12.11.2018 · IWW-Abrufnummer 205348
Finanzgericht Münster: Urteil vom 28.06.2018 – 6 K 1929/15
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
1Die Beteiligten streiten um die Rechtmäßigkeit einer Datenanforderung im Rahmen einer bei der Klägerin andauernden Außenprüfung, insbesondere über den Umfang der in § 147 Abs. 6 der Abgabenordnung (AO) in der bis zum 31.12.2016 gültigen Fassung (a.F.) geregelten Datenzugriffsrechte des Beklagten.
2Die Klägerin betreibt seit ... die „Apotheke“ in S. Sie zeichnet sowohl den Warenein- als auch den Warenausgang mittels einer PC-Kasse auf und nutzt das Warenwirtschaftssystem „X“ der Firma Y GmbH. Ihren Gewinn ermittelt sie durch Betriebsvermögensvergleich nach §§ 4 Abs. 1, 5 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG).
3Mit Anordnung vom 24.09.2014 ordnete der Beklagte für die Jahre 2010 bis 2012 bei der Klägerin eine Außenprüfung hinsichtlich der Umsatz- und Gewerbesteuer sowie der gesonderten Feststellung von Einkünften an.
4Mit Verfügung vom 27.10.2014 (dort Seite 6) forderte der Beklagte die Vorlage der in elektronischer Form gefertigten Buchführung auf einem maschinell verwertbaren Datenträger einschließlich bestimmter Daten aus dem Warenwirtschaftssystem, u.a. die Einzeldaten aus dem Warenverkauf, in elektronisch verwertbarer Form („steuerlich relevante Daten aus der Tabelle ....csv. Hierbei handelt es sich um die im System einzeln aufgelisteten verkauften Waren, getrennt nach Umsatzsteuersätzen.“). Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Anforderung vom 27.10.2014 Bezug genommen.
5Die Klägerin vertrat die Auffassung, dass sie nur zum Teil zur Beantwortung der in diesem Schreiben aufgelisteten Anforderungen verpflichtet sei und legte im Übrigen gegen den Datenanforderungsbescheid zu den sog. Kasseneinzeldaten Einspruch ein. Sie vertrat hierzu insbesondere die Auffassung, dass für die Einzeldokumentation hinsichtlich der Kassenverkäufe kein Zugriffsrecht des Beklagten bestehe.
6Das Einspruchsverfahren haben die Beteiligten vor dem Hintergrund der unter dem Az. X R 42/13 und X R 29/13 beim Bundesfinanzhof (BFH) anhängigen Verfahren zur streitigen Frage zunächst zum Ruhen gebracht und nach Entscheidung des BFH am 16.12.2014 fortgesetzt. Der BFH bejahte die Vorlagepflicht nach § 147 Abs. 6 AO a.F. von Informationen, die Apotheker zu einzelnen Verkaufsvorgängen (freiwillig) auszeichneten und speicherten.
7Der Beklagte schloss sich der Rechtsaufassung des BFH an und wies mit Einspruchsentscheidung vom 13.05.2015 den Einspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Zur Begründung verwies er im Wesentlichen auf die rechtlichen Ausführungen des BFH in seinen Entscheidungen vom 16.12.2014 (zu Az. X R 42/13, BStBl II 2015, 519 und Az. X R 29/13, juris).
8Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der am 22.06.2015 erhobenen Klage. Zur Begründung führt sie aus, dass auch unter Berücksichtigung der BFH-Urteile vom 16.12.2014 die Datenanforderung im vorliegenden Fall unrechtmäßig sei und die Klägerin in ihren Rechten verletzte. Die Ausführungen des BFH in den zitierten Urteilen seien nicht überzeugend. Sämtliche Auffassungen in der Literatur (z.B. Tipke/Kruse, aber auch das Institut der Wirtschaftsprüfer) ordneten § 144 AO (auch nach Ergehen der sog. „Apotheker-Urteile“) als „Aufzeichnungssperre“ für den Einzelhandel hinsichtlich des Warenverkaufs ein. Diesen Umstand habe der BFH im Rahmen seiner Entscheidung missachtet. § 144 AO konstatiere einen gesetzlichen Einzelaufzeichnungsverzicht für den Einzelhandel. Etwaige Aufzeichnungen hinsichtlich des Warenverkaufs seitens der Einzelhändler seien freiwillig und als solche unter Berücksichtigung des BFH-Urteils vom 24.06.2009 (VIII R 80/06, BSBl II 2010, 452) weder aufbewahrungs- noch datenzugriffspflichtig. Der BFH hingegen habe in der mündlichen Verhandlung am 10.12.2014 zu den Apotheker-Verfahren zu Unrecht die Auffassung vertreten, dass § 238 des Handelsgesetzbuches (HGB) den § 144 AO als Spezialnorm für Kaufleute verdränge. Bei „richtigem“ Verständnis des § 144 AO müsse zwingend gefolgert werden, dass eine Einzelaufzeichnungspflicht für den Einzelhandel zu verneinen sei. Keinesfalls sei § 238 HGB lex specialis zu § 144 AO; vielmehr gelte dies gerade anders herum.
9Ferner hätte sich der BFH weder mit der seiner Auffassung entgegenstehenden Literatur oder mit den Entscheidungen der stattgebenden Ausgangsentscheidungen durch das Finanzgericht – FG – Münster oder des Hessischen FG auseinandergesetzt und sei „unverständlich“ (unter Hinweis auf Rn. 34 des BFH-Urteils vom 16.12.2014 zu Az. X R 42/13, BStBl II 2015, 519).
10Zudem fänden sich Falschzitate in den Urteilsgründen der Urteile des BFH vom 16.12.2014. Der Klägervertreter vertraue „unverdrossen auf den Rechtsstaat“. Es sei „schwer vorstellbar“, dass das FG Münster „ein Urteil bestätigt, dass mit einem offenkundigen Fehlzitat“ stehe und falle.
11Schließlich stützte der Beklagte das Vorlageverlangen auf eine unrichtige Tatsachengrundlage. Sie – die Klägerin – habe keinen „...“ benutzt, wie der Beklagte meine. Sie lasse ihre Daten von der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten auf Manipulationen prüfen (Software: GDPdU Export). Hierbei habe sich herausgestellt, dass die Datensätze der Klägerin „absolut sauber“ seien.
12Die Klägerin beantragt,
13den Datenanforderungsbescheid des Beklagten vom 27.10.2014 in Form der Einspruchsentscheidung vom 13.05.2015 aufzuheben;
14und hilfsweise, für den Fall des Unterliegens, die Revision zuzulassen.
15Der Beklagte beantragt,
16die Klage abzuweisen;
17und hilfsweise, für den Fall des Unterliegens, die Revision zuzulassen.
18Zur Begründung nimmt er Bezug auf die Urteile des X. Senats des BFH vom 16.12.2014. Der BFH habe in seinem Urteil zu Az. X R 32/13 (BStBl II 2015, 519) entschieden, dass Apotheker im Rahmen der Zumutbarkeit zur Aufzeichnung sämtlicher Geschäftsvorfälle verpflichtet seien. Soweit diese Geschäftsvorfälle – wie im vorliegenden Fall – über ein Warenwirtschaftssystem einzeln aufgezeichnet und dauerhaft gespeichert werden, seien die Einzelaufzeichnungen zumutbar und die Finanzverwaltung dürfe zu Recht im Rahmen einer Außenprüfung auf die Kasseneinzeldaten Zugriff nehmen.
19Im Streitfall seien die Einzeldaten bislang nicht vorgelegt worden. Aktuell würde die Vorlage der aus dem System „X“ exportierten Daten verlangt. Dies sei vor dem Hintergrund geschehen, dass dem Beklagten Kontrollmaterial in Form von bei der Firma Y GmbH durch die Steuerfahndung ... beschlagnahmten Daten vorgelegt worden sei. Die Finanzverwaltung habe bei anderen beschlagnahmten Daten festgestellt, dass diese nach dem Export in CSV-Dateien erneut insoweit verändert worden seien, dass das eingesetzte „...“ erneut durch Veränderungen verschleiert worden sei. Im vorliegenden Fall wiesen die beschlagnahmten Unterlagen entsprechende Auffälligkeiten auf, die nur durch einen aktuellen Export geklärt werden könnten.
20Die Außenprüfung dauert weiterhin an.
21Der Senat hat in dieser Sache am 28.06.2018 mündlich verhandelt. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift vom 28.06.2018 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
22Die zulässige Klage ist unbegründet.
23A. Die Klage ist zulässig, insbesondere wurde sie fristgerecht innerhalb der Klagefrist des § 47 Abs. 1 FGO erhoben.
24I. Nach § 47 Abs. 1 Satz 1 FGO beträgt die Frist zur Erhebung einer Anfechtungsklage einen Monat; sie beginnt mit der Bekanntgabe (§ 122 AO) der Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf (Levedag in Gräber FGO, 8. Auflage, 2015, § 47 Rn. 8). Nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der durch die Post übermittelt wird, als bekannt gegeben, bei einer Übermittlung im Inland am dritten Tage nach Aufgabe zur Post, außer wenn er nicht oder zu einem spätere Zeitpunkt zugegangen ist; im Zweifel hat die Behörde den Zugang des Verwaltungsakts und den Zeitpunkt des Zugangs nachzuweisen.
25II. Unter Zugrundelegung dieser Rechtsgrundsätze ist die Klage am 22.06.2015 fristgerecht erhoben worden. Der Klägervertreter hat mittels einer Kopie aus seinem Fristenbuch nachgewiesen, dass ihm die Einspruchsentscheidung aufgrund des Poststreiks am 26.05.2015 zugegangen ist. Damit greift die Fiktion nach § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO nicht. Die Klagefrist des § 47 Abs. 1 FGO war daher nach § 54 Abs. 2 FGO i.V.m. § 222 ZPO i.V.m. §§ 187ff. des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) am 22.06.2015 (Klageeingang bei Gericht) noch nicht abgelaufen. Dies ist zwischen den Beteiligten auch nicht mehr streitig.
26B. Der Bescheid des Beklagten vom 27.10.2014 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13.05.2015 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO). Der Beklagte durfte die Klägerin zur Überlassung der Kassendaten in elektronischer Form auffordern, da diese zur Aufzeichnung der einzelnen Verkäufe sowie zur Aufbewahrung der Aufzeichnung verpflichtet war. Der Beklagte darf daher im Rahmen der bei der Kläger stattfindenden Außenprüfung gemäß § 147 Abs. 6 Satz 2, 2. Alt i.V.m. Abs. 1 Nr. 1 AO a.F. die mit Hilfe eines Datenverarbeitungssystems (=PC-Kasse) erstellten Daten auf einem maschinell verwertbaren Datenträger zur Prüfung anfordern.
27I. Die Klägerin erzielt gewerbliche Einkünfte aus dem Betrieb einer Apotheke. Sie ist nach §§ 238 ff. HGB buchführungspflichtig und verwendet ein speziell für Apotheken entwickeltes PC-gestütztes Erlöserfassungssystem mit integrierter Warenwirtschaftsverwaltung der Firma Y GmbH. Sie ist daher sowohl zur Aufbewahrung als auch zur Vorlage der von ihr geführten Aufzeichnungen hinsichtlich des Warenverkaufs verpflichtet.
281. Die Befugnisse aus § 147 Abs. 6 AO a.F. stehen der Finanzbehörde nur in Bezug auf solche Unterlagen zu, die der Steuerpflichtige nach § 147 Abs. 1 AO a.F. aufzubewahren hat. Der sachliche Umfang der Aufbewahrungspflicht in § 147 Abs. 1 AO a.F. wird wiederum grundsätzlich begrenzt durch die Reichweite der zugrunde liegenden Aufzeichnungspflicht (BFH-Urteil vom 24.06.2009, VIII R 80/06, BStBl II 2010, 452, m.w.N.).
29Auch Einzelhändler sind zur Aufzeichnung ihrer einzelnen Geschäftsvorfälle einschließlich der Kassenvorgänge verpflichtet. Der Senat schließt sich insoweit den im Ergebnis zutreffenden Ausführungen des BFH in seinen Urteilen vom 16.12.2014 (X R 42/13, BStBl II 2015, 519 und X R 29/13, BFH/NV 2015, 790) an.
30Nach § 238 Abs. 1 Satz 1 HGB ist jeder Kaufmann verpflichtet, Bücher zu führen und in diesen seine Handelsgeschäfte und die Lage seines Vermögens nach den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung (GoB) ersichtlich zu machen. Über § 140 AO gelten die Kaufleuten obliegenden handelsrechtlichen Buchführungspflichten auch für die Besteuerung (vgl. Rätke in Klein, AO, 13. Aufl., 2016, § 140 Rn. 1 und 4; BFH-Beschluss vom 26.09.2007 I B 53, 54/07, BFHE 219, 19, BStBl II 2008, 415). Die handelsrechtlichen Pflichten werden zu solchen des Steuerrechts transformiert (Rätke in Klein, AO, 13. Aufl., 2016, § 140 Rn. 1 unter Hinweis auf BFH-Urteil vom 16.12.2014, X R 42/13, BStBl II 2015, 519).
31Die Buchführung muss so beschaffen sein, dass sie einem sachverständigen Dritten innerhalb angemessener Zeit einen Überblick über die Geschäftsvorfälle und über die Lage des Unternehmens vermitteln kann (§ 238 Abs. 1 Satz 2 HGB). Die Geschäftsvorfälle müssen sich in ihrer Entstehung und Abwicklung verfolgen lassen (§ 238 Abs. 1 Satz 3 HGB). Die Eintragungen in den Büchern und die sonst erforderlichen Aufzeichnungen müssen vollständig, richtig, zeitgerecht und geordnet vorgenommen werden (§ 239 Abs. 2 HGB).
32Aus der Pflicht zur Ersichtlichmachung der Handelsgeschäfte und der Lage des Vermögens unter Beachtung der GoB hat der BFH zu Recht gefolgert, dass dies grundsätzlich bedeutet, dass jedes einzelne Handelsgeschäft – einschließlich der sich auf die jeweiligen Handelsgeschäfte beziehenden Kassenvorgänge – einzeln aufzuzeichnen ist (BFH-Urteil vom 12.05.1966, IV 472/60, BStBl III 1966, 371). Mit der Buchführung wird u.a. der Zweck verfolgt, zu jedem Zeitpunkt einen zuverlässigen Einblick in den Ablauf aller Geschäfte zu geben. Deswegen muss es zu einem späteren Zeitpunkt für einen buchführungsmäßig vorgebildeten Dritten leicht und im Rahmen eines angemessenen Zeitaufwands möglich sein, den Inhalt und den Ablauf aller Geschäfte der Vergangenheit zu überprüfen. Dies erfordert in der Regel die Aufzeichnung jedes einzelnen Handelsgeschäfts in einem Umfang, der eine Überprüfung seiner Grundlagen, seines Inhalts und seiner Bedeutung für den Betrieb ermöglicht. Dafür bedarf es prinzipiell nicht nur der Aufzeichnung der in Geld bestehenden Gegenleistung, sondern auch des Inhalts des Geschäfts und des Namens des Vertragspartners (BFH-Urteil vom 12.05.1966, IV 472/60, BStBl III 1966, 371). Es ist auch in der Literatur allgemein anerkannt, dass die GoB grundsätzlich eine einzelne Erfassung eines jeden Geschäftsvorfalls erfordern und zusammengefasste oder verdichtete Buchungen demzufolge voraussetzen, dass sie eindeutig in ihre Einzelpositionen aufgegliedert werden können (BFH-Urteile vom 16.12.2014 zu Az. X R 42/13 und X R 29/13 m.w.N.).
33Für bar erlangte Kasseneinnahmen hat der BFH in diesem Zusammenhang unmissverständlich klargestellt, dass der nach den GoB aufzeichnungspflichtige Geschäftsvorfall gerade nicht nur der am Ende eines Tages insgesamt vereinnahmte Betrag (Tageslosung) ist, weil die Tatsache der sofortigen Bezahlung der Leistung es nicht rechtfertigt, die einzelnen Geschäftsvorfälle nicht auch einzeln mit Benennung des Kunden, der Art der Tätigkeit und der Bareinnahme aufzuzeichnen (BFH-Urteil vom 12.05.1966, IV 472/60, BStBl III 1966, 371 und BFH-Beschluss vom 07.02.2008, X B 189/07, juris).
34Da die GoB indes nur eine Einzelaufzeichnung der Kassenvorgänge im Rahmen des nach Art und Umfang des Geschäftes Zumutbaren verlangen, hat der BFH die Einzelaufzeichnungspflicht für Einzelhandelsgeschäfte – in Betrieben, in denen Waren von geringerem Wert an eine unbestimmte Vielzahl nicht bekannter und auch nicht feststellbarer Personen verkauft werden – dahingehend eingeschränkt, dass die baren Betriebseinnahmen in der Regel nicht einzeln aufgezeichnet zu werden brauchen (BFH-Urteil vom 12.05.1966, IV 472/60, BStBl III 1966, 371 und BFH-Beschluss vom 07.02.2008, X B 189/07, juris). Ausschlaggebend für den BFH war insoweit, dass es technisch, betriebswirtschaftlich und praktisch unmöglich war, an die Aufzeichnung der einzelnen zahlreichen baren Kassenvorgänge in Einzelhandelsgeschäften gleiche Anforderungen wie bei anderen Handelsgeschäften zu stellen, nämlich zur Identifizierung und zur Bestimmung des Inhalts des Geschäfts Namen und Anschrift des Kunden und den Gegenstand des Kaufvertrages festzuhalten.
35Die Frage, ob die nach den vorstehenden Ausführungen grundsätzlich gegebene Verpflichtung zur Einzelaufzeichnung eines jeden Geschäftsvorfalls aus Gründen der Unzumutbarkeit einzuschränken ist, hat der BFH zu Recht verneint.
36Eine den GoB entsprechende Buchführung setzt voraus, dass die Eintragungen in die Bücher und sonst erforderliche Aufzeichnungen vollständig, richtig, zeitgerecht und geordnet vorgenommen werden (§ 239 Abs. 2 HGB, § 146 Abs. 1 Satz 1 AO a.F.). Es besteht jedoch keine gesetzliche Vorgabe, wie (Kassen-)Aufzeichnungen zu führen sind. So können Handelsbücher und sonst erforderliche Aufzeichnungen grundsätzlich auch in der geordneten Ablage von Belegen bestehen oder auf Datenträgern geführt werden (§ 239 Abs. 4 Satz 1 HGB, § 146 Abs. 5 Satz 1 AO a.F.). Der Steuerpflichtige ist in der Wahl des Aufzeichnungsmittels somit frei und kann entscheiden, ob er seine Warenverkäufe manuell oder unter Zuhilfenahme technischer Hilfsmittel – wie eben einer elektronischen Registrier- oder PC-Kasse – erfasst.
37Entscheidet der Steuerpflichtige sich für ein modernes PC-Kassensystem, das zum einen sämtliche Kassenvorgänge einzeln und detailliert aufzeichnet (mithin insbesondere die in Geld bestehende Gegenleistung sowie den Inhalt des Geschäfts) und zum anderen auch eine langfristige Aufbewahrung (Speicherung) der getätigten Einzelaufzeichnungen ermöglicht, kommt er gerade damit der ihm obliegenden Verpflichtung zur Aufzeichnung der einzelnen Verkäufe nach. Er kann sich in diesem Fall nicht (mehr) auf die Unzumutbarkeit der Aufzeichnungsverpflichtung berufen. Bei Verwendung einer PC-Kasse ist die mit ihr bewirkte Einzelaufzeichnung auch zumutbar.
382. Vor diesem Hintergrund ist auch die Klägerin zur Einzelaufzeichnung ihres Warenverkaufs verpflichtet. Sie nutzt ein modernes PC-Kassensystem und hat in diesem Zusammenhang sämtliche Kassenvorgänge einzeln und detailliert aufgezeichnet und langfristig gespeichert. Damit durfte auch der Beklagte im Rahmen der Außenprüfung gemäß § 147 Abs. 6 Satz 2 Alternative 2 i.V.m. Abs. 1 Nr. 1 AO die mit Hilfe eines Datenverarbeitungssystems (PC-Kasse) erstellten Daten auf einem maschinell verwertbaren Datenträger zur Prüfung anfordern.
393. Entgegen der Auffassung der Klägerin kann den §§ 143 ff. AO, insbesondere § 144 AO, nichts anderes entnommen werden.
40Nach § 144 Abs. 1 AO müssen gewerbliche Unternehmer, die nach der Art ihres Geschäftsbetriebes Waren regelmäßig an andere gewerbliche Unternehmer zur Weiterveräußerung oder zum Verbrauch als Hilfsstoffe liefern, den erkennbar für diesen Zwecke bestimmten Warenausgang gesondert aufzeichnen.
41Der Klägerin ist zwar darin zuzustimmen, dass aus dem systematischen Zusammenhang des § 144 AO zu § 143 AO, der eine Aufzeichnungspflicht hinsichtlich des Wareneingangs für sämtliche gewerbliche Unternehmer begründet, geschlussfolgert werden könnte, dass eine Aufzeichnungspflicht hinsichtlich des Warenverkaufs für „einfache“ gewerbliche Unternehmer gerade nicht bestehen solle. Allein aus diesem systematischen Grund auf eine Sperrwirkung des § 144 AO zu schließen, greift indes zu kurz. Denn im Rückgriff auf die Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten des HGB kann eine unzulässige Umgehung von § 144 AO – auch unter Berücksichtigung des Sinns und Zwecks dieser Vorschrift – nicht gesehen werdenhabe kasdfadfadfadsfadfadfdf
42Der Wortlaut dieser Vorschrift richtet sich ausschließlich an Großhändler. Insoweit ist eine Anwendung dieser Vorschrift auf „einfache“ gewerbliche Unternehmer ausgeschlossen. Der Gesetzgeber hat sich im Rahmen der Entstehungsgeschichte zu § 144 AO nicht dazu geäußert, ob sich eine Aufzeichnungspflicht hinsichtlich des Warenverkaufs nur auf die Großhändler beziehen wollte und Einzelhändler generell von dieser Verpflichtung befreit sein sollten. Auch insoweit lassen sich keine Rückschlüsse auf die Reichweite des § 144 AO ziehen.
43Unstreitig ergeben sich die Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten indes zum Teil aus den Steuergesetzen und zum Teil aus anderen Gesetze. Gemäß § 140 AO hat derjenige, der nach anderen Gesetzen als den Steuergesetzten Bücher und Aufzeichnungen zu führen hat, die für die Besteuerung von Bedeutung sind, die Verpflichtung, die ihm nach den anderen Gesetzen obliegen, auch für die Besteuerung zu erfüllen. § 140 AO erklärt damit die außersteuerlich Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten zu steuerlichen Pflichten, die gleichberechtigt neben den durch §§ 141 bis 144 AO normierten originären Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten stehen (Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, Stand: Februar 2018, Vorb. zu § 140 AO Rn. 8). Die §§ 140ff. AO haben nach einhelliger Auffassung in der Literatur und in der Rechtsprechung gerade keine Konzentrationswirkung, weil neben diesen Vorschriften sowohl die AO als auch die Einzelsteuergesetze beweissichernde Aufzeichnungen zu speziellen Zwecken und mit speziellen Inhalten vorschreiben (Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, Stand: Februar 2018, Vorb. zu § 140-148 AO Rn. 7).
44Die §§ 238ff. HGB stimmen zum Teil wörtlich mit den §§ 140ff. AO überein und die Aufbauprinzipien entsprechen einander (Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, Stand: Februar 2018, Vorb. zu § 140-148 AO Rn. 2 f.). Sowohl die Pflicht zur Aufzeichnung des Warneingangs nach § 143 AO als auch die Pflicht zur Aufzeichnung des Warenausgans bestehen unabhängig von den Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten nach § 140 AO bzw. den handelsrechtlichen Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten (Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, Stand: Februar 2018, § 144 AO Rn. 1).
45Vor diesem Hintergrund bestehen die verschiedenen steuerlichen und außensteuerlichen Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten unabhängig voneinander. Weder aus dem Wortlaut, noch der Systematik oder der Entstehungsgeschichte – insbesondere von § 144 AO – kann gefolgert werden, dass § 144 AO eine Sperrwirkung entfalte.
46Die Vorschrift des § 144 AO begründet für Großhändler und damit nur bestimmte Gewerbetreibende eine zusätzliche, selbstständige, von handelsrechtlichen Buchführungspflichten unabhängige Aufzeichnungspflicht. Sie gilt nur innerhalb ihres persönlichen und sachlichen Anwendungsbereichs und ihr kommt darüber hinaus kein besonderer Aussagewert zu.
474. Mit der Anforderung der „Tabelle ...csv“ bzw. der "im System einzeln aufgelisteten verkauften Waren“ verstößt der Beklagte auch nicht gegen das Übermaßverbot. Denn die Grenze des Zumutbaren ist im Streitfall nicht überschritten. Die Klägerin hat Grundaufzeichnungen zur Erfüllung der Einzelaufzeichnungspflicht tatsächlich technisch, betriebswirtschaftlich und praktisch geführt. Werden Einzelaufzeichnungen tatsächlich geführt, stellt sich die Frage der Zumutbarkeit nicht. In dem Vorlageverlangen vom 27.10.2014 hat der Beklagte überdies ausdrücklich erklärt, dass dieses insoweit nicht gelten solle, als dass Auskunftsverweigerungsrechte oder Vorlageverweigerungsrechte dem entgegenstünden. Umstände, die auf eine Unzumutbarkeit hindeuten könnten, sind weder von der Klägerin vorgetragen worden, noch aufgrund der vorliegenden Akten erkennbar.
48Anzeichen, dass der Beklagte sein Ermessen, ob und in welcher Form es auf Daten Zugriff nehmen möchte, fehlerhaft ausgeübt haben könnte, sind nicht ersichtlich.
49Der Umstand, dass der Beklagte sich – wie die Klägerin meint – für das Vorlageverlangen auf eine „falsche Tatsachengrundlage“ stütze, führt nicht zu einem etwaigen Ermessensfehler. Im Rahmen des § 147 Abs. 6 AO a.F. steht dem Beklagten ein Ermessen insbesondere in der Frage zu, ob und ggf. in welcher Form er auf Daten Zugriff nehmen möchte (vgl. BFH-Urteil vom 24.06.2009, VIII R 80/06, BStBl II 2010, 452). Der sachliche Umfang der in § 147 Abs. 6 AO a.F. gewährten Befugnis wird jedoch im Hinblick auf den abstrakt zulässigen Gegenstand der Einsichtnahme abschließend durch das Gesetz vorgegeben und ist darüber hinaus keiner Ermessensentscheidung zugänglich. Vor welchem Hintergrund also die Datenanforderung vorliegend erfolgt ist, kann sich nicht auf das in § 147 abs. 6 AO a.F. ausgeübte Ermessen auswirken.
50C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
51D. Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO liegen nicht vor. Insbesondere weicht der Senat nicht von Entscheidungen des BFH ab, sondern folgt diesen ausdrücklich.