keine Herstellung eines solchen Arzneimittels, wie der Blick auf Art. 40 Abs. 2 der RL 2001/83 zeige. Aus Sicht des europäischen Gesetzgebers, dies ergebe auch der Vergleich der fremdsprachigen Fassungen der VO, seien Herstellung und Abfüllung/Abpacken/Aufmachung unterschiedliche rechtliche Vorgänge; letztere seien zwar grundsätzlich erlaubnispflichtig, aber keine Herstellung im gemeinschaftsrechtlichen Sinne. Herstellung im gemeinschaftsrechtlichen Sinne sei nur ein qualitatives Einwirken auf den Wirkstoff mit dem Ergebnis, dass die Endsubstanz nicht mehr mit der Ausgangssubstanz identisch sei. § 21 Abs. 2 Nr. 1b AMG stehe mit der Verordnung auch insoweit im Einklang, als sie in Art. 1 die Zuständigkeit der Mitgliedsstaaten für die Preisfestsetzung und Einbeziehung in nationale Kranken- und Sozialversicherungssysteme regele. Denn die Entnahme von Teilmengen diene gerade dazu, Wirtschaftlichkeitsreserven zu erschließen und das Sozialsystem zu stützen. Die Ausnahmen von der Zulassungspflicht nach § 21 Abs. 2 AMG beträfen sowohl die nationale Zulassung als auch das zentrale Zulassungsverfahren. Jedenfalls handele er, der Beklagte, nicht unlauter, denn der nationale Gesetzgeber gestatte dieses Verhalten ausdrücklich. Der Beklagte tritt dem Vortrag der Klägerin zur angeblichen Verschlechterung des Arzneimittels im Zuge der Abfüllung umfangreich entgegen.
II. Die zulässige Berufung ist begründet.
1. Antrag zu 1.
Die Klägerin hat gegenüber dem Beklagten Anspruch auf Unterlassung gemäß §§ 3, 4 Nr. 11, 8 UWG, weil die von ihm in Verkehr gebrachten Fertigspritzen nicht über eine zentrale Zulassung gemäß Art. 3 Abs. 1 VO (EG) 726/2004 verfügen. Angesichts des eingreifenden autonomen gemeinschaftsrechtlichen Zulassungsregimes der VO (EG) 726/2004 vermögen nationale Ausnahmebestimmungen - etwa § 21 Abs. 2 AMG - das Handeln des Beklagten nicht zu legitimieren (a.A. OLG München, Urteil vom 6.5.2010, Az. 29 U 4316/09, PharmaR 2010, 476; Anlage K 36).
a) Gegenstand des Antrags ist das Verbot,
- Fertigspritzen in den Verkehr zu bringen,
- die mit 0,05 ml des Arzneimittels L. (Wirkstoff: Ranibizumab) befüllt sind
- und als solche weder arzneimittelrechtlich zugelassen sind
- noch in Ausführung einer individuellen ärztlichen Verschreibung oder Bestellung im Einzelfall für einen bestimmten Patienten aus einer nur für diese Verschreibung oder Bestellung verwendeten Original-Durchstechflasche des Arzneimittels L. befüllt werden.
Als verboten kennzeichnet der Antrag das Inverkehrbringen von Fertigspritzen, die nicht zugelassen sind oder nach Maßgabe der im Antrag weiter genannten Handlungsform, die die Klägerin nicht angreift, hergestellt werden. Die Charakteristik dieser erlaubten Handlungsform besteht in der Herstellung von Fertigspritzen aus einer Durchstechflasche für (nur) eine Verschreibung, wenn also der Apotheker die Durchstechflasche nur für einen Patienten verwendet, nicht aber mehrere Fertigspritzen für verschiedene Patienten abfüllt. Diese Antragsfassung, deren Reichweite sich (erst) aus der spezifischen Fassung der genannten Ausnahmen ergibt, ist unter dem Aspekt der Bestimmtheit unbedenklich, weil die Voraussetzungen der Ausnahmen hinreichend klar benannt sind.
b) Die von dem Beklagten hergestellten Fertigspritzen, für die der Beklagte über keine arzneimittelrechtliche Zulassung verfügt, unterliegen der Zulassungspflicht nach Art. 3 Abs. 1 VO (EG) 726/2004. Nach dieser Vorschrift darf ein unter den Anhang der VO fallendes Arzneimittel innerhalb der Gemeinschaft nur in den Verkehr gebracht werden, wenn von der Gemeinschaft gemäß dieser Verordnung eine Genehmigung für das Inverkehrbringen erteilt worden ist.
aa) Nach Nr. 1 des Anhang der VO (EG) 726/2004 sind zentral zu genehmigende Arzneimittel u.a. solche, die mit Hilfe der Biotechnologie der rekombinierten DNS bzw. mit Hilfe von Verfahren auf der Basis von Hybridomen und monoklonalen Antikörpern hergestellt werden. Das Ausgangspräparat L., dessen Wirkstoff Ranibizumab das Fragment eines humanisierten monoklonalen Antikörpers ist, das mit Hilfe rekombinanter DNA-Technologie in Escherichia coli hergestellt wurde (Fachinformation Anlage K 1, Ziff. 2.), unterfällt dem Anwendungsbereich der VO (EG) 726/2004 und verfügt über eine nach Maßgabe dieser Verordnung erteilte zentrale Zulassung.
bb) Die von dem Beklagten aus L.-Durchstechflaschen produzierten Fertigspritzen sind Arzneimittel im Anwendungsbereich der VO (EG) 726/2004. Die Definition des Arzneimittels im Sinne der Verordnung richtet sich nach Art. 1 der RL 2001/83/EG, auf welche Art. 2 Abs. 1 der VO (EG) 726/2004 hinsichtlich der dort vorgesehenen Begriffsbestimmungen verweist. Gemäß Art. 1 der RL 2001/83/EG sind Humanarzneimittel u.a. alle Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, die als Mittel zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten bezeichnet werden. Art. 2 Abs. 1 der VO (EG) 726/2004 verweist insoweit ausschließlich auf Art. 1 der RL 2001/83/EG, nicht aber etwa auf deren Art. 3 Nr. 1 und 2, die die Richtlinie auf nach der formula magistralis oder der formula officinalis zubereitete Arzneimittel für nicht anwendbar erklären. Da also Arzneimittel im Sinne der VO (EG) 726/2004 auch Rezepturarzneimittel sind, bedarf keiner Entscheidung, ob es sich bei den von dem Beklagten hergestellten Fertigspritzen um Rezeptur- oder Fertigarzneimittel handelt. Die VO (EG) 726/2004 enthält sonstige - etwa der Regelung des § 21 Abs. 2 AMG entsprechende - Einschränkungen der Zulassungspflicht nicht.
cc) Die beanstandeten Fertigspritzen werden durch den Beklagten auch im Sinne der Nr. 1 des Anhangs der VO (EG) 726/2004 "hergestellt". Zwar kommt bei dem Abfüllen der Fertigspritzen aus den L.-Durchstechflaschen keines der im Anhang der VO (EG) 726/2004 genannten Verfahren zur Anwendung. Die mit dem zentralisierten Verfahren beabsichtigte Wahrung der Qualität technologisch hochwertiger Arzneimittel erfordert hier allerdings ein weites Verständnis des Herstellungsbegriffs. Nach dem in den Erwägungsgründen 7 und 13 zum Ausdruck kommenden Schutzzweck der Verordnung ist ein Arzneimittel im Sinne des Anhangs der VO (EG) 726/2004 bereits dann als "mit Hilfe eines der folgenden biotechnologischen Verfahren hergestellt" zu beurteilen, wenn es einen auf diese Weise hergestellten Wirkstoff enthält. Nach Erwägungsgrund 7 soll das zentralisierte Verfahren das hohe Niveau der wissenschaftlichen Beurteilung dieser technologisch hochwertigen Arzneimittel aufrechterhalten. Nach Erwägungsgrund 13 sollen im Interesse der öffentlichen Gesundheit für die im Rahmen des zentralisierten Verfahrens zu treffenden Entscheidungen über eine Genehmigung die objektiven wissenschaftlichen Kriterien der Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit des betreffenden Arzneimittels unter Ausschluss wirtschaftlicher oder sonstiger Erwägungen zugrunde gelegt werden. Mit diesen Schutzzweckerwägungen wäre es nicht vereinbar, als Herstellung im Sinne der Verordnung ausschließlich den biotechnologischen Herstellungsschritt selbst zu erachten und nicht weitere, für die Wirksamkeit und Sicherheit des Präparats ebenfalls bedeutsame Verarbeitungsschritte auszuklammern.
Für ein weites Verständnis des Herstellungsbegriffs unter Einschluss der von dem Beklagten vorgenommenen Veränderung von Abgabeform und -menge (Fertigspritze mit 0,05 ml statt Durchstechflasche mit 0,23 ml) spricht auch die Systematik der VO (EG) 726/2004. Denn nach Art. 16 Abs. 2 und 3 sowie Art. 9 VO (EG) 726/2004 tangieren - worauf die Klägerin zu Recht verweist - schon solche Maßnahmen die Zulassung des Arzneimittels, die als "Änderung der Angaben oder Unterlagen" (vgl. Friese, in: Dieners/Reese, Handbuch des Pharmarechts, 2010, § 5 Rz. 138 ff.) bei der Agentur zu beantragen sind. Dies betrifft u.a. vom Zulassungsinhaber selbst vorgenommene Modifikationen von "Einzelheiten etwaiger empfohlener Bedingungen oder Einschränkungen hinsichtlich der sicheren und wirksamen Anwendung des Arzneimittels" (Art. 9 Abs. 4 lit. c]). Bedarf aber die Änderung solchermaßen anwendungsbezogener Aspekte eines Antrags bei der Agentur, so muss erst recht eine Änderung der Abgabeform und -menge zulassungsrelevant sein, zumal wenn sie nicht der Zulassungsinhaber selbst, sondern - wie vorliegend - ein Dritter vornimmt.
Der Senat sieht sich bei dieser schutzzweckorientierten Betrachtungsweise zudem im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH. Dieser hat in der Rs. C-433/00 (Urteil v. 19.9.2002, GRUR 2002, 1054 [EuGH 19.09.2002 - C 433/00] [Aventis Pharma./.Kohlpharma betreffend das Präparat "Insuman Comb"]) entschieden, dass der Schutzzweck der VO 2309/93 - der Vorgängerregelung der vorliegend in Rede stehenden VO 726/2004 -, welche die Vorbeugung vor einer Irreführung der Verbraucher sowie den Schutzes der öffentlichen Gesundheit bezwecke, dem Parallelimport eines zentral zugelassenen Arzneimittels entgegenstehe, wenn die zentrale Zulassung für eine Packung mit fünf Einheiten und eine Packung mit zehn Einheiten erteilt worden sei und eine neu etikettierte Bündelpackung zu je fünf Einheiten vertrieben werden soll (s. Urteil Tz. 25). Liegt aber schon die Bündelung zweier Packungen, die einzeln zentral zugelassen sind, außerhalb der Legalisierungswirkung der zentralen Zulassung, so muss dies erst recht für ein in Abgabeform und -menge geändertes Präparat der vorliegenden Art gelten.
Ein weites Verständnis des Herstellungsbegriffs entspricht auch der Lesart der Europäischen Kommission, welche als von der Genehmigungspflicht nach Art. 3 Abs. 1 VO (EG) 726/2004 s ämtliche Arzneimittel erfasst ansieht, bei denen in irgend einem Stadium des Herstellungsprozesses ein monoklonaler Antikörper gebraucht wird (Anlage K 28, Notice to the Applicants - The Rules Governing Medical Products in the European Union: "any medical product for which a monoclonal antibody is used at any stage in the manufacturing process"). Auch die EMEA betrachtet als zentral zulassungspflichtig im Sinne der VO "medicinal products manufactured by mean of biotechnology processes" (EMEA-Papier "Scientific Aspects and Working Definitions for the Mandatory Scope of the Centralised Procedure" EMEA/CHMP/121944/2007 v. 13.12.2007, S. 3, 1. Absatz).
Zu Unrecht leitet der Beklagte aus Art. 40 Abs. 2 RL 2001/83/EG ab, dass nach dem Sprachgebrauch des europäischen Gesetzgebers "Herstellung" und "Abfüllen/Umpacken" unterschiedliche rechtliche Vorgänge und folglich das von ihm gehandhabte Abfüllen kein "Herstellen" im Sinne der VO (EG) 726/2004 seien. Nach dem im Titel IV "Herstellung und Import" enthaltenen Art. 40 Abs. 2 RL 2001/83/EG ist eine Herstellungserlaubnis sowohl für die vollständige oder teilweise Herstellung als auch für die Abfüllung, das Abpacken und die Aufmachung erforderlich (S. 1), nicht jedoch dann, wenn die Zubereitung, Abfüllung oder die Änderung der Abpackung oder Aufmachung lediglich im Hinblick auf die Abgabe durch Apotheker in einer Apotheke oder andere hierzu gesetzlich ermächtigte Personen vorgenommen werden (S. 2). Schon die Wortlautauslegung des Satzes 1 der Vorschrift lässt hier erkennen, dass auch das Abfüllen im Grundsatz eine Herstellungserlaubnis erfordert, dass also unter den Rechtsbegriff der Herstellung im Grundsatz auch das Abfüllen fällt. Satz 2 der Vorschrift nimmt dann auf der Grundlage dieses Ausgangsverständnisses - also ohne Änderung des Herstellungsbegriffs - lediglich bestimmte Formen des Abfüllens etc. von dem Erfordernis der Herstellungserlaubnis aus.
Vor diesem Hintergrund führt auch die Bezugnahme auf die englische, spanische und französische Sprachfassung der VO (EG) 726/2004 nebst Anhang (Anlagen B 51, B 52, B 54) zu keinem anderen Ergebnis. Denn auch die jeweils im Anhang verwendeten Begriffe "developed by means of one of the following biotechnical processes", "desarrollados por medio de uno de los siguientes procesos biotecnolócos" bzw. "Médicaments issus de l'un des procédés biotechnologiques suivants" (Unterstreichungen stammen vom Senat) sprechen schon nach ihrem Wortsinn nicht dafür, einzelne, dem biotechnologischen Herstellungsschritt folgende Bearbeitungsschritte aus der rechtlichen Betrachtung auszublenden, und sind mit dem am Schutzzweck der Verordnung orientierten, auf den gesamten Produktionsprozess abstellenden Begriffsverständnis zwanglos vereinbar.
dd) Art. 1 Abs. 2 VO (EG) 726/2004 führt nicht zur Unanwendbarkeit des Genehmigungserfordernisses. Nach dieser Vorschrift berührt die Verordnung nicht die Zuständigkeiten der Behörden der Mitgliedsstaaten im Bereich der Festsetzung der Preise für Arzneimittel sowie in Bezug auf die Einbeziehung von Arzneimitteln in die nationalen Krankenversicherungs- oder Sozialversicherungssysteme aufgrund von gesundheitlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Bedingungen; danach können die Mitgliedsstaaten insbesondere aus den Angaben in der Genehmigung für das Inverkehrbringen diejenigen therapeutischen Indikationen und Packungsgrößen auswählen, die von ihren Sozialversicherungsträgern abgedeckt werden. Dieser Vorschrift ist (lediglich) zu entnehmen, dass sich der Regelungsbereich der VO (EG) 726/2004 nicht auf die in der Kompetenz der Mitgliedsstaaten liegenden Bereiche des Arzneimittelpreis- und Sozialversicherungsrechts (hier insbesondere: das Recht der Kostenerstattung durch die Gesetzliche Krankenversicherung) beziehen. Zwar ist das von dem Beklagten verfolgte - von gesetzlichen Krankenversicherungsträgern teilweise unterstützte - Wirtschaftsmodell vor dem Hintergrund des Kostendrucks im Gesundheitswesen zu sehen, weil es zu erheblichen Einsparungen bei der Behandlung mit L. führt. Mitgliedsstaatliches Arzneimittelpreis- und Sozialversicherungsrecht sind jedoch zum einen dem Zulassungsrecht nachgelagerte Regelungsbereiche; die - auch vorliegend betroffene - Frage der Verkehrsfähigkeit eines Arzneimittels geht preis- oder sozialversicherungsrechtlichen Fragen voran. Zum anderen - und vor allem - ist dem nationalen Gesetzgeber im Anwendungsbereich der VO (EG) 726/2004 der Zugriff auf den Zulassungstatbestand verwehrt; das durch die VO (EG) 726/2004 vorrangig bestimmte gemeinschaftsrechtliche Zulassungsregime kann durch eine mitgliedsstaatliche Modifikation des Zulassungstatbestands - etwa durch eine Freistellung des Abfüllens gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 1b lit. c) AMG - nicht abgeändert werden.
c) Die Parteien sind Mitbewerber im Sinne des § 2 Nr. 3 UWG. Art. 3 VO (EG) 726/2004 ist eine das Markverhalten regelnde Norm im Sinne des § 4 Nr. 11 UWG (vgl. zur arzneimittelrechtlichen Zulassung Köhler/Bornkamm, UWG, 29. Auflage 2011, § 4 Rz. 11.147). Der Vorwurf unlauteren Handelns entfällt - entgegen der Ansicht des Beklagten - nicht etwa deswegen, weil der nationale Gesetzgeber die von dem Beklagten befolgte Vorgehensweise ausdrücklich gestattete. Abgesehen davon, dass dieses Argument allenfalls im umgekehrten Falle - das inkriminierte Verhalten verstößt gegen nationales Recht, ist aber gemeinschaftsrechtskonform - funktionieren dürfte (vgl. Senat, PharmaR 2009, 40), kann vorliegend schon nicht von einer Gestattung des nationalen Gesetzgebers gesprochen werden. Denn - wie ausgeführt - ist auf den vorliegenden Fall das dem Zugriff des nationalen Gesetzgebers entzogene gemeinschaftsrechtliche Zulassungsrecht der VO (EG) 726/2004 anwendbar.
2. Anträge zu 2. und 3.
Aus den vorstehenden Ausführungen, welche hier entsprechend gelten, folgt, dass der Beklagte die nicht zugelassenen, nach Maßgabe des Antrag zu 1. beschriebenen Fertigspritzen auch nicht anbieten oder bewerben darf (§§ 3, 4 Nr. 11, 8 UWG, § 3a HWG, Art. 3 Abs. 1 VO [EG] Nr. 726/2004).
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Revision ist zuzulassen, weil der erkennende Senat von dem Urteil des OLG München vom 6.5.2010, Az. 29 U 4316/09 (PharmaR 2010, 476; Anlage K 36) abweicht und folglich die Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 ZPO). Von einer Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union gem. Art. 267 AEUV sieht der Senat im Hinblick auf die Revisionszulassung ab.
Gärtner
Feddersen
Hartmann
Hinweise
nicht rechtskräftig